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Der poincaresche Wiederkehrsatz ist ein mathematischer Satz uber dynamische Systeme Er besagt dass es bei autonomen hamiltonschen Systemen deren Phasenraum ein endliches Volumen hat in jeder offenen Menge U displaystyle U im Phasenraum Zustande gibt deren Trajektorien beliebig oft wieder nach U displaystyle U zuruckkehren Insbesondere ist der poincaresche Wiederkehrsatz ein Satz der Ergodentheorie und kann auch als das erste Resultat der Chaostheorie angesehen werden Inhaltsverzeichnis 1 Ursprung 2 Mathematik 2 1 Wesentliche Ideen des Beweises 2 2 Masstheoretische Formulierung und Verscharfung 2 3 Diskrete dynamische Systeme 3 Physik 4 Literatur 5 EinzelnachweiseUrsprung BearbeitenDer poincaresche Wiederkehrsatz wurde 1890 in der schwedischen Zeitschrift Acta Mathematica in einer Arbeit von Henri Poincare uber das Dreikorperproblem zum ersten Mal veroffentlicht 1 Die erste Formulierung des Wiederkehrsatzes findet sich darin auf Seite 69 Theoreme I Supposons que le point P displaystyle P nbsp reste a distance finie et que le volume d x 1 d x 2 d x 3 displaystyle int dx 1 dx 2 dx 3 nbsp soit un invariant integral si l on considere une region r 0 displaystyle r 0 nbsp quelconque quelque petite que soit cette region il y aura des trajectoires qui la traversent une infinite de fois Satz I Nehmen wir an der Punkt P displaystyle P nbsp verbleibe in einem endlichen Abstand und das Volumen d x 1 d x 2 d x 3 displaystyle int dx 1 dx 2 dx 3 nbsp sei ein invariantes Integral betrachtet man nun ein beliebiges Gebiet so klein es auch sein mag so wird es immer Bahnen geben die es unendlich oft durchlaufen Poincare beweist diesen Satz auf den beiden folgenden Seiten seiner Arbeit aus seinem Beweis wird klar dass die Dimension des Volumens keine Rolle spielt In der Tat formuliert Poincare auf Seite 72f diesen Satz auch fur beliebige Dimension n gt 3 displaystyle n gt 3 nbsp Der Kontext bei Poincare ist der Hamilton Formalismus der klassischen Mechanik wobei der Punkt P displaystyle P nbsp den zeitlich veranderlichen Zustand des mechanischen Systems beschreibt und die Hamilton Funktion autonom also nicht explizit von der Zeit abhangig ist Z B beim Dreikorperproblem hat P displaystyle P nbsp insgesamt 18 Komponenten namlich fur jeden Korper drei generalisierte Orts und drei generalisierte Impulskoordinaten in diesem Fall ist der Phasenraum also 18 dimensional Bei autonomen Hamiltonschen Systemen ergibt sich aus dem Satz von Liouville dass das Volumen im Phasenraum unter der Bewegung erhalten bleibt Mathematik BearbeitenUnter Hinzunahme des ursprunglichen Kontextes ergibt sich folgende Formulierung des poincareschen Wiederkehrsatzes Sei H displaystyle H nbsp eine autonome Hamilton Funktion auf einem Phasenraum W displaystyle Omega nbsp mit endlichem Volumen Dann gibt es zu jeder offenen Menge U W displaystyle U subset Omega nbsp eine Trajektorie des zugehorigen hamiltonschen Systems die U displaystyle U nbsp unendlich oft durchlauft Wesentliche Ideen des Beweises Bearbeiten Die wichtigsten Schritte des poincareschen Beweis sind in heutiger Notation Das Vektorfeld das das hamiltonsche System definiert entsteht aus partiellen Ableitungen der Hamilton Funktion Weil diese nach Voraussetzung autonom ist ist das Vektorfeld divergenzfrei Damit folgt aus der liouvilleschen Volumenformel dass der vom hamiltonschen System erzeugte Fluss volumenerhaltend ist Das bedeutet in Formeln Der Fluss F displaystyle Phi nbsp definiert fur jedes t displaystyle t nbsp eine bijektive Abbildung F t W W displaystyle Phi t colon Omega to Omega nbsp Ist U W displaystyle U subset Omega nbsp messbar so ist auch F t 1 U F t U displaystyle Phi t 1 U Phi t U nbsp messbar und es gilt v o l U v o l F t U displaystyle vol U vol Phi t U nbsp Man konzentriert sich jetzt auf ganzzahlige Zeitpunkte t n displaystyle t n nbsp alle Mengen F n U W displaystyle Phi n U subset Omega nbsp haben das gleiche Volumen v o l U gt 0 displaystyle vol U gt 0 nbsp Weil der Phasenraum W displaystyle Omega nbsp endliches Volumen hat konnen die Mengen F n U displaystyle Phi n U nbsp nicht paarweise disjunkt sein Also gibt es j gt k 0 displaystyle j gt k geq 0 nbsp derart dass F j U F k U displaystyle Phi j U cap Phi k U neq emptyset nbsp Damit gilt auch U F j k U F k F j U F k U displaystyle emptyset neq U cap Phi j k U Phi k Phi j U cap Phi k U nbsp Ist n 0 displaystyle n 0 nbsp derart gefunden dass U F n 0 U displaystyle U cap Phi n 0 U neq emptyset nbsp dann konnen nach dem gleichen Argument die Mengen F n n 0 U displaystyle Phi n cdot n 0 U nbsp nicht paarweise disjunkt sein Also gibt es j gt k 0 displaystyle j gt k geq 0 nbsp mit F j n 0 U F k n 0 U displaystyle Phi j cdot n 0 U cap Phi k cdot n 0 U neq emptyset nbsp Fur n 1 j k n 0 displaystyle n 1 j k n 0 nbsp gilt damit U F n 1 U F k n 0 F j n 0 U F k n 0 U displaystyle U cap Phi n 1 U Phi kn 0 Phi jn 0 U cap Phi kn 0 U neq emptyset nbsp Die Schritte 1 und 2 dieser Argumentation waren bereits vor Poincare wohl bekannt Die restlichen Beweisideen finden sich wohl erstmals in Poincares Arbeit Masstheoretische Formulierung und Verscharfung Bearbeiten Bei Poincares Beweis spielt der Begriff Volumen eine wichtige Rolle Mit Hilfe der Masstheorie und der damit verbundenen Begriffe lasst sich der Beweis klarer strukturieren 2 Man beginnt mit einem Massraum W S m displaystyle Omega Sigma mu nbsp und nennt eine messbare Abbildung g W W displaystyle g colon Omega to Omega nbsp masserhaltend wenn fur jede messbare Menge U W displaystyle U subset Omega nbsp die Gleichung m g 1 U m U displaystyle mu g 1 U mu U nbsp gilt also wenn das Mass m displaystyle mu nbsp und sein Bildmass unter g displaystyle g nbsp ubereinstimmen Des Weiteren muss man die Endlichkeit des Massraums voraussetzen also m W lt displaystyle mu Omega lt infty nbsp So gelangt man zur masstheoretischen Variante wobei g n displaystyle g n nbsp die n displaystyle n nbsp fache Iteration von g displaystyle g nbsp bezeichnet Seien W S m displaystyle Omega Sigma mu nbsp ein endlicher Massraum g W W displaystyle g colon Omega to Omega nbsp eine masserhaltende Abbildung und U W displaystyle U subset Omega nbsp eine messbare Menge mit m U gt 0 displaystyle mu U gt 0 nbsp Dann gibt es Punkte x U displaystyle x in U nbsp mit der Eigenschaft dass g n k x U displaystyle g n k x in U nbsp fur eine unbegrenzt aufsteigende Folge n k displaystyle n k nbsp Eine genaue Analyse des poincareschen Beweises mit Hilfe der Masstheorie fuhrt zu folgender masstheoretischen Verscharfung Seien W S m displaystyle Omega Sigma mu nbsp ein endlicher Massraum g W W displaystyle g colon Omega to Omega nbsp eine masserhaltende Abbildung und U W displaystyle U subset Omega nbsp eine messbare Menge mit m U gt 0 displaystyle mu U gt 0 nbsp Dann bilden die Punkte x U displaystyle x in U nbsp deren Iterierte g n k x displaystyle g n k x nbsp nicht beliebig oft nach U displaystyle U nbsp zuruckkehren eine m displaystyle mu nbsp Nullmenge Diskrete dynamische Systeme Bearbeiten Die masstheoretischen Varianten lassen sich leicht auf diskrete dynamische Systeme anwenden bringen dort aber nichts Neues Als Mass nimmt man hier einfach das Zahlmass Die Forderung m W lt displaystyle mu Omega lt infty nbsp bedeutet dann dass die zugrundeliegende Menge endlich ist Damit wird masserhaltend gleichbedeutend mit bijektiv und die Aussage des poincareschen Wiederkehrsatzes wird zu der einfachen Tatsache dass jede Permutation einer endlichen Menge in Zykel zerfallt Physik BearbeitenPhysikalisch bedeutet der poincaresche Wiederkehrsatz dass ein mechanisches System dessen Bahnen beschrankt bleiben also z B das Sonnensystem die Eigenschaft hat dass es in jeder Umgebung des Anfangszustands Systemzustande gibt deren Bahnen beliebig oft in besagte Umgebung des Anfangszustands zuruckkehren Daraus folgt etwa das folgende Resultat Verbindet man zwei Behalter die unterschiedliche Gase beinhalten so vermischen sich diese zunachst Nach dem Wiederkehrsatz gibt es jedoch eine beliebig kleine Anderung des Anfangszustands mit der Konsequenz dass sich die Gase zu einem spateren Zeitpunkt von selbst trennen und entmischt sind Die Entmischung widerspricht einer deterministischen Formulierung des zweiten Hauptsatzes der Thermodynamik die eine Abnahme der Entropie ausschliesst Daruber entspann sich eine Auseinandersetzung zwischen Ernst Zermelo und Ludwig Boltzmann in deren Verlauf Boltzmann einige Artikel uber die Zusammenhange zwischen dem poincareschen Wiederkehrsatz und dem zweiten Hauptsatz der Thermodynamik verfasste Danach verschwindet der Widerspruch wenn man den zweiten Hauptsatz statistisch interpretiert Schon Clausius Maxwell u a haben wiederholt darauf hingewiesen dass die Lehrsatze der Gastheorie den Charakter statistischer Wahrheiten haben Ich habe besonders oft und so deutlich als mir moglich war betont dass das Maxwellsche Gesetz der Geschwindigkeitsverteilung unter Gasmolekulen keineswegs wie ein Lehrsatz der gewohnlichen Mechanik aus den Bewegungsgleichungen allein bewiesen werden kann dass man vielmehr nur beweisen kann dass dasselbe weitaus die grosste Wahrscheinlichkeit hat und bei einer grossen Anzahl von Molekulen alle ubrigen Zustande damit verglichen so unwahrscheinlich ist dass sie praktisch nicht in Betracht kommen An derselben Stelle habe ich auch betont dass der zweite Hauptsatz vom molekulartheoretischen Standpunkte ein blosser Wahrscheinlichkeitssatz ist 3 Demgemass ist eine Abnahme der Entropie nicht prinzipiell unmoglich aber innerhalb einer kurzen Zeitspanne sehr unwahrscheinlich Betrachtet man jedoch das Verhalten eines hamiltonschen Systems mit beschranktem Phasenraum fur beliebig grosse Zeiten so ist die Wiederkehr fast sicher wie aus der masstheoretischen Verscharfung des poincareschen Wiederkehrsatzes folgt Im Anhang der zitierten Abhandlung gibt Boltzmann eine Schatzung der Wiederkehrzeit fur die Molekule von Luft gewohnlicher Dichte in einem Gefass von einem cm Volumen Nach etwa einer Seite kombinatorischer Uberlegungen kommt er zu einer Zahl N b displaystyle N b nbsp wobei N displaystyle N nbsp eine Abschatzung fur die Zahl der Kombinationen diskretisierter Teilchenimpulse ist und b displaystyle b nbsp die Zahl der Gasteilchenkollisionen pro Sekunde beschreibt die noch mit einer zweiten von ahnlicher Grossenordnung multipliziert werden musse und von der er schreibt Wie gross aber schon die Zahl N b displaystyle N b nbsp ist davon erhalt man einen Begriff wenn man bedenkt dass sie viele Trillionen Stellen hat Wenn dagegen um jeden mit dem besten Fernrohr sichtbaren Fixstern so viele Planeten wie um die Sonne kreisten wenn auf jedem dieser Planeten so viele Menschen wie auf der Erde waren und jeder dieser Menschen eine Trillion Jahre lebte so hatte die Zahl der Sekunden welche alle zusammen erleben noch lange nicht funfzig Stellen Literatur BearbeitenKonrad Jacobs Hrsg Selecta Mathematica IV Heidelberger Taschenbucher Band 98 Springer Verlag Berlin Heidelberg New York 1972 ISBN 3 540 05782 X Ricardo Mane Ergodic Theory and Differentiable Dynamics Translated from the Portuguese by Silvio Levy Ergebnisse der Mathematik und ihrer Grenzgebiete Band 3 Springer Verlag Berlin Heidelberg New York London Paris Tokyo 1987 ISBN 3 540 15278 4 MR0889254 J C Oxtoby Mass und Kategorie Aus dem Englischen ubersetzt von K Schurger Hochschultext Springer Verlag Berlin Heidelberg New York 1971 ISBN 3 7643 0839 7 1 Mark Pollicott Michiko Yuri Dynamical Systems and Ergodic Theory Transferred to digital printing 2008 London Mathematical Society Student Texts Band 40 Cambridge University Press Cambridge 1998 ISBN 978 0 521 57294 1 MR1627681 Xiong Ping Dai From the first Borel Cantelli lemma to Poincare s recurrence theorem In American Mathematical Monthly Band 122 2015 S 173 174 MR3324694 Einzelnachweise Bearbeiten Henri Poincare Sur le probleme des trois corps et les equations de la dynamique Acta Math 13 1890 1 270 Poincare hatte ursprunglich eine Arbeit auf eine Ausschreibung des schwedischen Konigs Oskar II hin eingereicht und damit den Preis gewonnen Die in Band 13 der Acta Mathematica publizierte Arbeit ist eine Uberarbeitung davon in der zwar ein gravierender Fehler beseitigt ist die aber auch das vermeintliche Hauptergebnis der Preisarbeit nicht mehr enthalt Konrad Jacobs Selecta Mathematica IV Einige Grundbegriffe der topologischen Dynamik Poincares Wiederkehrsatz Springer Verlag 1972 Ludwig Boltzmann Entgegnung auf die warmetheoretischen Betrachtungen des Hrn E Zermelo Ann Phys 293 Wied Ann 57 S 773 784 1896 In Wissenschaftliche Abhandlungen von Ludwig Boltzmann hrsg von Fritz Hasenohrl III Band New York 1968 Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Wiederkehrsatz amp oldid 201318804