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Der Begriff Wechsel bezeichnet eine Gruppe mittelalterlicher lyrischer Texte verschiedener Autoren Kennzeichnend fur den Wechsel als Subtyp des Minneliedes ist das Nebeneinanderstehen monologischer Manner und Frauenstrophen Inhaltsverzeichnis 1 Zum Gattungsbegriff 2 Definition und Entwicklung 3 Der Wechselmonolog und Dialog 4 Botenlieder 5 Beispiel 5 1 Dietmar von Aist Uf der linden obene MF 34 3 5 1 1 Zum Inhalt 5 1 2 Gattungszugehorigkeit 6 Literatur 7 EinzelnachweiseZum Gattungsbegriff BearbeitenDer Wechsel ist keine klar umrissene Gattung der mittelalterlichen Lyrik Gattungen sind als Gruppen oder historische Familien zu verstehen Sie konnen als solche nicht definiert sondern nur historisch bestimmt abgegrenzt und beschrieben werden Jauss Alteritat und Modernitat der mittelalterlichen Literatur S 330 Eine adaquate Definition scheint problematisch wie die Varianten der Gattungsdefinition in der Fachliteratur zeigen Obwohl der Monolog als konstitutives Merkmal fur den Wechsel gilt ist sich die Forschung seltsam uneinig daruber was als Monolog zu bezeichnen ist und wo somit die Grenzen der Gattungsbezeichnung liegen Aufgrund dieser terminologischen Probleme soll kurz erlautert werden wie der Gattungsbegriff im Folgenden verwendet wird Die Gattungsbezeichnung Wechsel kann nicht auf Ebene der Gattungen Minnesang Spruchdichtung oder Hofischer Roman angesiedelt werden Sie muss im Sinne von Subgattung Liedtyp verstanden werden linguistisch ist sie als Textsorte zu bezeichnen und so auch uber ihre kommunikative Leistung zu definieren Der Wechsel gehort also neben Werbelied Frauenmonolog und Dialoglied zu den Subtypen des hochmittelalterlichen Minneliedes Definition und Entwicklung BearbeitenIn seiner Grundform ist der Wechsel zweistrophig tritt aber vielfach variiert und erweitert auf Nicht nur die Strophenanzahl auch die Rollenverteilung ist nicht streng festgelegt Es gibt mindestens zwei Sprecher Ritter und Dame Die jeweilige Ausserung umfasst mindestens eine ganze Strophe Dieses Kriterium grenzt einfache Monologe und z T auch dialogische Sprecherwechsel vom Wechsel ab Durch die vorgegebenen Personen ergeben sich Frauen und Mannerstrophen Dabei sind Modifizierungen und Erweiterungen moglich Das zweite strukturelle Merkmal des Wechsels ist die monologische Sprechhaltung Inhaltlich festgelegt wird meist die Darstellung von Liebes Gefuhlen Die einzelnen Strophen stimmen nicht nur im metrischen Bau uberein sondern weisen auch eine Ubereinstimmung in Thematik und Situation auf Die Bezeichnung ain wechsell findet sich erstmals in der Neidhart Handschrift c bezeichnet hier aber sogenannte Gespielinnen Gesprache und Mutter Tochter Gesprache in diesem Fall also Dialoglieder Das Dialog oder Gesprachslied findet sich vermehrt im 13 Jh also gerade zu jener Zeit in welcher der Wechsel aus der Literaturgeschichte verschwindet Ob sich die Gattung des Wechsels in Richtung Dialoglied entwickelte oder bereits in der Fruhphase ein Nebeneinander von Wechsel und Gesprachslied zu konstatieren ist ist bislang umstritten Auch in der Spatphase des Wechsels bleibt seine Monologizitat konstitutiv scheindialogische Ausserungen auf struktureller Ebene Inquit Apostrophe sind selten Im Spatmittelalter nimmt die Konkurrenz durch die Entstehung neuer Liedtypen und Gattungen zu welche auch die Gattung Wechsel beeinflussen Fur die monologische Struktur ergibt sich somit ein Problem durch die Wandlung der Gattung Die Handlung kann nicht mehr statisch und die Situation nicht mehr abstrakt bleiben eine Einbettung in konkrete Situationen ist nur selten z B durch die Kreuzzugsthematik moglich eine weitere Entwicklung im Sinne einer Dramatisierung wird erschwert Die Wechsel Walthers von der Vogelweide 1 sind meist streng monologisch eine Ausnahme ist L 70 22 welches sehr dicht an der Grenze des Dialog steht Bei Walther tritt auch das strophische Dialoglied auf Durch die Ubernahme dieses strukturellen Merkmals des Wechsels in die Gattung des Gesprachslieds findet hier ein Ubergang zum Dialog und eine Gattungskontamination aber keine lineare Entwicklung vom Wechsel zum Dialoglied statt Der Wechselmonolog und Dialog BearbeitenAls zentraler Punkt jeder Definition der Gattung Wechsel an sich gilt die Monologizitat Scheindialogische Redeweise bspw durch den Auftritt eines Boten wirft Gattungsfragen auf Auch monologische Dialoglieder bewegen sich im Peripheriebereich vieler Definitionsversuche Versteht man den Monolog als Selbstgesprach musste die direkte Anrede und Formen der 2 Person Sg ausgeschlossen werden Innerhalb des Monologs konnen dialogische Merkmale auftreten und die monologische Sprechhaltung infrage stellen Das innere Kommunikationssystem kann durchbrochen werden indem der Sanger direkt das Publikum anspricht Auch wo Inquit Formeln verwendet werden welche eine vorgetragene Rede zum Bericht machen und durch diese Tendenzen der Episierung der Minnelyrik auch Grenzen der Fiktionalitat beruhren ist die Sprechhaltung nicht mehr rein monologisch Der Sanger kann ebenso eine reale oder fiktive Person anreden Apostrophe so erscheinen dann Formen der 2 Pers Sg welche nach einigen Wechseldefinitionen schon gattungssprengend waren besonders wenn der die Geliebte selbst oder ein Bote angesprochen wird Dialogisches Sprechen definiert sich nicht unbedingt durch die Anwesenheit eines Gegenubers sondern durch dessen Ausserung welche direkten Bezug nimmt auf das vorher Gesagte Gegenrede und erst so gattungsdifferenzierend wird Bleibt das Gegenuber stumm herrscht keine dialogische Sprechsituation Der Dialog an sich zeichnet sich aus durch die Gegensatzlichkeit zweier oder mehrerer Sprecher Meinungen oder Standpunkte es wird auf diese Art ein Diskurs dargestellt Der Monolog stellt dagegen einen einzelnen Standpunkt Emotionen oder Reflexionen dar Die monologische Sprechhaltung ist schon situativ durch die zeitliche oder raumliche Trennung der Minnenden gegeben So hat der Monolog durch die Vermittlung von Gefuhlswerten eine affektive Funktion statt einer diskursiven inne Der Dialog stellt eine Nachahmung einer Gesprachssituation dar nach realem Vorbild Formen der 2 Person Sg treten naturlich auf Im Dialog sind Zeit und Raum nicht wie im Monolog beliebig die Personenrede erfolgt immer diachron Auch wenn ein Erzahler auftritt welcher zeitliche Distanz zwischen den einzelnen Ausserungen schafft verlaufen Zeit und Handlung immer linear Die monologischen Wechselstrophen definieren sich gerade durch die zeitliche und oder raumliche Distanz obwohl eine Simultanitat aufgrund der relativen Autonomitat der Ausserungen nicht ausgeschlossen ist Ein weiteres unterscheidendes Merkmal geht auf den Bezug der Ausserungen zueinander zuruck Der Dialog erhalt erst durch den direkten referentiellen Bezug zur hervorgehenden Replik Bedeutung Der Monolog dagegen zeigt relativ autonome voneinander unabhangige Stellungnahmen auf ein direkter Bezug ist unnotig Obwohl jede Strophe fur sich eine selbstandige Einheit und Ausserung darstellt kann aber auf Textkoharenz nicht verzichtet werden Botenlieder BearbeitenEine besondere und durchaus problematische Form des Wechsels ist das Botenlied Der Bote der als Vermittler zwischen den Minnenden auftreten kann kann selbst sprechen oder angesprochen werden demnach einen Auftrag erhalten oder ubermitteln oder auch nur als Motiv auftreten Der von Kurenberg MF 10 9 Aller wibe wunne diu get noch megetin als ich an si gesende den lieben boten min In der Forschungsliteratur bietet dieser immer wieder Anlass die Gattungsbeschreibung Wechsel zu hinterfragen Das Auftreten eines Boten und somit die Botenstrophe widerspricht dem Prinzip der strophischen Rollenaufteilung nicht In dem so genannten Botenlied muss der Bote auch nicht selbst zu Wort kommen er fungiert als Medium der Nachricht indem er angesprochen und instruiert wird was er dem eigentlichen Adressaten der Nachricht mitteilen moge In dieser Helferrolle funktioniert der Bote als Stilisierung der Distanz zwischen den Minnenden Wird zudem die Kommunikation mit dem Boten um eine Stellungnahme des anderen Minnepartners erganzt liegt ein erweiterter Wechsel vor Beispiel BearbeitenDietmar von Aist Uf der linden obene MF 34 3 Bearbeiten mittelhochdeutschUf der linden obene da sanc ein kleinez vogellin vor dem walde wart ez lut do huop sich aber daz herze min an eine stat da ez e da was ich sach da rosebluomen stan die manent mich der gedanke vil die ich hin zeiner vrouwen han Ez dunket mich wol tusent jar daz ich an liebes arme lac sunder ane mine schulde vremedet er mich menegen tac sit ich bluomen niht ensach noch enhorte der vogel sanc sit was mir min vroide kurz und ouch der jamer alzelanc UbersetzungOben auf der Linde da sang ein kleines Vogelein Am Waldrand war es zu horen Da zog es mein Herz wieder an einen Ort an dem es fruher war Ich sah dort Rosen stehen die erinnerten mich an die vielen Gedanken die ich einer Frau zuwende Es scheint mir fast tausend Jahre her dass ich in den Armen des Geliebten lag Ohne meine Schuld meidet er mich seit vielen Tagen Seitdem sah ich keine Blumen mehr noch horte ich der Voglein Gesang seitdem war meine Freude gering und auch das Leid zu gross Zum Inhalt Bearbeiten Das lyrische Subjekt der ersten Strophe ist nicht identisch mit dem der zweiten die Rollenzuweisung ist eindeutig In der ersten Strophe redet ein mannlicher Sprecher deutlich wird das erst in 1 4 Die zweite Strophe ist eine Frauenstrophe was aus dem Pronomen er 2 2 hervorgeht die vorangehenden liebes arme konnen jene des oder der Geliebten sein Motive des Natureingangs Linde Vogel Rosen deuten auf den Sommer hin und veranlassen das lyrische Ich der ersten Strophe sich an mindestens ein vergangenes Liebeserlebnis zu erinnern Es verhalt sich seinem Rollenklischee entsprechend Der Mann reflektiert das vergangene Liebesereignis distanziert Er klagt nicht empfindet keine Sehnsucht oder Leid die Erinnerung wird mit positiven Motiven verknupft vogellin rosebluomen Diese Motive kehren auch im betont sinnlichen Vokabular der Frauenstrophe wieder doch stehen sie hier dem schmerzhaften Fernbleiben des Geliebten und somit der kurz en vroide und dem jamer gegenuber Das normierte Rollenverhalten zeigt sich auch in dieser Strophe Der Frau kommt die Leidposition zu sie empfindet die Erinnerung nicht als glucklich sondern stellt dramatisch uberhoht die zeitliche Distanz dar wol tusent jar welche in der Mannerstrophe nur durch das e 1 3 angedeutet wird Interessant ist die Thematisierung ihrer Schuldlosigkeit hierin kann ein Vorwurf an den Geliebten gesehen werden denn der Mann wird weder als ebenso schuldlos gekennzeichnet noch werden Grunde seines Fernbleibens erwahnt denkbar ware ja ein Kreuzzugsmotiv oder die Motive der huote und merkaere Damit scheinen sich die Erwartungen der Frau nicht zu erfullen welche sicher auf eine gegenseitige Liebesbeziehung zielten Dem Publikum erschliesst sich die Situation anders Durch die Kenntnis des vorangegangenen Monologs kann die Einseitigkeit der Liebesempfindung ausgeschlossen werden und der Widerspruch der beiden Strophen welcher auf der Darstellungsebene besteht aufgelost werden Auffallig ist hier ausserdem die Rolle des Sangers Der Dietmar von Aist zugeschriebene Text beginnt mit dem Bild eines Vogels welcher auf einer Linde sitzt und singt dieses Bild auf den Sanger zu ubertragen liegt nicht fern Dietmar vom Ast singt demnach eine Szene an welcher er selbst nur als entfernter Beobachter partizipiert Vergleichbares findet sich auch bei Walther von der Vogelweide L 39 11 auch dort ist es nur ein kleinez vogellin welches trotz aller Heimlichkeit das Ereignis bezeugen kann Gattungszugehorigkeit Bearbeiten Der Text gilt als lyrischer Text die zwei Strophen des Textes weisen einen identischen metrischen Bau auf Auch in der Thematik stimmen sie uberein Motivresponsionen von vogellin und bluomen zeigen die Koharenz des Textes Der Wechsel erscheint hier in seiner zweistrophigen Grundform Die Strophen sind aufgeteilt in Mannerstrophe und Frauenstrophe die Ausserung jeden Sprechers umfasst die gesamte Strophe Damit sind auch die zwei strukturellen Merkmale einer Monologreihung nach Kohler erfullt Zur Monologizitat Die Einsamkeit des Sprechers ist gegeben Es gibt keine schein dialogische Redeweise keine Formen der 2 Pers Sg Apostrophe keine Anrede keine Inquit Formeln keine weiteren Instanzen Auch unter den vorhandenen Personen findet kein Dialog statt die Rede des Mannes bleibt ungehort und fuhrt so nicht zu einer Gegenrede der Frau sondern zu einer autonomen Ausserung welche zeitlich nicht eindeutig festlegbar ist Letztlich ist auch die raumliche Distanz das Meiden des Partners und die unterschiedliche Sichtweise auf das vergangene Liebesereignis ein Anhaltspunkt fur deren monologische Sprechhaltung Inhaltlich entspricht der Text auch der Wechselgattung Liebesgefuhle werden dargestellt die verschiedenen Auffassungen der Figuren die Klage uber mangelnde Resonanz und die gluckliche Erinnerung stehen einander gegenuber Durch die Monologizitat ist auch der fiktionale Raum zum Publikum hin offen es ist nicht blosser Zuschauer sondern ubernimmt die Funktion des Gegenubers der im inneren Kommunikationssystem aufgeworfene Widerspruch ist nur im ausseren auflosbar durch den Rezipienten namlich so wird auch die nicht mimetische Form deutlich Die Vermittlung von Gefuhlswerten und so die affektive Funktion besteht unzweifelbar die differenzierte Erfahrung und Empfindung hat jedoch fast diskursiven Charakter diskursiv ist der Text jedoch nicht denn es fehlt wie schon dargestellt an einem direkten referentiellen Bezug zwischen den einzelnen Ausserungen Strophen Literatur BearbeitenAdolar Angermann Der Wechsel in der mittelhochdeutschen Lyrik Marburg 1910 Marburg Universitat Dissertation 1908 Manuel Braun Die Kunstlichkeit des dialogischen Liedes In Marina Munkler Hrsg Aspekte einer Sprache der Liebe Formen des Dialogischen im Minnesang Publikationen zur Zeitschrift fur Germanistik NF Bd 21 Lang Bern u a 2011 ISBN 978 3 03911 783 3 S 19 34 Hans Robert Jauss Theorie der Gattungen und Literatur des Mittelalters In Hans Robert Jauss Alteritat und Modernitat der mittelalterlichen Literatur Gesammelte Aufsatze 1956 1976 Fink Munchen 1977 ISBN 3 7705 1488 2 S 327 358 Jens Kohler Der Wechsel Textstruktur und Funktion einer mittelhochdeutschen Liedgattung Winter Heidelberg 1997 ISBN 3 8253 0542 2 Zugleich Kiel Universitat Dissertation 1996 Des Minnesangs Fruhling Band 1 Texte Unter Benutzung der Ausgaben von Karl Lachmann und Moriz Haupt Friedrich Vogt und Carl von Kraus bearbeitet von Hugo Moser und Helmut Tervooren 38 erneut revidierte Auflage mit einem Anhang Das Budapester und Kremsmunsterer Fragment Hirzel Stuttgart 1988 ISBN 3 7776 0448 8 Rudiger Schnell Frauenlied Manneslied und Wechsel im deutschen Minnesang Uberlegungen zu gender und Gattung In Zeitschrift fur deutsches Altertum und deutsche Literatur Bd 128 H 2 1999 S 127 184 JSTOR 20659048 Manfred Gunter Scholz Zu Stil und Typologie des mittelhochdeutschen Wechsels In Jahrbuch fur Internationale Germanistik Bd 21 1 1989 ISSN 0449 5233 S 60 92 Einzelnachweise Bearbeiten z B Got gebe ir iemer guoten tac Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Wechsel Lyrik amp oldid 216650016