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Der Begriff der unendlichen Teilbarkeit auch als unbeschrankte oder unbegrenzte Teilbarkeit bezeichnet beschreibt in der Stochastik die Eigenschaft vieler Zufallsvariablen sich als Summe einzelner unabhangiger Zufallsvariablen zerlegen zu lassen Eingefuhrt wurde der Begriff 1929 durch den italienisch osterreichischen Mathematiker Bruno de Finetti Er ist eng verwandt mit dem Begriff der Reproduktivitat aber nicht identisch siehe weiter unten und spielt vor allem in der Theorie der Levy Prozesse eine grosse Rolle Inhaltsverzeichnis 1 Definition 2 Unendliche Teilbarkeit und Summen unabhangiger Zufallsvariablen 3 Unendliche Teilbarkeit und Levy Prozesse 4 Beispiele 5 Alternative Definitionen und kanonische Darstellungen 6 Unendliche Teilbarkeit vs Reproduktivitat 7 LiteraturDefinition BearbeitenSei W A P displaystyle Omega mathcal A P nbsp ein Wahrscheinlichkeitsraum und X W R d displaystyle X colon Omega to mathbb R d nbsp eine d displaystyle d nbsp dimensionale Zufallsvariable darauf X displaystyle X nbsp heisst unendlich teilbar auf diesem Wahrscheinlichkeitsraum falls es fur jedes n N displaystyle n in mathbb N nbsp Zufallsvariablen X 1 X 2 X n W R d displaystyle X 1 X 2 dotsc X n colon Omega to mathbb R d nbsp gibt mit X 1 X 2 X n displaystyle X 1 X 2 dotsc X n nbsp sind unabhangig und identisch verteilt i 1 n X i X displaystyle sum i 1 n X i sim X nbsp Besonders grosse Bedeutung kommt dem Konzept der unendlichen Teilbarkeit in folgenden beiden Teilgebieten der Stochastik zu Unendliche Teilbarkeit und Summen unabhangiger Zufallsvariablen BearbeitenIn der allgemeinen Summationstheorie fur unabhangige Zufallsvariablen betrachtet man Folgen X 1 X 2 X n displaystyle X 1 X 2 dotsc X n dotsc nbsp von Zufallsvariablen von denen jede eine Summe von endlich vielen unabhangigen und identisch verteilten Zufallsvariablen X n 1 X n 2 X n k n displaystyle X n1 X n2 dotsc X nk n nbsp ist Dann gilt folgende Aussage Wenn keiner der Einzelsummanden X n k displaystyle X nk nbsp einen bedeutenden Einfluss auf die Summe hat mathematisch formuliert als Bedingung der unendlichen Kleinheit lim n max k P X n k gt ϵ 0 displaystyle lim n to infty max k P left X nk right gt epsilon 0 nbsp fur jedes ϵ gt 0 displaystyle epsilon gt 0 nbsp siehe auch Asymptotisch vernachlassigbares Schema dann konvergieren die standardisierten Verteilungsfunktionen F n displaystyle F n nbsp gegen eine unendlich teilbare Verteilungsfunktion F displaystyle F nbsp Mit anderen Worten ist die Klasse der unendlich teilbaren Verteilungsfunktionen identisch mit der Klasse der Grenzverteilungen fur Summen unabhangiger und identisch verteilter Zufallsvariablen Diese Aussagen gehen zuruck auf Kolmogorow und dessen Schuler Chintschin und Gnedenko Unendliche Teilbarkeit und Levy Prozesse BearbeitenFur Zufallsvariablen A displaystyle A nbsp und B displaystyle B nbsp existiert genau dann ein Levy Prozess X t t Q displaystyle X t t in mathbb Q nbsp mit Zustanden X 0 A X 1 B displaystyle X 0 sim A X 1 sim B nbsp wenn die Zufallsvariable B A displaystyle B A nbsp unendlich teilbar ist Dieses Resultat von Paul Levy vereinfacht den Beweis von der Existenz der Brownschen Bewegung erstmals bewiesen durch Norbert Wiener im Jahr 1923 dramatisch da leicht gezeigt werden kann dass die Normalverteilung unendlich teilbar ist Beispiele BearbeitenWie bereits erwahnt ist jede normalverteilte Zufallsvariable unendlich teilbar fur X N m s 2 n N displaystyle X sim mathcal N mu sigma 2 n in mathbb N nbsp wahle unabhangige X 1 X 2 X n N m n s 2 n displaystyle X 1 X 2 dotsc X n sim mathcal N left frac mu n frac sigma 2 n right nbsp Damit sind die obigen Bedingungen erfullt Die Exponentialverteilung mit Erwartungswert t displaystyle tau nbsp ist unendlich teilbar die dazugehorigen Teiler sind gammaverteilt mit Erwartungswert 1 n t displaystyle tfrac 1 n cdot tau nbsp und Varianz 1 n t 2 displaystyle tfrac 1 n cdot tau 2 nbsp Man beachte die uneinheitliche Parametrisierung Es existieren auch diskrete unendlich teilbare Zufallsvariable So ist die Poisson Verteilung mit Parameter l gt 0 displaystyle lambda gt 0 nbsp unendlich teilbar hier sind die unabhangigen Summanden X 1 X 2 X n displaystyle X 1 X 2 dotsc X n nbsp ebenfalls Poisson verteilt mit Parameter l n displaystyle lambda n nbsp Weitere Beispiele fur unendlich teilbare Zufallsvariable sind die Gamma Verteilung damit Chi Quadrat Verteilung und Exponentialverteilung die Logarithmische Normalverteilung die logistische Verteilung die Pareto Verteilung die Dirac Verteilung die negative Binomialverteilung Alpha stabile Verteilungen die Gumbel Verteilung die F Verteilung und die Student Verteilung ausserdem die inverse gaussian und die normal inverse gaussian Verteilungen Man sieht schnell dass die Bernoulli Verteilung charakterisiert durch P X 1 p displaystyle P X 1 p nbsp und P X 0 1 p displaystyle P X 0 1 p nbsp mit 1 gt p gt 0 displaystyle 1 gt p gt 0 nbsp nicht unendlich teilbar ist Fur n 2 displaystyle n 2 nbsp seien hierzu X 1 displaystyle X 1 nbsp und X 2 displaystyle X 2 nbsp die unabhangigen identisch verteilten Summanden mit X 1 X 2 X displaystyle X 1 X 2 X nbsp Falls diese trivial waren d h falls sie nur einen Wert annehmen konnten ware die Summe ebenfalls trivial Also mussen X 1 displaystyle X 1 nbsp und X 2 displaystyle X 2 nbsp mindestens zwei verschiedene Werte mit positiver Wahrscheinlichkeit annehmen etwa a b R a b displaystyle a b in mathbb R a neq b nbsp Die Summe X 1 X 2 X displaystyle X 1 X 2 X nbsp wurde dann aber mit jeweils positiver Wahrscheinlichkeit die drei paarweise verschiedenen Werte 2 a 2 b displaystyle 2a 2b nbsp und a b displaystyle a b nbsp annehmen und ware demnach nicht Bernoulli verteilt Also konnen X 1 displaystyle X 1 nbsp und X 2 displaystyle X 2 nbsp nicht existieren Analog lasst sich zeigen dass eine nichttriviale Verteilung die nur endlich viele Werte annimmt nicht unendlich teilbar ist Mit etwas mehr Aufwand kann gezeigt werden dass die stetige Gleichverteilung ebenfalls nicht unendlich teilbar ist Alternative Definitionen und kanonische Darstellungen BearbeitenIn der obigen Definition wurde vom Begriff der Zufallsvariablen ausgegangen Sie lasst sich auf Verteilungsfunktionen ubertragen wenn man berucksichtigt dass die Verteilungsfunktion einer Summe unabhangiger und identisch verteilter Zufallsgrossen die Faltung der Verteilungsfunktionen der Summanden ist Eine Verteilungsfunktion F displaystyle F nbsp ist genau dann unendlich teilbar wenn fur jedes n gt 0 displaystyle n gt 0 nbsp eine Verteilungsfunktion F n displaystyle F n nbsp existiert so dass F F n n displaystyle F F n n nbsp wobei n displaystyle n nbsp die n displaystyle n nbsp fache Faltung bedeutet Betrachtet man noch die zugehorigen charakteristischen Funktionen und beachtet dass die charakteristische Funktion einer Faltung das Produkt der charakteristischen Funktionen der Faltungsfaktoren ist dann erhalt man eine weitere aquivalente Definition fur unendliche Teilbarkeit Eine charakteristische Funktion f displaystyle f nbsp ist genau dann unendlich teilbar wenn fur jedes n gt 0 displaystyle n gt 0 nbsp eine charakteristische Funktion f n displaystyle f n nbsp existiert so dass f f n n displaystyle f f n n nbsp Insbesondere durch diese sehr einfache Definition lasst sich in einigen Fallen die Frage nach der unendlichen Teilbarkeit leicht beantworten So hat z B die oben als Beispiel angefuhrte Chi Quadrat Verteilung mit Parameter m displaystyle m nbsp die charakteristische Funktion f t 1 1 2 i t m 2 displaystyle f t frac 1 1 2it frac m 2 nbsp und es ist f n t 1 1 2 i t m 2 n displaystyle f n t frac 1 1 2it frac m 2n nbsp wieder eine charakteristische Funktion einer Chi Quadrat Verteilung mit Parameter m n displaystyle tfrac m n nbsp Aus der letzten Definition lassen sich kanonische Darstellungen fur unendlich teilbare Verteilungsfunktionen ableiten Eine Verteilungsfunktion F x displaystyle F x nbsp ist genau dann unendlich teilbar wenn ihre charakteristische Funktion f t displaystyle f t nbsp eine der folgenden Darstellungen hat log f t i a t e i t u 1 i t u 1 u 2 1 u 2 u 2 d H u displaystyle log f t iat int limits infty infty left e itu 1 frac itu 1 u 2 right frac 1 u 2 u 2 dH u nbsp Levy Khinchin Formel nach Paul Levy und Alexandr Chintschin bzw log f t i a t s 2 2 t 2 0 e i t u 1 i t u 1 u 2 d M u 0 e i t u 1 i t u 1 u 2 d N u displaystyle log f t iat frac sigma 2 2 cdot t 2 int limits infty 0 left e itu 1 frac itu 1 u 2 right dM u int limits 0 infty left e itu 1 frac itu 1 u 2 right dN u nbsp kanonische Darstellung nach Levy Dabei sind a displaystyle a nbsp und s displaystyle sigma nbsp reelle Zahlen H displaystyle H nbsp ist eine monoton nicht fallende und beschrankte Funktion mit H 0 displaystyle H infty 0 nbsp und M displaystyle M nbsp und N displaystyle N nbsp sind in 0 displaystyle infty 0 nbsp bzw 0 displaystyle 0 infty nbsp monoton nicht fallend mit M N 0 displaystyle M infty N infty 0 nbsp und die Integrale ϵ 0 u 2 d M u displaystyle int limits epsilon 0 u 2 dM u nbsp und 0 ϵ u 2 d N u displaystyle int limits 0 epsilon u 2 dN u nbsp existieren fur jedes ϵ gt 0 displaystyle epsilon gt 0 nbsp Beide Darstellungen sind eindeutig Der Parameter a displaystyle a nbsp gibt dabei nur eine horizontale Verschiebung der Verteilungsfunktion F displaystyle F nbsp auf der reellen Achse an Verschiebungsparameter engl location Parameter Die Konstante s displaystyle sigma nbsp wird als Gausssche Komponente bezeichnet Die Funktion H displaystyle H nbsp heisst Levy Chintschinsche Spektralfunktion von F displaystyle F nbsp bzw f displaystyle f nbsp sie hat bis auf einen nichtnegativen Faktor die Eigenschaften einer Verteilungsfunktion die Funktionen M displaystyle M nbsp und N displaystyle N nbsp heissen Levysche Spektralfunktionen von F displaystyle F nbsp bzw f displaystyle f nbsp Diese beiden kanonischen Darstellungen sind Verallgemeinerungen einer bereits fruher von Andrei Kolmogorow gefundenen Darstellung die jedoch nur fur Verteilungsfunktionen mit existierender Varianz gilt Unendliche Teilbarkeit vs Reproduktivitat BearbeitenEin ahnliches Attribut fur Zufallsvariablen ist die Reproduktivitat Eine Familie von Verteilungen heisst reproduktiv wenn die Verteilung der Summe zweier unabhangiger Zufallsvariablen mit Verteilung aus der Familie wieder in derselben Familie liegt Ein Unterschied zur unendlichen Teilbarkeit besteht beispielsweise darin dass bei letzterer die Familie nicht spezifiziert werden muss So ist die Familie der Exponentialverteilungen unendlich teilbar aber nicht reproduktiv die Exponentialverteilungen bilden jedoch eine Unterfamilie der Familie der Gammaverteilungen die wiederum reproduktiv ist Ein Beispiel fur eine reproduktive aber nicht unendlich teilbare Familie ist die Binomialverteilung mit variablem Parameter n displaystyle n nbsp und festem Parameter p displaystyle p nbsp Ist beispielsweise X displaystyle X nbsp Binomial n p displaystyle n p nbsp verteilt und Y displaystyle Y nbsp davon unabhangig Binomial m p displaystyle m p nbsp verteilt so besitzt X Y displaystyle X Y nbsp eine Binomial m n p displaystyle m n p nbsp Verteilung Unendlich teilbar ist X displaystyle X nbsp aber nicht da es zum Beispiel nicht in n 1 displaystyle n 1 nbsp identisch verteilte unabhangige Summanden zerlegt werden kann Literatur BearbeitenB W Gnedenko Lehrbuch der Wahrscheinlichkeitstheorie Akademie Verlag Berlin 1968 1 dt Ausgabe Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Unendliche Teilbarkeit amp oldid 236371630