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Die Tschagyrskaja Hohle auch Chagyrskaya Hohle russisch Chagyrskaya peshera englisch Chagyrskaya Cave ist eine im Suden von Westsibirien in den westlichen Auslaufern des russischen Altai gelegene Karsthohle Die 2007 von Sergei Wassiljewitsch Markin 1 entdeckte Hohle ist die fundreichste altsteinzeitliche Fundstatte dieses Hochgebirges Tschagyrskaja HohleLage Bei Ust Tschagyrka Ust Chagyrka Region Altai Westsibirien RusslandHohe 353 mGeographischeLage 51 26 34 6 N 83 9 18 O 51 442944 83 155 353 Koordinaten 51 26 34 6 N 83 9 18 OTschagyrskaja Hohle Region Altai Entdeckung 2007Gesamtlange 20 m Inhaltsverzeichnis 1 Geographische Lage und Topographie 2 Befund 2 1 Steinartefakte 2 2 Menschliche Uberreste 3 Literatur 4 Weblinks 5 EinzelnachweiseGeographische Lage und Topographie BearbeitenDie Tschagyrskaja Hohle liegt 400 km Luftlinie sudlich von Nowosibirsk in einem Felsmassiv am linken Flussufer eines Seitenarms des Tscharysch Sie hat eine Tiefe von 20 m und gliedert sich in zwei Kammern mit einer Gesamtflache von ca 130 m Ihr 5 m breites und etwa 7 m hohes Portal befindet sich 19 m uber dem Flussufer und weist nach Norden Die nachste Ansiedlung Ust Tschagyrka Ust Chagyrka liegt 1 5 km flussabwarts Die urgeschichtlich ebenfalls bedeutsame Okladnikow Hohle liegt 70 km nordostlich die Denissowa Hohle 100 km weiter im Osten Befund BearbeitenSeit 2007 finden in der Hohle archaologische Ausgrabungen statt die bislang eine Flache von rund 35 m umfassen Stand 2016 In der bis zu 3 5 m machtigen Sedimentfullung konnten im Eingangsbereich und in der ersten Kammer 8 Strata mit teilweise weiteren Unterhorizonten unterschieden werden Die beiden altesten sterilen Schichten stammen wahrscheinlich aus vorpleistozaner Zeit bzw haben ein Alter von rund 330 000 Jahren Die Horizonte 6 und 5 wurden am Ubergang der Sauerstoff Isotopenstufe 4 zur Stufe 3 zwischen 63 000 und 48 000 Jahren vor heute abgelagert und enthielten neben menschlichen Uberresten von Neandertalern auch zahlreiche mittelpalaolithische Steinartefakte Knochenwerkzeuge sowie eiszeitliche Tier und Pflanzenreste Die aufliegenden Schichten lieferten keine Nachweise fur menschliche Begehung wahrend des Jungpalaolithikums erst in der Bronzezeit hielten sich wieder Menschen in der Hohle auf Steinartefakte Bearbeiten nbsp Faustkeil nbsp Knochenretuscheure Das lithische Inventar der Horizonte 6a bis 6c umfasst mehr als 90 000 Artefakte Es uberwiegen Schlagabfalle in Form von Absplissen und Trummern die vorliegenden Steinwerkzeuge wurden demnach zumeist vor Ort hergestellt und nur in geringem Umfang als Rohlinge oder Fertigprodukte in die Hohle eingebracht Als Rohmaterial kamen 25 verschiedene Gesteinsarten zum Einsatz darunter Hornstein Chalcedon Jaspis und Porphyr die wahrscheinlich aus den nahen Flussschottern stammen Eine Abschlagproduktion nach dem Levallois Konzept fand sich nicht bei den Werkzeugen dominieren bifaziell bearbeitete halbtrapez halbmond und blattformige Schaber und Spitzen Faustkeilblatter sowie Klausennische und Bocksteinmesser Zudem sind als Nebenprodukte einige Klingen und wenige Kerne enthalten Die angewandten Abschlagtechniken und formenkundlichen Eigenschaften der Werkzeuge sind vergleichbar mit den Inventaren der mittel und osteuropaischen Keilmessergruppen wie sie z B aus der Sesselfelsgrotte und der Vindija Hohle bekannt sind Ein gleichartig ausgepragter Technokomplex fand sich im westasiatischen Raum bislang nur in der Okladnikow Hohle Ein weiteres Alleinstellungsmerkmal der Tschagyrskaja Hohle sind die in grosser Zahl vorhandenen Bisonknochen die aufgrund ihrer charakteristischen Narbenfelder als Retuscheure angesprochen werden und dem Scharfen von Steingeraten dienten Diese Werkzeuge sind an keiner anderen mittelpalaolithischen Fundstelle im russischen Altai nachgewiesen kommen jedoch haufig an europaischen Fundplatzen dieser Zeitstellung vor Menschliche Uberreste Bearbeiten nbsp Unterkieferfragment Chagyrskaya 6 eines mannlichen Erwachsenen mit 5 erhaltenen Zahnen nbsp Zehenknochen Bislang wurden 74 menschliche Knochenreste und Zahne von Neandertalern freigelegt die zwischen 59 000 und 49 000 Jahre alt sind Stand 2020 2 Sie liegen uberwiegend fragmentarisch vor die Oberflachen sind gut erhalten und weisen keine Schnitt oder Schlagspuren auf Es handelt sich unter anderem um Teile und Fragmente von Wirbeln Handwurzelknochen einem Oberschenkelknochen einer rechten Unterkieferhalfte und verschiedenen Backen Schneide und Milchzahnen die von mindestens funf erwachsenen und einem oder mehreren heranwachsenden Individuen stammen Die aus dem Fingerknochen Phalanx distalis Chagyrskaya 8 einer weiblichen Person gewonnene mitochondriale DNA liess nach ersten Untersuchungen darauf schliessen dass es sich bei den Neandertalern von der Tschagyrskaja Hohle um eine einzelne kleinere Population von weniger als 60 Personen gehandelt haben muss die sich nur relativ kurzzeitig im Umkreis der Hohle aufgehalten hat Diese Hypothese liess sich bestatigen nachdem Mitarbeiter des Max Planck Instituts fur evolutionare Anthropologie in Leipzig aus verschiedenen Sedimentproben die chromosomale DNA mehrerer Individuen gewinnen und sequenzieren konnten und diese der mitochondrialen DNA von Chagyrskaya 8 stark ahnelten Ein Erbgutvergleich hat zudem gezeigt dass eine engere genetische Verwandtschaft zu den Neandertalern der Vindija Hohle in Kroatien und der Mesmaiskaja Hohle im Nordkaukasus besteht als zu jenen der nur 100 km entfernten Denissowa Hohle Es wird daher angenommen dass sich osteuropaische Neandertaler vor rund 60 000 Jahren entlang des eurasischen Steppengurtels nach Sudsibirien ausbreiteten und die dort lebenden Populationen verdrangten bzw ersetzten 3 4 5 6 Im Oktober 2022 berichteten Forscher im Fachblatt Nature von insgesamt 17 erfolgreichen Versuchen aus Neandertaler Knochen und Zahnen sowohl Zellkern DNA als auch Mitochondriale DNA mtDNA zu gewinnen Zwei Proben stammten aus der Okladnikow Hohle mindestens 44 000 Jahre alt 15 Proben aus der Tschagyrskaja Hohle zwischen 59 000 und 51 000 Jahre alt darunter das Fossil Chagyrskaya 6 7 Die beiden Funde aus der Okladnikow Hohle waren den Genanalysen zufolge nicht naher miteinander verwandt sie lebten vielmehr in mehrere tausend Jahre voneinander entfernten Epochen Jedoch wurde eine gewisse verwandtschaftliche Nahe zu den Bewohnern der Tschagyrskaja Hohle nachgewiesen In der Tschagyrskaja Hohle hingegen konnte ein weibliches Neandertaler Kind einem mannlichen Erwachsenen als dessen Tochter zugeordnet werden Zudem wurde zwei Verwandte zweiten Grades identifiziert ein Junge und eine erwachsene Frau die moglicherweise Cousin und Cousine waren Neffe und Tante oder Enkel und Grossmutter Zudem ergab die Analyse von Heteroplasmien Mutationen der mt DNA dass die Tschagyrskaja Neandertaler vermutlich zu annahernd der gleichen Zeit in der Hohle lebten und zu Tode kamen und folglich wohl zur gleichen sozialen Gruppe gehorten Die extrem geringen genetischen Unterschiede zwischen ihnen wurden dahingehend interpretiert dass ihre Gruppe nur aus 10 bis 20 Individuen bestanden haben konnte In einem Begleitartikel der Max Planck Gesellschaft hiess es Dies ist eine viel niedrigere genetische Vielfalt als alle Werte die fur jede fruhere oder heutige menschliche Gemeinschaft ermittelt wurden und entspricht eher den Gruppengrossen gefahrdeter Arten am Rande des Aussterbens 8 Auffallend niedriger im Vergleich mit der mtDNA die nur von der Mutter auf die Kinder ubertragen wird war uberdies die Diversitat des Y Chromosoms das nur vom Vater auf den Sohn ubertragen wird Hieraus wurde geschlussfolgert dass diese spaten Neandertaler Gemeinschaften in erster Linie durch die Ab und Zuwanderung von Frauen verbunden waren Literatur BearbeitenKseniya A Kolobova Victor P Chabai Alena V Shalagina Maciej T Krajcarz Magdalena Krajcarz William Rendu Sergei V Vasiliev Sergei V Markin Andrei I Krivoshapkin Exploitation of the natural environment by Neanderthals from Chagyrskaya Cave Altai Nutzung der naturlichen Umwelt durch Neandertaler der Chagyrskaya Hohle Altai in Quartar Internationales Jahrbuch zur Eiszeitalter und Steinzeitforschung Bd 66 2019 S 7 31 doi 10 7485 QU66 1 A P Derevianko S V Markin K A Kolobova et al Mezhdisciplinarnye issledovaniya Chagyrskoj peshery stoyanki srednego paleolita Altaya Multidisciplinary Studies of Chagyrskaya Cave A Middle Paleolithic Site in Altai Hrsg D V Snytnikova Verlag IAET SO RAN Nowosibirsk 2018 ISBN 978 5 7803 0288 9Weblinks Bearbeiten nbsp Commons Chagyrskaya Cave Sammlung von Bildern Videos und Audiodateien Genom Daten von Chagyrskaya 8 auf der Seite des Max Planck Instituts fur evolutionare AnthropologieEinzelnachweise Bearbeiten Alexandra Buzhilova Anatoly Derevianko and Michael Shunkov The Northern Dispersal Route Bioarchaeological Data from the Late Pleistocene of Altai Siberia In Current Anthropology 7 November 2017 abgerufen am 14 Mai 2021 Kseniya A Kolobova et al Archaeological evidence for two separate dispersals of Neanderthals into southern Siberia In PNAS Band 117 Nr 6 11 Februar 2020 S 2879 2885 11 Februar 2020 doi 10 1073 pnas 1918047117 Zellkern Erbgut aus Hohlensedimenten Erstmals konnen Wissenschaftler chromosomale DNA von Neandertalern aus Hohlensedimenten analysieren In Leipziger Zeitung 16 April 2020 abgerufen am 2 Mai 2021 Sandra Jacob Zellkern Erbgut aus Hohlensedimenten gibt Einblicke in unsere Vergangenheit In Max Planck Institut fur evolutionare Anthropologie Pressemitteilung 15 April 2021 abgerufen am 14 Mai 2021 Kseniya A Kolobova et al Archaeological evidence for two separate dispersals of Neanderthals into southern Siberia In PNAS 11 Februar 2020 abgerufen am 14 Mai 2021 A high coverage Neandertal genome from Chagyrskaya Cave In PNAS 30 Juni 2020 abgerufen am 14 Mai 2021 Laurits Skov et al Genetic insights into the social organization of Neanderthals In Nature Band 610 2022 S 519 525 doi 10 1038 s41586 022 05283 y First known Neanderthal family discovered in Siberian cave Auf nature com vom 19 Oktober 2022 Meet the first Neandertal family Auf mpg de vom 19 Oktober 2022 Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Tschagyrskaja Hohle amp oldid 238822852