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Der Siriusfall ist ein beruhmtes Fallbeispiel aus dem deutschen Strafrecht Er geht auf ein Urteil des Bundesgerichtshofs vom 5 Juli 1983 zuruck 1 Im Mittelpunkt steht die Abgrenzung von strafbarer Totung in mittelbarer Taterschaft und strafloser Teilnahme am Suizid Inhaltsverzeichnis 1 Sachverhalt 2 Entscheidungsgrunde 3 Hintergrunde 4 Siehe auch 5 Literatur 6 Weblinks 7 EinzelnachweiseSachverhalt BearbeitenDer BGH schildert den Sachverhalt in seinem Urteil wie folgt Im Jahr 1973 oder 1974 lernte der 1947 geborene Angeklagte Fred Gaster in einer Diskothek die 1951 geborene H kennen die damals noch eine unselbststandige und komplexbeladene junge Frau war Sie entwickelte zu dem vier Jahre alteren Angeklagten eine intensive Freundschaft in der sexuelle Kontakte unwesentlich blieben Gegenstand der Beziehung waren hauptsachlich Diskussionen uber Psychologie und Philosophie die bei Treffen im Abstand von einigen Monaten und bei haufigeren manchmal mehrere Stunden dauernden Telefongesprachen gefuhrt wurden Im Laufe der Zeit wurde der Angeklagte zum Lehrer und Berater von H in allen Lebensfragen Er war immer fur sie da Sie vertraute und glaubte ihm blindlings Im Verlauf ihrer zahlreichen philosophischen Gesprache liess der Angeklagte die Frau wissen er sei ein Bewohner des Sterns Sirius Die Sirianer seien eine Rasse die philosophisch auf einer weit hoheren Stufe stehen als die Menschen Er sei mit dem Auftrag auf die Erde gesandt worden dafur zu sorgen dass einige wertvolle Menschen darunter H nach dem volligen Zerfall ihrer Korper mit ihrer Seele auf einem anderen Planeten oder dem Sirius weiterleben konnten Damit sie das Ziel erreiche bedurfe H allerdings einer geistigen und philosophischen Weiterentwicklung Als der Angeklagte erkannte dass ihm die Frau vollen Glauben schenkte beschloss er sich unter Ausnutzung dieses Vertrauens auf ihre Kosten zu bereichern Er legte H dar sie konne die Fahigkeit nach ihrem Tode auf einem anderen Himmelskorper weiterzuleben dadurch erlangen dass sich der ihm bekannte Monch Uliko fur einige Zeit in totale Meditation versetze Dadurch werde es ihrem Korper moglich wahrend des Schlafens mehrere Ebenen zu durchlaufen und dabei eine geistige Entwicklung durchzumachen Dafur mussten allerdings an das Kloster in dem der Monch lebe 30 000 DM gezahlt werden H glaubte dem Angeklagten Da sie nicht genugend Geld besass beschaffte sie sich die geforderte Summe durch einen Bankkredit Der Angeklagte verbrauchte das Geld fur sich So oft sich H in den folgenden Monaten nach den Bemuhungen des Uliko erkundigte vertrostete sie der Angeklagte Spater erklarte er ihr der Monch habe sich bei seinen Versuchen in grosse Gefahr begeben gleichwohl aber keinen Erfolg erzielt weil ihr Bewusstsein eine starke Sperre gegen die geistige Weiterentwicklung aufbaue Der Grund dafur liege im Korper der H die Blockade konne nur durch die Vernichtung des alten und die Beschaffung eines neuen Korpers beseitigt werden Als der Angeklagte bemerkte dass die Frau von der Richtigkeit seiner Erklarungen noch immer vollig uberzeugt war fasste er den Plan aus ihrem Vertrauen weiteren finanziellen Nutzen zu ziehen Der Angeklagte spiegelte ihr vor in einem roten Raum am Genfersee stehe fur sie ein neuer Korper bereit in dem sie sich als Kunstlerin wiederfinden werde wenn sie sich von ihrem alten Korper trenne Auch in ihrem neuen Leben benotige sie jedoch Geld Es lasse sich dadurch beschaffen dass sie eine Lebensversicherung uber 250 000 DM bei Unfalltod 500 000 DM abschliesse ihn unwiderruflich als Bezugsberechtigten bestimme und durch einen vorgetauschten Unfall aus ihrem jetzigen Leben scheide Nach Auszahlung werde er ihr die Versicherungssumme uberbringen Die Frau schloss einen Versicherungsvertrag entsprechend den Vorschlagen des Angeklagten ab Der Versicherungsschutz begann am 1 Dezember 1979 Die monatliche Versicherungspramie belief sich auf 587 50 DM Dem Angeklagten handigte H 4 000 DM in bar aus weil sie wie er ihr sagte nach dem Erwachen am Genfersee das Geld das er ihr sofort uberbringen werde als Startkapital benotige Die Auszahlung der Versicherungssumme konne sich verzogern Ihr jetziges Leben sollte die Frau nach einem ersten Plan des Angeklagten durch einen vorgetauschten Autounfall nach einem spateren Plan dadurch beenden dass sie sich in eine Badewanne setzte und einen eingeschalteten Haartrockner in das Badewasser fallen liess Auf Verlangen und nach den Anweisungen des Angeklagten versuchte die Frau diesen Plan am 1 Januar 1980 in ihrer Wohnung in Bad Wildbad zu realisieren nachdem sie zuvor einer Anregung des Angeklagten folgend einige Dinge getan hatte die darauf hindeuten sollten dass sie ungewollt mitten aus dem Leben gerissen worden sei Der todliche Stromstoss blieb jedoch aus Aus technischen Grunden verspurte H nur ein Kribbeln am Korper als sie den Haartrockner eintauchte Der Angeklagte der sich in seiner Wohnung in Baden Baden aufhielt war uberrascht als H seinen Kontrollanruf entgegennahm Etwa drei Stunden lang gab er ihr in etwa zehn Telefongesprachen Anweisungen zur Fortfuhrung des Versuchs aus dem Leben zu scheiden Dann nahm er von weiteren Bemuhungen Abstand weil er sie fur aussichtslos hielt Die Frau handelte in volligem Vertrauen auf die Erklarungen des Angeklagten Sie liess den Fon in der Hoffnung ins Wasser fallen sofort in einem neuen Korper zu erwachen Der Gedanke an einen Selbstmord im eigentlichen Sinn durch den ihr Leben fur immer beendet wurde kam ihr dabei nicht Sie lehnte eine Selbsttotung ab Der Mensch habe dazu kein Recht Dem Angeklagten war bewusst dass das Verhalten der ihm horigen H ganz von seinen Vorspiegelungen und Anweisungen bestimmt wurde Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Mordes Betrugs sowie wegen vorsatzlicher Korperverletzung in Tateinheit mit unbefugter Fuhrung akademischer Grade und einem Vergehen gegen das Heilpraktikergesetz zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren verurteilt Die Revision vor dem Bundesgerichtshof hatte keinen Erfolg Entscheidungsgrunde BearbeitenKernfrage des Falls ist ob lediglich Anstiftung und Beihilfe zum versuchten Suizid vorliegt was nach deutschem Recht nicht strafbar ist oder ob der Angeklagte versucht hat einen Mord durch einen anderen begehen zu lassen und dadurch zum mittelbaren Tater 25 Abs 1 2 Alt StGB geworden ist Der Angeklagte hatte nicht versucht H zu uberzeugen aus dem Leben zu treten um durch das Tor des Todes in eine transzendente Existenz einzugehen Stattdessen versetzte er sie in den Glauben dass sie ihr Leben in einem anderen Korper fortsetzen konne Er rief in ihr einen Irrtum uber den Nichteintritt des Todes hervor und loste mit Hilfe dieses Irrtums bewusst und gewollt das Geschehen aus das zu ihrem Tod fuhren sollte Mithin war er nach Auffassung des BGH Tater eines versuchten Totungsdelikts kraft uberlegenen Wissens 2 durch das er die Irrende lenkte und zum Werkzeug gegen sich selbst gemacht hat Daran anderte auch die Tatsache nichts dass die Suggestionen denen die Frau erlag vollig unglaubhaft waren Bekannt ist der Fall auch deswegen weil bei der Aburteilung wegen Betruges die Frage entschieden wurde in welchem Umfang leichtglaubige Menschen durch 263 StGB geschutzt sind der Schutz der Vorschrift ist unabhangig von der Erkennbarkeit der behaupteten Tatsache als Luge durch einen verstandigen Menschen Ein des Betrugs Angeklagter kann die Feststellung des objektiven Tatbestands nicht dadurch zu verhindern suchen dass er die unwahre Tatsachenbehauptung als offenkundige Unwahrheit aufzeigt Hintergrunde BearbeitenDurch Recherchen der SWR Mitarbeiter Holger Schmidt und Marie Claire Schneider in den Jahren 2022 2023 wurden neue Details zu dem Fall und dem Angeklagten bekannt Offenbar gab es im personlichen Umfeld von Fred Gaster in den spaten 1970er Jahren mehrere ungeklarte Todesfalle zu denen zwar Ermittlungen aufgenommen wurden ohne dass es aber zu einer Anklage kam Gasters vermogende Ehefrau die beim Sudwestfunk beschaftigt gewesen war hatte sich wenige Wochen vor dem oben geschilderten Badewannen Ereignis selbst erschossen Fred Gaster gab an geschlafen zu haben und durch den Schuss aufgewacht zu sein Fred Gaster erhielt wegen vom Gefangnis aus begangenen Betrugs weitere drei Jahre Haft er wurde 1990 entlassen Er soll 1996 gestorben und anonym beigesetzt worden sein Er hatte einen Hauptschulabschluss gemacht als Galvaniseur gearbeitet einen Geschaftspartner um eine hohe sechsstellige DM Summe betrogen und zuletzt vor seiner Verhaftung als falscher Arzt ein Altenheim in Molln betrieben Er beschaftigte sich umfangreich mit Hypnose und besass Scopolamin einen geschmacksneutralen Giftstoff der zu Willenlosigkeit fuhrt Siehe auch BearbeitenListe von Fallbeispielen in der RechtswissenschaftLiteratur BearbeitenErnst Reuss Mord Totschlag Oder Was Bizarres aus Deutschlands Strafgerichten S 10 ff erma Berlin 2017 ISBN 978 1 5480 1429 2 Ernst Reuss Sirius Katzenkonig und Co Funf Falle aus der Strafrechtsgeschichte erma Berlin 2017 ISBN 978 1 5472 6548 0 Claus Roxin Urteilsanmerkung In NStZ 1984 70 Sippel Urteilsanmerkung In NStZ 1984 357 Eberhard Schmidhauser Urteilsanmerkung In JZ 1984 195 Neumann Urteilsbesprechung In JuS 1985 677 Dieter Meurer Dogmatik und Pragmatismus Marksteine der Rechtsprechung des BGH in Strafsachen In NJW 2000 2936 Michael Kubiciel Strafbarkeit des Veranlassers eines Selbsttotungsversuches Der Sirius Fall In JA 2007 729 Rainer Griesbaum u Holger Schmidt Neues vom Sirius das Ubersinnliche und die schnode Habgier in NJW Jg 2023 S 2833Weblinks BearbeitenErnst Reuss Der Sirius Fall Auszug aus Ernst Reuss Mord Totschlag Oder was Bizarres aus Deutschlands Strafgerichten tolino media 2017 ISBN 978 3 7393 9324 7 Katharina Reisch War Fred vom Sirius ein Serienmorder lto de 3 Oktober 2023 Todliche Verfuhrung Teil 1 2 und 3 ardmediathek verfugbar bis 27 September 2025Einzelnachweise Bearbeiten BGH Urteil vom 5 Juli 1983 Az 1 StR 168 83 Volltext BGHSt 32 38 Wessels Beulke Strafrecht Allgemeiner Teil 40 Auflage Rn 539Bitte den Hinweis zu Rechtsthemen beachten Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Siriusfall amp oldid 239064459