www.wikidata.de-de.nina.az
Der Schachty Prozess auch Schachty Affare russisch Sha htinskoe de lo vom 18 Mai bis 7 Juli 1928 war der erste Schauprozess in der Sowjetunion nach dem Prozess gegen die Sozialrevolutionare 1922 Er richtete sich gegen sowjetische und einige auslandische parteilose Spezialisten Der Prozess machte deutlich dass die Phase der Klassenversohnung der Neuen Okonomischen Politik NOP vorbei war und stand im Zusammenhang mit der Revolution Stalins aus Zwangskollektivierung der Landwirtschaft und der raschen Industrialisierung der Sowjetunion im Zeichen des ersten Funfjahresplans Der Prozess war von langer Hand vorbereitet und die Angeklagten hatten zu gestehen was man ihnen vorher gesagt hatte Allerdings war die Organisation noch nicht so perfekt wie bei Prozessen in den folgenden Jahren Zahlreiche Angeklagte waren nicht bereit sich schuldig zu bekennen oder widerriefen ihre Aussagen Gleichwohl wurden die meisten der uber funfzig Angeklagten verurteilt Die Moskauer Prozesse wahrend des Grossen Terrors in der zweiten Halfte der 1930er Jahre liefen im Wesentlichen nach dem Muster des Schachty Prozesses ab Der Saulensaal des Gewerkschaftshauses in Moskau diente als Gerichtssaal Inhaltsverzeichnis 1 Vorgeschichte 2 Vorbereitung 3 Verlauf 4 Literatur 5 Weblinks 6 EinzelnachweiseVorgeschichte BearbeitenDer Prozess stand am Anfang einer Kampagne die Stalin gegen die zu diesem Zeitpunkt noch stark vorrevolutionar burgerlich gepragte technische Intelligenz startete Dies stand im engen Zusammenhang mit dem Ende der halbmarktwirtschaftlichen NOP Periode und dem rigiden Industrialisierungskurs im Zeichen des ersten Funfjahresplanes der beginnenden Kollektivierung der Landwirtschaft und Entkulakisierung Der Industrialisierungskurs fand gerade bei den jungeren Parteimitgliedern teilweise begeisterte Zustimmung Stalin benotigte die Unterstutzung der Radikalen im Kampf gegen die rechte Opposition in der Fuhrung der Partei Er war nach dem Sieg uber Trotzki insbesondere bestrebt den Einfluss von Alexei Iwanowitsch Rykow Michail Pawlowitsch Tomski und Nikolai Iwanowitsch Bucharin zu brechen Die ubersturzte Industrialisierung und die ersten Ansatze der Kollektivierung standen am Beginn schwerer sozialer Belastungen Die Spezialisten dienten als Sundenbocke und die Prozesse sollten mogliche Kritiker einschuchtern Fehler im System konnte und wollte das Regime nicht eingestehen stattdessen wurden Verschworungstheorien konstruiert nach denen Volksfeinde und auslandische Agenten fur die Probleme verantwortlich waren Der Prozess beendete die Phase der Klassenversohnung und stand am Beginn neuer Klassenauseinandersetzungen Dabei bildeten die burgerlichen Spezialisten das Gegenstuck zum Feindbild der Kulaken auf dem Land Die Spezialisten hatten wahrend der NOP Phase zum Unmut der Arbeiter Privilegien genossen Der Prozess sollte zeigen dass die burgerliche Intelligenz und die parteilosen Fachleute nunmehr politisch suspekt und uberflussig seien 1 Vorbereitung BearbeitenDer Prozess von 1928 und die folgenden in den Jahren 1930 und 1931 wiesen Gemeinsamkeiten auf Alle standen unter der Regie Stalins alle verknupften auslandische Einflussversuche mit Sabotage Diese bezeichnete man fortan als Schadlingsarbeit Die Angeklagten waren Spezialisten oder Funktionare aber indirekt richteten sich die Prozesse auch gegen die Rechtsabweichler in der Parteifuhrung Um die offentliche Wirkung zu erhohen waren die Prozesse mit entsprechenden Kampagnen in den Medien und der Offentlichkeit verbunden mit dem Ziel die Stimmung zu radikalisieren 2 Die Vorbereitung der Anklage lag in den Handen des Geheimdienstes OGPU Angebliche Sabotageakte in der Region Schachty im Donezbecken im Auftrag von auslandischen und emigrierten russischen Kapitalisten dienten als Aufhanger Dabei wurde unter anderem eine Konspiration mit Verbindungen zur franzosischen Finanzwelt und polnischen Geheimdienstkreisen unterstellt Die angeblichen Verbrechen und die Gestandnisse waren Erfindungen die zuvor vom Geheimdienst akribisch erdacht wurden Bereits zweieinhalb Monate vor Beginn des Prozesses wurde eine Broschure mit den vorlaufigen Ergebnissen der Ermittlungen veroffentlicht In dieser wurde ausgiebig aus den Verhorprotokollen zitiert Zentraler Wert wurde auf den Nachweis der Schadlingsarbeit bzw Sabotage gelegt Als Motive wurden antisowjetische Stereotype oder einfache Geldgier konstruiert 3 Stalin hatte bereits auf dem Aprilplenum des Zentralkomitees also vor Prozessbeginn die Zielsetzung deutlich gemacht Die Fakten sagen dass der Schachty Fall eine okonomische Konterrevolution ist die von einem Teil der burgerlichen Spezialisten arrangiert worden ist die fruher die Kohleindustrie geleitet hatten Die Fakten sagen weiter dass diese Spezialisten die sich in einer geheimen Gruppe organisiert haben fur die Schadlingstatigkeit Geld von den fruheren Herren die jetzt in Europa in der Emigration sitzen und von konterrevolutionaren antisowjetischen kapitalistischen Organisationen im Westen erhalten haben Die Fakten sagen schliesslich dass diese Gruppe burgerlicher Spezialisten auf Anweisung kapitalistischer Organisationen im Westen auf unsere Industrie einwirkte und sie zerruttete 4 5 Es zeigte sich dass Stalins innerparteiliche Gegner mit ihm in der Sache ubereinstimmten Rykow erklarte wahrend des Aprilplenums des ZK dass die Partei sich nicht von dem abstrakten Prinzip leiten lassen solle dass die Schuldigen ihrer gerechten Strafen zugefuhrt werden mussten Man musse bei der Verhaftung weniger von der strafrechtlichen Praxis oder dem Gerechtigkeitsprinzip ausgehen als vielmehr von unserer grossen Politik 6 Verlauf Bearbeiten nbsp Anlieferung der Angeklagten wahrend des Schachty Prozesses 18 Mai 1928 bis 7 Juli 1928 nbsp Der Richter Andrei Wyschinski verkundet das Urteil am Ende des Prozesses 7 Juli 1928 Angeklagt waren 53 russische Ingenieure Techniker und Funktionare Hinzu kamen drei deutsche Ingenieure Der Prozess fand im grossen Saal des Hauses der Gewerkschaften in Moskau statt und dauerte sechs Wochen Die Verantwortlichen sorgten fur eine moglichst grosse offentliche Aufmerksamkeit Der Saal fasste 1500 Zuschauer und es gab Logenplatze fur Diplomaten Der Prozess wurde gefilmt 7 und 136 Journalisten waren akkreditiert Der deutsche Vorwarts merkte indes an dass die gesamte sozialistische Presse der Welt ausgeschlossen war 8 Die normale Zuhorerschaft wechselte jeden Tag Oberster Richter war Andrei Januarjewitsch Wyschinski Dieser war in den Schauprozessen der 1930er Jahre Anklager Staatsanwalt im Prozess von 1928 war Nikolai Wassiljewitsch Krylenko 9 Dieser bezeichnete die Angeklagten als angstliche Soldner des Kapitals die zu feige gewesen waren der UdSSR offen den politischen Handschuh entgegen zu werfen Statt sich zu ihrer politischen Position zu bekennen hatten sie sich feige weggeduckt Das reuige Auftreten einiger Beschuldigter wurde von der sowjetischen Presse nur als Schauspielerei abgetan 10 Die teilweise ritualisiert wirkenden Schuldbekenntnisse erschienen insbesondere auslandischen Prozessbeobachtern als wenig glaubwurdig 11 Der Form nach lief der Prozess wie ein Indizienverfahren ab Wie in den Prozessen der folgenden Jahre sollten die Angeklagten vorher einstudierte Aussagen abgeben Aber im Gegensatz zu den Schauprozessen der kommenden Jahre gelang es dem Geheimdienst nicht alle Angeklagten zu einer Selbstbezichtigung zu zwingen Dreiundzwanzig Angeklagte erklarten ihre Unschuld Andere zogen ihre Gestandnisse im Laufe des Prozesses zuruck Einem der deutschen Angeklagten gelang es sogar die Selbstanklage eines mitangeklagten Russen als haltlos zu entlarven 12 Dies hatte auf das Ergebnis aber keinen Einfluss Das Gericht konnte die angestrebten Beweise fur die Schuld mit Hilfe von kooperierenden Angeklagten oder Zeugen erreichen 10 Was die Rolle der Verteidiger angeht gibt es in der Literatur zum einen die Auffassung dass zumindest einige im Interesse der Angeklagten aktiv geworden seien und Lucken und Widerspruche aufdeckten 10 Daneben gibt es aber auch die Auffassung dass die Verteidiger sich strikt an die Vorgaben von oben hielten und keine Versuche unternahmen zu Gunsten ihrer Mandanten aktiv zu werden 11 Neben den ublichen Mitteln eines Strafprozesses wurde auch Zwang eingesetzt Um die Widerspenstigen zu einer erneuten Bekraftigung ihrer Gestandnisse zu zwingen wurden sie bedroht korperlichen Misshandlungen ausgesetzt und durch Schlafentzug murbe gemacht 13 Insgesamt wurden letztlich nur vier der Angeklagten freigesprochen Die ubrigen wurden verurteilt Elf wurden zum Tode verurteilt Davon wurden funf hingerichtet 9 Die von dem Urteil ausgehende Lehre war dass Krisen von Feinden hervorgerufen wurden dass die Loyalitat der Arbeiter dem Regime und nicht der Familie oder der Verwandtschaft gehorte 14 Von den deutschen Angeklagten wurden zwei freigesprochen einer erhielt eine Bewahrungsstrafe 15 Fur diese Milde spielte moglicherweise eine Rolle dass das Verfahren gegen deutsche Staatsburger die diplomatischen und wirtschaftlichen Beziehungen zu belasten drohte So drohte der deutsche Botschafter Ulrich von Brockdorff Rantzau mit seiner Demission 16 Stalin folgerte aus dem Prozess dass es bei den Parteiorganisationen und Gewerkschaften an revolutionarer Wachsamkeit mangelte Sie zeigte dass unsere Wirtschafter in technischer Hinsicht unerhort zuruckgeblieben sind dass manche alten Ingenieure und Techniker da sie unkontrolliert arbeiteten leicht auf die Bahn der Schadlingsarbeit abgleiten um so mehr als sie von Feinden aus dem Ausland ununterbrochen mit Angebot bedrangt werden Zur Sicherung der Industrialisierung forderte Stalin zur revolutionaren Wachsamkeit auf 17 In der Folge wurden weitere burgerliche Spezialisten Repressionen ausgesetzt wurden verhaftet und bei spateren Prozessen etwa dem Industrieparteiprozess 1930 verurteilt 18 Ein letzter Prozess in dieser Phase war der Prozess gegen das angebliche Unionsburo der Menschewiken Ein Prozess gegen eine werktatige Bauernpartei fand nicht mehr statt da Stalin 1931 diese Repressionswelle stoppte Im Gefolge des Schachty Prozesses wurden bis 1931 etwa 7000 Fachleute gemass Artikel 58 des Strafgesetzbuches der RSFSR verhaftet in Lager deportiert oder unter Hausarrest gestellt Damit waren schatzungsweise etwa 10 der technischen Kader dem Produktionsprozess entzogen worden Dies erschwerte die Umsetzung des Funfjahresplans zusatzlich 19 Literatur BearbeitenLorenz Erren Selbstkritik und Schuldbekenntnis Kommunikation und Herrschaft unter Stalin 1917 1953 Munchen 2008 Peter H Solomon Jr Shakhty Trial In James R Millar Encyclopedia of Russian History Thomson Gale Macmillan Reference New York 2004 ISBN 0 02 865693 8 Onlineversion Memento vom 31 Januar 2012 im Internet Archive Jurgen Zarusky Die deutschen Sozialdemokraten und das sowjetische Modell Ideologische Auseinandersetzungen und aussenpolitische Konzeptionen 1917 1933 Munchen 1992 Volltext online verfugbar Jorg Baberowski Verbrannte Erde Stalins Herrschaft der Gewalt Munchen 2012Weblinks Bearbeiten nbsp Commons Shakhty Trial Sammlung von Bildern Videos und AudiodateienEinzelnachweise Bearbeiten Stefan Creuzberger Machtpolitiker und Ideologe Stuttgart 2009 S 114 Alan Bullock Hitler und Stalin Parallele Leben Munchen 1998 S 380 Lorenz Erren Selbstkritik und Schuldbekenntnis Kommunikation und Herrschaft unter Stalin 1917 1953 Munchen 2008 S 341 342 Lorenz Erren Selbstkritik und Schuldbekenntnis Kommunikation und Herrschaft unter Stalin 1917 1953 Munchen 2008 S 342 Martin Ebel Das Grauen Stalins veranschaulichen Jorg Baberowski Verbrannte Erde Stalins Herrschaft der Gewalt Munchen 2012 S 168f Wadim S Rogowin Stalins Kriegskommunismus Essen 2006 S 49 Rezension zu Julie A Cassiday The Enemy on Trial Early Soviet Courts on Stage and Screen Northern Illinois University Press DeKalb 2000 In Archiv fur Sozialgeschichte 2001 Onlineversion Jurgen Zarusky Die deutschen Sozialdemokraten und das sowjetische Modell Ideologisches Auseinandersetzungen und aussenpolitische Konzeptionen 1917 1933 Munchen 1992 S 238 a b Peter H Solomon Jr Shakhty Trial In James R Millar Encyclopedia of Russian History Thomson Gale Macmillan Reference New York 2004 ISBN 0 02 865693 8 Onlineversion Memento vom 31 Januar 2012 im Internet Archive a b c Lorenz Erren Selbstkritik und Schuldbekenntnis Kommunikation und Herrschaft unter Stalin 1917 1953 Munchen 2008 S 343 a b Jorg Baberowski Verbrannte Erde Stalins Herrschaft der Gewalt Munchen 2012 S 169 Jurgen Zarusky Die deutschen Sozialdemokraten und das sowjetische Modell Ideologisches Auseinandersetzungen und aussenpolitische Konzeptionen 1917 1933 Munchen 1992 S 238 Frank Hirschinger Gestapoagenten Trotzkisten Verrater kommunistische Parteisauberungen in Sachsen Anhalt 1918 1953 Gottingen 2005 S 99 Stefan Creuzberger Machtpolitiker und Ideologe Stuttgart 2009 S 115 Jurgen Zarusky Die deutschen Sozialdemokraten und das sowjetische Modell Ideologisches Auseinandersetzungen und aussenpolitische Konzeptionen 1917 1933 Munchen 1992 S 139 Horst Gunther Linke Schicksalsgemeinschaft Die Sowjetunion im Kalkul deutscher Botschafter in Moskau 1922 1941 In Sturmische Aufbruche und enttauschte Hoffnungen Russen und Deutsche in der Zwischenkriegszeit Munchen 2006 S 183f Klaus Georg Riegel Der Marxismus Leninismus als politische Religion In Politische Religion und Religionspolitik zwischen Totalitarismus und Burgerfreiheit Gottingen 2005 S 45f Patrick Rotman Gulag Die sowjetische Hauptverwaltung der Lager Arte abgerufen am 31 Marz 2020 Folge 1 Minute 23 Klaus Georg Riegel Der Marxismus Leninismus als politische Religion In Totalitarismus und politische Religion Konzepte des Diktaturvergleichs Bd II Paderborn u a 1997 S 112 Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Schachty Prozess amp oldid 225466386