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Richard Lindner 11 November 1901 in Hamburg 16 April 1978 in New York war ein US amerikanischer Maler deutscher Herkunft Lindners Werk nimmt die grotesk karikaturistischen Elemente der Neuen Sachlichkeit der 1920er Jahre auf und verknupft sie mit der schillernd leuchtenden Farbflachigkeit amerikanischer Werbekunst Mittels uberzeichneten Figurencollagen roboterahnlichen Halb und Unterweltcharakteren deutet Lindner auf Entfremdungstendenzen der fortgeschrittenen Gesellschaft hin und reflektiert Zerfalls und Krisenmomente des modernen Grossstadtlebens Seine Figuren sind Ausdruck und Allegorie der Absurditat menschlicher Existenz Inhaltsverzeichnis 1 Leben 1 1 Kindheit und Ausbildung 1 2 Erste Tatigkeit als Werbegrafiker und Illustrator 1 3 Emigration aus Deutschland 1 4 Ubersiedlung in die Vereinigten Staaten 1 5 Malerische Tatigkeit 1 6 Internationale Erfolge 1 7 Letzte Jahre 2 Werk 2 1 Thematik und Stil 2 2 1950er Jahre 2 3 1960er Jahre 2 3 1 Lindners Ideenwelt Einflusse aus dem Grossstadtleben New Yorks 2 3 2 Venus Lindner 2 3 3 Kritik durch Zurschaustellung von Stereotypen 2 4 1970er Jahre 3 Literatur 4 Einzelnachweise 5 WeblinksLeben BearbeitenKindheit und Ausbildung Bearbeiten Als Sohn des judischen Verkaufers Judell Lindner und seiner Frau Mina geb Bornstein wurde Richard Lindner am 11 November 1901 in Hamburg geboren Er war eines von drei Kindern die das Sauglingsalter uberlebten Schwester Lizzy im Jahr 1894 als erstes Kind der Familie Lindner geboren war fur den sieben Jahre jungeren Richard eine wichtige Person in seinem Leben Er sah ihren Auftritt mit 19 Jahren war sie schon eine beruhmte Opernsangerin in La traviata 1915 starb seine Schwester im Alter von 21 Jahren ein Verlust der den jungen Richard schwer trifft Da seine Mutter ihn und seinen Bruder jeden Sonntag zum Besuch des Grabes mitnahm trug sie dazu bei dass der Tod der Schwester einen starken Einfluss bei ihm hinterliess 1 1905 wohnte die Familie in Nurnberg wo Judell Lindner als Handelsvertreter beschaftigt war Vermutlich nicht allzu erfolgreich denn 1913 betrieb seine Frau ein Geschaft fur massgeschneiderte Korsetts Vielleicht beruht Lindners haufige Verwendung von Korsettmotiven auf den Erinnerungen an das Geschaft seiner Mutter Seinen Vater hatte Lindner als netten Mann im Gedachtnis den er sehr mochte der aber ein Feigling war Er uberliess alles meiner Mutter 2 Seine Mutter beschrieb er als eine wagnerianische Frau Vielleicht kehrt sie in meinen Bildern wieder 1 Uber Richard Lindners schulischen Werdegang ist nichts bekannt Wohl begann er eine Ausbildung zum Pianisten die ihm aber kaum behagte Jedenfalls war er wie der Vater als Verkaufer beschaftigt bevor er sich 1922 an der Kunstgewerbeschule heute Akademie der Bildenden Kunste in Nurnberg einschrieb Er studierte dort mehrere Jahre Zeichnen Olmalerei und Gebrauchsgrafik Fur das Jahr 1925 ist Lindners Wohnsitz in Frankfurt a M bezeugt Er ubersiedelte jedoch im selben Jahr wieder nach Nurnberg um sein Studium fortzusetzen und wurde im Folgejahr Meisterschuler von Professor Max Korner In dieser Zeit nahm Lindner an verschiedenen Wettbewerben zur Spielzeuggestaltung und Tabakwerbung teil In Nurnberg gewann er auch mehrere Werbedesign Wettbewerbe Erste Tatigkeit als Werbegrafiker und Illustrator Bearbeiten 1927 zog er nach Berlin wo er in einem Hotel lebte Er begann dort als selbstandiger Werbegrafiker ubernahm aber ebenso Arbeiten als Buhnenbildner und Werbekarikaturist Zwei Jahre spater folgte ein erneuter Wohnortwechsel nach Munchen wo er ein Stellenangebot des Verlagshauses Knorr amp Hirth annahm Im Sommer 1930 heiratete er Elsbeth Schulein eine ehemalige Kommilitonin aus Nurnberg Bis 1933 arbeitete Lindner dann als Illustrator fur Zeitungen Zeitschriften und Buch Publikationen Neben karikaturistischen Strichzeichnungen die in Zeitungsanzeigen vielgelesener Munchner Zeitungen abgedruckt wurden entstanden ganzfarbige Plakate Emigration aus Deutschland Bearbeiten Kurz nach der Machtubergabe an die Nationalsozialisten emigrierte Lindner der nicht nur aktives Parteimitglied der Sozialdemokraten war sondern als Jude auch den Rassendiskriminierungen der Nationalsozialisten ausgesetzt war nach Paris wo er zusammen mit seiner Frau eine Wohnung bezog Dort befreundete er sich mit einer Gruppe von Intellektuellen um den Journalisten Joseph Bornstein Kommerzielle Erfolge waren in Paris jedoch rar Dennoch fuhrte Lindner verschiedene Aquarellarbeiten aus die spater fur Werbeplakate nachgedruckt wurden Allein seine Frau die als Illustratorin fur bekannte Modemagazine arbeiten konnte bestritt in den Pariser Jahren den Unterhalt Mit Ausbruch des Krieges wurden Lindner und seine Frau als deutsche Staatsburger interniert Lindner wurde einer Zwangsarbeiterkompanie in der Bretagne zugeteilt Seine Frau wurde 1940 freigelassen und konnte uber Casablanca nach New York emigrieren Ubersiedlung in die Vereinigten Staaten Bearbeiten Im Marz 1941 gelang auch Lindner die Ubersiedlung auf dem Schiffsweg In New York konnte er als Zeitschriften und Buchillustrator weiterarbeiten und bald eine Reihe von Werbeauftragen ubernehmen Alsbald gelang es ihm sich als gut bezahlter Werbegraphiker zu etablieren 1942 erfolgte die Trennung von seiner Frau Elsbeth die mit Lindners Freund Joseph Bornstein eine neue Beziehung einging und diesen spater heiratete Ein Jahr darauf starb sein Vater im Konzentrationslager in Theresienstadt Lindner beantragte die amerikanische Staatsburgerschaft als seine Scheidung 1944 rechtskraftig wurde Erst im November 1948 wurde er Staatsburger der Vereinigten Staaten von Amerika Er lernte Saul Steinberg kennen mit dem er sich anfreundete und dessen ironische Figurenwelt ihn stark beeinflusst hat Malerische Tatigkeit Bearbeiten Zwar war Lindner noch bis 1962 weiter als Werbegrafiker tatig fuhlte sich jedoch Ende der 1940er Jahre zur Malerei berufen 1950 reiste Lindner fur einige Monate nach Paris um dort zu malen Seine Malerei fand im folgenden Jahrzehnt jedoch kaum Beachtung Sechs Jahre nach der Scheidung nahm sich Lindners Ex Frau Elsbeth im Herbst 1952 nach dem Tod ihres Mannes das Leben Die Tragodie hinterliess Lindner verstort Noch im selben Jahr erhielt er fur ein Portrat Immanuel Kants eine Auszeichnung und wurde von einem Parfumhersteller fur eine einjahrige Anstellung als Werbegrafiker gewonnen Im selben Zeitraum nahm er einen Lehrauftrag am Pratt Institute in Brooklyn an einer Schule fur Werbekunst Nun begannen Studien fur sein erstes grosses Gemalde The Meeting 1953 wird eines seiner bekanntesten Bilder The Meeting ist eine surreal wirkende Versammlung von neun Figuren Ein psychologisches Familienportrat das zugleich autobiografisch und symbolisch ist Es stellt ein metaphorisches Intermezzo zwischen der Vergangenheit und seinem neuen Leben in New York dar The Meeting ist Lindners erstes wichtiges Gemalde Seinem eigenen Anspruch nach als auch der Bedeutung die es fur sein spateres Werk gewinnt Das Bild befreite ihn von seiner Vergangenheit nicht ganzlich doch genug um seiner Phantasie freien Lauf zu geben und es setzte ihn in eine Gegenwart der er absolut treu bleiben sollte 1962 sagt Lindner es war irgendwie bedeutend fur mich als eine Art Durchbruch durch meine europaische Vergangenheit 2 Richard Lindners erste Einzelausstellung fand 1954 in der Galerie Betty Parsons statt Jedoch liess sich keines seiner Bilder verkaufen 1956 wurde er am Pratt Institute Lehrbeauftragter fur Design Den Sommer verbrachte er in Paris Lindner erhielt 1957 eine Stellung als Gastkunstler an der Yale University School of Art and Architecture in New Haven Connecticut Bald darauf im Jahr 1959 lernte er Andy Warhol kennen Schliesslich ubernahm er im nachfolgenden Jahr eine Assistenzprofessur fur Kunst am Pratt Institute Nach einer weiteren New Yorker Einzelausstellung 1961 erschien im gleichen Jahr eine Monographie uber Lindner Im darauf folgenden Jahr wurde sein Bild Musical Visit in einer Ausstellung jungerer amerikanischer Kunst im Museum of Modern Art gezeigt Kurz danach kaufte das Museum auch das Bild The Meeting 1953 an Internationale Erfolge Bearbeiten Zwischen 1962 und 1965 erfolgten Einzelausstellungen in London und Paris Exponate waren auch auf einer Ausstellung amerikanischer Kunstler im Museum of Modern Art zu sehen Americans 63 zeigte neben Lindners Beitragen unter anderem Werke von Roy Lichtenstein Claes Oldenburg James Rosenquist und Andy Warhol Richard Lindner gelangte nun zu internationaler Reputation Seine Werke verkauften sich und verschafften ihm den ersehnten finanziellen Durchbruch Als Gastprofessor hielt er 1965 Vorlesungen an der Hochschule fur bildende Kunste Hamburg Schliesslich beendete er seine Lehrtatigkeit am Pratt Institute 1966 um sich vollstandig auf die Malerei zu konzentrieren 1968 nahm der Amerikaner an der 4 documenta in Kassel teil Eine Museumsretrospektive wurde in Leverkusen Hannover Baden Baden und Berlin gezeigt Ein Jahr spater gab es Lindners erste amerikanische Retrospektive Sie fand in Berkeley Kalifornien und Minneapolis statt 1969 heiratete er zum zweiten Mal Mit der franzosischen Kunststudentin Denise Kopleman lebte er abwechselnd in New York und Paris Letzte Jahre Bearbeiten Im Verlauf des Jahres 1972 wurde Lindner zum Mitglied der American Academy of Arts and Letters gewahlt eine Auszeichnung die der Maler mit Stolz aufnahm 1974 eroffnete das Musee National d Art Moderne in Paris die Retrospektive Richard Lindner Die Ausstellung wanderte noch nach Rotterdam Dusseldorf Zurich Nurnberg und Wien 1977 fand im Museum of Contemporary Art in Chicago schliesslich die letzte grosse Retrospektive zu Lindners Lebzeiten statt Kurz darauf entstand der Film Richard Lindner 77 von Johannes Schaaf der Lindners Lebensweg und Kunstschaffen portratiert Er war im Jahr 1977 ein weiteres Mal auf einer documenta der Documenta 6 als Kunstler vertreten Am 16 April 1978 erlag Richard Lindner in seiner New Yorker Wohnung einem Herzanfall Er wurde auf dem Westchester Hills Cemetery in Hastings on Hudson New York beigesetzt Zum Tod des Kunstlers schrieb die New York Times am 18 April 1978 Von Bild zu Bild gab er dem Begriff femme fatale neue Bedeutung Seine animalischen Frauen sind die personifizierten Mannerfresser die ihren kronenden Abschluss in der Darstellung der Lulu in Frank Wedekinds Stucken finden Sie haben etwas vom Berlin der Weimarer Republik und New York gemeinsam Fundamental gesehen entstammen sie einer Kreuzung eigenen Ersinnen und sind nirgends anders anzutreffen als in seinen Bildern selbst 3 Werk BearbeitenThematik und Stil Bearbeiten Lindners Grundsujet ist die menschliche Figur Obwohl seine Kunst oftmals mit der deutschen Kultur der Weimarer Republik in Verbindung gebracht und Bezuge zur Neuen Sachlichkeit hergestellt wurden ist eine Zuordnung Lindners Werk zu einer eindeutigen Schule nicht moglich Ansatze von Stil und Technik finden sich bei Otto Dix Oskar Schlemmer und Christian Schad Obwohl viele Lindner durch die monumentale Flachenkunst und schreiende Farbigkeit seiner Werke vordergrundig der Pop Art zuordnen distanziert er sich von ihnen Ich bewundere die Pop Art Kunstler Aber ich gehore nicht zu ihrer Schule Meine wirklichen Einflusse sind Giotto und Piero della Francesca Ich verbringe viel Zeit sie anzusehen Und ich hoffe dass etwas von ihrer Kraft in meine Bilder eingegangen ist 4 Thematisch soll sein Bilderwerk durch Bertolt Brecht und Frank Wedekind inspiriert sein Als Wedekind 1918 stirbt schreibt Brecht den Nachruf auf Wedekind und hebt Wedekinds Auftreten gegen heuchlerische Moralvorstellungen und seinen Glauben an die Menschheit hervor aber auch sein grosses Gespur fur das Lacherliche Richard Lindner spricht voller Bewunderung uber beide Schriftsteller 2 Als Richard Lindner zu malen beginnt ist er bereits 50 Jahre alt Die Frage nach dem Lindner vor dem Lindner die zur Deutung eines Kunstlers viel beitragt fuhrt bei ihm fast ausschliesslich in den Bereich des Erlebens Deshalb stosst man uberall wo man bei ihm ansetzt auf Erinnerungen Lindner sagt Ich jongliere mit Vergangenheit Ich male Postkarten aus der Sommerfrische meiner Vergangenheit 5 Vor der Folie seiner Biographie erklaren sich zunachst Teile des Repertoires seiner Bilderwelten So malt er immer wieder Frauen im Korsett Eindrucke die er als Jugendlicher im Laden seiner Mutter gesammelt haben muss Ikonographisches Beiwerk seiner Figurendarstellungen sind den Bildkorper erganzende Spielzeuge verschiedenster Art Karten Balle oder Reifen Ein Umstand der auf Lindners Nurnberger Jahre zuruckfuhrt Nurnberg war zu Beginn des 20 Jahrhunderts sicher das deutsche Zentrum der Spielwarenherstellung eine Vorrangstellung die bereits auf die Bedeutung mittelalterlicher Gold und Silberschmiede der Stadt zuruckgeht So wirken Lindners Figuren nicht selten selbst wie mechanische Aufziehpuppen Einen bleibenden Eindruck auf den sensiblen Kunstler hinterliess die in seiner damaligen Heimatstadt gelegene Folterkammer Lindner malte mehrmals das Portrat Ludwigs II Hierbei war mehr im Spiel als eine verklarende historische Romantik Weil ich aus Bayern komme faszinierte mich dieses Kapitel der Geschichte Als Intellektueller habe ich versucht es zu analysieren eine sehr ungluckliche Idee 1 Inmitten der Blute abstrakter amerikanischer Kunst malt Lindner gegenstandlich Seine Hard Edge Malerei ruckt ihn in die Nahe der Pop Art Immer wieder wurde er als Popkunstler bezeichnet und tatsachlich nimmt er das aufkommende Interesse an Pop Art Kunstlern um einige Jahre vorweg An die Einbindung des Trivialen an die emotionsfreie Darstellung von Menschen und Dingen werden die Popkunstler der 1960er Jahre anschliessen Richard Lindner findet nach eigener Aussage seine Vorbilder in der abstrakten Malerei Er verehrt Maler wie Fernand Leger Oskar Schlemmer und die Surrealisten Er selbst fuhlt sich jedoch keiner Kunstrichtung zugehorig und bezeichnet sich selbst als einzig gegenstandlich malenden Hard Edge Kunstler 4 Zielscheibenartige Gegenstande in seinen Arbeiten besitzen eine starke Ahnlichkeit mit Frank Stellas spaterer 1967 68 entstandener Winkelmesserseerie obwohl Stellas Gemalde auf Grund ihres grossen architektonischen Massstabes eine andere Wirkung haben 1969 ausserte Lindner sich in einem Interview Mir gefallt die Gegenstandslose Malerei etwa das Werk Frank Stellas Das ist gar nicht erstaunlich denn ich selbst bin eigentlich Hard Edge Maler Ware ich Sammler wurde ich vorwiegend abstrakte Gemalde sammeln 4 1950er Jahre Bearbeiten Neben Frauen in Korsetts Anna Woman in Corset 1956 ein Symbol korperlicher Unnahbarkeit und Metapher mechanischer Sexualitat malt Lindner zu Beginn der 1950er Jahre vornehmlich grotesk ironische Kinderdarstellungen The Child s Dream 1952 die er selbst als Wunderkinder bezeichnet Die mechanisch anmutende Surrealitat ihres Wesens die durch beigefugte Maschinenelemente noch verstarkt wird Boy with Machine 1954 geht wohl auf Lindners Bewunderung fur den franzosischen Maler Fernand Leger und den deutschen Maler Oskar Schlemmer zuruck Beide hatten wahrend der 1920er und 1930er Jahre spezielle Figurentypen entwickelt und sich einen vorurteilsfreien Zugang zu zeitgenossischer Technik erarbeitet Die Idealisierungen Schlemmers oder Legers verkehren sich bei Lindner jedoch in Verdusterung und moralsatirische Entladungen Der mannliche Antiheld ein ebenfalls beliebter Figurentypus Lindners wird mit dem Bild The Gambler 1951 eingefuhrt Vor einem Hintergrund von Glucksspielattributen Karten Wurfeln und Spielbrettern wird die Figur zur Parabel ziellosen Treibens und sinnloser Existenz In The Meeting 1953 kombiniert Lindner seine bisherigen Typendarstellungen zu einem surrealen Gruppenportrat Mehr in der Flache als im Raum angeordnet begegnen sich bizarre Figuren die zum Teil aus Lindners personlichem Umfeld stammen Freunde und Bekannte gehoren dazu aber auch eine Frau im Korsett eine seltsame Parodie auf den Bayernkonig Ludwig II sowie eine uberdimensionierte Katze Figuren aus Gegenwart und Vergangenheit verbinden sich zu einer Metapher des Absurden Mit dem Bild Couple 1955 wird das Motiv des Bayernkonigs wieder aufgenommen Das Seitenprofil Ludwigs II steht in einem anachronistischen Verhaltnis zu einer modisch gekleideten Frau die ihren Blick abwendet Der Titel bezeugt eine ironische Anspielung auf sexuelle Entfremdung und menschliche Gleichgultigkeit Das Paar steht als Symbol menschlicher Vereinsamung und Abkuhlung 1960er Jahre Bearbeiten In den 1960er Jahren vervollkommnet Lindner seine Malweise und findet zu seinem typischen Stil Scharf umrissene Figuren in flachen Raumen klar umgrenzte Formen grelle Farbigkeit Er legt Motive seiner Vergangenheit ab und bezieht neue aus der Sphare der modernen Grossstadt Gangsterfiguren Zuhalter und Prostituierte Antihelden aus der Unterwelt und dominante Frauengestalten werden zu Protagonisten auf der Buhne grossstadtischer Anonymitat und existenzieller Entfremdung Bunte Kreis und Zielscheiben tauchen in seinen Bildern auf abstrakte Synonyme zusammenhangsloser Eindrucke des Grossstadtlebens Napoleon Still Life 1962 Louis II 1962 Lindner entdeckt in der amerikanischen Kultur in den 1960er Jahren viele Parallelen zum Berlin der 1920er Jahre Beide Milieus verbinden jugendliche Energie mit morbider und maroder Dekadenz Sexuelle Annaherungsversuche und der Wechsel der Geschlechtsidentitat werden offentlich ausgetragen In seiner Erinnerung war Berlin eine phantasievolle Stadt verkommen vor Talent da war alles los voller Dekadenz und Gemeinheit schaudererregend und wunderbar 2 Lindners Ideenwelt Einflusse aus dem Grossstadtleben New Yorks Bearbeiten Lindner bezieht die meisten Motive fur seine Bilder aus dem New Yorker Alltag Fasziniert von dem Leben auf den Strassen Manhattans verwandelt er das Schauspiel der modernen Stadt in Bilder existentieller Entfremdung die Gleichgultigkeit und moralischen Bankrott anzeigen So kombiniert er monumentale Figuren mit Emblemen der Stadt und schafft so eine bedrohliche unpersonliche Metropole die er in ihrer inneren Leere entlarvt Lindners psychologisiert seine Objektwelt Ihn interessiert der Stadtmensch Sein Œuvre zeigt Manner und Frauen in ihrer scheinbar unuberwindbaren Andersartigkeit Die Figuren auf seinen Bildern leben aneinander vorbei ohne Annaherung sie genugen sich selbst Selbst wenn sie sich beruhren fehlt der korperlichen Beruhrung jegliche Intimitat Lindner verdeutlicht in seinen Bildern die Vision der modernen Entfremdung Selbstdarstellung und existenzielles Eingeschlossensein Venus Lindner Bearbeiten Besonders auffallig ist die aggressive Darstellungsweisen seiner entindividualisierten Frauen Als Glanzpunkte seiner Arbeit kann man einige seiner Frauenbilder werten die er in der Zeit zwischen 1964 und 1967 malt Ihnen verleiht er durch scharf geschnittene Umrisse grelle Farben und fast zweidimensionale Raume eine posterhafte Prasenz Lindner zeigt seine Frauen unerreicht und distanziert Gepanzert im Korsett zeigt er die Frau in ihrer Kunstlichkeit von Kleidung und Schminke Aufgepumptes Fleisch lasst die Verkleidung und Fetische anschwellen bis sie zur ausstaffierten Marionette und zu einer Verkorperung mannlicher Phantasien und Geluste wird Lindners zusammengeschnurte Welt ist die der Verkleidung der Exzesse die er in einer gesellschaftlichen Satire ubersteigert Nirgends ein nackter Korper immer durch Kleidung und Objekte gesteigerte Exhibition Lindners im Grunde leidenschaftslose Frauen sind provokant und unerreichbar Sie prasentieren Sex als Limit menschlicher Beziehungen uberhaupt Sex wird bei Lindner zum fassbaren Symbol der Trennung und des jeweiligen existenziellen Eingeschlossenseins Sein parabelhaft einziges Thema die Ungleichheit der Geschlechter fuhrt zu immer neuen Varianten der Missverhaltnisse in denen der Mann sein Krafteprotzen gegenuber der Venus Lindner durch Schulterpolster hervorheben muss Dazu bleibt der Fetisch fester Bestand 2 Dabei vermeidet er in der Darstellung seiner erotischen Frauen vollige Nacktheit Er erklart Ich habe niemals einen Akt gemalt weil ich ihn nicht erotisch finde ausserdem ist es vielmehr die Erotik als die Pornographie die mich interessiert Erotische Kunst erhoht das Erlebnis Pornographie ist nur ein Ersatz dafur 6 Kritik durch Zurschaustellung von Stereotypen Bearbeiten Lindner kontert die Zeit in der Konsum als Vereinbarungsbegriff eines neuen Humanismus auftritt Er gibt sich gesellschaftskritisch und hebt das Kunstliche in ihrem Dasein heraus Somit zeigt er eine kunstlerische Nahe zum Theater von Brecht dessen Stucke er im Berlin der ausgehenden zwanziger Jahre gesehen hat Lindner transportiert in seinen Bildern den sozialkritischen Protest der zwanziger Jahre in eine neue cream kolorit lackierte Welt Dabei analysiert er die sinnentleerte Monotonie des Handelns und stosst auf die Schattenseiten modernen Lebens Die teils collagenhaften Bildkompositionen reflektieren die Zersplitterung sozialer Lebensraume deuten auf das Fehlen identitarer Zusammenhange Lindner begreift die moderne Lebenswelt als vollstandig von Konsum und Kommerzialisierung besetzt In Posterwirkung inszeniert er die Verdinglichungstendenzen innerhalb der Kulturindustrie bringt das Ausmass moderner Warenwelt kaleidoskopartig zur Wirkung Rock Rock 1966 67 Marilyn Was Here 1967 Lindner nimmt die Modeexzesse der 1960er Jahre auf entlarvt das Repertoire an Minirocken Sonnenbrillen und Stiefeln als materialistisches Zeichen einer im Inneren ausgehohlten Gesellschaft Disneyland 1965 Ice 1966 In dem Gruppenbild The Street 1963 das an sein fruheres Bild The Meeting 1953 anschliesst begegnen sich Grossstadtbewohner und Halbweltfiguren in einem unvermittelten und undurchsichtigen Nebeneinander Urbane Gestalten sind hier Ausdruck moralischen Verfalls stadtischer Raume Die Beziehungslosigkeit der dargestellten Figuren ist auch in Telephone 1966 das Thema Ein Mann und eine Frau stehen Rucken an Rucken gedrangt wahrend sie in ihre Telefonhorer sprechen Wie schon bei dem Olgemalde I II 1962 zeugt das Bild von nuchterner Zurschaustellung zwischenmenschlicher Entfremdung Trotz des kommunikativen Akts des Telefonierens kommt Kommunikation zwischen den Menschen nicht zustande Der Telefonhorer wird durch die aggressive und plakative Gestaltung zur Granate Lindner zeigt ein Bild der Sprachlosigkeit Der Verlust sozialer Nahe wird nun zum Leitfaden von Lindners Gesellschaftskritik 1970er Jahre Bearbeiten Das letzte Lebensjahrzehnt Lindners ist eine Art Ruckschau seiner kunstlerischen Auseinandersetzung Aspekte der Vergangenheit und Gegenwart werden zu irritierenden Pop Kompositionen verbunden Der Zirkus wird die zentrale Metapher Lindners Weltanschauung Moderne Pierrots bevolkern seine Bilder Dompteursinsignien wecken lose Assoziationen Thank You 1971 Der Zirkus bringt die Absurditat des menschlichen Dramas auf den Punkt Lindners Figuren sind Reprasentanten einer absterbenden Welt Ihre Kunstlichkeit ist Bekundung ihrer Unnahbarkeit Ausdruck entseelter Gleichgultigkeit Trotz ihrer Rustungen und Halbrustungen sind sie dekomponierte Antihelden in einer urbanen Tragodie Das Glucksspiel Solitare 1973 Ace of Clubs 1973 bleibt ihr einziges Versprechen an eine sinnlose Welt in der sich Dusteres und Komisches abwechseln Einen Ansatz zur Interpretation von Lindners Bildern findet Saul Steinberg ein enger Freund Richard Lindners Nach seinen Worten steht die Spannung zwischen den Machtigen und den Machtlosen die sich in Lindners Kunst haufig in sexueller Form aussert fur die Tragodie des Totalitarismus im letzten Jahrhundert sein Werk als unvermeindlich autobiographisch betrachtet zeigt der SS Offizier wird zu einer Tambourmajorin die Femme Fatale ein Footballspieler und politische Grausamkeit erfahrt einen Hauch von erotischem Sadismus jene Mischung von dusterem und Komischem die unser Leben gepragt hat 2 Kurz vor seinem Tod findet Richard Lindner selbst das Gleichnis seiner Kunst Im wesentlichen interessiere ich mich fur das Wartezimmer das Wartezimmer des Lebens Wir befinden uns alle in einem Wartezimmer Wir warten auf den Tod Wenige Tage vor seinem Tod nach Fertigstellung seiner letzten Arbeit Contact meint Lindner zu Stephen Prokopoff Wir machen Schauspieler aus unseren Leben Wir werden Dramenschriftsteller entwerfen Kostume und das Buhnenbild Und dann fragt jemand Was willst du vom Leben Und ich muss antworten Ich weiss es nicht 4 Literatur BearbeitenRichard Lindner Catalogue Raisonne of Paintings Watercolours and Drawings Edited by Werner Spies Compiled by Claudia Loyall Munchen New York 1999 H Kronthaler Lindner Richard In Allgemeines Kunstlerlexikon Die Bildenden Kunstler aller Zeiten und Volker AKL Band 25 Saur Munchen u a 2000 ISBN 3 598 22765 5 S 508 Martin Angerer Lindner Richard In Neue Deutsche Biographie NDB Band 14 Duncker amp Humblot Berlin 1985 ISBN 3 428 00195 8 S 613 f Digitalisat Dore Ashton Richard Lindner New York 1970 Sylvie Camet Tableau de l Homme nu Essai sur Richard Lindner 2006 Hilton Kramer Richard Lindner Boston 1975 Richard Lindner Bilder Papierarbeiten Grafik Hrsg Klaus D Bode Bode Galerie amp Edition Nurnberg 2001 ISBN 3 934065 07 4 P Selz Richard Lindners bewehrte Frauen In Judith Zilczer Richard Lindner Gemalde und Aquarelle 1948 1977 Munchen New York 1997 Werner Spies Lindner Mit einem Statement von Saul Steinberg Paris 1980 Judith Zilczer Zirkus des Absurden Die Bilder Richard Lindners in Judith Zilczer Richard Lindner Gemalde und Aquarelle 1948 1977 Munchen New York 1997 Judith Zilczer Richard Lindner Gemalde und Aquarelle Munchen New York 1997Einzelnachweise Bearbeiten a b c Hilton Kramer Richard Lindner Boston 1975 a b c d e f Judith Zilczer Richard Lindner Munchen New York 1997 John Russell Richard Lindner Painter Known For Figures of Women Is Dead In New York Times 18 April 1978 S 42 a b c d Werner Spies Lindner Paris 1980 Dore Ashton Richard Lindner New York Berlin 1974 Playboy 3 1973 97Weblinks BearbeitenOffizielle Website Literatur von und uber Richard Lindner im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek Werke von und uber Richard Lindner in der Deutschen Digitalen Bibliothek 1 Bestand beim Preussischen Kulturbesitz Berlin Richard Lindner bei artnet weitere Informationen sowie Werke von Richard Lindner Richard Lindner auf kunstaspekte de Materialien von und uber Richard Lindner im documenta ArchivNormdaten Person GND 118728407 lobid OGND AKS LCCN n50050862 VIAF 5071648 Wikipedia Personensuche PersonendatenNAME Lindner RichardKURZBESCHREIBUNG US amerikanischer Maler deutscher HerkunftGEBURTSDATUM 11 November 1901GEBURTSORT HamburgSTERBEDATUM 16 April 1978STERBEORT New York City Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Richard Lindner amp oldid 224785901