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Pingsdorfer Keramik ist eine Keramikart die zwischen dem spaten 9 und dem 13 Jahrhundert in verschiedenen Topferzentren am Ostrand des rheinischen Vorgebirges produziert wurde Hier liegt auch ihr eponymer Herstellungsort Pingsdorf der bis heute die grosste und variantenreichste Menge an Funden dieser Gattung erbracht hat Gefasse der Pingsdorfer Ware wurden zumeist auf der schnellrotierenden Topferscheibe geformt Charakteristisch ist ein mit feinem Sand gemagerter Ton und eine Bemalung aus eisenhaltigem auf der Oberflache dunkel hervortretenden Tonschlicker Engobe Bemalung Formenspektrum von Pingsdorfer Keramik aus den ersten Ausgrabungen am Topferort Pingsdorf Koenen 1898 In einem weiteren Sinne bezeichnet die Mittelalterarchaologie mit Pingsdorfer Ware einen Horizont qualitatvoller engobebemalter Feinkeramik die im Hochmittelalter in einem weiten geographischen Raum gefertigt wurden Dieser reicht von Zentral und Nordfrankreich uber Belgien die Niederlande und Luxemburg bis an den Niederrhein die Kolner Bucht das Mittelrheingebiet und den unteren Main Weiter ostlich setzt sich die Fertigung verwandter Keramik uber Westfalen Nordhessen und Sudniedersachsen fort bis nach Sachsen Recht unabhangige spate Auslaufer zeigen sich am mittleren Neckar Die einzelnen Produktionsstatten zeichnen sich jeweils durch eine individuelle formale und technologische Nahe bzw Ferne zum namengebenden Fundort Pingsdorf aus Insgesamt ist ein europaweiter West Ost Transfer des Technologie und Stilkomplexes der Pingsdorfer Ware vom 8 bis zum 14 Jahrhundert nachgewiesen Pingsdorfer Ware im eigentlichen Sinne also vom rheinischen Vorgebirge ist an unzahligen mittelalterlichen Siedlungsplatzen in Mittel und Nordwesteuropa archaologisch nachweisbar Ihre Anteile an den keramischen Inventaren reichen von weit uber 50 in der Nahe der Produktionsstatten bis hin zu Einzelfunden an der Peripherie des Handelsraums Insgesamt ist diese Keramikgattung nicht zuletzt durch eine inzwischen erfolgte und vielfach bestatigte chronologische Binnengliederung ihrer Laufzeit von vier Jahrhunderten ein sehr wichtiger Zeitmarker fur die mittel und nordeuropaische Mittelalterarchaologie Inhaltsverzeichnis 1 Produktionsorte 2 Formenentwicklung und Verbreitung 3 Forschungsgeschichte 4 Anmerkungen 5 Literatur 6 WeblinksProduktionsorte BearbeitenBekannte Produktionsorte der Pingsdorfer Ware und verwandter Keramikarten Rheinischer Keramik entlang der Vorgebirgsschwelle sind neben Pingsdorf und zahlreichen weiteren Orten bei Bruhl wie Badorf und Walberberg auch Liblar Wildenrath Langerwehe und Jungersdorf Meckenheim Urbar am Mittelrhein Daneben wurde auch in Siegburg wahrend der fruhen Produktionsphase die Pingsdorfer Ware hergestellt Fur den Niederrhein ist besonders das sudlimburgische Schinveld und Brunssum zu nennen In Paffrath wurde parallel massig harte Grauware hergestellt die stilistische Anlehnungen an die Pingsdorfer Ware zeigt deren Spektrum jedoch hauptsachlich Kochgeschirr beinhaltet Entlang der rheinischen Vorgebirgsschwelle stehen oberflachennah eisenarme Tone an die sich hervorragend zur Herstellung von Gefasskeramik eignen Diese Tonlagerstatten stehen im Zusammenhang mit dem Rheinischen Braunkohlerevier Abgesehen von den Aufschlussen entlang der Vorgebirgsschwelle streichen diese Tone auch an geologischen Storungszonen am Niederrhein aus 1 Neben der Verfugbarkeit von geeigneten Tonen waren auch das Vorhandensein von Brennmaterial Wald sowie der Zugang zu Handelswegen entscheidend fur die Entstehung eines erfolgreichen Topferorts im Mittelalter Formenentwicklung und Verbreitung Bearbeiten nbsp Pingsdorfer Becher 12 Jahrhundert Museum Burg Linn nbsp Krug der Pingsdorfer Ware 12 Jahrhundert Am rheinischen Vorgebirge scheint eine ungebrochene Tradition der Fertigung von Feinkeramik seit spatromischer Zeit bestanden zu haben Im Fruhmittelalter wurde hier die sog Badorfer Keramik hergestellt Diese unbemalte helle Vorgebirgsware mit Rollstempelverzierung wurde seit dem spaten 9 Jahrhundert zusatzlich mit einer roten Engobebemalung versehen Diese spatkarolingische bemalte Badorfer Ware gliedert sich in eine Gruppe rollstempelverzierter und bemalter Hunneschans Keramik die teilweise bereits eine grobere Feinsandmagerung aufweist und eine zweite Gruppe mit roter Fingerstrichbemalung aber noch mit feiner kreidiger Oberflache 2 Die Pingsdorfer Ware stellt sich als Weiterentwicklung aus der bemalten Badorfer Ware dar die sich ab dem spaten 9 Jahrhundert als eigenstandige Gruppe etabliert Sie zeichnet sich durch eine sandpapierartige Oberflache aus die aus der Magerung mit Feinsand herruhrt Innerhalb der Gruppe dominieren bauchige Topfe und Becher sowie Kannen und fruhe Formen von Ofenkacheln Die fruhen Pingsdorf Gefasse haben noch den fur Badorf typischen Wackelboden der jetzt durch einen Wellenfuss stabilisiert wird In der annahernd 400 jahrigen Periode in der Pingsdorfer Ware hergestellt wurde scheint das Formenspektrum kaum nennenswerte Anderungen erfahren zu haben Bislang liegen jedoch nur sparlich stratifizierte Funde vor die eine Feinchronologie sichern konnten Generell lasst sich allerdings eine Entwicklung von hellen glattwandig aufgedrehten Gefassen zu harter gebrannten dunkleren gerieften Gefassen feststellen die ihrerseits durch Gefasse mit deutlich herausgearbeiteten aussen liegenden Drehrillen abgelost werden Der Wandel zu den gerieften Formen vollzog sich im spaten 12 Jahrhundert Bislang konnte eine zeitliche Abfolge nur anhand der Bemalung nicht stichhaltig belegt werden Rote Pinselstrichmuster kommen in allen Perioden der Pingsdorfer Ware vor Gitternetzmuster scheinen tendenziell erst im 12 Jahrhundert aufzukommen 3 Die rote Bemalung wurde in der Spatphase am Ende des 12 Jahrhunderts 4 nach und nach aufgegeben Um 1200 kurz bevor die Pingsdorfer Ware aus der Mode kam wurde das Formenspektrum noch durch die Zylinderhalskanne sowie den Zylinderhalskrug erganzt Gefasse aus Pingsdorfer Keramik wurden im Mittelalter uber den Handelsweg Rhein bis nach England Skandinavien und die Niederlande verhandelt Als hartgebrannte Irdenware war sie die geeignete Warenart als Transportgefasse fur Konsumguter aus dem Rheinland 5 Rheinaufwarts war die Pingsdorfer Ware weniger verbreitet Zu Beginn des 13 Jahrhunderts wurde die hart gebrannte Irdenware durch Gefasse aus Protosteinzeug abgelost In der Forschung umstritten ist die Einordnung einer 1949 gefundenen Feldflasche aus Zelzate die zwischen 870 und 880 zusammen mit einem karolingischen Munzhort vergraben wurde 6 Dieser Fund wird in der alteren Literatur haufig als altestes datiertes Gefass aus dem Spektrum der Pingsdorfer Gruppe genannt Mittlerweile wird die Feldflasche von Zelzate jedoch der bemalten karolingischen Keramik des Typs Badorf zugeordnet 7 Allgemein wird heute ein Munzschatzgefass aus Wermelskirchen 8 das um 960 datiert als altestes absolutchronologisch datiertes Gefass der Pingsdorfer Ware angesehen Forschungsgeschichte BearbeitenEnde des 19 Jahrhunderts setzte sich erstmals Constantin Koenen wissenschaftlich mit Keramik aus Pingsdorf auseinander 1898 fuhrte Koenen eine erste systematische Ausgrabung in einem Topfereikomplex im Hof der Gastwirtschaft Klein in Bruhl Pingsdorf durch Er beschrieb ein 80 m grosses Scherbenlager das etwa ein Dutzend unterschiedliche Gefassformen enthielt Die Publikation dieser Ausgrabung in den Bonner Jahrbuchern war fur lange Zeit bis zu den Arbeiten von Markus Sanke die typenreichste Ubersicht des Pingsdorfer Formenspektrums 9 Koenens Arbeit fuhrte zur Benennung dieser bereits andernorts auftretenden Keramiksorte als Pingsdorfer Ware Franz Rademacher legte 1927 den Versuch einer Chronologie der mittelalterlichen Keramik vor die auf einer kunstgeschichtlichen Betrachtung der Gefasswaren beruhte Er ordnete die rotbemalte Pingsdorfer Ware in die karolingische Zeit wobei er diese von Keramikgefassen der ottonischen Zeit abgrenzte Als ottonisch bezeichnete Rademacher unbemalte stark geriefte irdene Gefasse 10 Archaologische Untersuchungen an niederlandischen Siedlungsplatzen des Mittelalters relativierten in den 1930er Jahren Rademachers kunstgeschichtlichen Ansatz Wouter C Braat sah eine Entwicklung der Pingsdorfer Ware in der Nachfolge der Hunneschans Keramik und nahm ein Einsetzen der Pingsdorfer Ware um 900 an Weiterhin postulierte Braat bereits ein Auslaufen um 1200 11 Wichtig fur die zeitliche Einordnung der Pingsdorfer Ware erwies sich die Bachbettstratigraphie der systematischen Ausgrabung der Wikingersiedlung Haithabu an der Schlei von 1930 bis 1939 Wahrend die Badorfer Keramik noch in den altesten Horizonten des Fundplatzes vertreten ist wird diese um oder kurz nach 900 durch die Pingsdorfer Keramik abgelost die dort dann bis ins 13 Jahrhundert archaologisch nachweisbar bleibt Eine Feinstratigraphie einzelner Gefasstypen konnte anhand des in Haithabu gefundenen Materials nicht erfolgen 12 In der Folgezeit finden sich zahlreiche Einzelpublikationen verschiedener Fundplatze Beckmann legte 1975 eine Seriation der Funde aus der Siegburger Aulgasse vor konzentrierte sich hierbei jedoch nur auf die bei der Grabung gefundenen vollstandigen Gefasse 2002 veroffentlichte Markus Sanke erstmals eine fundortunabhangige Ubersicht des Pingsdorfer Formenspektrums Anmerkungen Bearbeiten Janssen 1983 S 353 373 Zur bemalten spatkarolingischen Ware Wilhelm Winkelmann Meschede In Westfalische Forschungen 19 1966 S 135 f Ders Alles Hohle klingt besser In Kolner Romer Illustrierte 2 1975 S 233 f Friedrich 2002 S 225 f Friedrich 1988 S 278 ff Janssen 1968 S 200 ff Paul Naster Trouvailles de monnaies carolingiennes a Zelzate 1949 In Revue belge de numismatique et de sigillographie 96 1950 S 208 224 Friedrich 2002 S 214 Lobbedey 1968 S 123 Friedrich 2002 S 214 Koenen 1898 Franz Rademacher Karolingische Keramik am Niederrhein In Altes Kunsthandwerk 5 1927 S 173 180 Wouter C Braat Funde mittelalterlicher Keramik in Holland und ihre Datierung In Bonner Jahrbucher 142 1937 S 157 176 Hubener 1959 S 122 132 Literatur BearbeitenKurt Bohner Fruhmittelalterliche Topferofen in Walberberg und Pingsdorf In Bonner Jahrbucher 155 156 1956 S 372 385 Reinhard Friedrich Eine chronologisch bedeutsame Bechergruppe der Pingsdorfer Ware In David Gaimster Mark Redknap Hans Helmut Wegner Zur Keramik des Mittelalters und der beginnenden Neuzeit im Rheinland Medieval and later pottery from the Rhineland and his markets BAR International Series 440 Oxford 1988 S 271 297 Reinhard Friedrich Mittelalterliche Keramik aus rheinischen Motten Rheinische Ausgrabungen Band 44 Koln 2002 S 213 227 Andreas Heege Die Keramik des fruhen und hohen Mittelalters aus dem Rheinland Archaologische Berichte Band 5 Holos Bonn 1995 S 82 86 Digitalisat Wolfgang Hubener Zur Ausbreitung einiger frankischer Keramikgruppen nach Nord und Mitteleuropa im 9 12 Jahrhundert In Archaeologia Geographica Band 2 Hamburg 1951 S 105 ff Wolfgang Hubener Die Keramik von Haithabu Ausgrabungen in Haithabu 2 Neumunster 1959 Walter Janssen Produktionsbezirk mittelalterlicher Keramik in Bruhl Pingsdorf Rheinische Ausgrabungen 76 Koln 1977 S 133 138 Walter Janssen Die Importkeramik von Haithabu Ausgrabungen in Haithabu 9 Neumunster 1987 Antonius Jurgens Neues zu einem alten Thema Raubgrabungen in rheinischen Topfereizentren In Werner Lichtwark Friederike Lichtwark Hrsg Zur Regionalitat der Keramik des Mittelalters und der Neuzeit Beitrage des 26 Internationalen Hafnerei Symposiums Soest 5 9 Oktober 1993 Denkmalpflege und Forschung in Westfalen Band 32 Bonn 1996 S 27 35 Constantin Koenen Karlingisch frankische Topfereien bei Pingsdorf In Bonner Jahrbucher 103 1898 S 115 122 Tafel VI Uwe Lobbedey Untersuchungen mittelalterlicher Keramik vornehmlich aus Sudwestdeutschland Arbeiten zur Fruhmittelalterforschung 3 Berlin 1968 Hartwig Ludtke Die mittelalterliche Keramik von Schleswig Ausgrabungen Schild 1971 1975 Ausgrabungen in Schleswig Berichte und Studien 4 Neumunster 1985 S 60 ff Hartwig Ludtke The Bryggen Pottery Introduction and Pingsdorf Ware The Bryggen Papers Band 4 Oslo 1989 Markus Sanke Gelbe Irdenware In Hartwig Ludtke Kurt Schietzel Hrsg Handbuch zur mittelalterlichen Keramik in Nordeuropa Wachholtz Neumunster 2001 S 271 428 ISBN 3 529 01818 X Schriften des Archaologischen Landesmuseums Schleswig 6 Markus Sanke Die mittelalterliche Keramikproduktion in Bruhl Pingsdorf Technologie Typologie Chronologie Zabern Mainz 2002 ISBN 3 8053 2878 8 Rheinische Ausgrabungen 50 Weblinks Bearbeiten nbsp Commons Pingsdorf Ware Sammlung von Bildern Videos und Audiodateien Typologisierung der Pingsdorfer Keramik Webseite der Uni Tubingen Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Pingsdorfer Keramik amp oldid 222200971