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Das Patrozinium lateinisch patrocinium altgriechisch prostasia prostasia ein Schutzverhaltnis machtiger Personen gegenuber vor allem landlichen Bevolkerungsgruppen gilt als kennzeichnend fur die spatantike und fruhbyzantinische Gesellschaft Es handelt sich ursprunglich um eine besondere Form der Steuerflucht Inhaltsverzeichnis 1 Der Begriff patrocinium 2 Von der Protektion zum frei gewahlten Patrozinium 3 Staatliche Reaktionen Entwicklung zum Zwangspatrozinium 4 Unterschiedliche Entwicklung in den Ost und Westprovinzen 5 Quellen 6 Literatur 7 AnmerkungenDer Begriff patrocinium BearbeitenDer lateinische Terminus patrocinium ist abgeleitet von patronus Schutzherr Das Handworterbuch von Karl Ernst Georges ubersetzt 1 Vertretung insbesondere vor Gericht 2 im Plural patrocinia die Schutzlinge Klienten 3 im ubertragenen Sinn jeglicher Schutz und Schirm 1 Im antiken romischen Recht bestand das Patronat eines Herrn als patronus als Treueverhaltnis zu seinen Freigelassenen und Schutzbefohlenen der Klientel deren Interessen er u a vor Gericht vertrat Die weitere Begriffsentwicklung im westkirchlichen Raum ist durch die Vorstellung gepragt dass Heilige und Martyrer vom Himmel aus die Schutzherrschaft uber Kirchen und Kloster und die diesen zugehorigen Personen ausubten 2 Hauptartikel Patrozinium Der griechische Terminus prostasia hatte einen etwas anderen Bedeutungsumfang Er bezeichnete die von irdischen Personen ausgeubte Schutzherrschaft den Beistand durch uberirdische Personen und Krafte und die Kontrolle kirchlicher Institutionen 3 Das Patrozinium als Schutzherrschaft eines Patrons gegenuber sozial schwacheren Personen wurde in byzantinischer Zeit aber nicht mehr mit dem Terminus prostasia bezeichnet sondern als Abhangigkeit von einflussreichen Menschen als Freundschaft usw Der Begriff prostasia wurde vor allem fur Aufsichtsfunktionen in Kirchen und Klostern verwendet 4 Von der Protektion zum frei gewahlten Patrozinium BearbeitenDas krisengeschuttelte Imperium Romanum ubte massiven Steuerdruck auf die einfache Bevolkerung humiliores aus um die aufwandige Grenzsicherung das Militar und den Beamtenapparat zu unterhalten Die Folge war vielerorts sinkende Produktivitat bei steigenden Belastungen Unberuhrt blieben davon dank staatlicher Privilegien die privaten Grossgrundbesitzer 5 Hauptartikel Reichskrise des 3 Jahrhunderts Im Laufe des 4 Jahrhunderts ersetzte das patrocinium vicorum Schutzherrschaft uber Dorfer vor allem im Ostromischen Reich weitgehend das stadtische Phanomen des patrocinium civitatis Einfache freie Bauern und Kolonen aber auch ganze Dorfer begaben sich in ein Abhangigkeitsverhaltnis von machtigen Personen potentiores weil sie ihnen Schutz vor den Steuereinnehmern boten Als Patrone traten hierbei Grossgrundbesitzer kirchliche Wurdentrager Bischofe sowie Beamte der Zivilverwaltung und hohe Militarangehorige auf Auch Kloster und christliche Asketen als Einzelpersonen wurden von Dorflern als Sachwalter angefragt 6 Wenn die Patrone selbst in der Finanzverwaltung tatig waren konnten sie ihre Klienten bei der Steuerveranlagung schonen War das nicht der Fall konnten sie ihren Einfluss auf Personen in der Finanzverwaltung nutzen Im Gegenzug mussten die Bauern und Kolonen meist den Patronen ihren Landbesitz uberlassen oder sie fur ihre Schutzgewahrung bezahlen Aus einer gelegentlichen Protektion fur die die Bauern und Kolonen Geschenke gaben entwickelte sich ein dauerhaftes Abhangigkeitsverhaltnis 7 Istvan Hahn betont dass sich die Dorfgemeinschaft ihren Patron zunachst selber wahlte oft einen Aussenstehenden etwa einen Militarangehorigen der den auf sie ausgeubten Steuerdruck ertraglicher machen konnte 8 Auch Cam Grey bemerkt dass die Landbevolkerung durch die Patrozinienbewegung zunachst einmal ihre Optionen vermehrte 9 Staatliche Reaktionen Entwicklung zum Zwangspatrozinium BearbeitenDie Zentralregierung betrachtete das System des patrocinium vicorum als illegal Die Reskripte im Codex Theodosianus aus den Jahren 360 415 10 verdeutlichen dass der Verlust von Steuereinnahmen aus staatlicher Sicht das Problem darstellte nicht die Veranderungen der landlichen Besitzverhaltnisse 11 Da es offiziell verboten war wurde ein Patrozinium haufig kaschiert beispielsweise indem der Bauer dem Patron sein Land formell verkaufte und dieser das Land wiederum an den Bauern verlieh Starb der Bauer fiel das Land meist an den Patron und die Nachkommen des Bauern hatten nur noch den Status von Kolonen Die Notwendigkeit das Patrozinium zu verschleiern wirkte sich also stark zu Ungunsten der Bauern aus Nun war nach Hahn das Patrozinium der Dorfgemeinschaft nicht langer gewahlt sondern aufgenotigt Der dominus war zugleich auch patronus bzw er verhinderte dass sich die Dorfler einen anderen patronus suchten Diesen blieb noch die illegale aber haufig gewahlte Option auf das Land eines anderen Grossgrundbesitzers zu fliehen Wenn der sie als Arbeitskrafte brauchen konnte nahm er sie unter sein patrocinium 12 Eine wohl speziell fur Agypten erlassene Konstitution des Jahres 415 13 legalisierte Landbesitz den die Grossgrundbesitzer durch das Patroziniumswesen vor dem Jahr 397 an sich gebracht hatten und machte diese fur die Kopfsteuer ihrer Kolonen verantwortlich 14 Das weitere Umsichgreifen des patrocinium vicorum in den Dorfern wurde aber verboten ein Verbot das bis zu Justinian I regelmassig wiederholt wurde Eine andere staatliche Strategie war die Starkung der Dorfgemeinschaften Die Bauern eines Dorfs sollten einen Dorfrat consortium bilden und gegenseitig fur ihre Steuern haften 15 Unterschiedliche Entwicklung in den Ost und Westprovinzen BearbeitenSalvian von Marseille zufolge hatten die Grossgrundbesitzer in Gallien schon vor 450 das Recht die Steuern auf ihrem Territorium selbst einzutreiben sog Autopragie Dies kann vorsichtig auch fur andere Provinzen im Westen angenommen werden Seit dem fruhen 5 Jahrhundert dominierten die Grossgrundbesitzer im Westromischen Reich Politik und Militar so stark dass das Zwangspatrozinium fur die Bauern ohne Alternative war 16 Nach Hahn gab es im Ostromischen Reich im Gegensatz zum Westen bis ins spate 5 Jahrhundert das selbstgewahlte Patrozinium Hahns These wird in der Forschung widersprochen unter anderem von Jens Uwe Krause 17 Die Patrozinienbewegung fuhrte dazu dass Grossgrundbesitzer gegenuber dem Staat unabhangiger wurden und militarische wie richterliche Aufgaben wahrnahmen Beispielsweise bewaffneten sie ihre Kolonen und stellten Privatmilizen auf um Reichsfeinde zu bekampfen wo der Staat in dieser Funktion versagte Staatliche Strukturen losten sich dadurch auf regional bereitete das Patrozinienwesen die mittelalterliche Grundherrschaft vor 18 Eine weitere Konsequenz des Patrozinienwesens in der byzantinischen Gesellschaft war dass die Patrone sich mit einem Gefolge umgaben Eine Form des Gefolges war die Leibwache z B die bucellarii bewaffnete Trupps barbarischer Herkunft die die Person den Besitz das Territorium eines Herrn verteidigten Eine andere Form des Gefolges waren die factiones die Aufnahme in das Gefolge eines Herrn gab jungen Mannern einfacher Herkunft Loyalitat vorausgesetzt soziale und politische Aufstiegsmoglichkeiten 19 Quellen BearbeitenDie wichtigsten Quellen fur das Phanomen des patrocinium vicorum sind die Rede des Libanios Uber die Patrocinien und je ein titulus im Codex Theodosianus 11 24 und Codex Iustinianus 11 54 Literatur BearbeitenChristopher Kelly Art patrocinium In Oliver Nicholson Hrsg The Oxford Dictionary of Late Antiquity Oxford University Press Online Version von 2018 Andrew J Cappel Art Patrocinium Vicorum In Alexander Kazhdan Hrsg The Oxford Dictionary of Byzantium Oxford University Press Online Version von 2005 Andrew J Cappel Alexander Kazhdan Patronage Social In Alexander Kazhdan Hrsg The Oxford Dictionary of Byzantium Oxford University Press Online Version von 2005 Gyorgy Diosdi Zur Frage des Patrociniums in Agypten In The Journal of Juristic Papyrology 14 1962 S 57 72 Itzhak F Fikhman Wirtschaft und Gesellschaft im spatantiken Agypten Steiner Stuttgart 2006 S 152 160 Les patrocinia dans les papyrus d Oxyrhynchus Cam Grey Concerning Rural Matters In Scott Fitzgerald Johnson Hrsg The Oxford Handbook of Late Antiquity Oxford University Press Oxford New York 2012 S 625 666 Istvan Hahn Das bauerliche Patrozinium in Ost und West In Klio 50 1968 S 261 276 Jens Uwe Krause Spatantike Patronatsformen im Westen des Romischen Reiches Vestigia Band 38 Beck Munchen 1987 Michael Ursinus Zur Geschichte des Patronats Patrocinium ḥimaya und derʿuhdecilik In Die Welt des Islams 23 24 1984 S 476 497 Anmerkungen Bearbeiten Ausfuhrliches lateinisch deutsches Handworterbuch 8 Auflage Hannover 1918 Nachdruck Darmstadt 1998 Band 2 Sp 1514 Online Andreas Grassmann Das Patrozinium Eine kirchenrechtliche Darstellung mit besonderer Berucksichtigung des titulus ecclesiae gemass c 1218 CIC 83 Lang Frankfurt am Main 2017 S 33 Hier referiert nach Andreas Grassmann Das Patrozinium Eine kirchenrechtliche Darstellung mit besonderer Berucksichtigung des titulus ecclesiae gemass c 1218 CIC 83 Lang Frankfurt am Main 2017 S 33 Anm 100 mit Verweis auf Alexander Kazhdan Art Patronat Patronatsrecht I Spatantike und Byzanz In Lexikon des Mittelalters Band 6 Sp 1808 f Andrew J Cappel Alexander Kazhdan Patronage Social In Alexander Kazhdan Hrsg The Oxford Dictionary of Byzantium Oxford University Press Online Version von 2005 Michael Ursinus Zur Geschichte des Patronats Patrocinium ḥimaya und derʿuhdecilik 1984 S 480 Vgl zu den Asketen Cam Grey Concerning Rural Matters 2012 S 642 Er weist darauf hin dass keineswegs alle Asketen die Rolle des Mediators auszufullen bereit waren Istvan Hahn Das bauerliche Patrozinium in Ost und West 1968 S 263 Istvan Hahn Das bauerliche Patrozinium in Ost und West 1968 S 265 Cam Grey Concerning Rural Matters 2012 S 641 f Vgl Codex Theodosianus XI 24 1 6 Istvan Hahn Das bauerliche Patrozinium in Ost und West 1968 S 268 Istvan Hahn Das bauerliche Patrozinium in Ost und West 1968 S 273 f Codex Theodosianus 11 24 6 Andrew J Cappel Art Patrocinium Vicorum Vgl Istvan Hahn Das bauerliche Patrozinium in Ost und West 1968 S 269 f Jens Uwe Krause Spatantike Patronatsformen im Westen des Romischen Reiches Munchen 1987 S 79 Jens Uwe Krause Spatantike Patronatsformen im Westen des Romischen Reiches Munchen 1987 S 82 Istvan Hahn Das bauerliche Patrozinium in Ost und West 1968 S 275 f Jochen Martin Spatantike und Volkerwanderung Oldenbourg 4 Auflage Munchen 2001 S 63 Jens Uwe Krause Spatantike Patronatsformen im Westen des Romischen Reiches Munchen 1987 S 81 Hartmut Leppin Einfuhrung in die Alte Geschichte Beck Munchen 2005 S 138 Verena Postel Die Ursprunge Europas Migration und Integration im fruhen Mittelalter Kohlhammer Stuttgart 2004 S 25 29 Vgl Gunter Prinzing Patronage and retinues In Robin Cormack John F Haldon Elizabeth Jeffreys Hrsg The Oxford Handbook of Byzantine Studies Oxford University Press New York 2008 S 661 668 Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Patrozinium Spatantike amp oldid 237310732