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Unter einer oszillierenden Reaktion versteht man in der Chemie eine Form des Ablaufs komplexer chemischer Reaktionen bei denen die Konzentration von Zwischenprodukten und Katalysatoren keinen stationaren Zustand einnimmt sondern zeitlich periodische Schwankungen aufweist Es handelt sich dabei um einen Sonderfall dissipativer Strukturen Unter bestimmten Voraussetzungen kann es auch zu nicht monotonen Anderungen kommen das System verhalt sich dann chaotisch Man kann zwischen oszillierenden Reaktionen in heterogenen oder homogenen Medien unterscheiden wobei die heterogenen Reaktionen explizit an Phasengrenzflachen gebunden sind Oszillierende Reaktionen sind weit verbreitet Man interessiert sich fur sie jedoch nicht nur aus theoretischen Belangen als bekanntestes Beispiel die Belousov Zhabotinsky Reaktion oder technischen Grunden Reaktionsfuhrung in der Chemischen Industrie vielmehr sind sie von immenser Bedeutung fur das Leben So fungieren sie als Taktgeber fur periodische Prozesse Sinusknoten des Erregungsbildungssystems des Herzens oder synchronisieren die Nerventatigkeit im Gehirn Sie spielen ausserdem eine wichtige Rolle bei der elektrochemischen Auflosung von Metallen in Saure und der Oxidation von Kohlenmonoxid Schwefelwasserstoff und Kohlenwasserstoffen source source source source source source source source Briggs Rauscher Reaktion Inhaltsverzeichnis 1 Geschichte 2 Voraussetzungen 3 Nichtlinearitat der Reaktion 4 Modellierung 5 Bistabilitat 6 Elektrochemische Oszillationen 7 Auftreten in biologischen Systemen 8 Siehe auch 9 Weblinks 10 EinzelnachweiseGeschichte Bearbeiten nbsp Farbwechsel einer Belousov Zhabotinsky ReaktionWahrend sich ein breites Interesse fur oszillierende Reaktionen zunachst nur an Systemen in homogenen Medien fand waren es jedoch heterogene Systeme an denen ein derartiges Verhalten zuerst und schon sehr fruh beobachtet wurde Die Erstbeschreibung einer solchen Reaktion die Polarisationsumkehr beim Elektrodenpaar Eisen Silber in salpetersaurer Silbernitrat Losung wurde 1828 von Gustav Theodor Fechner veroffentlicht 1 1829 beschrieb Friedlieb Ferdinand Runge das schlagende Quecksilberherz in der heute bekannten Form 2 Im Jahr 1833 entdeckte John F W Herschel bekannt als Astronom und Erfinder der Cyanotypie periodische Reaktionen beim Auflosen von Eisen in Salpetersaure fur bestimmte Konzentrationen der Saure 3 Oszillierende Reaktionen sind haufig bei elektrochemischen Vorgangen anzutreffen wo uber sie ebenfalls schon fruh und zahlreich berichtet wurde so u a 1842 von Christian Friedrich Schonbein oder 1844 von James Prescott Joule Interessanterweise beschaftigte sich zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts der Chemiker Alfred J Lotka theoretisch mit periodischen Reaktionen 4 In dieser seinerzeit ebenfalls unbeachtet gebliebenen Arbeit stellt er ein autokatalytisches Reaktionsschema vor welches oszillierend zum Gleichgewicht findet Lotka leistete spater wichtige Beitrage zur Populationsdynamik Lotka Volterra Regeln Schweinezyklus deren mathematische Modellierung weitgehende Analogien zu eben jener von oszillierenden Reaktionen enthalten J S Morgan entdeckte 1916 bei der Reaktion von Ameisensaure Methansaure mit konz Schwefelsaure zu Kohlenstoffmonoxid und Wasser unter bestimmten Bedingungen eine oszillierende Gasentwicklung Entzundet man das entweichende Kohlenstoffmonoxid so kann man dann ein Grosser und Kleinerwerden der Flamme beobachten Man fuhrt diese Oszillation auf eine Ubersattigung der Losung und nachfolgender Aufhebung der Ubersattigung zuruck 5 Die erste oszillierende Reaktion in einem homogenen Medium die Bray Liebhafsky Reaktion wurde 1921 von William C Bray beschrieben 6 Dieser untersuchte die katalytische Zersetzung von Wasserstoffperoxid in Gegenwart von Iodat und bemerkte eine periodisch schwankende Sauerstoffentwicklung Die Publikation fand jedoch nur wenig Beachtung auch wurde behauptet das periodische Verhalten ginge von Verunreinigungen aus die heterophasige Grenzflachen schaffen wurden Letztere galten seinerzeit als Voraussetzung fur das Auftreten solcher Oszillationen Erst die sehr zogerlich auf eine Veroffentlichung Boris Beloussows 7 wiederum nahezu unbeachtet in einem zumal fachfremden Blatt da die entsprechenden Fachblatter die Annahme seines Artikels verweigerten bzw Beloussow deren weitgehende Revisionsvorschlage nicht akzeptieren konnte hin erfolgende Erforschung des homogenen Systems Bromat Cer IV Salz Malonsaure beginnend mit Arbeiten von Anatoli Schabotinski 1964 8 zeigte dass es sehr wohl derartige homogene Reaktionen gibt 1972 veroffentlichten Richard J Field Endre Koros und Richard M Noyes einen Mechanismus 9 FKN Mechanismus zur Modellierung der Belousov Zhabotinsky Reaktion mit ihrer Aufstellung von 18 Teilreaktionen mit 21 beteiligten Species belegten sie die hohe Komplexitat dieses Systems 1973 entdeckten Briggs und Rauscher eine eindrucksvolle oszillierende Reaktion Briggs Rauscher Reaktion als sie die Bray Liebhafsky Reaktion und Belousov Zhabotinsky Reaktion kombinierten Diese oszillierende Ioduhr zeigte einen rhythmischen Farbwechsel zwischen farblos goldbraun und tiefblau 10 11 Voraussetzungen BearbeitenDas Auftreten einer oszillierenden Reaktion ist an bestimmte Voraussetzungen gebunden Das System ist weit vom thermodynamischen Gleichgewicht entfernt 12 hohe Exergonie der Reaktion DG lt 0 Das System besitzt mindestens einen Reaktionsschritt der eine positive negative Ruckkopplung beinhaltet z B durch Autokatalyse oder Autoinhibition und dadurch einen nichtlinearen Zusammenhang herstellt Das System muss fur den Stoff und Energieaustausch mit der Umgebung offen sein Nichtlinearitat der Reaktion BearbeitenDie Nichtlinearitat kann beispielsweise durch autokatalytische Teilschritte rhythmischer Passivierung der Elektroden bei elektrochemischen Prozessen oder Temperaturanderung hervorgerufen werden Dabei tritt ein Effekt auf der in der Regelungstechnik als Ruckkopplung bezeichnet wird Die Resultate von bestimmten Teilschritten etwa Anderung der Temperatur Konzentration Elektrodenzustand wirken zuruck auf die Geschwindigkeitskonstanten oder Konzentrationen und beschleunigen oder verzogern dadurch den Reaktionsablauf Modellierung BearbeitenDa stets eine grosse Anzahl einzelner gekoppelter Schritte notwendig sind sind die Mechanismen der oszillierenden Reaktion bis heute nicht genau bekannt Allerdings existieren verschiedene Reaktionsmodelle die unter bestimmten Voraussetzungen Oszillation zeigen Das einfachste Modell einer Reaktion A B stammt von Alfred J Lotka A X 2 X displaystyle mathrm A X longrightarrow 2 X nbsp 1 X Y 2 Y displaystyle mathrm X Y longrightarrow 2 Y nbsp 2 Y B displaystyle mathrm Y longrightarrow B nbsp 3 Die Teilschritte 1 und 2 sind autokatalytische Reaktionen Sie verursachen die Ruckkopplung Ein anderes Modell fur den Reaktionsablauf der oszillierenden Reaktion ist der von Ilya Prigogine und Mitarbeitern entwickelte Brusselator bzw der Oregonator Ein realistisches minimales oszillierendes chemisches Reaktionssystem enthalt nur mono und bimolekulare chemische Reaktionen der Brusselator enthalt eine trimolekulare Reaktion und ist dissipativ das Lotka System ist nicht dissipativ Ein vom mathematischen Standpunkt aus minimales System enthalt drei Reaktanten und funf irreversible Reaktionen 13 und ein vom chemischen Standpunkt aus minimales System nur drei Reaktanten und vier irreversible Reaktionen siehe Discussion in 14 Die Modellierung erfolgt typischerweise mithilfe von Ratengleichungen Bistabilitat BearbeitenNeben der Oszillation treten in einem solchen System manchmal auch Bistabilitaten auf Dabei gibt es zwei stabile Reaktionszustande einen mit hoher einen anderen mit niedriger Reaktionsgeschwindigkeit oder Intermediatkonzentration die das System wahlweise annehmen kann Durch Storung des Systems von aussen wird unter Umstanden der eine Zustand bevorzugt Elektrochemische Oszillationen BearbeitenDas pulsierende Quecksilberherz ist im Grunde eine elektrochemische Oszillation da hierbei zwei Metalle Quecksilber und Eisen in einem Lokalelement kombiniert sind Eine galvanische Zelle erzeugt normalerweise eine Gleichspannung Folgender Versuch erzeugt unter bestimmten Bedingungen eine pulsierende Spannung Es wird eine Bleidioxid Elektrode wie sie im Bleiakkumulator vorliegt mit einer Edelstahlelektrode die mit Platin und Palladium uberzogen ist kombiniert Als Elektrolyt dient verdunnte Schwefelsaure Ausserdem ist die Edelstahlelektrode mit einer Formaldehydlosung Methanallosung umgeben und wirkt als Brennstoffanode Bei Belastung dieser galvanischen Zelle lauft folgende Gesamtreaktion ab 2 P b O 2 2 H 2 S O 4 H C H O 2 P b S O 4 3 H 2 O C O 2 elektrische Energie displaystyle mathrm 2 PbO 2 2 H 2 SO 4 HCHO longrightarrow 2 PbSO 4 3 H 2 O CO 2 text elektrische Energie nbsp Es wird an der Kathode Blei IV im Bleidioxid unter Aufnahme von Elektronen zu Blei II im Bleisulfat reduziert Gleichzeitig wird an der Anode Formaldehyd unter Abgabe von Elektronen zu Wasser und Kohlenstoffdioxid oxidiert Die pulsierende Spannung kommt nun dadurch zustande dass die Anode mit Zwischenprodukten der Oxidation uberzogen wird Dadurch sinkt die erzeugte Spannung das Potential an der Anode wird positiver Danach werden die Zwischenprodukte weiter oxidiert die Elektrodenoberflache wird wieder frei und die Spannung steigt wieder bis die Elektrodenoberflache erneut von Zwischenprodukten uberzogen ist Es resultiert je nach dem aussen angelegten Belastungswiderstand eine Sagezahnspannung zwischen 0 3 und 0 6 Hz die mit einem Oszilloskop sichtbar gemacht werden kann Ein angeschlossenes Birnchen flackert im Rhythmus der pulsierenden Spannung 15 Ein anderes Beispiel ist ein galvanisches Element aus einem Eisen und Kupferblech mit einem Elektrolyten aus einer Kaliumbromatlosung in verdunnter Schwefelsaure Hierbei wird Eisen zu Eisen II ionen oxidiert wobei die Bromationen zu Bromidionen reduziert werden Die gemessene Spannung pulsiert dabei was dadurch zu erklaren ist dass die Eisenelektrode kurzfristig durch eine hauchdunne Oxidschicht uberzogen und damit passiviert wird Dies fuhrt zu einem sprunghaften Potentialanstieg Im nachsten Schritt wird die Oxidschicht durch Wasserstoffionen wieder aufgelost das Eisen wird wieder aktiviert und das Potential sinkt Dieser Zyklus wird mehrmals durchlaufen 16 Auftreten in biologischen Systemen BearbeitenViele biochemische Reaktionen haben die Voraussetzungen so u a durch kompetitive Hemmung von Enzymen unter gegebenen Bedingungen zu oszillieren Beobachtet wurde dies z B bei Reaktionen der Glycolyse oder der Zellatmung Auf oszillierenden Reaktionen beruht auch die Taktgebung des Herzschlags siehe Sinusknoten Um Oszillationen mit erheblich langeren Perioden beginnend im Minutenbereich handelt es sich bei den in der Chronobiologie untersuchten biologischen Rhythmen siehe auch circadiane Rhythmik ultradiane Rhythmik Diese hangen nicht nur von ausseren Faktoren Sonnenlicht Temperatur ab vielmehr wird der Zeittakt in gewissen Zellarealen so im Nucleus suprachiasmaticus generiert Die genauen biochemischen Hintergrunde liegen jedoch noch im Dunklen 17 Oszillierende Systeme in Lebewesen lassen sich auch als komplexe zwei und dreidimensionale Strukturen visualisieren wie sie beispielsweise von intrazellularen Ca2 Wellen 18 ausgebildet werden Siehe auch BearbeitenBray Liebhafsky Reaktion Belousov Zhabotinsky Reaktion Briggs Rauscher Reaktion Orban OszillatorWeblinks BearbeitenVideo Experiment der Woche Was ist eine oszillierende Reaktion Leibniz Universitat Hannover 2012 zur Verfugung gestellt von der Technischen Informationsbibliothek TIB doi 10 5446 2163 Video The Fascinating World of Oscillating Reactions Vorstellung von drei verschiedenen oszillierenden Reaktionen und Interpretation nach dem Rauber Beute Modell Einzelnachweise Bearbeiten M G Th Fechner Uber Umkehrungen der Polaritat in der einfachen Kette In Schweiggers Journal fur Chemie und Physik 53 1828 S 129 151 Hartwig Mollencamp Bolko Flintjer amp Walter Jansen 200 Jahre Pulsierendes Quecksilberherz Zur Geschichte und Theorie eines faszinierenden elektrochemischen Versuchs In Chemkon Band 1 Nr 3 1994 DOI 10 1002 ckon 19940010303 S 117 125 J F W Herschel Note sur la maniere d agir de l Acide nitrique sur le Fer In Annales de chimie et de physique 54 1833 S 87 94 A J Lotka Contribution to the theory of periodic reactions In J Phys Chem 14 1910 S 271 274 H Brandl Oszillierende chemische Reaktionen und Strukturbildungsprozesse Aulis Koln 1987 ISBN 3 7614 0993 1 S 70 W C Bray A Periodic Reaction in Homogeneous Solution and Its Relation to Catalysis In J Am Chem Soc 43 1921 S 1262 1267 B P Belousov Eine periodische Reaktion und ihr Mechanismus auf Russisch In Sbornik referatov po radiatcionnoj meditsine za 1958 god 147 1959 S 145 A M Zhabotinsky Der periodische Verlauf der Oxidation von Malonsaure in Losung auf Russisch In Biofizika 9 1964 S 306 R J Field E Koros R M Noyes Oscillations in Chemical Systems II Thorough Analysis of Temporal Oscillation in the Bromate Cerium Malonic Acid System In J Am Chem Soc 94 1972 S 8649 8664 Field Schneider Oszillierende chemische Reaktionen und nichtlineare Dynamik Chemie in unserer Zeit 22 Jahrg 1988 Nr 1 S 17 H Brandl Oszillierende chemische Reaktionen und Strukturbildungsprozesse Aulis Koln 1987 ISBN 3 7614 0993 1 S 45 T Wilhelm S Schuster R Heinrich Kinetic and thermodynamic analyses of the reversible version of the smallest chemical reaction system with Hopf bifurcation Nonlinear World 1997 4 S 295 321 T Wilhelm R Heinrich Smallest chemical reaction system with Hopf bifurcation J Math Chem 1995 17 S 1 14 T Wilhelm The smallest chemical reaction system with bistability BMC Syst Biol 2009 3 90 Schwarzer Vogel Hamann Elektrochemische Direkterzeugung pulsierender Spannungen Chemie in unserer Zeit 8 Jahrg 1974 Nr 6 S 173 M Oetken M Ducci Eine unmogliche Batterie die Wechselstrombatterie Praxis der Naturwissenschaften Chemie 1 49 Jahrg 2000 S 16 S Honma K Honma The biological clock Ca2 links the pendulum to the hands In Trends in Neurosciences 26 S 650 653 2003 J Lechleiter S Girard E Peralta D Clapham Spiral calcium wave propagation and annihilation in Xenopus laevis oocytes In Science 252 123 6 1991 Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Oszillierende Reaktion amp oldid 224794820