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Origo gentis bezeichnet in der Mittelalterforschung die Herkunftsgeschichte einer antiken oder mittelalterlichen gens Sippe oder Volksstamm 1 Inhaltsverzeichnis 1 Inhalt und historische Funktion der Origines 2 Urheimat Forschung als moderne Form der origo gentis Fragestellung 3 Literatur 4 AnmerkungenInhalt und historische Funktion der Origines BearbeitenDie Origo gentis stellt keine eigene literarische Gattung dar sondern ist Bestandteil teils recht umfangreicher Werke die beispielsweise die Geschichte der jeweiligen gens beschreiben Sie konnen auch Bestandteil von Heldenepen oder Biografien sein 2 In den Origines wurden zahlreiche zumeist fiktive oft allgemeingultige Topoi Elemente vermischt Im Mittelpunkt der Erzahlung steht der Herkunftsmythos des jeweiligen gentilen Verbandes etwa der Goten Langobarden Angelsachsen oder Franken der zumeist anfangs mundlich uberliefert und erst spater schriftlich niedergelegt und mit Elementen antiken Bildungsguts angereichert wurde Neben einer mythisch verklarten Herkunftssage wurden in der Regel auch besondere und fur die gens typische sittliche und charakterliche Eigenschaften angefuhrt Oft wurde dabei topisch als Ursprung Skandinavien angegeben 3 da dies die Moglichkeit bot faktisch nicht nachprufbare Genealogien zu konstruieren Ein uralter Stammbaum wie der wohl fiktive der Amaler konnte so zusatzliche Legitimitat fur Herrschaft verschaffen Wandersagen spielten in einer Origo oft eine wichtige Rolle Eine gens wandert aus und erreicht schliesslich ein anderes Land von dem zumeist mit Gewalt Besitz ergriffen wird Bisweilen ist ein historischer Kern vorhanden wie bei der Einwanderung der Angelsachsen nach Britannien andere sind rein fiktive Erzahlungen 4 Dies gilt beispielsweise fur eine angeblich trojanische Abstammung oder wie inzwischen die Mehrheit der Forschung annimmt bei den Goten fur ihre Herkunft aus Skandinavien wofur archaologische Belege fehlen Die Schilderung der Herkunft der Goten in den Getica des Jordanes der sich auf die verlorene Gotengeschichte Cassiodors gestutzt hat wird heute meist als topisch ethnographische Erzahlung aufgefasst in die zahlreiche fiktive Elemente einflossen 5 Ein recht haufiges Motiv einer Origo war ausserdem die sogenannte primordiale Tat Dabei handelte es sich um ein zentrales Ereignis einer gens wie ein bedeutender Sieg die Uberschreitung eines Gewassers ein angeblich seit Urzeiten existierendes Konigtum gottlichen Ursprungs und andere Kerngedanke war eine identitatsstiftende Tat bzw Etablierung einer neuen Ordnung die fur die gens fortan galt Die Origo konnte als wichtiges Verbindungselement innerhalb einer gens dienen das die ethnisch ansonsten inhomogenen Verbande zusammenhalten konnte oder erst identitatsstiftend wirkte siehe auch Volkerwanderung So wurden diese poly ethnischen Verbande durch die Herkunftsgeschichte zu einer ideellen Einheit verbunden Dies spielte eine wichtige Rolle im schwierigen Prozess der spatantiken und fruhmittelalterlichen Ethnogenese wobei die Verfasser der schriftlichen Darstellungen in der Regel gut gebildet waren und oft Kenntnisse der antiken Ethnografie hatten Beispiele bekannter Herkunftsgeschichten sind etwa die bereits erwahnten Getica des Jordanes der damit den Goten einen vielen anderen antiken Volkern vergleichbare Geschichte verschaffte oder die Origo Gentis Langobardorum der Langobarden im 7 Jahrhundert Die Franken machten sich den bei den Romern durch Vergils Aeneis popularisierten Trojamythos zu eigen Nach dem Kirchenhistoriker Beda Venerabilis wiederum waren die Sachsen vom britischen Konig Vortigern nach Britannien gerufen worden und sollen dort mit drei Schiffen unter dem Bruderpaar Hengest und Horsa gelandet sein Wichtige Arbeiten zu diesem Thema stammen vor allem von Herwig Wolfram und seinem Schuler Walter Pohl Beide betonen dass moderne Vorstellungen von Ethnizitat keinesfalls auf antike und mittelalterliche gentes ubertragbar sind Allerdings sind die darauf beruhenden Schlusse umstritten siehe beispielsweise die Arbeiten von Walter Goffart Goffart steht etwa dem Ansatz sehr kritisch gegenuber dass es Gemeinsamkeiten in Werken gibt die sich mit den Herkunftsgeschichten befassen 6 Vielmehr habe jeder Autor mit seiner Darstellung einen eigenen Zweck verfolgt 7 Urheimat Forschung als moderne Form der origo gentis Fragestellung BearbeitenDie moderne vergleichende Sprachwissenschaft konnte in vielen Fallen Ahnlichkeiten von geographisch weit auseinanderliegenden Sprachen etwa Latein und Sanskrit nachweisen Dieser linguistische Befund wurde bereits im 19 Jahrhundert mit dem Modell eines Stammbaums erklart demzufolge Sprachen voneinander abstammen konnen und Ahnlichkeiten in existierenden Sprachen als Belege fur gemeinsame Vorlaufer zu werten sind Dies liess die Frage nach dem ursprunglichen Verbreitungsgebiet der entsprechenden Vorlaufer sog Protosprachen und ihrer Sprecher aufkommen die in mehreren Fallen mit linguistischen und archaologischen Methoden naherungsweise auch beantwortbar schien vgl Urheimat Ihrer Fragestellung nach entsprechen diese Forschungen weitgehend den antiken und mittelalterlichen Origo gentis Uberlegungen Seitens der Linguistik wird heute indes nahezu einhellig akzeptiert dass Sprachgemeinschaften selten homogen sind und oft keine gemeinsame ethnische oder nationale Identitat hatten 8 Literatur BearbeitenAlheydis Plassmann Origo gentis Identitats und Legitimitatsstiftung in fruh und hochmittelalterlichen Herkunftserzahlungen Orbis mediaevalis Band 7 Akademie Verlag Berlin 2006 ISBN 3 05 004260 5 Rezension Herwig Wolfram Das Romerreich und seine Germanen Eine Erzahlung von Herkunft und Ankunft Bohlau Wien Koln Weimar 2018 ISBN 978 3 412 50767 1 Herwig Wolfram Walter Pohl Ian N Wood u a Origo gentis In Reallexikon der Germanischen Altertumskunde RGA 2 Auflage Band 22 Walter de Gruyter Berlin New York 2003 ISBN 3 11 017351 4 S 174 210 mit Literatur Anmerkungen Bearbeiten Der Begriff gens hat den Vorzug direkt aus den Quellen zu stammen womit nach modernem Verstandnis sowohl Stamm als auch Volk gemeint sein kann Herwig Wolfram u a Origo Gentis In Reallexikon der Germanischen Altertumskunde Band 22 2003 hier S 174f Vgl etwa Alheydis Plassmann Origo gentis Identitats und Legitimitatsstiftung in fruh und hochmittelalterlichen Herkunftserzahlungen Berlin 2006 S 207f Alheydis Plassmann Origo gentis Identitats und Legitimitatsstiftung in fruh und hochmittelalterlichen Herkunftserzahlungen Berlin 2006 S 360f Vgl zusammenfassend Arne Sǿby Christensen Cassiodorus Jordanes and the History of the Goths Studies in a Migration Myth Museum Tusculanum Press Kopenhagen 2002 besonders S 250ff Vgl Walter Goffart The Narrators of Barbarian History Princeton 1988 Vgl zur Diskussion zusammenfassend Alheydis Plassmann Origo gentis Identitats und Legitimitatsstiftung in fruh und hochmittelalterlichen Herkunftserzahlungen Berlin 2006 S 16ff Wolfram Euler Konrad Badenheuer Sprache und Herkunft der Germanen Abriss des Protogermanischen vor der Ersten Lautverschiebung London Hamburg 2009 S 43 50 Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Origo gentis amp oldid 238333338