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Die anatomische Nomenklatur ist eine systematische Sammlung von Begriffen zur eindeutigen Benennung von Teilen der Korper von Lebewesen Sie wurde dafur entwickelt dass es Fachkundigen moglich ist mit derselben Benennung fur einen bestimmten anatomischen Begriff auch immer dieselben Anteile Regionen oder Lagebeziehungen im Korper eines Lebewesens der gleichen Art angeben zu konnen Menschen benennen zum einen schon in der gleichen naturlichen Sprache einen gleichartig bestimmten Korperteil nicht selten verschieden z B Haupt und Kopf und grenzen ihn zum anderen oft auch unterschiedlich von anderen Korperteilen ab wie z B gegenuber Halsund Nacken Dabei benutzen sie haufig fur Teile verschiedenartiger Lebewesen unterschiedliche Bezeichnungen Daher gibt es eine Vielzahl von Benennungen fur ein ahnliches oder das gleiche oder dasselbe Korperteil Schon seit der Antike wird daher nach einer allgemein gultigen Namensgebung gesucht fur die ausserlich sichtbaren Anteile eines Korpers um sich mit eindeutigen Benennungen klar verstandigen zu konnen Fur den inneren Aufbau des Korpers kommt erschwerend hinzu dass Anteile des Korpers beispielsweise Muskeln und mehrfach gegliederte Organe unterschiedlich aufgeteilt werden konnen So wird zum Beispiel die Benennung Quadrizeps in einigen Nomenklaturen als Sammelbezeichnung fur vier Muskeln definiert wahrend in anderen neueren Nomenklaturen der Quadrizeps als ein einziger Muskel mit vier Muskelkopfen gilt In der Medizin des Altertums wurden vor allem griechische und lateinische Namen verwendet Als altestes erhaltenes Anatomielehrbuch mit der anatomischen Nomenklatur seiner Zeit gilt die Abhandlung Uber die Bezeichnung der Korperteile des Menschen von Rufus von Ephesos 1 Durch den Einfluss der arabischen Medizin entstand bis in das Mittelalter 2 ein Sammelsurium von Ausdrucken in Griechisch Latein Arabisch Persisch Syrisch und Hebraisch Insbesondere der humanistische Anatom Andreas Vesalius der den arabisch gepragten Wortern ablehnend gegenuberstand entwickelte im 16 Jahrhundert eine auf Latein und latinisiertem Griechisch basierende grundlegende Reform des anatomischen Wortschatzes 3 Latein war im Europa des Mittelalters generell die Verkehrssprache an Universitaten 4 Die heutigen anatomischen Nomenklaturen gehen immer noch weitgehend auf die lateinische bzw altgriechische Sprache zuruck 5 Ein Vorteil ist dass diese Sprache als sogenannte tote Sprache die nicht mehr ausgenommen in Vatikanstadt wo Latein Amtssprache ist aktiv gesprochen wird wenig Veranderungen unterliegt Als Begrunder der internationalen Anatomischen Nomenklatur gilt Joseph Hyrtl der auch lexikographisch die altdeutschen anatomischen Fachausdrucke erfasst hatte 6 In jungerer Zeit erfuhr das medizinische Latein kleine Veranderungen die in der Dominanz der englischen Sprache als moderner Wissenschaftssprache begrundet sind Insbesondere die Diphthonge oe und ae werden in neuerer Schreibweise einfach durch e und das deutschsprachige K durch ein C ersetzt z B Taenia Tenia Oesophagus Esophagus Akromion Acromion Es gibt heute etwa 8000 international festgelegte Namen fur anatomische Begriffe die auf etwa 600 Grundbezeichnungen zuruckgehen 400 lateinischer 200 griechischer Herkunft Die Bezeichnungen werden unabhangig ihrer Herkunft in der Regel wie lateinische Formen behandelt und lateinisch dekliniert Die ubliche Aussprache entspricht dem spatlateinischen Gebrauch c wird vor hellen Vokalen e i ae oe y wie z sonst wie k gesprochen Inhaltsverzeichnis 1 Nomenklaturen 2 Namenskonventionen 3 Siehe auch 4 Literatur 5 EinzelnachweiseNomenklaturen BearbeitenUm die Varianten anatomischer Bezeichnungen zu vereinheitlichen wurden mehrere Regelwerke aufgestellt Im Zweifel ist grundsatzlich die neuere Zuordnung zu verwenden gelegentlich stosst man aber in der Literatur auch auf altere Definitionen Fur den Menschen sind verschiedene nomenklatorische Werke erstellt bzw weiterentwickelt worden Diese internationalen humananatomischen Nomenklaturen sind die Basler Nomina Anatomica BNA von 1895 Jenaer Nomina Anatomica JNA von 1935 Pariser Nomina Anatomica PNA von 1955 Terminologia Anatomica TA von 1998 aktuell geltend 7 Terminologia Histologica von 2008 aktuell geltend 7 Terminologia Embryologica von 2009 aktuell geltend 7 Eine Vereinheitlichung der anatomischen Benennungen auf der Grundlage gleichsetzbarer Begriffe war notwendig geworden da sich ab dem Mittelalter eine Vielzahl verschiedener Ausdrucke fur dieselbe Struktur entwickelt hatte Die 1895 eingefuhrte BNA versuchte dieser Entwicklung Einhalt zu gebieten 4 Die 1955 eingefuhrte PNA war fur die vergleichende Morphologie eher ein Ruckschritt denn die Lagebezeichnungen orientieren sich wie schon bei der BNA wieder an der aufrechten Korperhaltung des Menschen Die Terminologia Anatomica von 1998 wurde vom Federative International Programme on Anatomical Terminology FIPAT erarbeitet einer auf dem Weltkongress der International Federation of Associations of Anatomists IFAA 1989 gewahlten Expertengruppe Der Entwurf wurde den 56 Mitgliedsvereinigungen der IFAA zugesandt die diesen kommentieren und Anderungen vorschlagen durften 8 Fur andere Saugetiere war die PNA nur eingeschrankt sinnvoll Deshalb wurde 1955 eine Arbeitsgruppe gegrundet die die Nomina Anatomica Veterinaria NAV erarbeitete Sie erschien 1968 in erster Auflage mittlerweile gilt die 6 Auflage aus dem Jahre 2017 Die veterinaranatomische Nomenklatur ist weitgehend mit der humananatomischen identisch so dass eine gegenseitige Verstandigung gesichert ist selbst auf die Gefahr hin dass bestimmte Namen eigentlich wenig sinnvoll sind So ist beispielsweise der Musculus teres major ubersetzt grosser runder Muskel zwar beim Menschen rundlich bei den ubrigen Saugetieren jedoch ein streifenformiges Muskelband er wird aber dennoch auch bei Tieren so benannt Lediglich bei bestimmten Lage und Richtungsbezeichnungen weichen NAV und PNA voneinander ab Eine weitere Besonderheit der NAV ist dass sie konsequent auf Eigennamen verzichtet Fur Vogel liess sich aufgrund vieler baulicher Eigenheiten die anatomische Nomenklatur ebenfalls nicht einfach ubertragen Daher wurde fur diese Wirbeltierklasse eine eigene Nomenklatur geschaffen die Nomina Anatomica Avium NAA Sie liegt seit 1993 in zweiter Auflage vor Namenskonventionen BearbeitenAll diese Regelwerke legen ubereinstimmend fest dass anatomische Namen immer aus mindestens zwei Teilen bestehen oft aus drei manchmal sogar aus vier Diese Teile sind nach einem einfachen System zusammengesetzt Einteilige Namen gibt es lediglich fur ubergeordnete Regionen Caput Kopf Collum Hals Thorax Brust usw und wichtige Organe Cor Herz Cerebrum Gehirn u a und einige andere Strukturen Clavicula Schlusselbein Platysma u a Der erste Namensteil nennt die Baugruppe zum Beispiel Knochen Os oder charakterisiert die Bauform zum Beispiel Rinne Sulcus Der zweite Namensteil beschreibt diese nun naher indem die Form Lage Lange Farbe oder die Zugehorigkeit zu einem Organ angegeben wird Wenn diese beiden Namensteile immer noch nicht eindeutig sind werden zusatzliche Namensteile angehangt die weitere Orts Grossen oder Zahlenangaben der Vordere der Grosste der Zweite enthalten Bei einigen haufig verwendeten Strukturen wird der erste Namensteil abgekurzt A fur Arterie Arteria Art fur Gelenk Articulatio For fur Loch Foramen Ln fur Lymphknoten Lymphonodus M fur Muskel Musculus N fur Nerv Nervus V fur Vene Vena und dergleichen mehr Wenn mehrere Muskeln Venen Lymphknoten etc gemeint sind wird der letzte Buchstabe der Abkurzung verdoppelt Mm sind also mehrere Muskeln Vv bedeutet mehrere Venen Lnn mehrere Lymphknoten Korperteile 1 Teil des Namens Lateinisch Kurzel DeutschAngulus Winkel EckeApertura OffnungArcus BogenArteria A Arterie Ader die vom Herzen weg fuhrt Articulatio Art GelenkBursa B SchleimbeutelCanalis KanalCaput Kopf als Form nicht als Schadel zum Beispiel Gelenkkopf Cavitas HohleCollum Hals z B bei Knochen Cornu Horn FortsatzCorpus Korper Schaft bei Knochen Crista Kamm Vorsprung verstarkter RandDuctus Gang RohreFascia Faszie bindegewebige Hulle um Muskeln Fossa Grube VertiefungForamen LochGlandula DruseGyrus Windung v a HirnwindungHiatus Durchtrittstelle Spalte OffnungLamina Hautchen SchichtLigamentum Lig BandLobus Lappen Grosshirnlappen Lungenlappen Margo RandMusculus M Muskel eigentlich Mauschen Nervus N NervNodus Nd KnotenNucleus Ncl Kern KerngebietOs KnochenPars Teil eins von mehrerenPlexus GeflechtProcessus Proc Vorsprung FortsatzRadix Rad Wurzel UrsprungRamus R Ast ZweigRecessus von re zuruck und cedere weichenSeptum Wand TrennungSinus Ausbuchtung Vertiefung Hohle Nasennebenhohlen Erweiterungen von Venen Sinus cavernosus u a Sulcus Furche RinneTendo SehneTuber Hocker WulstTuberculum Tub HockerchenTuberositas unebene hockerige raue Stelle haufig Ansatzstelle fur Sehne eines Muskels Vas Gefass AderVena V Vene Ader die zum Herz hinfuhrt Ortsangaben 2 Teil des Namens Lateinisch Kurzel Deutschabdominalis zum Bauch Abdomen gehorigacromialis zur Schulterhohe Acromion gehorendbrachialis am Oberarm Brachium costalis an den Rippen Costa cranialis zum Schadel Cranium gehorend oder zeigend oberhalb schadelwarts gelegencysticus zum Gallengangssystem gehorenddorsalis am Rucken Dorsum ruckenwarts gelegen gilt auch fur Hand und Fussruckenfemoralis am Oberschenkel Femur fibularis zum Wadenbein Fibula gehorendgastricus zum Magen Gaster gehorendhepatis an oder in der Leber Hepar griechisch iliacus am oder im Darmbein Os ilium lienalis zur Milz Lien gehorendpalmaris zur Handflache Palma manus gehorendpectoralis an der Brust Pectus peroneus am Wadenbeinplantaris zur Fusssohle Planta pedis gehorigpulmonalis an oder in der Lunge Pulmo radialis an der Speiche Radius renalis an oder in der Niere Ren thoracicus am oder im Brustkorb Thorax tibialis am Schienbein Tibia transversus quer verlaufend hindurch strebendulnaris an der Elle Ulna vertebralis zum Wirbel Vertebra Richtungen und Grossen 2 3 oder 4 Teil des Namens Lateinisch Kurzel Deutschanterior ant vordererascendens aufsteigendcaudalis unten schwanzwartscranialis oben kopfwartsdescendens absteigenddexter dext rechts vom Patienten aus nicht vom Betrachter dorsalis dors hinten am Rucken ruckenwartsexternus ext aussen an der Oberflacheinferior inf untererinternus int innen im Korperlateralis lat seitlich aussenlongitudinalis in Langsrichtungmaximus max der Grosstemedialis med innen zur Mitte hinmedius mittlerer zwischen zwei anderenminimus min der Kleinsteposterior post hintererprofundus prof tiefsinister sin links vom Patienten aus nicht vom Betrachter superior sup oberersuperficialis superf oberflachlichventralis ventr vorn am Bauch bauchwartsHinweis Die in der zweiten und dritten Tabelle genannten lateinischen Adjektive treten in unterschiedlichen Formen auf abhangig vom grammatischen Geschlecht des Substantivs der Wortverbindung Die Adjektive werden den Substantiven so angepasst dass beide in KNG Kongruenz zueinander stehen Dabei kann sich die Endung andern Hier ist jeweils nur die mannliche Form der Adjektive angefuhrt Die weibliche Form des mannlichen medius beispielsweise ist media die sachliche medium Siehe auch BearbeitenLage und RichtungsbezeichnungenLiteratur BearbeitenHeinz Feneis Anatomisches Bildworterbuch der internationalen Nomenklatur 1967 2 Auflage 1970 4 Auflage 1974 Wolfgang Dauber Heinz Feneis Feneis Bild Lexikon der Anatomie 9 Auflage Thieme Stuttgart 2005 ISBN 3 13 330109 8 Ian Whitmore Hrsg Terminologia Anatomica International Anatomical Terminology Thieme Stuttgart 1998 ISBN 3 13 114361 4 Joseph Hyrtl Das Arabische und Hebraische in der Anatomie Wien 1879 Neudruck Wiesbaden 1966 Joachim Hermann Scharf Die nomina anatomica im System der Wissenschaftssprache im Wandel der Zeiten In Verhandlungen der anatomischen Gesellschaft Band 80 1986 S 27 73 Einzelnachweise Bearbeiten Jutta Kollesch Diethard Nickel Antike Heilkunst Ausgewahlte Texte aus dem medizinischen Schrifttum der Griechen und Romer Philipp Reclam jun Leipzig 1979 Reclams Universal Bibliothek Band 771 6 Auflage ebenda 1989 ISBN 3 379 00411 1 S 187 Adolf Fonahn Arabic and Latin anatomical terminology chiefly from the Middle Ages Oslo 1922 Videnskapsselskapets skrifter II historisk filosofisk Klasse 1921 Band 7 Vgl auch Gerhard Baader Die Antikerezeption in der Entwicklung der medizinischen Wissenschaft wahrend der Renaissance In Rudolf Schmitz Gundolf Keil Hrsg Humanismus und Medizin Acta humaniora Weinheim 1984 Deutsche Forschungsgemeinschaft Mitteilungen der Kommission fur Humanismusforschung Band 11 ISBN 3 527 17011 1 S 51 66 hier S 63 f a b Heiner Fangerau Hrsg Medizinische Terminologie 3 Auflage Lehmanns Media 2008 ISBN 978 3 86541 297 3 Karl Wilhelm Grabert Die Nomina anatomica bei den deutschen Wundarzten Hieronymus Brunschwig und Hans von Gersdorff ihre Beziehungen zu Guy de Chauliac und ihr Verhaltnis zu den Jenenser Nomina anatomica des Jahres 1935 Ein Beitrag zur Geschichte der anatomischen Nomenklatur mit einer Skizze uber das Leben das Werk und die Stellung der drei Autoren in der deutschen Anatomie und Chirurgie des Mittelalters Medizinische Dissertation Leipzig 1943 Gundolf Keil Robert Koch 1843 1910 Ein Essai In Medizinhistorische Mitteilungen Zeitschrift fur Wissenschaftsgeschichte und Fachprosaforschung Band 36 37 2017 2018 2021 S 73 109 hier S 99 a b c siehe Terminologia Vorwort zur TA nbsp Dieser Artikel wurde am 14 September 2005 in dieser Version in die Liste der lesenswerten Artikel aufgenommen Normdaten Sachbegriff GND 4125877 0 lobid OGND AKS Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Nomenklatur Anatomie amp oldid 234261360