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Die Massenstreikdebatte war neben dem Revisionismusstreit eine der zentralen Auseinandersetzungen innerhalb der deutschen Sozialdemokratie in der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg In ihr wurden die unterschiedlichen theoretischen und strategischen Ansichten der einzelnen Parteiflugel deutlich sichtbar Dabei konnte der Gewerkschaftsflugel auf dem Mannheimer Parteitag der SPD von 1906 mit dem so genannten Mannheimer Abkommen letztlich einen beachtlichen Erfolg erzielen Inhaltsverzeichnis 1 Debattenverlauf 2 Das Mannheimer Abkommen 3 Literatur 4 Weblinks 5 AnmerkungenDebattenverlauf BearbeitenMit dem Begriff Massenstreik ist in diesem Kontext kein einfacher Streik gemeint sondern die moglichst flachendeckende Arbeitsniederlegung mit einer politischen Zielsetzung Noch 1893 hatte Wilhelm Liebknecht auf dem sozialdemokratischen Parteitag geaussert der Generalstreik fur ein Land oder gar ein Weltstreik sei ein Unsinn und ein Schlagwort derer welche die Gesamtlage nicht ubersehen 1 Ein Jahrzehnt spater hatte sich diese Einschatzung jedoch gewandelt Ausgelost wurde der Disput durch den Streik der Bergleute im Ruhrbergbau an dem sich mindestens 200 000 Kumpel beteiligten sowie durch die Russische Revolution von 1905 und die dabei auftretenden Formen der politischen Auseinandersetzung Auch der italienische Generalstreik von 1904 und entsprechende Ausserungen der Internationale spielten eine Rolle Innerhalb der Sozialdemokratie wurde diskutiert ob man dieses Mittel nicht zur Abschaffung des Dreiklassenwahlrechts in Preussen oder gegen die Verschlechterung des Wahlrechts in Sachsen einsetzen konnte Rigoros abgelehnt wurde der Massenstreik von den freien Gewerkschaften die durch erwartete staatliche Repressionen um ihre Existenz furchteten Ihr Kolner Kongress beschloss 1905 mit breitester Mehrheit Den Generalstreik wie er von Anarchisten und Leuten ohne jegliche Erfahrung auf dem Gebiete des wirtschaftlichen Kampfes vertreten wird halt der Kongress fur indiskutabel er warnt die Arbeiterschaft sich durch die Aufnahme und Verbreitung solcher Ideen von der taglichen Kleinarbeit zur Starkung der Arbeiterorganisationen abhalten zu lassen 2 Theodor Bomelburg der Vorsitzende des Bauarbeiterverbandes erganzte Ungeheure Opfer hat es gekostet um den augenblicklichen Stand der Organisation zu erreichen Um aber unsere Organisation auszubauen brauchen wir in der Arbeiterbewegung Ruhe 3 Der Jenaer Parteitag der SPD im selben Jahr stimmte einem Antrag zu den Massenstreik einerseits als wirksames Kampfmittel zu werten um politische Angriffe auf die Arbeiterklasse abzuwehren andererseits ihn nicht als revolutionares Kampfmittel anzusehen Dieser Beschluss war ein Konsens zwischen den verschiedenen Parteistromungen Ihre Zustimmung gaben Rosa Luxemburg als Wortfuhrerin der entschiedenen Linken das Zentrum um die Parteifuhrer August Bebel sowie die Revisionisten um Eduard Bernstein Hinter dieser Formel verbargen sich freilich hochst unterschiedliche politische Ansatze Die erstaunliche Zustimmung von Bernstein zu einem letztlich aktionistischen Konzept erklart sich durch dessen Kritik am reinen Reformismus und der Organisationsroutine des Gewerkschaftsflugels Im Allgemeinen wird vielmehr mit einer gewissen Sorglosigkeit nach dem Motto Unser der Sieg trotz alledem Der Zukunft weitergewurstelt 4 Ausserdem setzte Bernsteins reformorientierte Politik ein demokratisches Wahlrecht voraus weshalb er gerade wegen seiner revisionistischen Haltung Massenstreiks zur Erzwingung von Wahlrechtsreformen befurwortete 5 Rosa Luxemburg dagegen orientierte sich primar am Vorbild der russischen Revolution Der gewerkschaftlichen Sorge um die Grenzen der Streikkassen setzte sie ein sehr optimistisches Bild entgegen Aber im Sturm der revolutionaren Periode verwandelt sich eben der Proletarier aus einem Unterstutzung heischenden vorsorglichen Familienvater in einen Revolutionsromantiker fur den sogar das hochste Gut namlich das Leben geschweige das materielle Wohlsein im Vergleich mit den Kampfidealen geringen Wert besitzt 6 Die revolutionare linke Position erwies sich recht bald als eine Fehleinschatzung der vorherrschenden Mentalitat der organisierten Arbeiter und konnte daher auch kaum Einfluss auf die innerparteiliche Willensbildung erzielen nbsp August BebelDas Mannheimer Abkommen BearbeitenSollte es nicht zum Bruch kommen wurde stattdessen ein Ausgleich zwischen dem Beschluss der Gewerkschaften und des Parteitages von 1905 notwendig In vertraulichen Kontakten gegen die Luxemburg und die Linke heftig protestierten versuchte der Parteivorstand mit den Gewerkschaften zu einer Einigung zu kommen Bebel formulierte dies auf dem Mannheimer Parteitag von 1906 unmissverstandlich Wir wollen vor allem Frieden und Eintracht zwischen Partei und Gewerkschaften herbeifuhren 7 Der Parteitag stimmte dem Antrag des Vorstandes zu dass politische Aktionen ohne aktiven Ruckhalt in den Gewerkschaften keine Aussicht auf Erfolg haben konnten Damit hatte nicht die Partei sondern die Generalkommission der Gewerkschaften in der Massenstreikfrage das letzte Wort Dies bedeutete faktisch eine klare Absage fur einen offensiven politischen Massenstreik 8 Der Parteitag verlief zwar hektisch und nervos endete aber mit einem Beschluss der faktisch einen Sieg der Gewerkschaften bedeutete Dieses spater so genannte Mannheimer Abkommen definierte uber die Frage des Massenstreiks hinaus die Rolle von Gewerkschaften und Partei neu Der Parteitag stimmte der Formulierung zu dass die Gewerkschaften an Wichtigkeit hinter der sozialdemokratischen Partei nicht zuruckstehen Ausserdem mit Blick auf einen Massenstreik wurde festgelegt Um bei Aktionen die die Interessen der Gewerkschaften und Partei gleichermassen beruhren ein einheitliches Vorgehen herbeizufuhren sollen die Zentralleitungen der beiden Organisationen sich zu verstandigen suchen 9 Die Niederlage der russischen Revolution hat zur nachlassenden Unterstutzung fur den politischen Generalstreik zweifellos stark beigetragen In dieser Entscheidung zeichnet sich nicht nur die Starke der in den letzten Jahren explosionsartig gewachsenen Gewerkschaften ab Vielmehr deutete sich hier eine Abkehr der Sozialdemokratie von den bisherigen revolutionaren Konzepten hin zur primar sozialreformerischen Ausrichtung wahrend der Weimarer Republik ab In Bremen war die Debatte ein Ausloser fur einen Radikalisierungsprozess der zum Entstehen der Bremer Linksradikalen fuhrte Die Massenstreikdebatte selbst spielte in den folgenden Jahren keine nennenswerte Rolle mehr Eine Ausnahme machte die internationale Ebene Auf dem Sozialistenkongress von 1907 in Stuttgart war das Problem ein zentrales Thema Im preussischen Wahlrechtskampf von 1910 blieb das Thema im Wesentlichen auf eine Schreibtischdebatte zwischen Rosa Luxemburg und Karl Kautsky beschrankt und im Jahr 1913 bestatigte der sozialdemokratische Parteitag die Linie von 1906 Literatur BearbeitenAntonia Grunenberg Hg Die Massenstreikdebatte Beitrage von Parvus Rosa Luxemburg Karl Kautsky und Anton Pannekoek Frankfurt 1970 Helge Dohring Hg Abwehrstreik Proteststreik Massenstreik Generalstreik Streiktheorien und diskussionen innerhalb der deutschen Sozialdemokratie vor 1914 Grundlagen zum Generalstreik mit Ausblick Edition AV Lich 2009 ISBN 978 3 86841 019 8 Ralf Hoffrogge Sozialismus und Arbeiterbewegung in Deutschland Von den Anfangen bis 1914 Schmetterling Verlag Stuttgart 2011 ISBN 3 89657 655 0 Klaus J Becker Jens Hildebrandt 100 Jahre Mannheimer Abkommen Zur Geschichte von SPD und Gewerkschaften Ludwigshafen 2006 ISBN 978 3 938031 21 6 Peter Losche Kleine Geschichte der deutschen Parteien Stuttgart 1993 ISBN 3 17 010036 X Detlef Lehnert Sozialdemokratie zwischen Protestbewegung und Regierungspartei 1848 1983 Frankfurt 1983 ISBN 3 518 11248 1 Helga Grebing Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung Ein Uberblick Munchen 1966 Klaus Schonhoven Die Gewerkschaften als Massenbewegung im Wilhelminischen Kaiserreich 1890 bis 1918 In Klaus Tenfelde u a Geschichte der deutschen Gewerkschaften Von den Anfangen bis 1945 Koln 1987 ISBN 3 7663 0861 0 Franz Osterroth Dieter Schuster Chronik der deutschen Sozialdemokratie Bd 1 Bis zum Ende des Ersten Weltkrieges Berlin Bonn 1975 S 117 120 S 123f Dieter Dowe Hrsg Uneins aber einig Zur Geschichte des Verhaltnisses von SPD und Gewerkschaften Eine Ausstellung der Friedrich Ebert Stiftung zum 100 Jahrestag des Mannheimer Abkommens 1906 Bonn 2006 ISBN 978 3 89892 585 3 Rosa Luxemburg Massenstreik Partei und Gewerkschaften Hamburg Verlag von Erdmann Dubber Hamburg 1906Weblinks BearbeitenKurzdarstellung des Mannheimer Abkommens von ver di Der Parteitag von Mannheim In Franz Osterroth Dieter Schuster Chronik der deutschen Sozialdemokratie Online Ausgabe Rede von Rosa Luxemburg auf dem Mannheimer ParteitagAnmerkungen Bearbeiten zit nach Schonhoven S 239 zit nach Lehnert S 102 zit nach Grebing S 121f zit Lehnert S 102 Vgl Ralf Hoffrogge Sozialismus und Arbeiterbewegung in Deutschland von den Anfangen bis 1914 S 155 156 zit nach Lehnert S 103 zit nach Lehnert S 103 Vgl Hoffrogge Sozialismus und Arbeiterbewegung S 157 zit nach Grebing S 121 Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Massenstreikdebatte amp oldid 231106489