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Locus amoenus lateinisch fur lieblicher Ort ist ein literarischer Topos das Hauptmotiv der idealisierenden Naturschilderung von der romischen Kaiserzeit bis zum 16 Jahrhundert Beschrieben wird ein ideal schoner Naturausschnitt zu dem gewohnlich ein lichter Hain und eine Quelle oder ein Bach gehoren oft auch Blumen und Vogelgesang Das Gegenstuck ist der locus terribilis der schreckliche Ort Thomas Eakins Arcadia ca 1883Dargestellt wird der locus amoenus mit den Metaphern von Fruhling oder Sommer und einer fruchtbaren oder lebendigen Gegend wie einem Garten oder einer lieblichen Wiese Er bietet haufig den Schauplatz fur das Zusammentreffen Liebender Als Gegenpol ist der locus terribilis dem Winter und einer oden oder toten Gegend wie dem Gebirge der Wuste der Wildnis allgemein aber auch Schluchten und Felsen zugeordnet Er ist der Ort der Liebesklage der geistlichen Weltabkehr oder der Melancholie Inhaltsverzeichnis 1 Der locus amoenus in der Literatur und Kunst der Antike 2 Der locus amoenus in der Literatur des Mittelalters 2 1 Der locus amoenus in der hofischen Literatur 2 2 Der locus amoenus in der Heldenepik 3 Der locus amoenus in der Dichtung des 17 und 18 Jahrhunderts 4 Literatur 5 Weblinks 6 FussnotenDer locus amoenus in der Literatur und Kunst der Antike BearbeitenDer antike locus amoenus wird durch die Kombination von als angenehm oder erfreulich angesehenen Einzelzugen eines Ortes bestimmt ein kuhler Brunnen eine blumenreiche Wiese ein schattiger Baum usw Unter anderem spielt der locus amoenus im Mythos des goldenen Zeitalters und in Verbindung mit dem damit zusammenhangenden Motiv des Tierfriedens eine Rolle In der antiken Literatur lasst sich eine kontinuierliche Entwicklung des Motives feststellen die von der bukolischen Dichtung Theokrits uber die Elysischen Felder des romischen Dichters Vergil bis hin zu den Paradies Schilderungen der christlichen Dichter reicht In der bildenden Kunst bevorzugte man zur Darstellung des locus amoenus idealisierte Fluss oder Meeresszenen wobei ein Schwerpunkt auf Szenen lag die sich am Nil abspielten Eine andere Form der Darstellung waren paradiesische Szenen die von Hirten bevolkert wurden wie sie in der bukolischen Dichtung beschrieben wurden Als Ausdruck des Wunsches nach Frieden und Gluck verbreitete sich das Motiv in wirtschaftlich und politisch unruhigen Zeiten der Spatantike nicht nur innerhalb der dekorativen Kunst sondern loste im 3 Jahrhundert auch in der Ausstattung von Grabern die mythologischen Themen ab Die fruhchristliche Kunst ubernahm das Motiv ebenfalls wie noch auf den Zeichnungen zum Kuppelmosaik der um 350 erbauten Kirche Santa Costanza in Rom zu sehen ist die eine Uferlandschaft unter alttestamentlichen Szenen zeigt Vermutlich hatte auch das mittelalterliche Apsis Mosaik der Kirche St Clemente in Rom ein ahnliches spatantikes Vorbild Der locus amoenus in der Literatur des Mittelalters BearbeitenDas Grundschema des locus amoenus ubernahmen die mittelalterlichen Dichter aus der Antike aber sie unterwarfen das Motiv vielfaltigen Umgestaltungen und verwendeten es auf eigenstandige Art und Weise Beibehalten wurde aber der locus amoenus als Topos und nicht wirklichkeitsgetreue Schilderung eines tatsachlichen Ortes oder einer existierenden Landschaft Der fruhmittelalterliche Autor Isidor von Sevilla definierte den locus amoenus in seinen Etymologiae ausdrucklich als einen Ort der nicht wirtschaftlich genutzt wird sondern allein der Lust und der Liebe diene Ebenso beschrieb ihn Rabanus Maurus in seiner Enzyklopadie De universo Beide Autoren stutzten sich dabei auf den Aeneis Kommentar des romischen Grammatikers Servius 1 Matthaus von Vendome gestorben wohl Ende des 12 Jahrhunderts ein hochmittelalterlicher Gelehrter der Dichtkunst gab in seinem Werk Ars versificatoria mit Beispielen aus der antiken und zeitgenossischen Dichtung ein Muster fur die Beschreibung der Natur in der lateinischen und volkssprachlichen Dichtung vor Der locus amoenus in der hofischen Literatur Bearbeiten In die mittelhochdeutsche Dichtung ist das Motiv uber die Vermittlung durch die altfranzosische Dichtung gelangt Die erste volkssprachliche Schilderung eines locus amoenus durfte im Alexanderlied des Pfaffen Lamprecht vorliegen das eine Ubertragung des provenzalischen Roman d Alexandre von Alberich von Besancon ist Hier wird der locus amoenus durch die Attribute walt scate blumen unde gras scone ouwen edilir brunnen und gruner cle Alexanderlied Vers 5162 ff also Wald Schatten Blumen und Gras schone Auen edler Brunnen und gruner Klee charakterisiert Zwischen 1190 und 1200 ubertrug Herbort von Fritzlar den wohl gegen 1165 entstandenen Trojaroman Estoire de Troie des Benoit de Sainte Maure in die mittelhochdeutsche Sprache Auch hier finden sich zwei Landschaftsschilderungen die an einen locus amoenus erinnern So findet das Urteil des Paris Trojaroman Vers 2179 ff an einem Ort statt der mit einem Baum der breiten Schatten wirft und einem Brunnen der von einem klaren und kalten Bach wezzerline gespeist wird ausgestattet ist Die Schilderung des Amazonenlandes tragt ebenfalls die Attribute eines locus amoenus Vers 23 314 ff Auf Wiesen und Auen fliessen viele Bache es gibt reine Brunnen wohlgestaltete grune Walder mit grossen Baumen schone Blumen und Vogelgesang In den Dichtungen um Konig Artus Hartmanns von Aue wird der locus amoenus zum Austragungsort beziehungsweise Ausgangspunkt einer Aventiure also der ritterlichen Bewahrung Als einen Ort des gemeinsamen Lebens zweier Liebender schildert Hartmann in seinem um 1180 90 entstandenen Erec einer freien Ubertragung des altfranzosischen Erec et Enide von Chretien de Troyes den Baumgarten in dem der Ritter Mabonagrin mit seiner Dame lebt Vers 8715 ff Es wachsen dort vielerlei Arten von Obstbaumen die auf der einen Seite Obst tragen auf der anderen aber bluhen Der Garten ist vollstandig mit bunten und duftenden Blumen und Gras bewachsen und der Gesang der Vogel ist herrlich In seinem wohl um das Jahr 1200 herum entstandenen Iwein einer Ubertragung des altfranzosischen Yvain von Chretien de Troyes ist der Zauberbrunnen der Ort an dem die Aventiure beginnt mit fast allem ausgestattet was einen locus amoenus ausmacht Vers 568 ff Der Brunnen ist kalt und rein weder Regen Sonne noch der Wind konnen ihm etwas anhaben denn er wird von einer breiten hohen und dichten Linde beschattet Spater Vers 606 ff wird erwahnt dass die Linde von Vogeln bevolkert ist die so schon singen dass jeder traurige Mensch umgehend seine Trauer vergisst Im Iwein und im Erec tragt der locus amoenus deutliche Zuge des Wunderbaren und Marchenhaften Im Iwein wird die Aventiure in Gang gesetzt indem der Ritter mit einem goldenen Becken Brunnenwasser auf einen Stein giesst Daraufhin bricht ein gewaltiges Unwetter aus das die Idylle zu vernichten droht Aber nachdem das Unwetter sich verzogen hat kehren die Vogel auf die Linde zuruck und stimmen wieder ihren Gesang an Im Erec lebt ein Ritter auf Wunsch seiner Dame mit ihr in vollkommener Abgeschiedenheit was dem Ideal widerspricht dass nur an einem Hof gemeinsam mit anderen hoves vreude die Freuden des hofischen Lebens erlebbar sind und der Baumgarten ist mit einer Wolke umgeben die niemand ausser er wird von Konig Ivreins uber einen engen Pfad in den Garten gefuhrt durchdringen kann Zudem gibt es vor dem Garten einen Platz mit Pfahlen aus Eiche auf die Mabonagrain die Kopfe seiner besiegten Feinde gespiesst hat Trotz dieses furchterregenden Details aber wird der Garten mit dem Paradies verglichen Vers 9541 ff wir haben hie besezzen das ander paradise und Hartmann betont dass im Garten jeder Kummer sofort vergeht Vers 8735 ff swer mit herzeleide waere bevangen kaeme er dar in gegangen er mueste ir da vergezzen Wer schweren Herzens ist vergisst seinen Kummer sofort wenn er ihn betritt Hier wird das idyllische Leben zweier Liebender in angenehmer Umgebung wirkungsvoll mit dem Schrecken der aufgespiessten Menschenkopfe und der Unzuganglichkeit des Ortes kontrastiert Noch unzuganglicher ist die sogenannte Minnegrotte in der um 1210 entstandenen Dichtung uber Tristan und Isolde von Gottfried von Strassburg Fast zwei Tage dauert die Reise durch die Wildnis bis die Liebenden an einer Hohle angelangen die Tristan nur durch Zufall bei einer Jagd gefunden hatte Dieser Ort tragt alle Kennzeichen eines locus amoenus Vers 16 730 ff Drei Linden stehen direkt vor der Tur der Grotte der Berg selbst ist mit schattenspendenden Baumen umgeben in der Nahe entspringt eine erfrischende Quelle grunes Gras und leuchtende Blumen bedecken den Boden Die Idylle wird komplettiert durch den angenehmen Gesang der Vogel und laue Winde Zugleich ist dieser Ort von einem locus terribilis umgeben Vers 16 761 ff von disem berge und disem hol so was ein tageweide wol velse ane gevilde und wuste unde wilde dar enwas dekein gelegenheit an wegen noch stigen hin geleit Wohl eine Tagesreise weit waren dieser Berg und diese Hohle nur von Felsen und Wildnis umgeben Weder ein Weg noch ein Steg fuhrten dorthin Dennoch gewinnt die Landschaft keinen Eigenwert Ihre Funktion besteht darin das Erleben des Menschen zu spiegeln 2 Der locus amoenus in der Heldenepik Bearbeiten In der mittelhochdeutschen Heldenepik gibt es mehrfach Orte die Zuge eines locus amoenus tragen Hier ist der Ort nicht mehr Schauplatz einer Begegnung von Liebenden sondern ausschliesslich Ausgangs oder Zielort fur eine Aventiure Zudem ist die Schilderung dieser Orte haufig schematisch und nur auf wenige Attribute des locus amoenus reduziert Josef Billen unterscheidet drei verschiedene stilistische Ausgestaltungen des locus amoenus Den statischen locus amoenus mit geringem Inventar der in rein additiver Technik aufgebaut ist Beispiel Wolfdietrich A die Auflosung der statischen Schilderung in der die Additionstechnik von Wegschilderung und Reflektierung der Landschaftselemente durch menschliche Sinneswahrnehmung abgelost ist Beispiel Ortnit und den ruinosen locus amoenus der nur noch den Schauplatz der Handlung markiert und nur noch funktionalen Wert hat Beispiel Nibelungenlied 3 Im sogenannten Wolfdietrich A einer heldenepischen Dichtung die wohl im ersten Drittel des 12 Jahrhunderts entstanden ist reitet der Ritter Wolfdietrich funf Tage durch die Wildnis bis er an einem Meeresstrand angelangt Auf diesem Strand findet er eine Linde und einen Anger der von Blumen und Gras so hoch bewachsen ist dass diese Wolfdietrich bis an den Gurtel reichen Rosen und Klee so erganzt der Dichter dufteten suss Dieser Ort wird jedoch von Wolfdietrich nur unter pragmatischen Aspekten betrachtet Vers 467 3 ff 4 got hat minem rosse weide alhie beschert mir ist vil deste sanfter daz ez sich ernert Gott hat hier meinem Ross eine Weide bereitet mir ist es sehr angenehm dass es sich hier ernahren kann Hier ist der locus amoenus umschlossen von zwei der Wildnis zugehorigen Attributen Der als bedrohlich geschilderten Meeresbrandung Wolfdietrich hort sogar die Stimme Lucifers darin schreien und einer Steinwand In den Erzahlungen aus dem Sagenkreis um Dietrich von Bern erreicht der Ritter Ortnit nach einem Ritt durch die Wildnis in der Nahe des Gardasees eine Aue auf der Blumen und Klee wachsen und die vom schonen Gesang der Vogel erfullt ist Der Boden ist zudem mit Gras bewachsen und unter einer Steinwand findet er einen kuhlen Brunnen und eine angenehm duftende Linde die von singenden Vogeln bevolkert ist Vers 88 92 5 Die Schilderung des Ortes erfolgt hier sozusagen durch die Augen Ortnits der Ort wird nicht durch eine Aufzahlung der Attribute beschrieben sondern dem Leser Horer wird die Schonheit des Ortes uber Ortnits Sinneseindrucke vermittelt Nur noch uber vereinzelt im Text verstreute Hinweise lasst sich der Ort der Ermordung Sigfrids durch Hagen im Nibelungenlied als locus amoenus erahnen Nibelungenlied B Strophe 979 988 1 Hier befindet sich unter einer Linde eine Quelle die kuhles reines und gutes Wasser fuhrt Am Ende der Szene erzahlt der Dichter noch dass Sigfrid in die bluomen fiel Im Nibelungenlied wird so der liebliche zum Verweilen einladende Ort zum Schreckensort zum Ort des Todes Der locus amoenus in der Dichtung des 17 und 18 Jahrhunderts BearbeitenIm 18 Jahrhundert wurde in der Dichtung der klassische Topos des locus amoenus mit der Schaferdichtung wieder aufgenommen Er wurde vor allem zu deren Hochzeit im Barock und Rokoko als Ort der Liebe und der Dichtung besungen In einer christlichen Umdeutung wurde er mit dem Garten Eden assoziiert Zugleich wurden auch die zuvor als erschreckend bewerteten Orte wie das Gebirge oder die Wildnis als erhabene Natur empfunden und beschrieben Das Interesse richtete sich zunehmend auf die wilde und unbezahmte Natur und verlagerte sich so vom locus amoenus zum locus terribilis als Ideallandschaft in der Dichtung Heinrich von Kleist siedelt sein Dramolett Der Schrecken im Bade 1808 in einem Idyll locus amoenus an Die Szene Anmutige Gegend in Goethes Faust II beruft sich auf die Tradition des locus amoenus wohingegen Schillers Elegie Der Spaziergang und Friedrich Holderlins Gedicht Halfte des Lebens Beispiele fur das Nebeneinander von locus amoenus und locus terribilis sind Literatur BearbeitenAntike Karin Schlapbach Locus amoenus In Reallexikon fur Antike und Christentum Band 23 Hiersemann Stuttgart 2010 ISBN 978 3 7772 1013 1 Sp 231 244 Gerhard Schonbeck Der Locus amoenus von Homer bis Horaz Heidelberg 1962 Dissertation Mittelalter Josef Billen Baum Anger Wald und Garten in der mittelhochdeutschen Heldenepik Munster Westfalen 1965 Dissertation Ernst Robert Curtius Europaische Literatur und lateinisches Mittelalter 9 Auflage Bern Munchen 1977 Kapitel 10 Die Ideallandschaft Rainer Gruenter Das wunnecliche tal In Euphorion 55 1961 S 341 404 zu Gottfrieds von Strassburg Tristan und Isolde Gertrud Hohler Der Kampf im Garten Studien zur Brandigan Episode in Hartmanns Erec In Euphorion 68 1974 S 371 419 Dagmar Thoss Studien zum locus amoenus im Mittelalter Wiener romanistische Arbeiten Band 10 Braumuller Wien Stuttgart 1972 ISBN 3 7003 0027 1Neuzeit Klaus Garber Der locus amoenus und der locus terribilis Bild und Funktion der Natur in der deutschen Schafer und Landlebendichtung des 17 Jahrhunderts Literatur und Leben Neue Folge Band 16 Koln Wien 1974 ISBN 3 412 01874 0Weblinks BearbeitenJ W Goethe Faust Der Tragodie zweiter Teil I Akt Anmutige Gegend im Projekt Gutenberg DE Friedrich von Schiller ElegieFussnoten Bearbeiten Josef Billen Baum Anger Wald und Garten in der mittelhochdeutschen Heldenepik Munster Westfalen 1965 S 40 f Josef Billen S 34 Josef Billen S 53 f nach der Ausgabe Ortnit und die Wolfdietriche nach Mullenhoffs Vorarbeiten herausgegeben von Arthur Amelung und Oskar Janicke Deutsches Heldenbuch III Berlin 1871 nach der Ausgabe Ortnit und die Wolfdietriche nach Mullenhoffs Vorarbeiten herausgegeben von Arthur Amelung und Oskar Janicke Deutsches Heldenbuch III Berlin 1871 Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Locus amoenus amp oldid 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