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Die Legende vom toten Soldaten zuerst erschienen unter dem Titel Ballade vom toten Soldaten ist eines der bekanntesten Gedichte von Bertolt Brecht Es beschreibt wie ein gefallener Soldat wieder ausgegraben fur tauglich erklart und in einem grotesken Maskenzug erneut in den Krieg gefuhrt wird Das Gedicht ist vermutlich 1917 oder 1918 entstanden und wurde zuerst 1922 im Anhang des Erstdrucks von Brechts Drama Trommeln in der Nacht veroffentlicht 1927 nahm Brecht die Legende in seine Gedichtsammlung Bertolt Brechts Hauspostille auf Inhaltsverzeichnis 1 Entstehung und Textgeschichte 2 Handlung und formaler Bau 3 Vertonung 4 Auffuhrungen und Rezeption 5 Aktualisierende Inszenierung von 1989 6 Ausgaben 7 Literatur 8 Weblinks 9 EinzelnachweiseEntstehung und Textgeschichte BearbeitenBrecht selbst hat zwei verschiedene Angaben zur Entstehungszeit der Legende gemacht In seinen Journalen 1935 spricht er vom Kriegesjahr 1917 in einem Typoskript aus dem Nachlass nennt er das Jahr 1918 1 Ein Autograph gibt es nicht so dass diese Frage nur schwer zu entscheiden ist Das Gedicht war von vornherein fur den Gesangsvortrag bestimmt Brecht hat es auch bereits vor dem Erstdruck mehrmals vor Publikum zur Gitarre gesungen In seinem 1922 uraufgefuhrten Drama Trommeln in der Nacht kam das Lied erstmals einer breiten Offentlichkeit zu Ohren dort wird es im vierten Akt in einer Schnapsdestille von dem Schankwirt Glubb als Moritat vom toten Soldaten zur Klampfe vorgetragen 2 Zuerst gedruckt wurde das Lied unter dem Titel Die Ballade vom toten Soldaten im Anhang des Erstdrucks von Trommeln in der Nacht im Dezember 1922 Es erhielt dort eine Widmung Zum Gedachtnis des Infanteristen Christian Grumbeis geboren den 11 April 1897 gestorben in der Karwoche 1918 in Karasin Sud Russland Friede seiner Asche Er hat durchgehalten In dieser Form nahm auch das Deutsche Theater Berlin die Ballade in sein Programmheft der Berliner Erstauffuhrung am 20 Dezember 1922 auf Der Widmungstrager ist offensichtlich fiktiv ein Christian Grumbeis konnte nicht identifiziert werden Jurgen Hillesheim vermutet dass es sich hier um eine verschlusselte Anspielung auf Brechts Freund Caspar Neher handelt dessen Geburtsdatum mit dem von Grumbeis identisch ist 3 Als Brechts Gedichtsammlung Hauspostille nach langer Verzogerung 1926 in einem Privatdruck unter dem Titel Taschenpostille und 1927 beim Propylaen Verlag als Bertolt Brechts Hauspostille endlich erschien bildete die Legende vom toten Soldaten nunmehr unter ihrem endgultigen Titel einen Teil der Lektion 5 Die kleinen Tagzeiten der Abgestorbenen Es gibt nur minimale Textvarianten die Widmung wurde gekurzt in die Einleitung des Gedichtbands Anleitung zum Gebrauch der einzelnen Lektionen integriert Der Gedichtband enthielt einen Notenanhang in dem erstmals auch eine Melodie fur den Gesangsvortrag veroffentlicht wurde Sie stammt vermutlich von Brecht selbst 1934 erschien die Legende vom toten Soldaten erneut in dem Band Lieder Gedichte Chore den Brecht gemeinsam mit dem Komponisten Hanns Eisler im Pariser Exilverlag Editions du Carrefour herausbrachte Der Text wich wiederum leicht von den fruheren Drucken ab die einzige wesentliche Veranderung betraf die zeitliche Einordnung des Geschehens Die ersten beiden Verse lauteten im Erstdruck und der Hauspostille Und als der Krieg im funften Lenz keinen Ausblick auf Frieden bot was zunachst eher das Jahr 1919 nahelegt obwohl wahrscheinlich 1918 gemeint war in Lieder Gedichte Chore wird dies auf den vierten Lenz geandert Der Notenanhang dieser Veroffentlichung enthielt nur Vertonungen durch Eisler so dass Noten fur die Legende fehlten Handlung und formaler Bau BearbeitenDas Gedicht ist der Gattung Ballade zuzuordnen es handelt sich also um ein erzahlendes Gedicht Zugrunde liegt folgende Handlung Ein Soldat stirbt gegen Ende des Krieges im vierten bzw funften Lenz den Heldentod Doch weil er noch benotigt wird grabt ihn im Sommer eine militar ische arztliche Kommission wieder aus Sie erklart ihn fur kriegstauglich verabreicht ihm einen feurigen Schnaps und zieht mit ihm erneut in den Krieg begleitet von zwei Schwestern einem halb entblossten Weib einem Pfaffen zwei Sanitatern und einem Herrn im Frack Alle jubeln ihm zu der Soldat selbst aber ist gar nicht mehr zu sehen Und wenn sie durch die Dorfer ziehn Kommt s dass ihn keiner sah So viele waren herum um ihn Mit Tschindra und Hurra Und obwohl der Soldat bereits verwest ist hat er das Marschieren nicht verlernt Er zieht in den Heldentod so wie er es gelernt hat Im Text wird kein konkreter Krieg genannt ebenso wenig wie ein genauer Zeitpunkt und Ort Durch die Widmung und zahlreiche Realien im Text wird aber deutlich dass es sich um einen deutschen Soldaten im vorletzten oder letzten Jahr des Ersten Weltkriegs handelt Zu diesen Realien gehoren der deutsche Kaiser die Abkurzung k v fur kriegsverwendungsfahig die Farben schwarz weiss rot die dem Soldaten auf sein Leichenhemd gemalt werden und die Erwahnung Frankreichs als Feind Die Katzen und die Hunde schrein Die Ratzen im Feld pfeifen wust Sie wollen nicht franzosisch sein Weil das eine Schande ist Das Gedicht besteht aus 19 Strophen zu je vier Versen Reim und Versmass sind auffallend wechselhaft In allen Strophen reimen sich jeweils der zweite und vierte Vers in den meisten auch der erste und der dritte jedoch nicht in allen Oft sind die Reime unrein wust ist schon sehn was in einem Fall noch durch ein hartes Enjambement verscharft wird Der Sommer zog uber die Graber her Und der Soldat schlief schon Da kam eines Nachts eine militar ische arztliche Kommission Von der metrischen Grundanlage her sind die ersten und dritten Verse jeweils vierhebig die zweiten und vierten Verse dreihebig zu Beginn steht gewohnlich eine Senkung am Ende meist eine Hebung so dass sich durchweg einsilbige Reime mannlicher Reim ergeben Dieses Grundmuster das der Chevy Chase Strophe entspricht 4 wird aber sehr unterschiedlich gefullt und gelegentlich sogar uberschritten so dass die Verse in der Lange ganz erheblich variieren 1939 kam Brecht selbst in einer theoretischen Schrift dem Aufsatz Uber reimlose Lyrik mit unregelmassigen Rhythmen noch einmal auf die rhythmische Struktur der Legende vom toten Soldaten zuruck Der Aufsatz wurde publiziert in der in Moskau erscheinenden Exilzeitschrift Das Wort zu deren Herausgebern Brecht zahlte Einleitend berichtet Brecht Mitunter wurde mir wenn ich reimlose Lyrik veroffentlichte die Frage gestellt wieso ich dazu kame so was als Lyrik auszugeben Gegen den darin implizierten Vorwurf verteidigte er sich mit dem Argument auch unregelmassige Rhythmik konne durchaus systematisch rhythmisch akzentuiert sein Als Beispiel aus seiner fruhen noch durchweg gereimten Lyrik fuhrt Brecht die jeweils zweiten Verse der 19 Strophen der Legende an Es gebe in diesem Gedicht nicht weniger als neun verschiedene Rhythmisierungen dieser dreihebigen Verszeile 5 Vertonung BearbeitenBrechts eigene Vertonung der Ballade basiert auf sehr einfachen Mustern wie die meisten seiner Eigenkompositionen In d Moll stehend endet sie auf der V Stufe mit einem A Dies ergibt einen offenen Schluss der funktional als dominantisch zu verstehen ware Erst der Beginn der nachsten Strophe fuhrt zum Grundton zuruck es wird standig ein Bedurfnis nach einer neuen Strophe geweckt 6 Die Melodie bewegt sich durchweg im Quintraum Es gibt zwei Varianten In der Taschenpostille beginnt sie auf der II Stufe springt nach dem Auftakt sogleich zur V Stufe und sinkt dann bis zum Ende des zweiten Verses wieder zur II Stufe die zweite Halfte jeder Strophe ist parallel gebaut springt am Ende aber zuruck auf die V Stufe In der Hauspostille beginnt sie dagegen mit dem Grundton selbst so dass sofort ein Quintsprung folgt Der auftaktige Sechs Achtel Takt lasst viel Raum fur die starken rhythmischen Variationen des Texts Der hohe Schlusston des offenen Endes der einen ganzen Takt lang ausgehalten wird erlaubt dem Sanger eine besondere Betonung des letzten Reimworts So erinnerte sich Bernhard Reich an einen Gesangsvortrag Brechts Bei dem Wort Heldentod hielt er einige Sekunden das o hoch damit das freche o auch gut von allen Seiten gesehen werde 7 Ernst Busch der bekannteste Interpret des Stucks hat auf Schallplattenaufnahmen eine etwas erweiterte und abwechslungsreichere Fassung dieser Melodie verwendet Er variiert in jeder zweiten Strophe die erste Zeile Sie beginnt bereits auf der V Stufe und geht noch bis zum C nach oben um wieder auf dem A zu enden Zudem wird die Harmoniumsbegleitung je nach den wechselnden Rhythmen variiert 8 Vermutlich stammt dieses Arrangement von Ernst Busch selbst Kurt Weill hat 1929 eine Komposition der Legende fur vierstimmigen Chor a cappella vorgelegt in schlicht syllabisch homophonem Satz offenbar in erster Linie fur Laienchore gedacht 9 Erhalten ist im Ernst Busch Archiv zudem ein Titelblatt von ca 1958 das auf eine Bearbeitung Hanns Eislers in 17 Variationen fur Klavier und Schlagzeug hinweist Diese Bearbeitung ist aber nicht uberliefert 10 Auffuhrungen und Rezeption BearbeitenBrecht hat die Legende bei verschiedenen Anlassen vor Publikum gesungen Arnolt Bronnen beschreibt wie er das Lied bei einer Gesellschaft im Berliner Haus von Otto Zarek 1921 gehort hat im Januar 1922 sang Brecht es bei einem von Zarek vermittelten Auftritt auf Trude Hesterbergs Wilder Buhne und loste damit einen Skandal im Publikum aus Spater trug es Ernst Busch im Berliner Kabarett Larifari vor das von Rosa Valetti geleitet wurde Die Legende wurde von der politischen Rechten unmittelbar als beleidigender Angriff auf den deutschen Frontsoldaten empfunden wahrend zahlreiche Kunstkritiker und Intellektuelle sowie generell die politische Linke sie als eines der eindrucksvollsten Gedichte Brechts bewerteten Der Berliner Lokalanzeiger bewertete den Abdruck im Programmheft des Deutschen Theaters als grobe Taktlosigkeit 11 Beim Hitlerputsch im November 1923 soll die Legende auf dem funften Platz einer schwarzen Liste der Putschisten gestanden haben 12 Noch die Ausburgerung Brechts am 8 Juni 1935 begrundete das nationalsozialistische Regime unter anderem so Seine Machwerke in denen er unter anderem den deutschen Frontsoldaten beschimpft zeugen von niedrigster Gesinnung 13 Hingegen feierte Kurt Tucholsky das Werk in seiner Rezension der Hauspostille als lyrische Leistung grossen Stils 14 Alexander Abusch der ansonsten die Hauspostille eher kritisch bewertete sah in der Legende einen glanzenden Ansatz zu einer Dichtung des Klassenkampfes 15 Hannah Arendt nannte es das einzige Kriegsgedicht des Ersten Weltkrieges das in die deutsche Literatur gehort 16 Aktualisierende Inszenierung von 1989 BearbeitenAnalog zu den Inszenierungen des Anachronistischen Zugs war 1985 auch eine Inszenierung der Legende vom toten Soldaten als kulturelles Beiprogramm zu 30 Jahren Bundeswehr im Jahr 1985 geplant Aufgrund von Bedenken verschiedener staatlicher Institutionen verzogerte sich die Durchsetzung der Inszenierung um vier Jahre Wahrend dieser Zeit wurden in vielen Stadten offentliche Probeauffuhrungen durchgefuhrt erst am 1 September 1989 dem 50 Jahrestag des Beginns des Zweiten Weltkrieges wurde die Inszenierung abgeschlossen Der im Ersten Weltkrieg gefallene deutsche Soldat wird in Verdun ausgegraben Eine arztliche Kommission befindet ihn kriegsverwendungsfahig Er bekommt die Uniform der Wehrmacht verpasst und zieht in den Zweiten Weltkrieg Der im Zweiten Weltkrieg erneut gefallene deutsche Soldat wird auf dem SS Friedhof in Bitburg ausgegraben Der Soldat hat ein Leichentuch mit Hakenkreuz an und wird der Offentlichkeit vorgestellt Im nicht weit entfernten Andernach vor der ersten Kaserne der Bundeswehr bekommt der erneut ausgegrabene Soldat eine neue Uniform die Uniform der Bundeswehr Ein Darsteller in der Maske Helmut Kohls ubergibt ihm ein Gewehr Auf dem Rhein unter den Klangen von Richard Wagners Siegfrieds Trauermusik wird der Soldat in die Bundeshauptstadt Bonn uberfuhrt In Bonn nimmt der Soldat an einer Kundgebung der Friedensbewegung teil Das Gewehr das sie mir umgehangt haben sagt er lasse ich bei Euch Am Ende steigt er in sein eigenes Grab Ausgaben BearbeitenTrommeln in der Nacht Drei Masken Verlag Munchen 1922 Anhang Taschenpostille Privatdruck im Kiepenheuer Verlag Berlin 1926 Hauspostille Propylaen Berlin 1927 Lieder Gedichte Chore mit Hanns Eisler Editions du Carrefour Paris 1934 Grosse kommentierte Berliner und Frankfurter Ausgabe Band 1 Stucke 1 S 230 232 Anhang zu Trommeln in der Nacht Grosse kommentierte Berliner und Frankfurter Ausgabe Band 11 Gedichte 1 S 112 115 Hauspostille S 199 201 Lieder Gedichte Chore Brecht Liederbuch S 8 9 Fassung Taschenpostille mit Satz von Kurt Schwaen S 10 11 Arrangement Ernst Busch mit Satz von Kurt Schwaen Literatur BearbeitenGrosse kommentierte Berliner und Frankfurter Ausgabe Band 1 Stucke 1 S 549 567 Kommentar zu Trommeln in der Nacht Grosse kommentierte Berliner und Frankfurter Ausgabe Band 11 Gedichte 1 S 299 324 Kommentar zu Hauspostille speziell S 322 323 S 364 385 Kommentar zu Lieder Gedichte Chore Brecht Liederbuch Suhrkamp Frankfurt 1984 S 360 365 Kommentar Albrecht Dumling Lasst euch nicht verfuhren Brecht und die Musik Munchen 1985Weblinks BearbeitenBilder der Inszenierung von 1989Einzelnachweise Bearbeiten Bertolt Brecht Grosse kommentierte Berliner und Frankfurter Ausgabe Gedichte 1 Suhrkamp Frankfurt S 322 Bertolt Brecht Grosse kommentierte Berliner und Frankfurter Ausgabe Stucke 1 Suhrkamp Frankfurt S 211 Jurgen Hillesheim Bertolt Brechts Augsburger Geschichten Verlagsgemeinschaft Augsbuch Augsburg 2005 S 73ff Fritz Hennenberg Hg Brecht Liederbuch Suhrkamp Frankfurt 1984 S 363 Hier zitiert nach der Zweitveroffentlichung in Bertolt Brecht Versuche Heft 12 Aufbau Berlin 1953 S 143 147 das wortliche Zitat steht auf S 143 Brecht ordnet den Aufsatz dem theoretischen Teil des 23 Versuchs zu der Probleme der Lyrik behandelt ebd S 141 Fritz Hennenberg Hg Brecht Liederbuch Suhrkamp Frankfurt 1984 S 363 Bernhard Reich Im Wettlauf mit der Zeit Erinnerungen aus funf Jahrzehnten deutscher Theatergeschichte Henschelverlag Berlin 1970 S 297f hier zitiert nach Hennenberg Brecht Liederbuch S 363 Fritz Hennenberg Hg Brecht Liederbuch Suhrkamp Frankfurt 1984 S 363 Fritz Hennenberg Hg Brecht Liederbuch Suhrkamp Frankfurt 1984 S 365 Fritz Hennenberg Hg Brecht Liederbuch Suhrkamp Frankfurt 1984 S 364 GBA Gedichte 1 S 323 Fritz Hennenberg Hg Brecht Liederbuch Suhrkamp Frankfurt 1984 S 364 Werner Hecht Brecht Chronik S 447 GBA Gedichte 1 S 312 GBA Gedichte 1 S 323 Hannah Arendt Reflexionen uber den Dichter Bertolt Brecht und sein Verhaltnis zur Politik 1969 Verfugbar unter https www merkur zeitschrift de autoren arendt Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Legende vom toten Soldaten amp oldid 227251161