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Beim Kurfurstendamm Krawall vom 15 Juli 1935 und Folgetagen kam es zu antisemitischen Ubergriffen die der nationalsozialistischen Regierung wegen ihrer negativen aussenpolitischen Wirkung nicht genehm waren und zur Ablosung des Berliner Polizeiprasidenten Magnus von Levetzow fuhrten Die Ausschreitungen von radikalantisemitischen Parteigangern der NSDAP erzeugten nach Ansicht einiger Historiker einen Handlungsdruck der den Erlass der Nurnberger Gesetze beeinflusste Schon vier Jahre zuvor am 12 September 1931 war es in Berlin Charlottenburg zu antisemitischen Ausschreitungen gekommen siehe Kurfurstendamm Krawall von 1931 Inhaltsverzeichnis 1 Ausgangslage 2 Kurfurstendamm Krawall in Berlin 1935 2 1 Konsequenzen 2 2 Wirkung 2 3 Kontroverse Deutungen 3 Literatur 4 EinzelnachweiseAusgangslage BearbeitenDie Gegend um den Kurfurstendamm war bevorzugter Wohnsitz von Bankiers Arzten Rechtsanwalten und Kunstlern unter diesen Reprasentanten des Grossburgertums waren 1930 etwa 25 Prozent Juden 1 Ablehnung der kulturellen Avantgarde Grossstadtfeindschaft Uberfremdungs angste und fanatischer Antisemitismus fokussierten sich auf diesen Bereich Bereits seit der Jahreswende 1934 35 war es auf lokal begrenzter Ebene zu antisemitischen Ubergriffen und Beschadigungen judischer Laden gekommen Derartige Ausschreitungen gingen von radikalen Antisemiten der Parteibasis aus Im April 1935 griff ein Teil der NS Presse diese Grundstimmung auf und berichtete gezielt uber judische Rasseschander und artvergessene deutsche Frauen Aufsehenerregende Vorfalle kamen der Regierung wegen ihrer Wirkung im Ausland ungelegen Unerwunscht war auch die Wirkung im Inneren wenn Ubergriffe fur Unruhe sorgten und der Autoritat des Staates schadeten Daher riefen Rudolf Hess als Stellvertreter Hitlers und Hjalmar Schacht als Reichswirtschaftsminister offentlich zur Massigung auf 2 Mehrere Parteidienststellen rugten die Unruhestifter mit scharfen Worten Kurfurstendamm Krawall in Berlin 1935 BearbeitenDennoch fanden im Juni 1935 in zwei Berliner Bezirken fast taglich antijudische Kundgebungen vor einigen judischen Geschaften statt bei denen sich HJ Angehorige hervortaten Im Juli verlagerten sich die Aktivitaten an den Kurfurstendamm Dort lief in einem Kino der antisemitische schwedische Spielfilm Pettersson amp Bendel 3 Angeblich hatten judische Zuschauer die Filmvorfuhrung gestort Dieses umlaufende Gerucht veroffentlichten alsbald die von Joseph Goebbels gelenkten Berliner Tageszeitungen Am 15 Juli 1935 versammelte sich vor dem Gloria Palast am Kurfurstendamm eine Menschenmenge griff vermeintlich judisch aussehende Passanten tatlich an und drang auch in umliegende Lokale ein um Juden zu verprugeln Die Krawalle setzten sich am 16 Juli unvermindert fort Die Angreifer waren im festen Glauben sich an einer von der Parteifuhrung gebilligten Aktion zu beteiligen sie beschimpften die eingesetzten Polizeikrafte als Judenknechte und drohten ihnen 4 Den verunsicherten Polizeikraften gelang es nicht die Ruhe wiederherzustellen Erst am 19 Juli erklarte Goebbels als Gauleiter von Berlin die Krawalle als beendet Konsequenzen Bearbeiten Die unerwunschten Schlagzeilen in der internationalen Presse 5 sowie das Versagen der Polizei bei der Herstellung von Ruhe und Ordnung und der damit verbundene Gesichtsverlust der Staatsgewalt verargerten viele Regierungsmitglieder Goebbels verschleierte seine Mitwirkung und lud die Verantwortung geschickt auf den Polizeiprasidenten Magnus von Levetzow ab 6 Dieser wurde kurz darauf durch den SA Fuhrer Wolf Heinrich von Helldorff abgelost der schon vier Jahre zuvor den ersten Kurfurstendamm Krawall von 1931 organisiert hatte Goebbels notierte in seinem Tagebuch dazu Krawall am Kurfurstendamm Juden verprugelt Auslandspresse drohnt Pogrom Nun ist s aber aus mit Levetzow 7 Ohne weitere Rucksichtnahme auf die Berichterstattung im Ausland nahm die von Goebbels gelenkte nationalsozialistische Presse bald jedoch die antisemitische Hetze verstarkt wieder auf und bediente damit die radikalen Parteiganger die als Zeugen des Volkswillens instrumentalisiert werden konnten So behauptete Gauleiter Adolf Wagner im Vorfeld des Nurnberger Parteitags 1935 die Mehrheit des Volkes drange nach Losung der Judenfrage im Sinne des Parteiprogramms dem musse die Reichsregierung Rechnung tragen sonst erleide sie eine Einbusse an Autoritat 8 In einer hochrangig besetzten Konferenz befand Justizminister Franz Gurtner es sei gefahrlich wenn man die Radikalen mit dem Eindruck davonkommen liesse dass sie in Wirklichkeit nur das durchfuhrten was die Regierung wolle wozu diese selbst aber wegen moglicher aussenpolitischer Konsequenzen nicht in der Lage sei 9 Wirkung Bearbeiten Jochen Klepper gab den mundlichen Bericht eines Zeugen wieder der die Exzesse miterlebt hatte Sie haben Judinnen ins Gesicht geschlagen die judischen Manner haben sich tapfer gewehrt zu Hilfe kam ihnen niemand weil jeder die Verhaftung furchtet 10 Am 23 Juli 1935 notierte Klepper im Tagebuch Existenzverlust und korperliche Misshandlung sind den Juden tagtagliche Beangstigung geworden 11 Victor Klemperer schrieb unter dem 21 Juli 1935 Die Judenhetze und Pogromstimmung wachst Tag fur Tag Der Sturmer Goebbels Reden wie Flohe und Wanzen vertilgen Gewalttatigkeiten in Berlin Breslau und gestern auch hier Ich rechne wahrhaftig damit dass man mir das Hauschen einmal anzundet und mich totschlagt 12 Nach einer Aufzeichnung von 1937 die Adolf Eichmann zugeschrieben wird habe der Kurfurstendamm Krawall langanhaltend gewirkt Der Volkszorn der sich in Ausschreitungen ergeht sei das wirksamste Mittel um den Juden das Sicherheitsgefuhl zu nehmen 13 Kontroverse Deutungen Bearbeiten Der Historiker Saul Friedlander fuhrt die seit Anfang 1935 wieder aufflammende antijudische Hetze durch Parteiradikale zuruck auf fortdauernde wirtschaftliche Schwierigkeiten wie auch das Ausbleiben materieller und ideologischer Kompensation fur die grosse Zahl von Parteimitgliedern die weder auf ortlicher noch auf nationaler Ebene Stellungen und Genugtuung finden konnten 14 Unter Historikern ist strittig ob der im Krawall von 1935 zutage getretene Druck der Parteibasis ein ausschlaggebender Grund war der zum Erlass der Nurnberger Gesetze fuhrte 15 die fur viele Beobachter uberraschend auf dem Nurnberger Parteitag 1935 beschlossen wurden Vertreten wird die Ansicht dass einflussreiche Parteifuhrer wie Joseph Goebbels den Volkszorn absichtlich geschurt gelenkt und instrumentalisiert hatten Andere Regierungsmitglieder hingegen befurchteten einen Vertrauensverlust bei der Bevolkerung wenn die entfesselte Gewalt die Ruhe und Ordnung storte und das Gewaltmonopol des Staates missachtet wurde 16 Literatur BearbeitenPeter Longerich Davon haben wir nichts gewusst Die Deutschen und die Judenverfolgung 1933 1945 Munchen 2006 ISBN 3 88680 843 2 Einzelnachweise Bearbeiten Cornelia Hecht Deutsche Juden und Antisemitismus in der Weimarer Republik Bonn 2003 ISBN 3 8012 4137 8 S 236 Peter Longerich Politik der Vernichtung Munchen 1998 ISBN 3 492 03755 0 S 82 DHM Inhaltsangabe Kommentar zum Film abgerufen am 12 Februar 2011 Peter Longerich Politik der Vernichtung S 87 Christoph Kreutzmuller Augen im Sturm Britische und amerikanische Zeitungsberichte uber die Judenverfolgung 1918 1939 In Zeitschrift fur Geschichtswissenschaft 62 2014 H 1 hier S 38 41 Peter Longerich Politik der Vernichtung S 86 f vgl VEJ 1 176 in Wolf Gruner Hrsg Die Verfolgung und Ermordung der europaischen Juden durch das nationalsozialistische Deutschland 1933 1945 Quellensammlung Band 1 Deutsches Reich 1933 1937 Munchen 2008 ISBN 978 3 486 58480 6 S 452 mit Anm 2 Danach wurde Levetzow vorgeworfen dass Juden gegen den antisemitischen Film durch Auspfeifen demonstriert hatten Tagebucher Samtliche Fragmente Band 2 S 494 19 Juli 1935 ISBN 3 598 21917 2 Peter Longerich Davon haben wir nichts gewusst Munchen 2006 ISBN 3 88680 843 2 S 92 Saul Friedlander Das Dritte Reich und die Juden Band 1 Die Jahre der Verfolgung 1933 1939 durchgeseh Sonderausgabe Munchen 2007 ISBN 978 3 406 56681 3 S 157 Sitzung vom 20 August 1935 Jochen Klepper Schatten deiner Flugel Aus den Tagebuchern der Jahre 1932 1942 Deutsche Buchgemeinschaft Berlin 1959 S 270 Eintrag vom 21 Juli 1935 Jochen Klepper Schatten deiner Flugel S 271 Victor Klemperer Ich will Zeugnis ablegen bis zum letzten Tagebucher 1933 1941 2 Auflage Berlin 1995 ISBN 3 351 02340 5 Band 1 S 209 Hans Mommsen Auschwitz 17 Juli 1942 dtv 30605 Munchen 2002 ISBN 3 423 30605 X S 74 Avraham Barkai Vom Boykott zur Entjudung Der wirtschaftliche Existenzkampf der Juden im Dritten Reich 1933 1943 Fischer Taschenbuch Verlag Frankfurt am Main 1988 S 137 schreibt dies dem Judenreferat der SS zu und gibt als Quelle an BAK R58 Nr 956 Sicherheitsdienst des RFSS SD Hauptamt II 112 Zum Judenproblem Januar 1937 Bl 9 f Dieses Memorandum wird auch Otto von Bolschwing zugeschrieben im Blog von Michael Wildt abgerufen am 26 Marz 2013 Saul Friedlander Das Dritte Reich und die Juden Band 1 Die Jahre der Verfolgung 1933 1939 durchgeseh Sonderausgabe Munchen 2007 ISBN 978 3 406 56681 3 S 154 Moshe Zimmermann Die deutschen Juden 1914 1945 In Enzyklopadie deutscher Geschichte Band 43 Oldenbourg Wissenschaftsverlag Munchen 1997 ISBN 3 486 55080 2 S 48 Michael Wildt Gewaltpolitik Volksgemeinschaft und Judenverfolgung in der deutschen Provinz In Werkstatt Geschichte 12 2003 H 35 S 36 f Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Kurfurstendamm Krawall von 1935 amp oldid 237029496