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Franz Josef Kallmann 24 Juli 1897 in Neumarkt Schlesien 12 Mai 1965 in New York City war ein deutsch amerikanischer Psychiater und Genetiker Franz Josef Kallmann circa 1950 Inhaltsverzeichnis 1 Leben 1 1 Genealogisch Demographische Abteilung GDA der Deutschen Forschungsanstalt fur Psychiatrie DFA 1 2 Ausgrenzung wegen judischer Herkunft 1 3 Flucht 2 Veroffentlichungen Auswahl 3 Literatur 4 Weblinks 5 EinzelnachweiseLeben BearbeitenFranz Josef Kallmann stammte aus einer alten judischen Familie in Schlesien Er wurde als Sohn von Marie geb Mordze Modrey und Bruno Kallmann einem Chirurgen geboren Er wurde Soldat im Ersten Weltkrieg Anschliessend studierte er Medizin in Breslau und arbeitete nebenher im Nervensanatorium Obernigk Friedrichshohe Uber diese Tatigkeit promovierte er 1921 in Breslau Von 1921 bis 1925 wirkte er als Chirurg und Neurologe im Krankenhaus der Grauen Schwestern in Neumarkt In dieser Zeit konvertierte er zum christlichen Glauben Ab 1926 bildete er sich zum Facharzt fur Psychiatrie unter Karl Bonhoeffer und in Neuropathologie unter Hans Gerhard Creutzfeldt in Berlin fort 1928 wurde er Abteilungsarzt und Prosektor an der Berliner Heil und Pflegeanstalt Herzberge und gleichzeitig an der Anstalt Berlin Wuhlgarten Genealogisch Demographische Abteilung GDA der Deutschen Forschungsanstalt fur Psychiatrie DFA Bearbeiten Im Rahmen seiner Tatigkeit als Gutachter in den Berliner Kliniken sammelte Franz Josef Kallmann systematisch uber 1000 Krankenakten von Schizophreniepatienten aus den Jahren 1893 bis 1902 und er untersuchte deren Familien erbbiologisch Zur Auswertung dieses Materials beantragte er 1931 einen dreimonatigen Forschungsaufenthalt an der Genealogisch Demographischen Abteilung GDA der Deutschen Forschungsanstalt fur Psychiatrie DFA in Munchen den er auch absolvieren konnte nbsp Die GDA stand unter der Leitung von Ernst Rudin der seit 1911 ein System der empirischen Erbprognose entwickelt hatte Dabei wurde mit statistischen Methoden die Wahrscheinlichkeit fur das Auftreten von Erbkrankheiten bei den Nachkommen von Patienten im Vergleich zur Allgemeinbevolkerung errechnet 1 2 3 1933 wurde Rudin Kommissar des Reichsinnenministeriums fur Rassenhygiene und Rassenpolitik 4 Er war bei der Ausarbeitung des Gesetzes zur Verhutung erbkranken Nachwuchses vom 14 Juli 1933 mit dem biologisch minderwertiges Erbgut durch Zwangssterilisation ausgeschaltet werden sollte massgeblich beteiligt Fur Schizophrene Manisch Depressive und Epileptiker errechnete er ungunstige Erbprognosen Psychopathen und Sonderlinge sah er als Trager schizophrener Erbanlagen Rudins Erbprognosen dienten als wissenschaftliche Begrundung des psychiatrischen Teils im deutschen Zwangssterilisationsgesetz Dieses Gesetz sah die zwangsweise Sterilisation von Personen vor die selbst personlich an einer der in diesem Gesetz aufgefuhrten Krankheiten zu denen auch die Schizophrenie zahlte litten oder gelitten hatten Lediglich das Vorhandensein einer verborgenen verdeckten latenten Veranlagung zu einem Leiden genugte nach dem Wortlaut des Gesetzes nicht zur Begrundung der zwangsweisen Vornahme einer Unfruchtbarmachung 5 Die wissenschaftliche Untermauerung der eugenischen Forderungen insbesondere im Bereich der Schizophrenie erschien Rudin ungenugend Daher protegierte er Kallmann seit dessen Aufenthalt an der DFA 1931 6 Es gelang ihm zwar nicht Kallmann dauerhaft an die DFA zu holen aber er ermoglichte ihm im August 1935 auf dem internationalen Kongress fur Bevolkerungswissenschaft in Berlin seine Forschungen zur Schizophrenie vorzustellen Nach damals geltender Lehrmeinung unterteilte Kallmann alle an Schizophrenie erkrankten Menschen in vier Gruppen Hebephrene Katatone Paranoide und eine Schubgruppe Er untersuchte u a wie gross fur jede dieser Untergruppen der Bevolkerungsanteil von heterozygoten Anlagetragern war Damit waren Individuen gemeint die zwar nicht erkrankt aber Trager der Krankheitserbanlage waren Kallmann empfahl auch die nicht selbst erkrankten Trager der Erbanlage insbesondere vom Schub Typ zu sterilisieren Damit forderte er eine Ausweitung des deutschen Zwangssterilisationsgesetzes in dem die Sterilisierung von heterozygoten Anlagetragern nicht gefordert wurde 7 Ausgrenzung wegen judischer Herkunft Bearbeiten Nach dreimonatigem Studienaufenthalt an der Munchner DFA kehrte Kallmann 1931 an seine Berliner Arbeitsstelle zuruck blieb aber weiter in Kontakt mit Rudin der vergeblich versuchte ihn dauerhaft an die DFA zu holen Als Teilnehmer am Ersten Weltkrieg betraf Kallmann das Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums vom 7 April 1933 zunachst nicht 8 Auch an der DFA breitete sich antisemitisches Denken aus so durch den Mitbegrunder des NS Arztebundes und DFA Mitarbeiter Theobald Lang 9 Nachdem Kallmann im August 1935 auf Empfehlung Rudins seine Forschungsergebnisse auf dem Berliner Kongress fur Bevolkerungswissenschaften vorgestellt hatte protestierte der NS Arztebund im Gau Gross Berlin in einem Brief an Rudin Der Protest richtete sich nicht gegen den Inhalt des Vortrages sondern gegen Kallmanns rassische Herkunft Rudin antwortete er habe sich in einem Konflikt der Interessen und Prinzipien befunden indem die Forschungen Kallmanns fur die Wissenschaft und namentlich fur das Sterilisationsgesetz eine grosse Stutze seien dass aber andererseits ein Jude diese Befunde durch eigene Arbeit selbst erhoben und die Ergebnisse zu Tage gefordert hatte Trotz seiner Loyalitat fur die Rassenhygiene des Dritten Reiches wurde Kallmann Anfang Oktober 1935 vom Dienst suspendiert Rudin konnte Kallmann auf der 1 Jahresversammlung der Gesellschaft deutscher Neurologen und Psychiater Anfang November 1935 in Dresden nicht als Redner durchsetzen Die Ergebnisse von Kallmanns Erbprognoseforschung zur Schizophrenie wurden stattdessen vom DFA Mitarbeiter Bruno Schulz vorgetragen 10 Flucht Bearbeiten Ernst Rudin und Hans Luxenburger versuchten von Oktober bis Dezember 1935 vergeblich Kallmann in den Kliniken europaischer Kollegen eine Anstellung zu verschaffen Ihre Anfragen bei Bernhard Brouwer 1881 1949 Neurologische Klinik Amsterdam Edward Mapother 1881 1940 Maudsley Hospital London August Wimmer 1872 1937 Psychiatrische Klinik Kopenhagen Jakob Klaesi Psychiatrische Universitatsklinik Bern Kerim Psychiatrische Klinik Istanbul Ley Psychiatrische Klinik Brussel und Boum Psychiatrisch Neurologische Klinik Utrecht wurden negativ beantwortet Auch die DFA Mitarbeiter Bruno Schulz Adele Juda und Theobald Lang wurden in die Bemuhungen mit eingebunden 11 Im Jahr 1936 floh Kallmann in die USA Rudin Luxenburger Schulz und die Rockefeller Foundation halfen ihm Deutschland zu verlassen und Arbeit in den USA zu finden Zunachst arbeitete Kallmann in der psychologischen Abteilung des New York State Psychiatric Institute Spater grundete er das erste Research Department in Psychiatric Genetics in den USA 12 Schulz korrigierte in der GDA weiterhin Kallmanns Forschungsdaten welche Lang 1938 anlasslich einer von der Rockefeller Foundation finanzierten Forschungsreise in einer grossen Kiste nach New York brachte 13 In den USA veroffentlichte Kallmann 1938 seine Monographie uber die Genetik der Schizophrenie in der er Rudin und der GDA fur ihre Hilfe ausdrucklich dankte 14 Auf den Vorschlag Rudins dieses Werk in Deutschland zu publizieren reagierte das Reichsministerium fur Wissenschaft Erziehung und Volksbildung REM mit Befremden daruber dass die GDA von einem Juden eine derartige Angelegenheit uberhaupt unterstutze 15 Eine Rezension des Buches von Bruno Schulz fur das Archiv fur Rassen und Gesellschafts Biologie wurde wegen der judischen Herkunft Kallmanns ebenfalls untersagt 16 In den folgenden Jahren fuhrte Kallmann seine Schizophreniestudien fort und wandte sich 1939 verstarkt der Zwillingsforschung zu 17 1944 beschrieb er den Hypogonadismus mit Anosmie der nach ihm als Kallmann Syndrom benannt ist Im Jahr 1948 war er einer der Grunder der American Society of Human Genetics 1952 war er Prasident dieser Gesellschaft 18 Veroffentlichungen Auswahl BearbeitenF J Kallmann Zufallige Stichverletzungen als Todesursache unv Dissertation Universitat Breslau 1921 F J Kallmann Die Fruchtbarkeit der Schizophrenen In Hans Harmsen Franz Lohse Hrsg Bevolkerungsfragen Bericht des Internationalen Kongresses fur Bevolkerungswissenschaften Berlin 26 August 1 September 1935 Kraus Reprint Nendeln Liechtenstein 1969 S 725 729 Erstausgabe J F Lehmann Munchen 1936 Referat von Bruno Schulz mit dem von F J Kallmann erarbeiteten Material Erbprognose und Fruchtbarkeit bei den verschiedenen klinischen Formen der Schizophrenie Vortrag auf der 1 Jahresversammlung der Gesellschaft deutscher Neurologen und Psychiater Dresden 1 4 November 1935 In Allgemeine Zeitschrift fur Psychiatrie und psychisch gerichtliche Medizin 104 1936 S 119 124 19 F J Kallmann The Genetics of Schizophrenia A Study of Heredity and Reproduction of the Families of 1 087 Schizophrenics J J Augustin New York City 1938 291 S F J Kallmann D Reisner Twin studies on the significance of genetic factors in tuberculosis In American Review of Tuberculosis and Pulmonary Diseases Band 47 Nr 6 1943 S 549 571 F J Kallmann W A Schoenfeld S E Barrera The genetic aspects of primary eunuchoidism In American Journal of Mental Deficiency Band 48 1944 S 203 236 F J Kallmann Modern concepts of genetics in relation to mental health and abnormal personality development In Psychiatric Quarterly Band 21 Nr 4 1947 S 535 553 doi 10 1007 BF01654317 F J Kallmann The Genetics of Psychoses An Analysis of 1 232 Twin Index Families In The American Journal of Human Genetics Band 2 Nr 4 Dezember 1950 S 385 390 PMC 1716375 freier Volltext F J Kallmann Human Genetics as a Science as a Profession and as a Social Minded Trend in Orientation Ansprache des Prasidenten anlasslich der funften Jahrestagung der American Society of Human Genetics In The American Journal of Human Genetics Band 4 Nr 4 Dezember 1952 S 237 245 PMC 1716487 freier Volltext F J Kallmann Heredity in Health and Mental Disorder Principles of Psychiatric Genetics in the Light of Comparative Twin Studies W W Norton amp Co New York City 1953 315 S Internet Archive abgerufen am 6 Juli 2018 F J Kallmann B Roth Genetic aspects of preadolescent schizophrenia In The American Journal of Psychiatry Band 112 Nr 8 Februar 1956 S 599 606 doi 10 1176 ajp 112 8 599 F J Kallmann A Falek u a The development aspects of children with two schizophrenic parents In Psychiatric research reports Band 19 Dezember 1964 S 136 148 ISSN 0555 5434 PMID 14232650 F J Kallmann J D Rainer The genetic approach to schizophrenia Clinical demographic and family guidance problems In International psychiatry clinics Band 1 Oktober 1964 S 799 820 ISSN 0020 8426 PMID 14276077 F J Kallmann The Genetic Theory of Schizophrenia An Analysis of 691 Schizophrenic Twin Index Families In The American Journal of Psychiatry Band 103 Nr 3 November 1946 S 309 322 doi 10 1176 ajp 103 3 309 PMID 20277893 Literatur BearbeitenFlorian Mildenberger Auf der Spur des scientific pursuit Franz Josef Kallmann 1897 1965 und die rassenhygienische Forschung In Medizinhistorisches Journal 37 2002 Heft 2 S 183 200 Benno Muller Hill Murderous Science Elimination by Scientific Selection of Jews Gypsies and Others in Germany 1933 1945 Cold Spring Harbor Laboratory Press Woodbury NY 1988 11 31 42 43 70 Christian Pross The Attitude of German Emigre Doctors Toward Medicine under National Socialism In Social History of Medicine 22 2009 531 552 Die Sicht deutscher Emigrantenarzte auf die NS Rassenhygiene In Deutsches Arzteblatt 107 2010 Heft 50 17 Dezember S A 2494 A 2496 Digitalisat Werner Roder Herbert A Strauss Hrsg International Biographical Dictionary of Central European Emigres 1933 1945 Vol II 1 Munchen Saur 1983 ISBN 3 598 10089 2 S 587 f Matthias M Weber Ernst Rudin Eine kritische Biographie Springer Berlin 1993 ISBN 3 540 57371 2 Weblinks BearbeitenBiographie englisch Einzelnachweise Bearbeiten Ernst Rudin Einige Wege und Ziele der Familienforschung unter besonderer Berucksichtigung der Psychiatrie In Zeitschrift fur die gesamte Neurologie und Psychiatrie 7 1911 S 487 585 Ernst Rudin Zur Vererbung und Neuentstehung der Dementia praecox Studien zur Vererbung und Entstehung geistiger Storungen I Springer Berlin 1916 Internet Archive Volker Roelke Programm und Praxis der psychiatrischen Genetik an der Deutschen Forschungsanstalt fur Psychiatrie unter Ernst Rudin Zum Verhaltnis von Wissenschaft Politik und Rasse Begriff vor und nach 1933 In Medizinhistorisches Journal 37 2002 S 21 55 Ernst Klee Das Personenlexikon zum Dritten Reich Wer war was vor und nach 1945 Fischer Taschenbuch Verlag Zweite aktualisierte Auflage Frankfurt am Main 2005 ISBN 978 3 596 16048 8 S 513 Arthur Gutt Ernst Rudin und Falk Ruttke Gesetz zur Verhutung erbkranken Nachwuchses vom 14 Juli 1933 Lehmann Munchen 1934 S 82 Erlauterungen des Gesetzes durch Ernst Rudin Matthias M Weber Ernst Rudin Eine kritische Biographie Springer Berlin 1993 S 195 Franz Kallmann Die Fruchtbarkeit der Schizophrenen In Hans Harmsen Franz Lohse Hrsg Bevolkerungsfragen Bericht des Internationalen Kongresses fur Bevolkerungswissenschaften Berlin 26 August 1 September 1935 Munchen 1936 S 725 729 Frontkampferprivileg 3 Abs 2 im Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums Theobald Lang Die Belastung des Judentums mit Geistig Auffalligen In Nationalsozialistische Monatshefte 2 1932 S 119 126 Referat von Bruno Schulz mit dem von F J Kallmann erarbeiteten Material Erbprognose und Fruchtbarkeit bei den verschiedenen klinischen Formen der Schizophrenie Vortrag auf der 1 Jahresversammlung der Gesellschaft deutscher Neurologen und Psychiater Dresden 1 4 November 1935 In Allgemeine Zeitschrift fur Psychiatrie und psychisch gerichtliche Medizin 104 1936 S 119 124 Florian Mildenberger 2002 S 190 192 G Bettendorf Zur Geschichte der Endokrinologie und Reproduktionsmedizin 1995 S 287 288 ISBN 978 3 642 79153 6 Mildenberger 2002 S 193 F J Kallmann The genetics of schizophrenia a study of heredity and reproduction of the families of 1 087 schizophrenics New York JJ Augustin 1938 S XV XVI GDA 862 Rudin an REM 5 November 1936 REM an Rudin 30 November 1936 Zitiert nach Matthias M Weber Ernst Rudin Eine kritische Biographie Springer Berlin 1993 S 196 Bruno Schulz Kallmann Franz J The Genetics of Schizophrenia mit handschriftlichem Vermerk Rudins auf der Umbruchkorrektur Ist nicht erschienen weil K Jude ist Zitiert nach M M Weber 1993 S 196 F J Kallmann The genetic theory of schizophrenia An analysis of 691 schizophrenic twin index families In The American Journal of Psychiatry Band 103 Nr 3 1946 47 S 309 322 Zitiert nach Mildenberger 2002 S 194 Dort weitere Literatur History of the ASHG mit einer pdf der Festrede Kallmanns zum Jahrestreffen 1952 Memento des Originals vom 13 April 2016 im Internet Archive nbsp Info Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht gepruft Bitte prufe Original und Archivlink gemass Anleitung und entferne dann diesen Hinweis 1 2 Vorlage Webachiv IABot www ashg org Human Genetics as a Science as a Profession and as a Social minded Trend in Orientation In The American Journal of Human Genetics Band 4 Nr 4 1952 S 237 245 Florian Mildenberger Auf der Spur des scientific pursuit Franz Josef Kallmann 1897 1965 und die rassenhygienische Forschung In Medizinhistorisches Journal 37 2002 Heft 2 S 191 Normdaten Person GND 124952216 lobid OGND AKS LCCN no97019472 VIAF 960008 Wikipedia Personensuche PersonendatenNAME Kallmann Franz JosefKURZBESCHREIBUNG deutsch US amerikanischer PsychiaterGEBURTSDATUM 24 Juli 1897GEBURTSORT NeumarktSTERBEDATUM 12 Mai 1965STERBEORT New York City Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Franz Josef Kallmann amp oldid 233425695