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Als Dispersionsflug von lat dispergere ausbreiten zerstreuen bezeichnet man in der Insektenkunde Entomologie die individuelle Ausbreitung flugaktiver Insekten aus ihrem Entwicklungshabitat heraus Fluge nur innerhalb eines Aktionsraums beispielsweise zur Nahrungssuche oder auf der Flucht vor Fressfeinden sind also keine Dispersionsfluge Dispersion entspricht dabei der populationsbiologischen und okologischen Konsequenz von Migrationsverhalten des einzelnen Insekts 1 Die Dispersion dient vor allem der Kolonisierung neuer Habitate Vor allem bei Habitatveranderung ist die Fahigkeit zur Dispersion fur das Uberleben der Populationen und Arten wesentlich Erfolgt Dispersion in bereits von der Art besiedelte Habitate hinein ist eine Konsequenz ausserdem die Vernetzung verschiedener Lebensraume und Populationen durch Genaustausch Inhaltsverzeichnis 1 Dispersionflug ein Optimierungsproblem 2 Migrationssyndrom 3 Flugrichtung und Flugdauer 4 Untersuchung von Dispersionsflugen 5 Dispersion bei Wirbeltieren 6 EinzelnachweiseDispersionflug ein Optimierungsproblem BearbeitenEinem neu geschlupften oder entwickelten geflugelten Insekt stehen im Prinzip zwei mogliche Verhaltensweisen offen Es kann in seinem Entwicklungshabitat verbleiben hier Nahrung und Fortpflanzungspartner suchen und letztlich hier Nachwuchs produzieren oder es kann den Lebensraum auf der Suche nach neuen Habitaten verlassen Vorteile des Verbleibens sind Es befindet sich vermutlich in einem gunstigen Habitat das zumindest gunstig genug war ihm selbst die individuelle Entwicklung zu ermoglichen es spart die Aufwendungen und Kosten des Dispersionsflugs wie Energie fur die Flugaktivitat ein und kann unter Umstanden sogar auf energetisch kostspielige Organe dafur wie Flugel und Flugmuskeln verzichten und die eingesparte Energie stattdessen in seinen Nachwuchs investieren Es geht auch nicht das Risiko ein nach Landung in einem vollig ungeeigneten Habitat zugrunde zu gehen Diesen Vorteilen stehen allerdings gewichtige Nachteile gegenuber Verandert sich das Habitat in einer fur die betroffene Art ungunstige Richtung wird es mit ihm zugrunde gehen Da letztlich nahezu alle Habitate eine begrenzte Lebensdauer aufweisen steigt dadurch die Wahrscheinlichkeit des Aussterbens an Ausserdem sind im Ursprungshabitat unter Umstanden zahlreiche Artgenossen und damit intensive Konkurrenz wahrend ein neu entstandener Lebensraum unter Umstanden noch unbesiedelt ist und damit eine viel raschere unter Umstanden explosionsartige Vermehrung ermoglichen wurde Dispersionsfluge sind Verhaltensweisen die sich uber die genannten Faktoren auf die durchschnittliche individuelle Fitness auswirken Damit werden sie von der Evolution entweder eher gefordert oder eher unterdruckt es stellt unter Umstanden ein genetisch determiniertes Gleichgewicht in seiner Dispersionsneigung ein 2 Zahlreiche Insektenarten haben im individuellen Lebenszyklus Phasen evolviert in denen unabhangig von der Gunst oder Ungunst des gerade besiedelten Habitats obligate Dispersionsfluge unternommen werden Andere besitzen besondere Morphen die auf Dispersion hin optimiert sind zum Beispiel kurzflugelige und langflugelige Formen so dass nur ein Teil der Population Dispersionsfluge durchfuhrt Migrationssyndrom BearbeitenFur erfolgreiche Dispersionsfluge sind aufeinander abgestimmte Adaptationen in Morphologie und Verhalten erforderlich die nur zusammen den Erfolg gewahrleisten konnen Man spricht hier von einem evolutionaren Syndrom Dazu gehoren 1 2 lange Flugel Treten innerhalb einer Art voll geflugelte Individuen neben solchen mit ganz oder teilweise reduzierten Flugeln auf sind nur die voll geflugelten zu Dispersionsflugen imstande Man spricht von Dimorphismus der Flugelausbildung und nennt die langflugeligen makropter die kurzflugeligen brachypter Anstelle der Flugel kann auch lediglich die anreibende Muskulatur verloren gehen 3 Die genetische Basis des Dimorphismus ist unterschiedlich in vielen Fallen z B bei zahlreichen Kaferarten kann ein einzelnes Allel mit mendel schem Erbgang den Dimorphismus bewirken wobei in der Regel dasjenige fur die kurzflugelige Morphe dominant ist Haufig sind dispergierende Individuen ausserdem etwas grosser als stationare Hormonspiegel Bei vielen Insektenarten besteht ein Zusammenhang zwischen Juvenilhormon und Dispersionsflugen wobei die stationaren Individuen einen hoheren Spiegel des Hormons aufweisen Wachstumsrate Verbreitet sind besonders grosse und besonders gut ernahrte Individuen einer Art mit hohen Reservestoffdepots eher migrationsgeneigt als kleine Formen Flugneigung Bei einigen Arten existieren auch bei gleicher Flugellange Individuen mit genetisch bedingt unterschiedlicher Neigung zu Beginn und Dauer von Flugverhalten Lebensalter Bei vielen Arten ist zu beobachten dass nur junge Individuen vor Beginn der Reproduktionsperiode Dispersionsfluge durchfuhren Bei einigen Arten wie zum Beispiel den geflugelten Morphen der Blattlaus Aphis fabae beginnt keinerlei Fortpflanzung wenn dem nicht ein Dispersionsflug vorangegangen ist Flugrichtung und Flugdauer BearbeitenInsekten vor allem Arten mit geringer Korpergrosse sind kaum imstande lange Strecken ausschliesslich mit muskelgetriebenem Flug zuruckzulegen Die Reynoldszahl beim Flug in Luft ist von der Korpergrosse abhangig Fur kleine Organismen wird Luft zunehmend zu einem zahen Medium so dass die Effektivitat des muskelgetrieben Flugs immer mehr absinkt Dadurch wird Transport durch Konvektion vor allem Wind immer wichtiger Das hat eine wichtige Konsequenz fur das Flugverhalten Das individuelle Insekt ist nicht imstande eine Flugrichtung entgegen der Windrichtung aufrechtzuerhalten Um die Flugrichtung steuern zu konnen ist es auf Optimierung des Zeitpunkts des Abflugs angewiesen 4 Dazu gehoren Reaktion auf Geruchsreize z B sekundare Pflanzenstoffe einer Wirtspflanze bei pflanzenfressenden Insekten und Reaktion auf Lichtstarke mit Flug bevorzugt tagsuber oder nachts Fliegende Insekten konnen nach optischen Reizen zum Beispiel in Reaktion auf die Silhouette von Baumen gegen den Horizont Landeversuche einleiten Durch Ausnutzen dieser Mechanismen konnen auch windverdriftete Arten unter Umstanden hohe Kontrolle uber ihre Ausbreitungsrichtung erlangen 5 Da kleine Insekten eher passiv mit dem Wind verdriftet werden konnen sie gewaltige Entfernungen uberbrucken vor allem wenn sie durch thermische Konvektion in grosse Hohen aufgewirbelt werden Manche Bearbeiter sprechen in Analogie zum Plankton in Gewassern von Luftplankton auch Aeroplankton Vor allem kleinere Insektenarten sind standig in grosser Zahl in Hohen von z T mehreren Hundert Meter Hohe und auch uber dem offenen Ozean zu finden 6 Kleine pflanzenfressende Insekten wie zum Beispiel Blattlause konnen dadurch auch sehr isoliert stehende Wirtspflanzen kolonisieren Untersuchung von Dispersionsflugen BearbeitenAufgrund der hohen Bedeutung die Dispersionsfluge auf die Biologie moglicherweise sogar auf das Uberleben von Arten haben sind Okologen sehr daran interessiert herauszufinden welche Arten in welchem Ausmass solche Fluge durchfuhren Dazu stehen verschiedene Methoden zur Verfugung 7 Markierung von Individuen mit Wiederfang mit Messung der zuruckgelegten Entfernung Besenderung von Insektenindividuen und Telemetrie Aufgrund des Gewichts des Senders nur bei grossen Insektenarten moglich Analyse des Besiedlungsmusters verinselter Habitate insbesondere kurzlebiger zum Beispiel der Besiedlung individueller sehr alter Baume durch Totholz Besiedler Analyse der genetischen Ahnlichkeit zwischen entfernt lebenden Populationen Direkter Fang fliegender Individuen zum Beispiel in Fensterfallen oder Auslosung von Flugverhalten zum Beispiel durch Anstromen Im Falle von Habitatspezialisten ist manchmal der Nachweis von Individuen abseits geeigneter Habitate bereits ausreichend So kann der Dispersionsflug von Insektenarten mit aquatischen Larven wie Eintagsfliegen und Kocherfliegen durch ihre Entfernung zum Gewasser gemessen werden 8 Dabei wurde bei einer kanadischen Untersuchung nachgewiesen dass die Nachweishaufigkeit starker als exponentiell mit der Entfernung zum Gewasser abnimmt starker bei kleinen als bei grossen Arten Dispersion bei Wirbeltieren BearbeitenEin ahnlicher Vorgang namlich die Zerstreuungswanderung bei Vogeln Aves wird allgemein als Dismigration bezeichnet Einzelnachweise Bearbeiten a b Hugh Dingle The evolution of migratory syndromes in insects In Ian Woiwood D R Reynolds C D Thomas editors Insect Movement Mechanisms and Consequences Proceedings of the Royal Entomological Society s 20th Symposium CABI 2001 ISBN 0 85199 781 3 Definition auf p 160 a b Derek A Roff amp Daphne J Fairbairn 2007 The Evolution and Genetics of Migration in Insects BioScience Vol 57 No 2 155 164 Derek A Roff 1986 The evolution of wing dimorphism in insects Evolution 40 5 1009 1020 Steve G Compton Sailing with the wind dispersal by small flying insects In Ian Woiwood D R Reynolds C D Thomas editors Insect Movement Mechanisms and Consequences Proceedings of the Royal Entomological Society s 20th Symposium CABI 2001 ISBN 0 85199 781 3 Jason W Chapman Don R Reynolds Henrik Mouritsen Jane K Hill Joe R Riley Duncan Sivell Alan D Smith Ian P Woiwod 2008 Wind Selection and Drift Compensation Optimize Migratory Pathways in a High Flying Moth Current Biology 18 514 518 J W Chapman D R Reynolds A D Smith E T Smith I P Woiwod 2004 An aerial netting study of insects migrating at high altitude over England Bulletin of Entomological Research 94 123 136 Thomas Ranius 2006 Measuring dispersal of saproxylic insects a key characteristics for their conservation Population Ecology 48 177 188 Zsolt E Kovatz Jan J H Cibrowski Lyndia D Corkum 1996 Inland dispersal of adult aquatic insects Freshwater Biology 36 265 276 Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Dispersionsflug amp oldid 228599051