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Migration ist ein Konzept zur Beschreibung von Bewegungen von Organismen oberhalb eines bestimmten art und skalenabhangigen Bereichs Bei Tierarten wird in der Regel unterschieden zwischen mehr oder weniger alltaglichen Bewegungsmustern die innerhalb eines Aktionsraums oder Territoriums stattfinden und die vor allem dem Aufsuchen und der Gewinnung von Nahrung oder der Suche nach Paarungspartnern dienen und daruber hinausgehenden Bewegungen die das Tier weit ausserhalb seines Aktionsraums fuhren 1 Migrationen sind nur die uber den Aktionsraum hinausfuhrenden Bewegungen Diese Bewegungen sind dabei nicht rein zufallig wie es etwa das Verdriften von Organismen durch einen schweren Sturm ware sondern in der Regel durch morphologische und Verhaltensanpassungen vorgegeben und im Lebenszyklus und in der Populationsstruktur der jeweiligen Art sinnvoll und notwendig Inhaltsverzeichnis 1 Klassifikation 2 Typen und Formen von Migrationen 3 Evolution von Migrationsverhalten 4 Quellen 5 EinzelnachweiseKlassifikation BearbeitenJe nach Auspragung und biologischem Sinn werden diese Bewegungsvorgange unterschiedlich klassifiziert Migrationen im engeren Sinn sind gerichtete meist zu einem Ziel hin und in den ursprunglichen Lebensraum zuruck fuhrende Wanderungen die von gesamten Populationen in der Regel synchron durchgefuhrt werden vgl dazu Tierwanderungen Dabei konnen dieselben Individuen hin und ruckwandern z B Vogelzug Huftierwanderungen der afrikanischen Savannen Wanderungen der Wale zwischen tropischen und arktischen Meeren oder deren Nachkommen meist Insekten beispielsweise wirtswechselnde Blattlausarten Ausbreitungs oder Dispersions Vorgange engl dispersal gelegentlich Dismigration genannt sind gerichtete Wanderungen aus dem angestammten Lebensraum hinaus meist mit dem Ziel der Ansiedlung in neuen Lebensraumen Kolonisierung Jede biologische Art muss zumindest in gewissem Mass zu solchen Ausbreitungsvorgangen in der Lage sein da sie ansonsten bei jeder Anderung der Lebensbedingungen im Ursprungshabitat sofort aussterben wurde Ausbreitung kann dabei je nach Art unterschiedlich von Bewegungen im Zentimeterbereich bis hin zu Bewegungen uber Kontinente hinweg erfolgen Viele Arten besitzen besondere Lebensphasen oder Stadien die speziell der Ausbreitung dienen Sowohl die Abgrenzung dieser Vorgange gegeneinander als auch gegenuber den normalen Bewegungsmustern im Aktionsraum ist dabei unscharf So gibt es beispielsweise Tierarten die uberhaupt keinen dauerhaften definierten Aktionsraum besitzen diese werden nomadische Arten genannt Migrationen im zweiten Sinn Dispersion betreffen alle Arten von Organismen also z B auch Pflanzen Pilze und Mikroorganismen Beide Arten von Migrationen konnen je nach Art in einer bestimmten Lebensphase immer obligat oder nur bei besonderen Anlassen und Bedingungen z B bei Nahrungsknappheit fakultativ erfolgen Bei der Betrachtung von Migrationen existieren zwei Betrachtungsebenen nebeneinander die beide eine lange Tradition besitzen aber nur selten miteinander verknupft werden 2 Ebene des Individuums Untersucht werden hier individuelle Anpassungen des jeweiligen Organismus an Migrationsvorgange z B Verhaltensanpassungen Ebene der Population Hier werden vor allem Auswirkungen von Migrationsvorgangen auf Okologie und Verbreitung von Populationen und Arten untersucht Ein typischer Ansatz ist z B die Theorie der Metapopulationen Fur beide Ebenen gleichermassen bedeutsam aber bisher nur in Ansatzen erforscht ist die Ebene der Gene Wenn Ausbreitung adaptiv sein sollte muss sie eine genetische Basis besitzen Diese wird in der Forschung auf deskriptiver Ebene durch Analyse der Erblichkeit beispielsweise von Verhalten als auch kausal durch direkte Analyse verhaltensbestimmender Gene betrachtet Die Vorgange sind aber erst in Ansatzen tatsachlich entratselt Typen und Formen von Migrationen BearbeitenEs existieren nebeneinander zahlreiche Ansatze Migrationen zu typisieren Diese besitzen je nach Ebene und Fragestellung unterschiedliche Vorzuge Auch die Ansatze bei der Bearbeitung von Vogeln Saugetieren Insekten und marinen Organismen sind traditionell etwas verschieden Nach dem raumlichen Bewegungsmuster existieren z B folgende Falle Hin und Zuruckmigrationen Dies ist der klassische Fall der vor allem die Untersuchung des Vogelzugs gepragt worden ist Beim Vogelzug ziehen in der Regel dieselben Individuen zwischen Sommer und Winterhabitat hin und her Weitere gut untersuchte Falle sind z B Fledermause 3 oder Wale Die ostpazifische Population des Grauwals wandert jedes Jahr zwischen der Beringsee und der Bucht von Kalifornien einzelne Wale konnen dabei mehr als 18 000 Kilometer im Jahr zurucklegen Bei jeder dieser Gruppen konnen Hin und Ruckzugroute verschieden sein wodurch sich eine Schleife ergibt Vor allem bei Insekten aber auch z B bei Wanderfischarten wie Lachsen und Aalen sind es nicht die Individuen selbst sondern erst ihre Nachkommen die die Ruckwanderung antreten Tagliche Migrationen in der Wassersaule auf und ab die mehrere hundert Meter ausmachen konnen sind typisch fur zahlreiche Vertreter des marinen Planktons gerichtete Migrationen Zahlreiche Arten besitzen in ihrem Lebenszyklus eine obligate Migrationsphase Dies ist bei vielen Tiergruppen ein Larvenstadium Bei den Fluginsekten Pterygota fuhren in der Regel die jungen adulten Tiere Vollkerfe Imagines sog Dispersionsfluge durch Die Ausbreitungsphase ist hier fest in den Lebenszyklus integriert Meist ist die Gonadenreifung verzogert und erfolgt erst im Anschluss an die Migrationsphase dies wurde als Oogenesis Flug Syndrom systematisiert 4 Bei zahlreichen Insektenarten existieren nebeneinander flugfahige langflugelige oder makroptere und flugunfahige kurzflugelige bzw flugellose brachyptere oder aptere Individuen Dieser Dimorphismus hat sehr oft eine genetische Basis In der Regel ist bei holometabolen Insekten mit vollstandiger Verwandlung ein einziges Allel verantwortlich bei dem die langflugelige Form rezessiv und die kurzflugelige dominant vererbt wird Seltener existiert eine durch Umwelteinflusse induzierte regelrechte Ausbreitungs Morphe wie bei den Wanderheuschrecken Auch Arten mit Hin und Ruck Migrationen fuhren daneben in der Regel auch gerichtete Migrationen aus oft in einem anderen Lebensstadium Bei Fledermausen existiert daneben ein Geschlechtsunterschied Mannchen fuhren haufiger gerichtete Weibchen haufiger Hin und Ruck Migrationen aus In der Terminologie der Wirbeltierforscher wird die Bezeichnung Migration nicht in jedem Fall auch auf diese gerichteten Bewegungen angewandt Die meisten Migrationen erfolgen regelmassig z B jahrlich annuell oder jahreszeitlich saisonal Bei den meisten regelmassig wandernden Arten haben sich besondere Zeitgeber herausgebildet die das Migrationsverhalten bestimmen auch wenn der dahinter liegende Grund okologischer Natur ist z B Nahrungsmangel Dies liegt daran dass es riskant ist mit der Wanderung erst beim Eintritt der Verschlechterung zu beginnen Auch Ausmass und Dauer der Wanderungen sind oft erblich determiniert Solche Arten beenden die Wanderung nicht wenn sie einen Lebensraum mit gunstigen Bedingungen auf ihrer Route antreffen Unregelmassige und nicht saisonal vorgegebene Migrationen werden auch Irruptionen genannt Diese werden in der Regel direkt durch Verschlechterung der Lebensbedingungen ausgelost Wanderungen aquatischer Organismen zwischen Suss und Salzwasserhabitaten werden diadrome Migrationen genannt Neben Wanderfischen treten sie auch bei Wirbellosen auf z B bei der Wollhandkrabbe Wanderungen mit dem Medium also durch Luft oder Wasserstromungen werden oft als Drift bezeichnet Evolution von Migrationsverhalten BearbeitenMigration ist fur die beteiligten Organismen mit nicht unbetrachtlichem Aufwand verbunden Ins Gewicht fallt nicht nur der Energieverbrauch fur die Bewegung Bereits der Besitz von Lokomotionsorganen wie Flugeln und der dazu notwendigen Muskulatur ist mit Energieaufwand verbunden Bei Insektenarten mit kurz und langflugeligen Individuen Flugeldimorphismus konnen die kurzflugeligen in der Regel mehr Eier legen oder ihre Entwicklung fruher abschliessen Ist Migration ein adaptives von der Evolution gefordertes Merkmal mussen diesem Aufwand entsprechende Gewinne entgegenstehen Fur einen einzelnen Organismus handelt es sich um ein Optimierungsproblem Verzichtet er auf Migration befindet er sich in einem Habitat mit Umweltbedingungen die zumindest gut genug dafur waren dass er seine eigene Entwicklung erfolgreich abschliessen konnte Andererseits konnen die Bedingungen sich zufallig oder vorhersagbar verschlechtern Durch die Migration neu besiedelte Habitate dienen als Risikopuffer gegenuber zufalligem Aussterben durch Katastrophen Ausserdem ist in einem neu kolonisierten Habitat wahrscheinlich die Konkurrenz durch Artgenossen geringer oder sogar fehlend Es ist unmittelbar einsichtig dass Arten die in nur kurz bestehenden ephemeren oder in Habitaten mit stark schwankenden Bedingungen leben mehr in Migration investieren mussen als Arten in stabilen Habitaten mit vorhersagbaren Bedingungen 5 Als Alternative zur Migration konnen allerdings auch resistente Dauerstadien dienen Dormanz Da es wenn sich die Bedingungen tatsachlich verschlechtern schon zu spat sein kann wird unter Umstanden die Evolution von Zeitgebern wie der Photoperiode oder endogenen Rhythmen gefordert Manche Definitionen von Migration lassen uberhaupt nur Ortsveranderungen aufgrund solcher Faktoren gelten Gelingt migrierenden Individuen die Begrundung neuer Populationen so ist es zu erwarten dass in dieser neuen Population zunachst der Anteil der mobilen migrationsfreudigen Individuen sehr hoch liegt da ja Alle von solchen Individuen abstammen Ist dieser Lebensraum bezogen auf die Entwicklungsdauer der betrachteten Art stabil und langlebig sind hier allerdings dann die flugellosen Individuen aufgrund ihrer hoheren Reproduktionsrate im Vorteil Ihr Anteil sollte also rasch ansteigen Ist die Kolonisierungsrate neuer Habitate zu gering kann moglicherweise die Migrationsfahigkeit ganz verloren gehen mit langerfristig stark erhohtem Aussterberisiko untersucht z B bei Laufkafern 6 7 und Russelkafern 8 Quellen BearbeitenHugh Dingle 1996 Migration The Biology of Life on the Move New York Oxford University Press Hugh Dingle amp Alistair Drake What is migration In BioScience 57 Jahrgang Nr 2 2007 S 113 121 doi 10 1641 B570206 Derek A Roff amp Daphne J Fairbairn 2007 The Evolution and Genetics of Migration in Insects BioScience Vol 57 No 2 155 164 Einzelnachweise Bearbeiten William Henry Burt 1943 Territoriality and Home Range Concepts as Applied to Mammals Journal of Mammalogy Vol 24 No 3 346 352 Melissa S Bowlin Isabelle Anne Bisson Judy Shamoun Baranes Jonathan D Reichard Nir Sapir Peter P Marra Thomas H Kunz David S Wilcove Anders Hedenstrom Christopher G Guglielmo Susanne Akesson Marilyn Ramenofsky Martin Wikelski 2010 Grand Challenges in Migration Biology Integrative and Comparative Biology Vol 50 No 3 261 279 doi 10 1093 icb icq013 Theodore H Fleming amp Peggy Eby Ecology of bat migration In Thomas H Kunz amp M Brock Fenton editors Bat Ecology University of Chicago Press 2006 Cecil George Johnson 1969 Migration and dispersal of insects by flight London Methuen T R E Southwood 1962 Migration of terrestrial arthropods in relation to habitat Biological Reviews 37 171 211 doi 10 1111 j 1469 185X 1962 tb01609 x P J den Boer Dispersal power and survival carabids in a cultivated countryside Miscellaneous papers Landbouwhogeschool Wageningen 14 1977 190pp P J den Boer 1990 Density limits and survival of local populations in 64 carabid species with different powers of dispersal Journal of Evolutionary Biology 3 1 2 19 48 Basel V W Stein 1977 Die Beziehung zwischen Biotop Alter und Auftreten der Kurzflugeligkeit bei Populationen dimorpher Russelkafer Arten Col Curculionidae Zeitschrift fur Angewandte Entomologie 83 37 39 doi 10 1111 j 1439 0418 1977 tb02372 x 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