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Als diplomatische Edition bezeichnet man in der Editionswissenschaft eine Ausgabe eines Textes Edition die auf der Grundlage eines einzelnen Textzeugen erstellt wird und dessen Wortlaut sehr genau wiedergibt Inhaltsverzeichnis 1 Begriff 2 Merkmale 3 Vor und Nachteile 4 Verbreitung 4 1 Diplomatik 4 2 Bibelausgaben 4 3 Germanistische Mediavistik 4 4 Neugermanistik 4 5 Digitale Editionen 5 Weblinks 6 Literatur 7 EinzelnachweiseBegriff BearbeitenDer Begriff leitet sich vom Begriff Diplomatik Urkundenlehre ab wo dieser Editionstyp schon fruh eine besonders wichtige Rolle gespielt hat Im Gegensatz zu anderen historischen Quellen wurden mittelalterliche Urkunden schon seit dem 18 Jahrhundert und werden bis heute meist auf Basis nur eines Textzeugens vorzugsweise des Originals und oft sehr viel vorlagengetreuer als chronikalische und literarische Quellen ediert Merkmale BearbeitenDiplomatische Editionen orientieren sich im Gegensatz zu anderen Typen von Editionen stark am jeweiligen Textzeugen und nicht z B dem vermuteten Autorwillen oder einer durch Textkritik rekonstruierten Textstufe Diplomatische Editionen sind moglichst vorlagengetreu Daher verzichten Herausgeber auf Normalisierung der Orthographie ganz oder jedenfalls sehr weitgehend diplomatische Editionen verwenden daher oft sonst ungebrauchlichen Schriftzeichen z B fur e caudata e und langes s ſ Vor allem bei digitalen Editionen kann die Zahl der fur eine diplomatische Edition verwendeten Zeichen dabei sehr gross sein Auch offenkundige Fehler in der Vorlage werden nicht oder nur im Apparat durch Emendation verbessert Abkurzungen werden anders als in anderen Editionen nicht oder zumindest nicht in allen Fallen aufgelost Insgesamt ist die Transkription sehr vorlagennah Auch das Layout der Vorlage wird meist bewahrt z B durch zeilengetreue Wiedergabe Nachahmung mehrzeiliger Initialen und teilweise sogar Ubernahme unterschiedlicher Farbigkeit der Schrift Diplomatische Editionen konnen sich daher Faksimile Editionen annahern Bei sehr grosser Vorlagentreue spricht man auch von hyperdiplomatischen Editionen Wie andere kritische Editionen auch enthalten diplomatische Editionen neben dem Obertext einen textkritischen Apparat und eine Einleitung die alle wichtigen editorischen Entscheidungen dokumentiert und die handschriftliche Uberlieferung darstellt Vor und Nachteile BearbeitenEine vorlagentreue Edition ist fur viele Forschungsfragen hilfreich die sich auf Elemente beziehen die in anderen Editionstypen durch Normalisierung verloren gehen Um z B die historische Entwicklung der Zeichensetzung der Gross Kleinschreibung oder allgemein der Orthographie zu untersuchen sind Editionen nur dann brauchbar wenn diese Elemente nicht durch Normalisierung verandert wurden Der Verzicht auf Eingriffe in den Text bedeutet auch dass der Obertext unabhangig von Hypothesen uber die ubrige Uberlieferung erstellt wurde Insgesamt sind diplomatische Editionen wie Faksimiles langfristiger nutzbar als andere Editionstypen da sie samtliche Informationen wiedergeben auch solche deren Wert sich vielleicht erst durch kunftige neue Fragestellungen ergibt 1 Als Nachteil diplomatischer Editionen wird oft genannt dass der Verzicht auf Normalisierung und Glattungen eine unter Umstanden starke Storung des Leseflusses und der Verstandlichkeit bedeute Anders als Editionen die auf stemmatologischer Basis erstellt werden machen diplomatische Editionen auch keine Aussagen uber andere Textstufen insbesondere nicht uber mogliche Originale oder andere Fassungen dementsprechend kann zwar die Einleitung nicht aber die diplomatische Edition selbst Aussagen daruber treffen wie sich der edierte Text zu anderen Fassungen verhalt Ein weiterer Nachteil bei der Erstellung diplomatischer Editionen kann der grossere Arbeitsaufwand infolge moglichst grosser Genauigkeit der Nachahmung der Vorlage sein Verbreitung BearbeitenDiplomatik Bearbeiten Diplomatische Editionen sind bei Urkunden des Mittelalters und der Fruhen Neuzeit ublich seit diese uberhaupt ediert werden Die Mischung aus palaographischen Abschriften und buchstabengetreuer Transkriptionen die Jean Mabillon 1681 in seinem Werk De re diplomatica zur Wiedergabe mittelalterlicher Urkunden als Faksimile in Form von Kupferstichen eingefugt hat kann als Beginn der diplomatischen Editionspraxis gelten 2 Da im Vergleich zu literarischen Quellen vergleichsweise haufig genau ein Textzeuge erhalten ist zugleich aber der Anteil der Falschungen sehr hoch ist und die Echtheitskritik oft bei der Verwendung spezieller Zeichen Chrismon Herrschermonogramm orthographischen und metrischen Besonderheiten Datierungsfehlern und anderen Eigenheiten ansetzt waren und sind vorlagentreue Editionen fur die Diplomatik von besonderem Wert Teilweise ist auch unklar nach welcher Norm eine Normalisierung uberhaupt erfolgen sollte 3 4 Editionen von Urkunden bieten normalerweise den nicht normalisierten Wortlaut der jeweiligen Vorlage und enthalten eigene Siglen fur spezielle Zeichen wie das Chrismon Passagen in Elongata sind als solche markiert Massgeblich wurden die Editionsrichtlinien der Diplomata Reihe der Monumenta Germaniae Historica 3 5 Noch einmal vorlagentreuer sind die Editionen im Rahmen des Corpus der altdeutschen Originalurkunden wobei auch hier im Laufe des Projektes unterschiedliche editorische Standards erprobt wurden 4 6 Bibelausgaben Bearbeiten Eine wichtige Rolle spielen diplomatische Ausgaben auch im Bereich der Textkritik des Alten und des Neuen Testamentes ein Beispiel ist die Biblia Hebraica Quinta Auch die Cambridger Septuaginta ist zumindest in weiten Teilen als diplomatische Edition namlich des Codex Vaticanus Graecus 1209 gestaltet Hauptartikel Textkritik des Neuen Testaments Hintergrund ist die besondere Uberlieferungslage der biblischen Schriften die in ausserordentlich zahlreichen Handschriften in verschiedenen Sprachen aus vielen Jahrhunderten vorliegen Viele Bucher liegen in mehreren Rezensionen vor fur viele Handschriften sind Kontaminationen nachweisbar oder jedenfalls nicht auszuschliessen Zum einen ist dadurch die Anwendung der stemmatologischen Methode nur eingeschrankt und teilweise gar nicht moglich in jedem Fall sind selbst die Vorarbeiten zu einem Stemma codicum mit ungewohnlich grossem Aufwand verbunden Hingegen gab und gibt es fur diplomatische Ausgaben zumal besonders wichtiger Handschriften seit langer Zeit und an vielen Orten einen Bedarf Zum anderen gab es gegenuber kritischen Bibelausgaben immer wieder auch grundsatzliche Einwande Seitens der katholischen Kirche unterlagen alle Bibelausgaben deren Wortlaut von denen der romischen Ausgaben abwichen vom spaten 16 bis in die Mitte des 20 Jahrhunderts der Zensur und wurden oft auf den Index gesetzt 7 Auch innerhalb der Bibelwissenschaft wurde an kritischen Editionen wie der Gottinger Septuaginta durch Alfred Rahlfs mehrfach bemangelt dass es sich um einen kunstlichen Mischtext handele dessen Wortlaut auf zahlreichen Hypothesen beruhe 8 Solche Einwande sind innerhalb der christlichen Theologie schwerwiegender als es vergleichbare Einwande gegen ahnliche Editionen nichtreligioser Texte in anderen Wissenschaften sind Germanistische Mediavistik Bearbeiten Obwohl Karl Lachmann als einer der Grundervater der Germanistik gilt wird die mit seinem Namen verbundene Methode in der Germanistik heute oft kritisch gesehen und schon seit langerem selten angewandt Seit mehreren Jahrzehnten uberwiegen Editionen nach dem Leithandschrift Prinzip von denen viele diplomatische oder sogar hyperdiplomatische Ausgaben sind 9 Dafur gibt es mehrere Grunde Zum einen haben mittelalterliche literarische Texte oft keine geschlossene Uberlieferung eine der Voraussetzungen fur die Anwendbarkeit der stemmatologischen Methode wobei andererseits haufiger als bei antiken Texten zeitnah zum Original entstandene Abschriften erhalten sind was die Notwendigkeit stemmatologisch begrundeter Konjekturen verringert Zum zweiten werden in der Germanistik heute die bis weit ins 20 Jahrhundert ubliche Normalisierung von Orthographie und Metrik sowie die Ruckubersetzungen in ein normalisiertes Mittelhochdeutsch uberwiegend abgelehnt 9 Drittens berucksichtigen germanistische Editionen starker als solche anderer Disziplinen den material turn 10 und linguistische Fragestellungen fur die vorlagentreue Editionen wichtig sind Im Rahmen der New Philology werden Varianten Reichtum und die Instabilitat auch kanonischer Text wertgeschatzt 11 12 Viertens sind einige kanonische Texte zudem in derart wenigen Abschriften erhalten dass diplomatische Editionen einzelner Textzeugen und oder synoptische Editionen von zwei drei oder vier Textzeugen fur die Forschung besonders wertvoll sind z B im Fall des Hildebrandsliedes unikale Uberlieferung des Nibelungenliedes drei Haupthandschriften des Erec eine vollstandige Handschrift der wichtigsten mittelhochdeutschen Liederhandschriften drei Handschriften darunter der Codex Manesse oder des Tristans des Gottfried von Strassburg unikale Uberlieferung Neugermanistik Bearbeiten Im Bereich der neueren deutschen Literatur sind diplomatische Editionen bzw Werkausgaben die auch diplomatische Transkriptionen und oder Faksimiles enthalten zum Standard geworden Wahrend altere Editionen entweder auf den Autorwillen vgl Ausgabe letzter Hand oder vor allem wo dieser unklar war auf moglichst eindeutige oft nur durch Emendation erreichbare Lesetexte zielte setzten sich seit den 1970er Jahren vorlagentreue Ausgaben immer starker durch Ein sehr bekanntes Beispiel ist die Ausgabe der Werke Friedrich Holderlins vor allem fur das Spatwerk das in Form sehr zahlreicher autographer Fassungen und Fragmente vorliegt Wahrend altere Ausgaben aus diesen Texten jeweils eine Lesefassung erstellten im Vergleich zu der die anderen Textstufen bzw andere Lesarten nur Vorarbeiten und Varianten waren zielte vor allem die sogenannte Frankfurter Holderlin Ausgabe auf eine gleichwertige Prasentation aller Texte Dazu wurden Faksimiles und diplomatische Transkriptionen in die Ausgabe aufgenommen und dabei auch solche Materialien die von fruheren Ausgaben nicht erfasst wurden Dies wurde auch mit dem Charakter des Werkes begrundet dem eine solche Edition angemessen sei 13 Nach anfanglich teils heftigen Widerstanden wurde die Frankfurter Ausgabe spater zum Vorbild anderer neugermanistischer Editionsvorhaben Georg Buchner Franz Kafka Heinrich von Kleist Georg Trakl 14 15 Teilweise werden selbst diplomatische Editionen als nicht vorlagentreu genug angesehen und selbst bei Faksimiles betont dass diese bereits eine Ubersetzung der Vorlage darstellten 16 Digitale Editionen Bearbeiten Das Aufkommen digitaler Editionen vor allem wenn diese von Anfang an mit digitalen Hilfsmitteln erstellt wurden hat zur grosseren Verbreitung diplomatischer Transkriptionen als Teil von Editionen beigetragen Zum einen fallen bei digitalen Editionen alle nur durch technische Moglichkeiten des Buchdrucks notwendige Normalisierungen weg 17 Zweitens sieht der Workflow zur Erstellung digitaler Editionen oft eine sehr vorlagennahe Erfassung von Textzeugen vor die auch dann parallel zum Obertext verfugbar gemacht werden konnen wenn dieser stark normalisiert ist oder aus anderen Grunden nicht der bzw einer bestimmten Vorlage folgt 18 Weblinks BearbeitenLisa Rieger Diplomatische Edition In KONDE Weissbuch Hrsg von Helmut Werner Klug unter Mitarbeit von Selina Galka und Elisabeth Steiner im HRSM Projekt Kompetenznetzwerk Digitale Edition Aufgerufen am 1 November 2022 Literatur BearbeitenThomas Bein Textkritik Eine Einfuhrung in Grundlagen germanistisch mediavistischer Editionswissenschaft 2 uberarbeitete und erweiterte Auflage Peter Lang Frankfurt am Main 2011 ISBN 978 3 653 00677 3 Patrick Sahle Digitale Editionsformen Zum Umgang mit der Uberlieferung unter den Bedingungen des Medienwandels Teil 2 Befunde Theorie und Methodik BoD Norderstedt 2013 ISBN 978 3 8482 5252 7 urn nbn de hbz 38 53523 Einzelnachweise Bearbeiten Hans Zeller Die Faksimile Edition als Grundlagenedition fur Philologie und Textgenetik Ein Vorschlag In Hans Zeller Gunter Martens Hrsg Textgenetische Edition Max Niemeyer Tubingen 1998 S 80 100 hier S 89 doi 10 1515 9783110939996 005 Patrick Sahle Digitale Editionsformen Zum Umgang mit der Uberlieferung unter den Bedingungen des Medienwandels Teil 2 Befunde Theorie und Methodik BoD Norderstedt 2013 ISBN 978 3 8482 5252 7 hier S 332 urn nbn de hbz 38 53523 a b Theodor Sickel Vorrede In MGH Diplomata regum et imperatorum Germaniae Band 1 Hannover 1879 hier S VI DD Ko I DD H I DD O I S VI Digitalisat a b Helmut de Boor Vor und Nachwort zum Corpus der altdeutschen Originalurkunden bis zum Jahr 1300 In Helmut de Boor Diether Haacke Bettina Kirschstein Hrsg Corpus der altdeutschen Originalurkunden bis zum Jahr 1300 Begrundet von Friedrich Wilhelm fortgefuhrt von Richard Newald Lieferung 55 Erich Schmidt Berlin 2004 ISBN 3 503 07913 0 S VI XXXIV hier S XIII XVIII uni trier de PDF abgerufen am 4 November 2022 Theodor Sickel Programm und Instruction der Diplomata Abtheilung in Neues Archiv 1 1876 S 427 498 Helmut de Boor Diether Haacke Vorrede In Helmut de Boor Diether Haacke Hrsg Corpus der altdeutschen Originalurkunden bis zum Jahr 1300 Begrundet von Friedrich Wilhelm fortgefuhrt von Richard Newald Band 4 Moritz Schauenburg Lahr 1963 ISBN 3 503 06198 3 S III XII hier S IV VIII Hubert Wolf Index Der Vatikan und die verbotenen Bucher C H Beck Munchen 2007 ISBN 978 3 406 54778 2 S 26 29 google com abgerufen am 3 November 2022 Christian Schafer Alfred Rahlfs 1865 1935 und die kritische Edition der Septuaginta Eine biographisch wissenschaftsgeschichtliche Studie De Gruyter Berlin 2016 ISBN 978 3 11 045479 6 S 252 255 doi 10 1515 9783110454796 a b Thomas Bein Textkritik Eine Einfuhrung in Grundlagen germanistisch mediavistischer Editionswissenschaft 2 uberarbeitete und erweiterte Auflage Peter Lang Frankfurt am Main 2011 ISBN 978 3 653 00677 3 S 85 89 Stephen G Nichols Introduction Philology in a Manuscript Culture In Speculum Band 65 Nr 1 1990 ISSN 0038 7134 S 1 10 doi 10 2307 2864468 JSTOR 2864468 Thomas Bein Textkritik Eine Einfuhrung in Grundlagen germanistisch mediavistischer Editionswissenschaft 2 uberarbeitete und erweiterte Auflage Peter Lang Frankfurt am Main 2011 ISBN 978 3 653 00677 3 S 90 92 Martin Baisch Textkritik als Problem der Kulturwissenschaft Tristan Lekturen de Gruyter Berlin 2006 ISBN 3 11 018568 7 doi 10 1515 9783110927214 Dietrich E Sattler Friedrich Holderlin Frankfurter Ausgabe Editionsprinzipien und Editionsmodell In Holderlin Jahrbuch 19 20 1975 77 S 112 130 hier S 113 Zum Werk Holderlins gehort aber untilgbar die Spur des Misslingens das Unbewaltigte der Sturz Das macht seine Wahrhaftigkeit aus das ist noch zu lernen Stephan Wackwitz Friedrich Holderlin 2 Auflage J B Metzler Stuttgart 1996 ISBN 3 476 04102 6 S 1 13 Dierk O Hoffmann Harald Zils Holderlin Editionen In Rudiger Nutt Kofoth Bodo Plachta Hrsg Editionen zu deutschsprachigen Autoren als Spiegel der Editionsgeschichte Bausteine zur Geschichte der Edition Band 2 de Gruyter Berlin 2005 ISBN 3 11 092691 1 S 199 246 hier S 225 doi 10 1515 9783110926910 199 Roland Reuss Genug Achtung vor der Schrift Zu Franz Kafka Schriften Tagebucher Briefe Kritische Ausgabe In Text kritische Beitrage Band 1 1995 S 107 126 hier S 123 Jede Ubersetzung in Typographie und alles was mehr ist als reine Faksimilierung wahrscheinlich auch schon diese selbst ist Ubersetzung Matthias Thumser Zehn Thesen zur Edition deutschsprachiger Geschichtsquellen In Matthias Thumser Janusz Tandecki Hrsg Methodik Amtsbucher digitale Edition Projekte Publikationen des Deutsch Polnischen Gesprachskreises fur Quellenedition Band 4 Tow Thorn 2008 ISBN 978 83 61487 04 3 S 13 19 hier S 16 Patrick Sahle Digitale Editionsformen Zum Umgang mit der Uberlieferung unter den Bedingungen des Medienwandels Teil 2 Befunde Theorie und Methodik BoD Norderstedt 2013 ISBN 978 3 8482 5252 7 hier v a S 182 184 urn nbn de hbz 38 53523 Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Diplomatische Edition amp oldid 238243797