www.wikidata.de-de.nina.az
Die Deliberative Demokratie entlehnt von lateinisch deliberatio Beratschlagung Uberlegung betont offentliche Diskurse offentliche Beratung die Teilhabe der Burger an offentlicher Kommunikation und das Zusammenwirken von Deliberation und Entscheidungsprozess Der Begriff Deliberative Demokratie bezeichnet sowohl demokratietheoretische Konzepte in denen die offentliche Beratung zentral ist als auch deren praktische Umsetzung Wesentliches Kennzeichen einer deliberativen Demokratie ist der offentliche Diskurs uber alle politischen Themen der auch als Deliberation bezeichnet wird Als inputorientiertes Demokratiemodell das der politischen Willensbildung der Burger grosses Gewicht beimisst wird die Diskurs orientierte Deliberative Demokratie von Manfred G Schmidt trotz der erheblichen Unterschiede zusammen mit der entscheidungsorientierten partizipatorischen Demokratie den beteiligungszentrierten Demokratietheorien zugeordnet 1 Aufruf zur Errichtung deliberativer DemokratieDer Begriff Deliberative Demokratie wurde von Joseph M Bessette in dem 1980 erschienenen Buch Deliberative Democracy The Majority Principle in Republican Government gepragt und in dem 1994 erschienenen Buch The Mild Voice of Reason weiter ausgearbeitet Wichtige Theoretiker Deliberativer Demokratie sind ausserdem Jurgen Habermas und John Rawls Weiterhin haben u a Seyla Benhabib James Bohman Joshua Cohen John Dryzek Jon Elster Amy Gutmann Amartya Sen und Dennis Thompson diese demokratietheoretische Denkrichtung aufgegriffen Guy Standing der sich fur ein Bedingungsloses Grundeinkommen einsetzt spricht sich ebenfalls fur diese Demokratieform aus 2 In Abgrenzung zur Deliberativen Demokratie entscheiden in der Direkten Demokratie wie in der Demarchie die Burger selbst Inhaltsverzeichnis 1 Grundlagen und Legitimation 2 Theoretische Ansatze 2 1 Ansatz von Habermas 2 1 1 Diskurs 2 1 2 Offentlichkeit 2 1 3 Zentrum Peripherie Legitimitat demokratischer Entscheidungen 3 Gegenpositionen 4 Siehe auch 5 Literatur 6 Weblinks 7 EinzelnachweiseGrundlagen und Legitimation BearbeitenKernidee der deliberativen Demokratie ist dass durch Austausch von Argumenten in einem machtfreien Diskurs Verstandigung oder Konsens erzielt werden konnen und so gefundene Losungen den Anspruchen der Vernunft in sachlicher und moralischer Hinsicht gerecht werden 3 So bezeichnet es Carole Pateman als zentrale Forderung der Vertreter deliberativer Demokratietheorie dass Einzelne immer bereit sein sollten ihre moralischen und politischen Argumente und Forderungen mit Grunden zu verteidigen und uber diese Grunde mit anderen zu beraten 4 Gelingt es dem besseren Argument Geltung zu verschaffen so hat entsprechend der Argumentation der deliberativen Demokratietheorie die getroffene Entscheidung eine hohere Legitimitat als eine durch Wahl oder Plebiszit allein herbeigefuhrte Entscheidung Im Zentrum der Theorie der deliberativen Demokratie steht also das Legitimationsideal der offentlichen Beratung politischer Fragen Entsprechend der Argumentation deliberativer Demokraten konnen mit adaquaten Deliberationsprozeduren Formen der Zustimmung erreicht werden die sowohl den Anspruchen der Vernunft als auch der demokratischen Legitimitat entsprechen 5 Theoretische Ansatze BearbeitenZwar gibt es zahlreiche Versionen der deliberativen Demokratie es lassen sich aber grundsatzlich zwei Schulen grob unterscheiden die eine starker von John Rawls und die andere starker von Jurgen Habermas beeinflusst Unterschiede zwischen den Ansatzen von Rawls und Habermas bestehen unter anderem in der Konzeptionalisierung offentlicher Beratung public deliberation public reason Wahrend das Konzept von Jurgen Habermas inoffizielle Arenen ausserhalb des institutionellen Settings beispielsweise soziale Bewegungen einbezieht zeichnet Rawls ein engeres Bild offentlicher Beratung indem er starker auf offizielle Institutionen verweist 6 Vertreter der von Habermas beeinflussten Stromung deliberativer Demokratie setzen somit starker auf eine kritische Offentlichkeit wahrend die von Rawls beeinflusste Tradition den Aspekt der Vernunft deliberativ getroffener Entscheidungen betont und von der Moglichkeit objektiv richtiger und gerechter Losungen in der Politik ausgeht Dementsprechend kann die starker von Rawls beeinflusste Schule auch als liberale Variante deren Vertreter ein eher epistemisches Demokratieverstandnis haben bezeichnet werden die eher von Habermas beeinflusste Schule wird auch als kritische Variante die starker auf die Partizipation der Burger an der Deliberation und die Inklusion aller Betroffenen verweist beurteilt 7 Des Weiteren gibt es inzwischen neben klar normativ theoretischen Ansatzen auch empirische Studien zur deliberativen Demokratie als deren Pionier gilt James S Fishkin 8 Ansatz von Habermas Bearbeiten Habermas erhebt den Anspruch das Modell der liberalen und republikanischen Demokratie in sich vereinen zu konnen ohne die Nachteile dieser Demokratietypen an sich zu haben indem eine Synthese liberaler und republikanischer Demokratie gebildet wird 9 Diskurs Bearbeiten Deliberative Politik ist fur Habermas eine Politik der argumentativen Abwagung der gemeinsamen Beratschlagung und Verstandigung uber offentliche Angelegenheiten 10 Dies setzt ideale Prozeduren der Beratung und Beschlussfassung 10 voraus die wiederum an folgende Voraussetzungen geknupft sind die argumentative Form des Austausches von Informationen und Begrundungen die offentliche und alle Beteiligungsberechtigte einschliessende Beratung zumindest die gleiche Chance des Zugangs zur und der Teilnahme an der Beratung das Fehlen externer und interner Zwange bei der Beratung ideale Sprechsituation die Maxime dass die Beratungen grundsatzlich unbegrenzt fortgesetzt oder im Falle einer Unterbrechung jederzeit wieder aufgenommen werden konnen der Grundsatz dass die Erorterungen sich auf alle Materien erstrecken konnen die im Interesse aller zu regeln sind die Chance auch uber Interpretation von Bedurfnissen sowie uber vorpolitische Einstellungen und Praferenzen zu beraten den Diskurs untermauernde verfassungspolitische die Grundrechte sichernde Weichenstellungen und das qualifizierte Zusammenwirken von Deliberation und Entscheidungsprozess und zwar jeweils unter Beteiligung moglichst vieler 11 Offentlichkeit Bearbeiten Diskurse vollziehen sich offentlich bzw in der Offentlichkeit Die Offentlichkeit lasst sich am ehesten als ein Netzwerk fur Kommunikation von Inhalten und Stellungnahmen also von Meinungen beschreiben Habermas 1992 436 Offentlichkeit ist also kein vorgefundener Raum sondern muss durch ein interessiertes Publikum und durch kommunikativ handelnde Teilnehmer erst hergestellt werden Offentlichkeit besitzt bei Habermas drei Funktionen Erkennen und Wahrnehmen gesamtgesellschaftlicher Probleme Thematisieren und Herantragen dieser Themen an die Entscheidungstrager im politischen Zentrum Kontrolle des politischen Zentrums Die nichtstaatlichen wie nichtokonomischen Akteure der Zivilgesellschaft oder der zivilgesellschaftlichen Offentlichkeit als das Substrat jenes allgemeinen aus der Privatsphare gleichsam hervortretenden Publikums von Burgern die fur ihre gesellschaftlichen Interessen und Erfahrungen offentliche Interpretationen suchen und auf die institutionalisierte Meinungs und Willensbildung Einfluss nehmen Habermas 1992 444 sollen diese Funktionen ubernehmen nicht naher thematisiert werden soll hier die sog vermachtete Offentlichkeit in der sich etwa finanzstarke Lobbygruppen wiederfinden wurden Zentrum Peripherie Legitimitat demokratischer Entscheidungen Bearbeiten Legitimitat politischer Entscheidungen beruht auf deren Anbindung an offentlich artikulierte im Diskurs zustande gekommene Meinungen Eine starke Zivilgesellschaft ist nach Habermas Theorie zweigleisiger Politik das Bindeglied zwischen politischer Peripherie und politischem Zentrum Das politische Zentrum ein aus der Lebenswelt ausgegliedertes spezifisches Handlungssystem trifft verbindliche administrative Entscheidungen Typische Akteure sind etwa Mitglieder einer Regierung Gleichwohl sind sie auf Eingaben aus der Peripherie angewiesen und mit dieser auch uber den Mechanismus der Wahl verbunden Die politische Peripherie fuhrt lediglich informelle Meinungsbildung in Offentlichkeiten und Zivilgesellschaft durch hat keinerlei Entscheidungskompetenz Dennoch kommt ihr und insbesondere der zivilgesellschaftlichen Offentlichkeit als Ruckgrat deliberativer Politik eine uberaus wichtige Aufgabe zu Sie fungiert als wichtigste Schleuse fur die diskursive Rationalisierung der Entscheidungen einer an Recht und Gesetz gebundenen Regierung und Verwaltung In ihr vollzieht sich also eine demokratische Willensbildung welche die Ausubung politischer Macht nicht nur nachtraglich kontrolliert sondern mehr oder weniger auch programmiert Habermas 1992 364 Nur wenn Entscheidungen des politischen Systems also angemessen an zivilgesellschaftlich artikulierte offentliche Meinungen angebunden sind konnen sie demokratische Legitimitat beanspruchen Im Jahr 2007 formuliert Habermas das so demokratische Legitimitat kann nicht nur durch Deliberation und Offentlichkeit allein hergestellt werden sondern erfordert die Kombination vernunftiger Kommunikation mit der Teilnahme aller potentiell Betroffenen am Entscheidungsprozess 12 Gegenpositionen BearbeitenEin Kritikpunkt ist das Problem des sehr hohen Zeit und Ressourcenaufwandes 13 Dem wird entgegengehalten dass sich in einem rationalen Diskurs die Reibungsverluste vermindern die bei der Befolgung von neuen oder alten Regeln oder Gesetzen entstehen durch gesteigerte Qualitat des offentlichen Abwagens durch verbesserte informelle intellektuelle und moralische Kapazitat der Burger sowie durch gerechtere und autonomieschonende Problemlosung 13 Siehe auch BearbeitenBurgerforum Burgerbeteiligung Deliberative Polling Online Deliberation Planungszelle Reprasentative DemokratieLiteratur BearbeitenDaniel Baron Das schwere Los der Demokratie Chancen und Grenzen zufallsbasierter Beteiligungsverfahren Tectum Marburg 2014 ISBN 978 3 8288 3348 7 334 S zugleich Dissertation Technische Hochschule Aachen 2013 Hubertus Buchstein Jurgen Habermas In Peter Massing Gotthard Breit Hrsg Demokratie Theorien Von der Antike bis zur Gegenwart Bonn 2003 James S Fishkin When the People Speak Deliberative Democracy and Public Consultation Oxford University Press Oxford 2009 Daniel Goler Deliberation Ein Zukunftsmodell europaischer Entscheidungsfindung Analyse der Beratungen des Verfassungskonvents 2002 2003 Baden Baden 2006 Jurgen Habermas Faktizitat und Geltung Beitrage zur Diskurstheorie des Rechts und des demokratischen Rechtsstaats Frankfurt a M 1992 Jurgen Habermas Drei normative Modelle der Demokratie Zum Begriff deliberativer Demokratie In Herfried Munkler Hrsg Die Chancen der Freiheit Grundprobleme der Demokratie Munchen und Zurich 1992 S 11 24 Erneut abgedruckt in Jurgen Habermas Die Einbeziehung des Anderen Frankfurt a M 1996 S 277 292 Ralf Heming Offentlichkeit Diskurs und Gesellschaft Zum analytischen Potential und zur Kritik des Begriffs der Offentlichkeit bei Habermas Wiesbaden 1997 Claudia Landwehr Demokratische Legitimation durch rationale Kommunikation Theorien deliberativer Demokratie In Oliver W Lembcke Claudia Ritz Gary S Schaal Hrsg Zeitgenossische Demokratietheorie Band 1 Normative Demokratietheorien Wiesbaden VS Verlag 2012 355 385 Bettina Losch Deliberative Politik Moderne Konzeptionen von Offentlichkeit Demokratie und politischer Partizipation Verlag Westfalisches Dampfboot Munster 2005 Peter Niesen Benjamin Herborth HG Anarchie der kommunikativen Freiheit Jurgen Habermas und die Theorie der internationalen Politik Frankfurt 2007 ISBN 3 518 29420 2 Martin Scheyli Politische Offentlichkeit und deliberative Demokratie nach Habermas Institutionelle Gestaltung durch direktdemokratische Beteiligungsformen Baden Baden 2000 Rainer Schmalz Bruns Deliberativer Supranationalismus Demokratisches Regieren jenseits des Nationalstaats In ZIB 1999 S 185 bis 244 online PDF 1 2 MB Juan Carlos Velasco Deliberation deliberative Demokratie In Hans Jorg Sandkuhler Hg Enzyklopadie Philosophie 2 Aufl Felix Meiner Hamburg 2010 S 360 363 online Weblinks BearbeitenBettina Losch Deliberative Politik Offentlichkeit Demokratie und politische Partizipation Univ Diss Hamburg 2004 Theodora Papadopoulou Deliberative Demokratie und Diskurs Eine Debatte zwischen Habermas und Rawls Univ Diss Tubingen 2005 Deliberative Democracy Consortium DDC Forschungsverbund zur deliberativen Demokratie Website englisch Einzelnachweise Bearbeiten Manfred G Schmidt Demokratietheorien 5 Auflage VS Wiesbaden 2010 ISBN 978 3 531 16054 2 14 Beteiligungszentrierte Demokratietheorien und 14 1 Partizipatorische und deliberative Demokratietheorien S 236 240 Guy Standing The Precariat why it needs deliberative democracy Memento des Originals vom 25 Juni 2014 imInternet Archive nbsp Info Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht gepruft Bitte prufe Original und Archivlink gemass Anleitung und entferne dann diesen Hinweis 1 2 Vorlage Webachiv IABot www opendemocracy net Open Democracy 2012 Vgl Claudia Landwehr Demokratische Legitimation durch rationale Kommunikation Theorien deliberativer Demokratie In Oliver W Lembcke Claudia Ritzi und Gary S Schaal Hg Zeitgenossische Demokratietheorie Bd 1 Normative Demokratietheorien VS Verlag Wiesbaden 2012 S 355 385 hier S 355 Carole Pateman Participatory Democracy Revisited In Perspectives on Politics 2012 10 Jg Nr 01 S 7 19 hier S 8 Chantal Mouffe Das Demokratische Paradox Turia Kant Wien 2008 S 88 Vgl Robert Cavalier und Charles Ess Notes on the contrast between Habermas and Rawls Memento des Originals vom 29 Juni 2007 im Internet Archive nbsp Info Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht gepruft Bitte prufe Original und Archivlink gemass Anleitung und entferne dann diesen Hinweis 1 2 Vorlage Webachiv IABot caae phil cmu edu Abgerufen am 14 Februar 2015 Vgl Claudia Landwehr Demokratische Legitimation durch rationale Kommunikation Theorien deliberativer Demokratie In Oliver W Lembcke Claudia Ritzi und Gary S Schaal Hg Zeitgenossische Demokratietheorie Bd 1 Normative Demokratietheorien VS Verlag Wiesbaden 2012 S 355 385 hier S 358 f Vgl Claudia Landwehr Demokratische Legitimation durch rationale Kommunikation Theorien deliberativer Demokratie In Oliver W Lembcke Claudia Ritzi und Gary S Schaal Hg Zeitgenossische Demokratietheorie Bd 1 Normative Demokratietheorien VS Verlag Wiesbaden 2012 S 355 385 hier S 359 Henning Ottmann Liberale republikanische deliberative Demokratie In Synthesis philosophica 2006 21 Jg Nr 2 S 315 325 hier S 315 S 317 a b Manfred G Schmidt Demokratietheorien Eine Einfuhrung 5 Auflage Wiesbaden 2008 S 242 Manfred G Schmidt Demokratietheorien Eine Einfuhrung 5 Auflage VS Verlag Wiesbaden 2010 S 242f Schmidt beruft sich auf Jurgen Habermas Kommunikative Rationalitat und grenzuberschreitende Politik eine Replik in Peter Niesen Benjamin Herborth HG Anarchie der kommunikativen Freiheit Jurgen Habermas und die Theorie der internationalen Politik 2007 S 406 459 Jurgen Habermas Kommunikative Rationalitat und grenzuberschreitende Politik eine Replik in Peter Niesen Benjamin Herborth HG Anarchie der kommunikativen Freiheit Jurgen Habermas und die Theorie der internationalen Politik 2007 S 431 a b Manfred G Schmidt Demokratietheorien Eine Einfuhrung 5 Auflage VS Verlag Wiesbaden 2010 S 238 Normdaten Sachbegriff GND 4671998 2 lobid OGND AKS LCCN sh2007005940 Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Deliberative Demokratie amp oldid 237722378