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Bio Macht franzosisch le biopouvoir ist ein Konzept welches auf Michel Foucault zuruckgeht und eine einzigartige Verknupfung zweierlei Machttechniken in modernen westlichen Gesellschaften bezeichnet Zunehmende Individualisierung mittels Disziplinierung des einzelnen Korpers anatomische Politik 1 auf der einen und Regulierung der Bevolkerung Bio Politik 2 auf der anderen Seite wobei Foucault die Bevolkerung versteht als eine Gruppe die nicht einfach nur aus vielen Menschen besteht sondern aus Menschen die von biologischen Prozessen und Gesetzen durchdrungen beherrscht und gelenkt sind und die eine Geburtenrate eine Alterskurve einen Gesundheitszustand 3 hat Inhaltsverzeichnis 1 Biomacht bei Michel Foucault 1 1 Entwicklung des Begriffs 1 2 Zwei Machttechniken 1 3 Funktionsprinzipien 1 4 Die zentrale Bedeutung der Sexualitat 1 5 Technologien des Selbst 1 5 1 Das Individuum und seine Identitat 1 6 Gouvernementalitat 2 Rezeption 3 Siehe auch 4 Literatur 5 Weblinks 6 EinzelnachweiseBiomacht bei Michel Foucault BearbeitenEntwicklung des Begriffs Bearbeiten Foucault entwickelte den Begriff Bio Macht im letzten Kapitel Recht uber den Tod und Macht zum Leben seines Buchs Der Wille zum Wissen 1977 Dabei geht es darum eine neue Art von Machtmechanismus zu beschreiben der sich im 18 Jahrhundert 4 entwickelte Wahrend sich die Macht vorher uber den Tod herleitete entwickelt sich nun eine Macht deren zentraler Fokus das Leben ist Man konnte sagen das alte Recht des Souverans d V sterben zumachenoder leben zulassen wurde abgelost von einer Macht leben zumachenoder in den Tod zustossen 5 Bis dahin gab es nur Untertanen nur Rechtssubjekte Nun gibt es Korper und Bevolkerungen 4 Zwei Machttechniken Bearbeiten Die Macht zum Leben ist dabei wesentlich um zwei Pole organisiert Einerseits richtet sie sich auf den individuellen Korper auf seine Zurichtung vor dem Hintergrund gesellschaftlicher Zustande die Steigerung seiner Nutzlichkeit und die Ausnutzung seiner Krafte die sogenannte anatomische Politik 4 Zum anderen auf den Gattungskorper die Regulierung der Bevolkerung Bio Politik Funktionsprinzipien Bearbeiten Dieser neuen Lebensmacht liegen auch neue Funktionsprinzipien zugrunde Diese Macht ist dazu bestimmt Krafte hervorzubringen wachsen zu lassen und zu ordnen anstatt sie zu hemmen zu beugen oder zu vernichten 6 und um die Bevolkerung als Produktionsmaschine zur Erzeugung von Reichtum Gutern und weiteren Individuen zu nutzen 4 Fur Foucault ist die logische Folge einer Machttechnologie die sich auf das Leben richtet die Normalisierungsgesellschaft Weil es darum geht das Leben zu sichern und auf eine bestimmte Art und Weise zu organisieren werden die Subjekte an einer Norm gemessen sie werden an ihr ausgerichtet und mussen vor ihr bestehen Statt die Grenzlinie zu ziehen die die gehorsamen Untertanen von den Feinden des Souverans scheidet richtet sie die Bio Macht d V die Subjekte an der Norm aus indem sie sie um diese herum anordnet Eine Normalisierungsgesellschaft ist der historische Effekt einer auf das Leben gerichteten Machttechnologie 7 Auch das Selbstverhaltnis der Individuen andert sich Der abendlandische Mensch lernt allmahlich was es ist eine lebende Spezies in einer lebenden Welt zu sein einen Korper zu haben sowie Existenzbedingungen Lebenserwartungen eine individuelle und kollektive Gesundheit die man modifizieren und einen Raum in dem man sie optimal verteilen kann 8 Die zentrale Bedeutung der Sexualitat Bearbeiten Ein extrem wichtiger Eingriffspunkt der neuen Macht ist die Sexualitat Sie erlaubt den Zugang zum Individuum und uber sie funktioniert auch die Kontrolle der Bevolkerung Die Sexualitat liegt letztlich genau an der Verbindungsstelle zwischen der individuellen Disziplinierung des Korpers und der Regulierung der Bevolkerung Die Sexualitat ist das Bindeglied zwischen anatomischer Politik und Biopolitik sie liegt am Kreuzungspunkt der Disziplinierungs und Regulierungsformen und in dieser Funktion wird sie Ende des 19 Jahrhunderts zu einem erstrangigen politischen Instrument 4 Sie wird zu einer Angelegenheit des Staates Sie wird dem Gesundheitswesen und den Regeln einer Normalitat untergeordnet Foucault fasst diese Entwicklungen unter anderem unter dem Begriff Sexualitatsdispositiv zusammen Damit sind machtstrategische Verknupfungen von Diskursen und Praktiken gemeint die sich rund um das Thema der Sexualitat zu einer bestimmten Zeit bilden Das Sexualitatsdispositiv wird zunachst im Burgertum wirksam das bald damit begann seinen eigenen Sex als wichtige Sache zerbrechlichen Schatz unbedingt zu erkennendes Geheimnis zu betrachten 9 Foucault geht davon aus dass es bei der neuen Sexualpolitik nicht um Askese ging sondern vielmehr um eine Konzentration auf den Korper seine Gesundheit und seine Funktionen Wahrend das Symbol des Adels das Blut war bediente sich das Burgertum der neuen Technologie des Sexes zur Selbstaffirmation Das Burgertum hat sich einen Korper gegeben den es zu pflegen zu schutzen zu kultivieren vor allen Gefahren und Beruhrungen zu bewahren und vor den anderen zu isolieren galt damit er seinen eigenen Wert behalte 10 Es entsteht eine Klasse die in der Sexualitat den Zugang zur eigenen Identitat zum Korper und zur Selbsterkenntnis verortet Der Sexualitat scheint eine Wahrheit innezuwohnen die es zu erkennen gilt Ausserdem erhalt die Gesundheit eine gesellschaftliche und politische Relevanz es ist auf einmal von Bedeutung sich um die eigene Gesundheit zu kummern sich gesund zu erhalten und diese Auffassung ist bis heute eng verknupft mit dem Verstandnis von Subjektivitat Die Sorge um die Sexualitat war untrennbar mit der Sorge um die Gesundheit verbunden Dieser Sorge inharent ist die Abgrenzung von Unerwunschtem von allem was bedrohlich fremd und anders ist Technologien des Selbst Bearbeiten Ab dem zweiten Band von Sexualitat und Wahrheit verandert Foucault sein Konzept insofern er eine machtanalytische Verschiebung in Hinblick auf das Subjekt vornimmt Es geht nicht mehr in erster Linie um die Funktionsweisen der Diskurse die auf das Subjekt einwirken vielmehr entwickelt er unter Ruckgriff auf die griechisch romische Antike den Begriff der Technologien des Selbst Darunter sind gewusste und gewollte Praktiken zu verstehen mit denen die Menschen nicht nur die Regeln ihres Verhaltens festlegen sondern sich selber zu transformieren sich in ihrem besonderen Sein zu modifizieren und aus ihrem Leben ein Werk zu machen suchen das gewisse asthetische Werte tragt und gewissen Stilkriterien entspricht 11 Es handelt sich also um konkrete Handlungsstrategien und Lebensgestaltungsmoglichkeiten mit denen sich das Subjekt selbst konstituieren kann Das Individuum wendet auf sich selbst Praktiken an um ein bestimmtes Ziel zu erreichen das jeweils im Zusammenhang mit seiner historisch und gesellschaftlich spezifischen Verortung steht also Konsequenz der Macht ist die im alltaglichen Leben spurbar ist indem sie z B wirkt durch Einteilung der Individuen in Kategorien und der Verknupfung von bestimmten Wahrheiten mit diesen Das Individuum und seine Identitat Bearbeiten Das was das Individuum als sein Selbst wahrnimmt als seine Identitat ist immer schon entstanden vor dem Hintergrund gesellschaftlicher Verhaltnisse Identitat ist ein Vollzug eine bewusste und unbewusste Tatigkeit in Auseinandersetzung mit kulturellen Deutungsmustern und Artefakten die korperliche Erfahrung hervorrufen die als Ausdruck des naturlichen Leibes interpretiert werden 12 Das Wort Subjekt hat einen zweifachen Sinn vermittels Kontrolle und Abhangigkeit jemandem unterworfen sein und durch Bewusstsein und Selbsterkenntnis seiner eigenen Identitat verhaftet sein Foucault 1994 246f Gouvernementalitat Bearbeiten Um das Verhaltnis von Subjektivierungsprozessen die mit dem Konzept der Technologien des Selbst nun konkreter erfassbar sind und Machtmechanismen klaren zu konnen fuhrt Foucault ausserdem den Begriff der Regierung ein Gouvernementalitat Jenseits einer exklusiven politischen Bedeutung verweist Regierung auf zahlreiche und unterschiedliche Handlungsformen und Praxisfelder die in vielfaltiger Weise auf die Lenkung Kontrolle Leitung von Individuen und Kollektiven zielen und gleichermassen Formen der Selbstfuhrung wie Techniken der Fremdfuhrung umfassen 13 Rezeption BearbeitenGiorgio Agamben der die Analysen Foucaults fortschreiben will versteht die Bio Macht als Herrschaft des Souverans uber das nackte Leben Das Leben selbst steht bei der Macht auf dem Spiel Wahrend Foucault Biomacht als einen alltaglichen Zustand analysiert wahlt Agamben die Sichtweise des Ausnahmezustandes Achille Mbembe stellt der Biopolitik den Begriff der Nekropolitik anbei nach der die Grundlage von Souveranitat und Macht schon im Entscheiden Konnen uber Leben und Tod liege 14 Die Zuspitzung wurde unter anderem von Daniel Loick bezugnehmend auf die europaische Asylpolitik aufgegriffen der das Fluchtlingslager Moria als Todeswelt ahnlich dem Nicht Ort beschreibt 15 Siehe auch BearbeitenBiologismus Sexualitat Selbstdisziplin Drill Diskursanalyse Dispositiv Pastoralmacht Empire die neue Weltordnung Macht WissenLiteratur BearbeitenGiorgio Agamben Homo sacer Die souverane Macht und das nackte Leben Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main 2002 ISBN 3 518 12068 9 Giorgio Agamben Ausnahmezustand Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main 2004 ISBN 3 518 12366 1 Michel Foucault Die Geburt der Biopolitik Geschichte der Gouvernementalitat II Vorlesungen am College de France 1978 1979 Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main 2006 ISBN 978 3 518 29409 3 Michel Foucault In Verteidigung der Gesellschaft Vorlesungen am College de France 1975 1976 3 Aufl Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main 2009 ISBN 978 3 518 29185 6 Michel Foucault Leben machen und sterben lassen Die Geburt des Rassismus In Bio Macht DISS Verlag Duisburg 1992 ISBN 3 927388 34 3 DISS Texte 25 Michel Foucault Der Wille zum Wissen Sexualitat und Wahrheit 1 1 Aufl Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main 1977 ISBN 3 518 07470 9 Michel Foucault Der Gebrauch der Luste Sexualitat und Wahrheit 2 3 Aufl Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main 1993 ISBN 3 518 28317 0 Petra Gehring Was ist Biomacht Vom zweifelhaften Mehrwert des Lebens Campus Verlag Frankfurt am Main 2006 ISBN 3 593 38007 2 Agnes Heller Ferenc Feher Biopolitik Campus Verlag Frankfurt am Main 1995 ISBN 3 593 35308 3 Margret Jager Siegfried Jager Ina Ruth Ernst Schulte Holtey Frank Wichert Hrsg Biomacht und Medien Wege in die Bio Gesellschaft ISBN 3 927388 59 9 Thomas Lemke Biopolitik zur Einfuhrung Junius Hamburg 2007 ISBN 978 3 88506 635 4 Rezension Angelika Magiros Kritik der Identitat Bio Macht und Dialektik der Aufklarung Zur Analyse post moderner Fremdenfeindlichkeit Werkzeuge gegen Fremdenabwehr und Neo Rassismus Unrast Munster 2004 ISBN 3 89771 734 4 Maria Muhle Eine Genealogie der Biopolitik Zum Begriff des Lebens bei Foucault und Canguilhem Transcript Bielefeld 2008 ISBN 978 3 89942 858 2 Stefanie Duttweiler Body Consciousness Fitness Wellness Korpertechnologien als Technologien des Selbst In Widerspruche Zeitschrift fur sozialistische Politik im Bildungs Gesundheits und Sozialbereich Selbsttechnologien Technologien des Selbst Heft 87 Kleine Verlag Marz 2003 Felix Maschewski Anna Verena Nosthoff Uberwachungskapitalistische Biopolitik Big Tech und die Regierung der Korper In Zeitschrift fur Politikwissenschaft S 429 455 2022 https doi org 10 1007 s41358 021 00309 9 Torsten Junge Selbstfuhrung als postpastorale Macht In Malte Christian Gruber Sascha Ziemann Hrsg Die Unsicherheit der Vater Zur Herausbildung paternaler Bindungen Trafo Verlag Berlin 2009 ISBN 978 3 89626 886 0 S 305ff Torsten Junge Leichen im Kopf Foucault der Tod und die Bio Macht In Marvin Chlada Gerd Dembowski Hrsg Das Foucaultsche Labyrinth Eine Einfuhrung Alibri Aschaffenburg 2002 ISBN 3 932710 32 0 S 39ff Ulrich Brockling Susanne Krasmann Thomas Lemke Gouvernementalitat der Gegenwart Suhrkamp Frankfurt am Main 2000 ISBN 3 518 29090 8 Gerburg Treusch Dieter Ihr werdet sein wie Gott Transpflanzungen im Menschenpark In Theo Steiner Hrsg genpool biopolitik und korperutopien Passagen Wien 2002 S 107ff Die Roteln Hrsg Das Leben lebt nicht Postmoderne Subjektivitat und der Drang zur Biopolitik Verbrecher Verlag Berlin 2006 ISBN 3 935843 52 6 Andreas Volkers Thomas Lemke Hrsg Biopolitik Ein Reader Suhrkamp Berlin 2014 ISBN 978 3 518 29680 6 Weblinks BearbeitenMacht Leben Widerstand Zeitschrift FantomasEinzelnachweise Bearbeiten Zur Herausbildung dieser ersten Machttechnik s insbesondere Michel Foucault Uberwachen und Strafen Die Geburt des Gefangnisses Suhrkamp Frankfurt am Main 1977 S 173 250 Michel Foucault Der Wille zum Wissen Sexualitat und Wahrheit Bd 1 Suhrkamp Frankfurt am Main 1977 ISBN 3 518 07470 9 Michel Foucault Die Maschen der Macht 1981 1985 In Daniel Defert Francois Ewald Hrsg Analytik der Macht Verlag Suhrkamp Frankfurt a M 2005 ISBN 3 518 29359 1 S 230 ff a b c d e Michel Foucault Die Maschen der Macht 1981 1985 In Daniel Defert Francois Ewald Hrsg Analytik der Macht Verlag Suhrkamp Frankfurt a M 2005 ISBN 3 518 29359 1 S 230 ff Michel Foucault Der Wille zum Wissen Sexualitat und Wahrheit 1 1 Aufl Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main 1977 ISBN 3 518 07470 9 S 165 Hervorheb im Original d V Michel Foucault Der Wille zum Wissen Sexualitat und Wahrheit 1 1 Aufl Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main 1977 ISBN 3 518 07470 9 S 163 Michel Foucault Der Wille zum Wissen Sexualitat und Wahrheit 1 1 Aufl Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main 1977 ISBN 3 518 07470 9 S 172 Michel Foucault Der Wille zum Wissen Sexualitat und Wahrheit 1 1 Aufl Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main 1977 ISBN 3 518 07470 9 S 170 Michel Foucault Der Wille zum Wissen Sexualitat und Wahrheit 1 1 Aufl Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main 1977 ISBN 3 518 07470 9 S 145 Michel Foucault Der Wille zum Wissen Sexualitat und Wahrheit 1 1 Aufl Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main 1977 ISBN 3 518 07470 9 S 148 Michel Foucault Der Gebrauch der Luste Sexualitat und Wahrheit 2 Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main 1993 3 Aufl ISBN 3 518 28317 0 S 18 Stefanie Duttweiler Body Consciousness Fitness Wellness Korpertechnologien als Technologien des Selbst In Widerspruche Zeitschrift fur sozialistische Politik im Bildungs Gesundheits und Sozialbereich Selbsttechnologien Technologien des Selbst Heft 87 Kleine Verlag Marz 2003 S 32 Thomas Lemke Susanne Krasmann Ulrich Brockling Gouvernementalitat der Gegenwart Frankfurt am Main 2000 ISBN 3 518 29090 8 S 10 Achille Mbembe Nekropolitik In Biopolitik in der Debatte VS Verlag fur Sozialwissenschaften Wiesbaden 2011 ISBN 978 3 531 92807 4 S 63 96 doi 10 1007 978 3 531 92807 4 3 Fehler in Vorlage Literatur Parameterproblem Dateiformat Grosse Abruf nur bei externem Link Daniel Loick Kommentar zu Moria Leben in der Todeswelt In Deutschlandfunk Kultur 18 Oktober 2020 abgerufen am 19 Oktober 2020 deutsch Normdaten Sachbegriff GND 4137810 6 lobid OGND AKS Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Bio Macht amp oldid 237204724