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Die Bayesianische Erkenntnistheorie ist ein formaler Ansatz zu verschiedenen Themen der Erkenntnistheorie der seine Wurzeln in den Werken von Thomas Bayes auf dem Gebiet der Wahrscheinlichkeitstheorie hat 1 Ein Vorteil ihrer formalen Methode gegenuber der traditionellen Erkenntnistheorie besteht darin dass ihre Konzepte und Theoreme mit hoher Prazision definiert werden konnen Sie basiert auf der Idee dass Glaube im Bezug auf subjektive Wahrscheinlichkeit verstanden werden kann Als solche sind sie den Gesetzen der Wahrscheinlichkeitstheorie unterworfen die als Rationalitatsnormen fungieren Diese Normen konnen in statische Bedingungen und dynamische Bedingungen unterteilt werden Diese Bedingungen regeln ob ein Glaube zu einem gewissen Zeitpunkt rational ist und ob bei Erhalt neuer Belege eine Anderung stattfinden soll Der charakteristischste Bayesianische Ausdruck dieser Prinzipien findet sich in Form der sogenannten Dutch books die die Irrationalitat von Handelnden durch eine Reihe von Wetten veranschaulichen die zu einem Verlust fur den Handelnden fuhren unabhangig davon welches der probabilistischen Ereignisse eintritt Bayesianer haben diese Grundprinzipien auf verschiedene erkenntnistheoretische Themen angewendet aber der Bayesianismus deckt nicht alle Themen der traditionellen Erkenntnistheorie ab Das Problem der Bestatigung in der Wissenschaftstheorie kann beispielsweise durch das Bayesianische Prinzip der Konditionalisierung angegangen werden indem man davon ausgeht dass ein Beleg eine Theorie bestatigt wenn er die Wahrscheinlichkeit erhoht dass diese Theorie wahr ist Es gibt verschiedene Vorschlage den Begriff der Koharenz in Bezug auf die Wahrscheinlichkeit zu definieren meist in dem Sinne dass zwei Aussagen koharent sind wenn die Wahrscheinlichkeit ihrer Konjunktion hoher ist als wenn sie neutral zueinander stehen wurden Der Bayesianische Ansatz hat sich auch auf dem Gebiet der sozialen Erkenntnistheorie als fruchtbar erwiesen zum Beispiel in Bezug auf darauf inwiefern man den Behauptungen anderer vertrauen kann Der Bayesianismus sieht sich immer noch mit verschiedenen theoretischen Einwanden konfrontiert die noch nicht vollstandig gelost sind Inhaltsverzeichnis 1 Beziehung zur traditionellen Erkenntnistheorie 2 Grundlagen 2 1 Glaube Wahrscheinlichkeit und Wetten 2 2 Prinzip der Konditionalisierung 2 3 Dutch books 3 Anwendungen 3 1 Bestatigungstheorie 3 2 Koharenz 3 3 Soziale Erkenntnistheorie 4 Kritik 4 1 Problem der Prioren 4 2 Problem der logischen Allwissenheit 4 3 Alte Belege 5 Siehe auch 6 EinzelnachweiseBeziehung zur traditionellen Erkenntnistheorie BearbeitenDie traditionelle Erkenntnistheorie und die Bayesianische Erkenntnistheorie sind beide Formen der Erkenntnistheorie unterscheiden sich jedoch in verschiedenen Punkten beispielsweise hinsichtlich ihrer Methodik ihrer Interpretation des Glaubens der Rolle die Rechtfertigung oder Bestatigung in ihnen spielen und einiger ihrer Forschungsinteressen Die traditionelle Erkenntnistheorie befasst sich mit Themen wie der Analyse der Natur des Wissens meist in Bezug auf gerechtfertigten wahren Glauben den Quellen des Wissens wie Wahrnehmung der Struktur eines Wissensbestandes zum Beispiel in Form von Fundamentalismus oder Koharentismus und dem Problem der philosophischen Skepsis oder der Frage ob Wissen uberhaupt moglich ist 2 3 Diese Untersuchungen basieren normalerweise auf epistemischen Intuitionen und betrachten Glaubenssatze als entweder vorhanden oder abwesend 4 Die Bayesianische Erkenntnistheorie hingegen arbeitet mit der Formalisierung von Begriffen und Problemen die im traditionellen Ansatz oft vage sind Sie konzentriert sich dabei starker auf mathematische Intuitionen und verspricht ein hoheres Mass an Prazision 1 4 Sie betrachtet Glauben als ein kontinuierliches Phanomen das in verschiedenen Abstufungen auftritt den sogenannten Glaubensgraden credences 5 Einige Bayesianer haben sogar vorgeschlagen dass der herkommliche Glaubensbegriff aufgegeben werden sollte 6 Es gibt aber auch Vorschlage die beiden miteinander zu verbinden zum Beispiel die Locke sche These Lockean thesis die den Glauben als Glaubensgrad uber einem bestimmten Schwellenwert definiert 7 8 In der traditionellen Erkenntnistheorie spielt die Rechtfertigung eine zentrale Rolle wohingegen sich die Bayesianer auf die damit verwandten Begriffe der Bestatigung und Nichtbestatigung durch Belege konzentriert haben 5 Fur beide Ansatze sind Belege wichtig aber nur der traditionelle Ansatz ist an der Untersuchung der Quellen der Belege wie Wahrnehmung und Gedachtnis interessiert Der Bayesianismus hingegen hat sich auf die Rolle von Belegen fur Rationalitat konzentriert wie die Glaubensgrade einer Person nach Erhalt neuer Belege angepasst werden sollten 5 Es besteht eine Analogie zwischen den Bayesianischen Rationalitatsnormen in Bezug auf Wahrscheinlichkeitsgesetze und den traditionellen Rationalitatsnormen in Bezug auf die deduktive Konsistenz 5 6 Bestimmte traditionelle Probleme wie das Thema der Skepsis gegenuber unserem Wissen uber die Aussenwelt lassen sich nur schwer in Bayesianischen Begriffen ausdrucken 5 Grundlagen BearbeitenDie Bayesianische Erkenntnistheorie basiert auf einigen wenigen Grundprinzipien die zur Definition verschiedener anderer Begriffe verwendet und auf viele Themen der Erkenntnistheorie angewendet werden konnen 5 4 Im Kern stellen diese Prinzipien Bedingungen dafur dar welche Glaubensgrade wir verschiedenen Propositionen zuschreiben sollten Sie bestimmen was eine ideal rationale Person glauben wurde 6 Die Grundprinzipien konnen unterteilt werden in synchrone oder statische Prinzipien die regeln wie Glaubensgrade zu jedem Zeitpunkt zugewiesen werden und diachrone oder dynamische Prinzipien die festlegen wie diese Glaubensgrade geandert werden sollten wenn man neue Belege erhalt Die Wahrscheinlichkeitsaxiome und das principal principle gehoren zu den statischen Prinzipien wahrend das Prinzip der Konditionalisierung die dynamischen Aspekte als eine Form der probabilistischen Inferenz regelt 6 4 Der charakteristischste Bayesianische Ausdruck dieser Prinzipien findet sich in Form der sogenannten Dutch books die die Irrationalitat von Handelnden durch eine Reihe von Wetten veranschaulichen die zu einem Verlust fur den Handelnden fuhren unabhangig davon welches der probabilistischen Ereignisse eintritt 4 Dieser Test zur Feststellung von Irrationalitat wird auch als pragmatischer Selbstdemontagetest pragmatic self defeat test bezeichnet 6 Glaube Wahrscheinlichkeit und Wetten Bearbeiten Ein wichtiger Unterschied zur traditionellen Erkenntnistheorie besteht darin dass sich die Bayesianische Erkenntnistheorie nicht auf den Begriff des einfachen Glaubens konzentriert sondern auf den Begriff der Glaubensgrade sogenannte credences 1 Dieser Ansatz versucht die Idee der Gewissheit zu erfassen 4 Wir glauben an verschiedenste Behauptungen aber wir sind uns bei einigen sicherer z B dass die Erde rund ist als bei anderen z B dass Platon der Autor des ersten Alkibiades war Diese Grade treten in Werten zwischen 0 und 1 auf 1 entspricht dem vollstandigen Glauben der Behauptung 0 entspricht dem vollstandigen Unglauben d h dem Glauben an das Gegenteil Und 0 5 entspricht einem Nichtglauben d h es wird weder die Behauptung noch ihr Gegenteil geglaubt Laut der Bayesianischen Wahrscheinlichkeitsinterpretation stehen Glaubensgrade fur subjektive Wahrscheinlichkeiten In Anlehnung an Frank P Ramsey werden sie im Sinne der Bereitschaft interpretiert Geld auf eine Behauptung zu wetten 9 1 4 Ein Glaubensgrad von 0 8 d h 80 dass Ihre Lieblingsfussballmannschaft das nachste Spiel gewinnt wurde also bedeuten dass Sie bereit sind bis zu vier Euro aufs Spiel zu setzen um die Chance zu haben einen Euro Gewinn zu erzielen Diese Darstellung stellt eine enge Verbindung zwischen der Bayesianischen Erkenntnistheorie und der Entscheidungstheorie her 10 11 Es mag den Anschein haben dass das Wettverhalten nur ein Spezialgebiet ist und als solches nicht geeignet ist einen so allgemeinen Begriff wie Glaubensgrade zu definieren Aber wie Ramsey argumentiert wetten wir standig wenn man dies im weitesten Sinne versteht Wenn wir zum Beispiel zum Bahnhof gehen wetten wir darauf dass der Zug punktlich kommt sonst waren wir zu Hause geblieben 4 Aus der Interpretation von Glaubensgraden im Sinne der Wettbereitschaft folgt dass es irrational ware irgendeiner Aussage einen Glaubensgrad von 0 oder 1 zuzuschreiben ausser bei Widerspruchen und Tautologien 6 Der Grund hierfur ist dass die Zuschreibung dieser Extremwerte bedeuten wurde dass man bereit ware alles zu wetten einschliesslich des eigenen Lebens selbst wenn der mogliche Gewinn minimal ware 1 Ein weiterer negativer Nebeneffekt solch extremer Glaubensgrade ist dass sie dauerhaft fixiert sind und nicht mehr aktualisiert werden konnen wenn man neue Belege erhalt Dieser zentrale Grundsatz des Bayesianismus dass Glaubensgrade als subjektive Wahrscheinlichkeiten interpretiert werden und daher den Wahrscheinlichkeitsnormen unterliegen wird als Probabilismus bezeichnet 10 Diese Normen drucken die Natur der Glaubensgrade von ideal rationalen Personen aus 4 Sie stellen keine Anforderungen daran welchen Glaubensgrad wir zu einem bestimmten Glaubenssatz haben sollten zum Beispiel ob es morgen regnen wird Stattdessen schranken sie das Glaubenssystem als Ganzes ein 4 Bei einem Glaubensgrad von 0 8 dass es morgen regnen wird sollte beispielsweise der Glaubensgrad in die gegenteilige Proposition namlich dass es morgen nicht regnen wird 0 2 betragen nicht 0 1 oder 0 5 Laut Stephan Hartmann und Jan Sprenger lassen sich die Axiome der Wahrscheinlichkeit durch die folgenden beiden Gesetze ausdrucken 1 P A 1 displaystyle P A 1 nbsp fur jede Tautologie A displaystyle A nbsp 2 fur inkompatible sich gegenseitig ausschliessende Propositionen A displaystyle A nbsp and B displaystyle B nbsp P A B P A P B displaystyle P A lor B P A P B nbsp 4 Ein weiteres wichtiges Bayesianisches Prinzip der Glaubensgrade ist das von David Lewis stammende principal principle 10 Es besagt dass unser Wissen uber objektive Wahrscheinlichkeiten mit unseren subjektiven Wahrscheinlichkeiten in Form von Glaubensgraden ubereinstimmen sollte 4 5 Wenn Sie also wissen dass die objektive Wahrscheinlichkeit dass eine Munze auf Kopf landet bei 50 liegt dann sollte Ihr Glaubensgrad dass die Munze auf Kopf landet bei 0 5 liegen Die Wahrscheinlichkeitsaxiome bestimmen zusammen mit dem principal principle den statischen oder synchronen Aspekt der Rationalitat wie die Glaubensgrade einer Person aussehen sollten wenn man sie nur einen Moment betrachtet 1 Rationalitat beinhaltet aber auch einen dynamischen oder diachronen Aspekt der beim Andern der eigenen Glaubensgrade ins Spiel kommt wenn man mit neuen Belegen konfrontiert wird Dieser Aspekt wird durch das Prinzip der Konditionalisierung bestimmt 1 4 Prinzip der Konditionalisierung Bearbeiten Das Prinzip der Konditionalisierung regelt wie sich die Glaubensgrade einer Person an eine Hypothese andern sollte wenn sie neue Belege fur oder gegen diese Hypothese erhalt 6 10 Als solches druckt es den dynamischen Aspekt des Verhaltens ideal rationaler Personen aus 1 Es basiert auf dem Begriff der bedingten Wahrscheinlichkeit die das Mass fur die Wahrscheinlichkeit ist dass ein Ereignis eintritt wenn ein anderes Ereignis bereits eingetreten ist Die unbedingte Wahrscheinlichkeit dass A displaystyle A nbsp eintritt wird gewohnlich mit P A displaystyle P A nbsp ausgedruckt wahrend die bedingte Wahrscheinlichkeit dass A displaystyle A nbsp eintritt wenn B displaystyle B nbsp bereits eingetreten ist als P A B displaystyle P A mid B nbsp geschrieben wird Zum Beispiel betragt die Wahrscheinlichkeit dass eine Munze bei zwei Wurfen zweimal auf Kopf landet nur 25 Aber die bedingte Wahrscheinlichkeit dafur dass dies eintritt wenn die Munze schon beim ersten Wurf auf Kopf gelandet ist betragt dann 50 Das Prinzip der Konditionalisierung wendet diese Idee auf Glaubensgrade an 1 Wir sollten unseren Glaubensgrad dass die Munze zweimal auf Kopf landet andern wenn wir einen Beleg dafur erhalten dass sie bereits beim ersten Wurf auf Kopf gelandet ist Die Wahrscheinlichkeit die der Hypothese vor dem Ereignis zugewiesen wurde wird als A priori Wahrscheinlichkeit bezeichnet 12 Die Wahrscheinlichkeit danach ist die A posteriori Wahrscheinlichkeit Nach dem einfachen Prinzip der Konditionalisierung lasst sich dies folgendermassen ausdrucken P posterior H P prior H B P prior H B P prior B displaystyle P text posterior H P text prior H mid B frac P text prior H land B P text prior B nbsp 1 6 Die A posteriori Wahrscheinlichkeit dass die Hypothese wahr ist ist also gleich der bedingten A priori Wahrscheinlichkeit dass die Hypothese bei Eintreten des Belegs wahr ist welche wiederum gleich der A priori Wahrscheinlichkeit ist dass sowohl die Hypothese wahr ist und der Beleg eintritt geteilt durch die A priori Wahrscheinlichkeit dass der Beleg eintritt Der ursprungliche Ausdruck dieses Prinzips der sogenannte Satz von Bayes kann direkt aus dieser Formulierung abgeleitet werden 6 Das einfache Prinzip der Konditionalisierung macht die Annahme dass unsere Glaubensgrade an erworbene Belege also deren A posteriori Wahrscheinlichkeit 1 betragt was unrealistisch ist Wissenschaftler mussen beispielsweise manchmal zuvor akzeptierte Belege verwerfen wenn sie neue Entdeckungen machen was unmoglich ware wenn der entsprechende Glaubensgrad 1 ware 6 Eine alternative Form der Konditionalisierung die von Richard Jeffrey vorgeschlagen wurde passt die Formel an um die Wahrscheinlichkeit der Belege zu berucksichtigen 13 14 P posterior H P prior H B P posterior B P prior H B P posterior B displaystyle P text posterior H P text prior H mid B cdot P text posterior B P text prior H mid lnot B cdot P text posterior lnot B nbsp 6 Dutch books Bearbeiten Ein Dutch book ist eine Reihe von Wetten die zwangslaufig zu einem Verlust fuhrt 15 16 Eine Person ist anfallig fur ein Dutch book wenn ihre Glaubensgrade gegen die Wahrscheinlichkeitsgesetze verstossen 4 Dies kann entweder auf synchrone Weise geschehen wenn der Konflikt zwischen gleichzeitig gehaltenen Glaubensgraden auftritt oder auf diachrone Weise wenn die Person nicht angemessen auf neue Belege reagiert 6 16 Im einfachsten synchronen Fall sind nur zwei Glaubensgrade beteiligt der Glaubensgrad in eine Proposition und in ihre Verneinung 17 Die Wahrscheinlichkeitsgesetze besagen dass diese beiden Glaubensgrade zusammen 1 ergeben sollten da entweder die Proposition oder ihre Verneinung wahr ist Personen die gegen dieses Gesetz verstossen sind anfallig fur ein synchrones Dutch book 6 Dies ist beispielsweise der Fall wenn eine Person einen Glaubensgrad von 0 51 hat dass es morgen regnen wird und einen Glaubensgrad von 0 51 dass es morgen nicht regnen wird In diesem Fall ware die Person bereit zwei Wetten zu 0 51 anzunehmen fur die Chance 1 zu erhalten eine dass es regnen wird und eine andere dass es nicht regnen wird Die beiden Wetten zusammen kosten 1 02 was zu einem Verlust von 0 02 fuhrt unabhangig davon ob es regnen wird oder nicht 17 Das Prinzip hinter diachronen Dutch books ist dasselbe aber sie sind komplizierter da sie Wetten vor und nach dem Erhalt neuer Belege beinhalten und zudem berucksichtigen mussen dass es in jedem Fall einen Verlust gibt unabhangig davon wie die Belege ausfallen 17 16 Es gibt verschiedene Interpretationen daruber was es bedeutet dass eine Person anfallig fur ein Dutch book ist Nach der traditionellen Interpretation zeigt eine solche Anfalligkeit dass die Person irrational ist da sie sich bereitwillig auf ein Verhalten einlassen wurde das nicht in ihrem besten Eigeninteresse liegt 6 Ein Problem dieser Auslegung besteht darin dass sie von logischer Allwissenheit als Voraussetzung fur Rationalitat ausgeht was insbesondere in komplizierten diachronen Fallen problematisch ist Eine alternative Interpretation verwendet Dutch books als eine Art Heuristik um festzustellen wann die eigenen Glaubensgrade das Potenzial zur pragmatischen Selbstdemontage haben 6 Diese Auslegung ist mit einer realistischeren Auffassung der Rationalitat angesichts menschlicher Begrenztheit vereinbar 16 Dutch books stehen in engem Zusammenhang mit den Wahrscheinlichkeitsaxiomen 16 Das Dutch book Theorem besagt dass nur Glaubensgradverteilungen die nicht den Wahrscheinlichkeitsaxiomen folgen anfallig fur Dutch books sind Das umgekehrte Dutch book Theorem besagt dass keine Glaubensgradverteilung die diesen Axiomen folgt durch ein Dutch book angreifbar ist 4 16 Anwendungen BearbeitenBestatigungstheorie Bearbeiten In der Wissenschaftstheorie bezieht sich der Begriff Bestatigung auf die Beziehung zwischen einem Beleg und einer dadurch bestatigten Hypothese 18 Die Bestatigungstheorie ist das Studium der Bestatigung und Entkraftung wie wissenschaftliche Hypothesen durch Belege gestutzt oder entkraftet werden 19 Die Bayesianische Bestatigungstheorie bietet ein Modell der Bestatigung das auf dem Prinzip der Konditionalisierung beruht 6 18 Ein Beleg bestatigt eine Theorie wenn die bedingte Wahrscheinlichkeit dieser Theorie relativ zum Beleg hoher ist als die unbedingte Wahrscheinlichkeit der Theorie an sich 18 Formal ausgedruckt P H B gt P H displaystyle P H mid B gt P H nbsp 6 Wenn der Beleg die Wahrscheinlichkeit der Hypothese verringert wird sie entkraftet Wissenschaftler interessieren sich normalerweise nicht nur dafur ob ein Beleg eine Theorie stutzt sondern auch wie viel Unterstutzung er bietet Es gibt verschiedene Moglichkeiten wie dieser Grad bestimmt werden kann 18 Die einfachste Version misst bloss die Differenz zwischen der bedingten Wahrscheinlichkeit der Hypothese relativ zum Beleg und der unbedingten Wahrscheinlichkeit der Hypothese d h der Grad der Unterstutzung ist P H B P H displaystyle P H mid B P H nbsp 4 Das Problem bei der Messung dieses Grades besteht darin dass er davon abhangt wie sicher die Theorie bereits vor Erhalt des Belegs ist Wenn also ein Wissenschaftler bereits sehr sicher ist dass eine Theorie wahr ist dann wird ein weiterer Beleg seinen Glaubensgrad nicht sehr beeinflussen selbst wenn der Beleg sehr stark ware 6 4 Eine weitere Bedingungen ist dass uberraschende Belege welche fur sich genommen eine geringe Wahrscheinlichkeit haben mehr Unterstutzung bieten 4 18 Wissenschaftler stehen oft vor dem Problem sich zwischen zwei konkurrierenden Theorien entscheiden zu mussen In solchen Fallen geht es nicht so sehr um die absolute Bestatigung oder darum inwieweit ein neuer Beleg diese oder jene Theorie unterstutzen wurde sondern um die relative Bestatigung d h darum welche Theorie durch den neuen Beleg starker unterstutzt wird 6 Ein bekanntes Problem der Bestatigungstheorie ist das Rabenparadox von Carl Gustav Hempel 20 19 18 Hempel weist zunachst darauf hin dass der Anblick eines schwarzen Rabens als Beleg fur die Hypothese gilt dass alle Raben schwarz sind wahrend der Anblick eines grunen Apfels normalerweise nicht als Beleg fur oder gegen diese Hypothese angesehen wird Das Paradox besteht in der Uberlegung dass die Hypothese alle Raben sind schwarz logisch aquivalent ist zu der Hypothese wenn etwas nicht schwarz ist dann ist es kein Rabe 18 Da der Anblick eines grunen Apfels als Beleg fur die zweite Hypothese gilt sollte er auch als Beleg fur die erste Hypothese gelten 6 Der Bayesianismus erlaubt dass der Anblick eines grunen Apfels die Rabenhypothese unterstutzt und erklart zugleich unsere anfangliche entgegengesetzte Intuition Zu diesem Ergebnis kommt man wenn man annimmt dass der Anblick eines grunen Apfels die Rabenhypothese zwar nur minimal aber dennoch positiv unterstutzt wahrend der Anblick eines schwarzen Rabens deutlich mehr Unterstutzung bietet 6 18 20 Koharenz Bearbeiten Koharenz spielt in verschiedenen erkenntnistheoretischen Theorien eine zentrale Rolle beispielsweise in der Koharenztheorie der Wahrheit oder in der Koharenztheorie der Rechtfertigung 21 22 Es wird oft angenommen dass Gruppen von Glaubenssatzen eher wahr sind wenn sie koharent sind als wenn sie nicht koharent sind 1 So wurden wir beispielsweise eher einem Detektiv vertrauen der alle Beweisstucke zu einer koharenten Geschichte zusammenfugen kann Es besteht jedoch keine allgemeine Einigkeit daruber wie Koharenz zu definieren ist 1 4 Der Bayesianismus wurde auf diesem Gebiet angewandt indem er prazise Definitionen von Koharenz in Bezug auf die Wahrscheinlichkeit bietet die dann zur Losung anderer Probleme im Zusammenhang mit Koharenz eingesetzt werden konnen 4 Eine solche Definition wurde von Tomoji Shogenji vorgebracht der vorschlagt dass die Koharenz zwischen zwei Glaubenssatzen gleich der Wahrscheinlichkeit ihrer Konjunktion geteilt durch die Wahrscheinlichkeit jedes einzelnen Glaubenssatzes ist d h K o h a r e n z A B P A B P A P B displaystyle Koh ddot a renz A B frac P A land B P A cdot P B nbsp 4 23 Intuitiv gesehen wird damit gemessen wie wahrscheinlich es ist dass die beiden Glaubenssatze gleichzeitig wahr sind im Vergleich dazu wie wahrscheinlich dies ware wenn sie in einem neutralen Verhaltnis zueinander stunden 23 Die Koharenz ist hoch wenn die beiden Glaubenssatze fureinander relevant sind 4 Die so definierte Koharenz ist relativ zu einer Glaubensgradverteilung Dies bedeutet dass es vorkommen kann dass zwei Propositionen eine hohe Koharenz fur eine Person und eine niedrige Koharenz fur eine andere Person haben aufgrund der Unterschiede in den A posteriori Wahrscheinlichkeiten der Glaubensgrade der beiden Personen 4 Soziale Erkenntnistheorie Bearbeiten Die soziale Erkenntnistheorie untersucht die Relevanz sozialer Faktoren fur das Wissen 24 Dies ist beispielsweise im Bereich der Wissenschaft relevant da einzelne Wissenschaftler oft auf die Entdeckungen anderer Wissenschaftler vertrauen mussen um Fortschritte zu erzielen 1 Der Bayesianische Ansatz kann auf verschiedene Themen der sozialen Erkenntnistheorie angewendet werden Zum Beispiel kann probabilistisches Denken im Bezug auf Zeugenaussagen verwendet werden um zu bewerten wie zuverlassig ein bestimmter Bericht ist 6 Auf diese Weise kann formal nachgewiesen werden dass Zeugenaussagen die probabilistisch unabhangig voneinander sind mehr Unterstutzung bieten als andernfalls 1 Ein weiteres Thema in der sozialen Erkenntnistheorie betrifft die Frage wie man den Glauben der Individuen innerhalb einer Gruppe aggregieren kann um den Glauben der Gruppe als Ganzes zu ermitteln 24 Der Bayesianismus geht an dieses Problem heran indem er die Wahrscheinlichkeitszuweisungen der verschiedenen Individuen aggregiert 6 1 Kritik BearbeitenProblem der Prioren Bearbeiten Um probabilistische Schlussfolgerungen auf der Grundlage neuer Belege ziehen zu konnen muss der betreffenden Proposition bereits eine A priori Wahrscheinlichkeit zugewiesen worden sein 25 Dies ist jedoch nicht immer der Fall Es gibt viele Propositionen die eine Person nie in Betracht gezogen hat und zu denen sie daher keinen Glaubensgrad hat Dieses Problem wird in der Regel dadurch gelost dass man der betreffenden Proposition eine Wahrscheinlichkeit zuweist um durch Konditionalisierung aus den neuen Belegen zu lernen 6 26 Das Problem der Prioren betrifft die Frage wie diese anfangliche Zuweisung erfolgen sollte 25 Subjektive Bayesianer gehen davon aus dass es neben der probabilistischen Koharenz keine oder nur wenige Bedingungen gibt die bestimmen wie wir die Anfangswahrscheinlichkeiten zuweisen Das Argument fur diese Freiheit bei der Wahl der anfanglichen Glaubensgrade ist dass sich die Glaubensgrade andern werden wenn wir mehr Belege erhalten und nach einer ausreichenden Anzahl von Schritten auf denselben Wert konvergieren unabhangig davon wo wir beginnen 6 Objektive Bayesianer hingegen behaupten dass es verschiedene Bedingungen fur die anfangliche Zuordnung gibt Eine wichtige Bedingung ist das Indifferenzprinzip 5 25 Es besagt dass die Glaubensgrade gleichmassig auf alle moglichen Ergebnisse verteilt werden sollten 27 10 In einem Beispiel mochte eine Person die Farbe der Kugeln vorhersagen die aus einer Urne gezogen werden die nur rote und schwarze Kugeln enthalt ohne Informationen uber das Verhaltnis von roten zu schwarzen Kugeln zu haben 6 Auf diese Situation angewandt besagt das Indifferenzprinzip dass die Person zunachst davon ausgehen sollte dass die Wahrscheinlichkeit eine rote Kugel zu ziehen 50 betragt Dies ist auf symmetrische Uberlegungen zuruckzufuhren Es ist die einzige Verteilung bei der die A priori Wahrscheinlichkeiten invariant gegenuber einer Anderung der Bezeichnung sind 6 Wahrend dieser Ansatz in einigen Fallen funktioniert fuhrt er in anderen Fallen zu Paradoxien Ein weiterer Einwand ist dass man keine A priori Wahrscheinlichkeiten auf der Grundlage von anfanglicher Unwissenheit zuweisen sollte 6 Problem der logischen Allwissenheit Bearbeiten Die Rationalitatsnormen gemass den Standarddefinitionen der Bayesianischen Erkenntnistheorie setzen logische Allwissenheit voraus Die Person muss sicherstellen dass sie alle Wahrscheinlichkeitsgesetze fur alle ihre Glaubensgrade genau befolgt um als rational zu gelten 28 29 Wer dies nicht tut ist anfallig fur Dutch books und daher irrational Dies ist ein unrealistischer Massstab fur den Menschen wie Kritiker hervorgehoben haben 6 Alte Belege Bearbeiten Das sogenannte old evidence problem Problem der alten Belege betrifft Falle in denen eine Person zum Zeitpunkt des Erwerbs eines Belegs nicht weiss dass er eine Hypothese bestatigt sondern erst spater von dieser unterstutzenden Beziehung erfahrt 6 Normalerweise wurde die Person ihren Glaubensgrad an die Hypothese erhohen nachdem sie diese Beziehung entdeckt hat Dies ist jedoch in der Bayesianischen Bestatigungstheorie nicht zulassig da eine Konditionalisierung nur bei einer Anderung der Wahrscheinlichkeit der Belegaussage erfolgen kann was nicht der Fall ist 6 30 Die Beobachtung bestimmter Anomalien in der Umlaufbahn Merkurs ist beispielsweise ein Beleg fur die allgemeine Relativitatstheorie Diese Daten wurden jedoch vor der Formulierung der Theorie erworben und gelten daher als alte Belege 30 Siehe auch BearbeitenBayesscher WahrscheinlichkeitsbegriffEinzelnachweise Bearbeiten a b c d e f g h i j k l m n o Erik J Olsson Introduction to Formal Philosophy Springer 2018 Bayesian Epistemology S 431 442 englisch Online David A Truncellito Epistemology In Internet Encyclopedia of Philosophy Abgerufen am 5 Marz 2021 englisch Matthias Steup Ram Neta Epistemology In The Stanford Encyclopedia of Philosophy Metaphysics Research Lab Stanford University 2020 abgerufen am 5 Marz 2021 englisch a b c d e f g h i j k l m n o p q r s t u v w Stephan Hartmann Jan Sprenger The Routledge Companion to Epistemology London Routledge 2010 Bayesian Epistemology S 609 620 englisch Online a b c d e f g h Alan Hajek Hanti Lin A Tale of Two Epistemologies In Res Philosophica Band 94 Nr 2 2017 S 207 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