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Als Abegg Affare seltener auch Diels Abegg Affare werden die Vorgange um ein vertrauliches Gesprach zwischen dem Staatssekretar im preussischen Innenministerium Wilhelm Abegg und dem Regierungsrat Rudolf Diels einerseits und den KPD Politikern Ernst Torgler Vorsitzender der Fraktion im Reichstag und Wilhelm Kasper Vorsitzender der Fraktion im preussischen Landtag andererseits bezeichnet Obwohl sicher ist dass das Treffen wahrscheinlich am 4 Juni 1932 stattgefunden hat ist nicht vollig geklart wie und mit welchen Intentionen es zustande kam bzw was genau die Beteiligten besprochen und moglicherweise verabredet haben Verzerrte Geruchte uber die Zusammenkunft gelangten Ende Juni Anfang Juli in die Offentlichkeit und lieferten der Regierung Papen einen zusatzlichen Vorwand fur die Absetzung der sozialdemokratisch gefuhrten Regierung Preussens am 20 Juli 1932 vgl Preussenschlag Unabhangig davon steht das ungewohnliche Treffen fur Alternativen und Handlungsoptionen antinazistischer politischer Krafte in der Schlussphase der Weimarer Republik dokumentiert zugleich aber auch weitgehend unaufgearbeitete Verbindungen einzelner relativ gemassigter 1 KPD Parlamentarier zum staatlichen Sicherheitsapparat insbesondere zur preussischen Politischen Polizei Letzteres muss vor allem auch mit Blick auf die spatere Zusammenarbeit Torglers mit der Gestapo und speziell mit Diels 2 bei der Bewertung der Ereignisse beachtet werden Inhaltsverzeichnis 1 Hintergrund 2 Gesprachsinhalt 3 Bekanntwerden des Treffens und politische Instrumentalisierung 4 Einordnung 5 Literatur 6 EinzelnachweiseHintergrund BearbeitenDurch die Landtagswahlen vom 24 April 1932 hatte die bisherige von der SPD gefuhrte preussische Staatsregierung vgl Kabinett Braun III ihre parlamentarische Mehrheit verloren Sie konnte dennoch geschaftsfuhrend weiter amtieren da kurz zuvor in der Geschaftsordnung des Landtages verankert worden war dass fur die Wahl des neuen Ministerprasidenten eine absolute und nicht wie bislang ublich eine einfache Mehrheit der Abgeordneten zusammenkommen musse Die vom rechten und rechtsradikalen Spektrum geplante Koalitionsregierung aus NSDAP DNVP und kleineren konservativen Parteien war damit verhindert weil hierfur neun Mandate fehlten Versuche des preussischen Zentrums eine Koalition mit der NSDAP zu bilden wurden durch den Einspruch des Parteivorstands unterbunden 3 In dieser Pattsituation und mit Blick auf die am 1 Juni gebildete die Zusammenarbeit mit der NSDAP und den Staatsumbau anstrebende Papen Regierung unternahm der der Deutschen Staatspartei angehorende Staatssekretar Wilhelm Abegg den Versuch die KPD fur die Tolerierung einer von der SPD oder vom Zentrum gefuhrten Minderheitsregierung in Preussen zu gewinnen 4 Ob und ggf mit wem das Vorgehen Abeggs abgestimmt war ist unbekannt Bekannt ist dass Ernst Heilmann der Vorsitzende der SPD Fraktion im preussischen Landtag ahnliche Gedanken entwickelte 5 Moglicherweise handelte Abegg vollig eigenstandig sicher ist dass er seinen unmittelbaren Dienstvorgesetzten Innenminister Carl Severing nicht informierte Dazu notierte Abegg 1948 Es bleibt hinzuzufugen dass ich dem Minister Severing keine Kenntnis gegeben habe weil ich seine standige Unentschlossenheit vor allem den volligen Mangel an durchgreifender Energie kannte er hatte eine Anregung zu solcher Verhandlung zweifellos mit freundlichen Worten begrusst jedoch mit der Einschrankung dass er einen geeigneten Zeitpunkt abwarte vorher noch mit seiner Fraktion sprechen und noch anderes inzwischen erwagen musse wodurch die Angelegenheit von vornherein zum Scheitern gebracht worden ware 6 Fur die Kontaktaufnahme zog Abegg den im preussischen Innenministerium mit der Beobachtung der KPD befassten und offenbar uber Verbindungen in die Partei verfugenden spateren Gestapo Chef Regierungsrat Rudolf Diels heran 7 Nach spateren Angaben Abeggs ging allerdings nicht nur die organisatorische Abwicklung sondern auch die konkrete Anregung zu dem Treffen von Diels aus 8 Vollig unklar ist welche unmittelbaren Entschlusse und Uberlegungen auf Seiten der KPD der Teilnahme an dem Treffen zugrunde lagen Kasper und Torgler die in der eigentlichen Parteifuhrung keinen Einfluss hatten werden nicht ohne Zustimmung der Entscheidungstrager in Sekretariat und Politburo gehandelt haben Der Schritt fugt sich erkennbar in die seit dem Fruhjahr 1932 zu beobachtende starkere Orientierung der Partei auf die Abwehr der faschistischen Gefahr und die damit zusammenhangende Abschwachung der Angriffe auf die SPD ein Proklamation der nominell uberparteilichen Antifaschistischen Aktion Ende Mai demonstratives Treffen Ernst Thalmanns mit zwanzig SPD und Reichsbanner Funktionaren im Juli 1932 Wilhelm Pieck hatte am 2 Juni im preussischen Landtag angedeutet dass die KPD auch zu parlamentarischen Manovern bereit sei um den Ubergang der Regierungsgewalt an eine nationalsozialistisch konservative Koalition zu verhindern 9 Anfang Juli bezeichnete Thalmann als das politische Hauptproblem der Gegenwart die Frage wie die Aufrichtung der faschistischen Diktatur in Deutschland verhindert werden 10 konne Direkt auf die Unterredung mit Abegg bezogene Unterlagen der Partei sind allerdings bis zum heutigen Tag nicht bekannt geworden Gesprachsinhalt BearbeitenDas Treffen fand hochstwahrscheinlich am 4 Juni 1932 im Gebaude des Innenministeriums statt allerdings wurde in der am 25 Juli angefertigten Niederschrift des Ministerialrats Wienstein uber die Besprechung mit Diels am 19 Juli als Zeitangabe vor etwa zwei Wochen demnach also Anfang Juli vermerkt 11 Die Zusammenkunft soll etwa vier Stunden gedauert haben 11 Diels will sich im Hintergrund gehalten und lediglich als Zeuge teilgenommen haben Nach dem Wienstein Protokoll hatte der wesentliche Teil der Unterhaltung folgenden Inhalt Staatssekretar Dr Abegg habe zunachst betont dass die blutigen Zusammenstosse aufhoren mussten und sodann an die genannten Kommunisten die Frage gerichtet weshalb sie eine so scharfe Opposition gegen das Preussische Staatsministerium richteten Die Preussische Regierung habe doch nichts Wesentliches gegen die Kommunisten einzuwenden und tue alles um die Einsetzung eines Reichskommissars fur Preussen zu vermeiden Fur diese Lage mussten doch auch die Kommunisten Verstandnis aufbringen Es konne ihnen doch auch nichts daran liegen dass die Nationalsozialisten ans Ruder kamen oder ein Reichskommissar fur Preussen bestellt werde 12 Weiters habe Abegg durchblicken lassen er konne dafur sorgen dass die Polizei Dokumente der KPD beschlagnahme die die Partei legaler sprich fur SPD und Zentrum als Tolerierungspartner akzeptabler und gleichzeitig in dieser Rolle durch die Rechtsparteien weniger angreifbar erscheinen lassen wurden Dem habe er halb im Scherz hinzugefugt dass die Partei solche Dokumente dem Innenministerium ja zuleiten konne Diese wurden dann als beschlagnahmt ausgegeben werden 12 Konkrete Vereinbarungen in dieser oder einer anderen Richtung seien bei der Unterredung aber nicht getroffen worden Diese Dielssche Darstellung die in der Folge und in bewusster Uberzeichnung der Papen Regierung als Beleg ihrer Behauptung diente die preussische Regierung konspiriere in staatsgefahrdender Weise mit Kommunisten ist in den juristischen Auseinandersetzungen vor dem Leipziger Staatsgerichtshof im Spatsommer und Herbst 1932 von Abegg insofern abgeschwacht worden als er bestritt den KPD Vertretern wie von Diels suggeriert ein explizites oder implizites politisches Kooperationsangebot unterbreitet zu haben Er habe Kasper und Torgler lediglich deutlich gemacht dass die gewaltsamen Auseinandersetzungen auf den Strassen beendet werden mussten andernfalls laufe man Gefahr dass die Papen Regierung sie zum Vorwand nehme um in Preussen einzugreifen 13 Gleichwohl bestritt er nicht die KPD Vertreter um die Unterstutzung der Kandidatur eines Zentrums Politikers fur das Ministerprasidentenamt gebeten zu haben In einem Privatbrief an Severing vom 31 Mai 1947 bezeichnete Abegg als Ziel und Gegenstand der Unterredung allerdings die sehr viel weitergehende Absicht eine Einheitsfront gegen den Nationalsozialismus 14 zu schaffen Bekanntwerden des Treffens und politische Instrumentalisierung BearbeitenDas offenbar ohne jedes konkrete Ergebnis beendete Gesprach ware moglicherweise nie bekannt geworden wenn Diels die ihm von Abegg ausdrucklich abverlangte Verschwiegenheit nicht in charakteristischer Weise durchbrochen hatte In einer Einlassung vor dem Staatsgerichtshof vom 25 August 1932 rechtfertigte er den Verrat dienstlicher Geheimnisse an die politischen Gegner seines Dienstvorgesetzten mit den schweren Gewissenskonflikten in die ihn seine Mitwisserschaft gesturzt habe 13 Diels raumte allerdings selber ein dass Severing einige Tage nach der Unterredung von ihr erfahren und Abegg deswegen scharf getadelt 12 habe was sein Gewissen nimmt man das Argument einmal ernst eigentlich hatte entlasten mussen Dennoch entschloss sich Diels in einer Mischung aus zumindest opportunistische r und teilweise grundsatzlich republikfeindliche r Beamtenmentalitat 15 Vertreter des rechten Parteienspektrums an seinem Wissen teilhaben zu lassen Bereits am 22 Juni bemerkte der DNVP Abgeordnete Eldor Borck eher beilaufig im Landtag Der Staatssekretar im preussischen Innenministerium Herr Abegg konspiriert jetzt sehr eifrig mit Herren der Linken und versucht auf diese Weise hinter den Kulissen ganz eigenartige Geschafte fur die preussische Regierung zu machen 16 Am 9 Juli berichtete die Berliner Borsen Zeitung uber entsprechende Konspirationen 17 Schliesslich behauptete Reichsinnenminister Wilhelm von Gayl am 12 Juli im Kabinett Abegg fuhre Verhandlungen wegen eines Zusammenschlusses der SPD mit der KPD 16 Das entbehrte zwar jeder sachlichen Grundlage deutete aber bereits an in welchem Sinne der Kreis um Papen mit den durchgesickerten Informationen umzugehen gedachte Hohepunkt der Dielsschen Zutragertatigkeit war ein Treffen in seiner Privatwohnung am Abend des 19 Juli an dem unter anderem der als Reichskommissar fur Preussen vorgesehene Essener Oberburgermeister Franz Bracht teilnahm Dabei entstand das erwahnte Wienstein Protokoll In seiner Rundfunkansprache am Abend des 20 Juli fuhrte Papen in interessierter Akzentuierung der von Diels gemachten Angaben dann aus Wenn beispielsweise hohe Funktionare des preussischen Staates ihre Hand dazu bieten Fuhrern der kommunistischen Partei die Verschleierung illegaler Terrorabsichten zu ermoglichen dann wird die Autoritat des Staates von oben her in einer Weise untergraben die fur die Sicherheit des Reiches unertraglich ist 18 Diese wenig konkrete Anschuldigung wurde von den Vertretern der Papen Regierung in dem von der abgesetzten preussischen Regierung vor dem Staatsgerichtshof angestrengten Prozess unter Verwendung erneuerter Aussagen Diels schliesslich zum Vorwurf des Hochverrats gesteigert 13 Einordnung BearbeitenDie politischen Aussichten von Abeggs Vorstoss der ohnehin keine uber das Gesprach vom 4 Juni hinausgehenden Fruchte trug waren von vornherein gering Selbst wenn die preussische Regierung sich auf eine formelle und mit politischen Zugestandnissen verbundene Tolerierung durch die KPD eingelassen hatte was mit Blick auf diese Bastion des aussersten rechten Flugels der SPD vollig unwahrscheinlich ist ware ein solcher Schritt mehr noch als das blosse Gerucht einer diesbezuglichen Absicht ausreichend gewesen um das Eingreifen der auf eine derartige Steilvorlage geradezu wartenden Reichsregierung zu provozieren Allerdings ware zumindest die Wahrscheinlichkeit gemeinsamer Abwehrmassnahmen der beiden Arbeiterparteien bei einer solchermassen geanderten Ausgangslage etwas grosser gewesen So wurde die Abegg Initiative schliesslich von den Kraften politisch genutzt gegen die sie sich richtete Franz von Papen schreibt in seinen Memoiren dass das von Diels vorgelegte Material uber eine Zusammenarbeit die zwischen preussischer Regierung und der KPD beabsichtigt war 19 besonders wichtig gewesen sei Hindenburg hat angeblich erst nach dem Zeugnis Diels die Notverordnung auf deren Grundlage die Absetzung der preussischen Regierung durchgefuhrt wurde unterzeichnet 20 Es ist freilich zweifelhaft ob einigermassen informierte Politiker wie Papen ernsthaft an eine wirksame politische Kooperation von SPD und KPD geglaubt haben schliesslich kalkulierte die Reichsregierung bei ihrem Vorgehen gegen Preussen am 20 Juli fest ein dass die SPD Fuhrung sich dem zu erwartenden und dann auch erfolgten Generalstreikaufruf der KPD nicht anschliesst Hingegen ist durchaus moglich dass entsprechend erlauterte Indizien bei Hindenburg die gewunschte Wirkung entfalteten Rucksichtlich der Rolle des nachmaligen ersten Gestapo Chefs Rudolf Diels steht die Abegg Affare zudem exemplarisch fur die beginnende Orientierung leitender Beamter des preussischen Innenministeriums und der Politischen Polizei auf den unmittelbar bevorstehenden in diesem gut informierten Milieu so oder so erwarteten diktatorialen Staatsumbau und die damit einhergehende Auflosung der bis dahin wirksamen Loyalitatsbeziehungen Diels vollzog die Wandlung vom Protege eines linksliberalen Staatssekretars zum Vertrauensmann rechtskonservativer Verfechter eines Standestaates und schliesslich zum Leiter der Geheimpolizei eines rechtsradikalen Terrorregimes innerhalb weniger Monate 21 Literatur BearbeitenChristoph Graf Politische Polizei zwischen Demokratie und Diktatur Die Entwicklung der preussischen Politischen Polizei vom Staatsschutzorgan der Weimarer Republik zum Geheimen Staatspolizeiamt des Dritten Reiches Berlin 1983 Klaus Wallbaum Der Uberlaufer Rudolf Diels 1900 1957 Der erste Gestapo Chef des Hitler Regimes Frankfurt am Main 2010 Einzelnachweise Bearbeiten Graf Christoph Politische Polizei zwischen Demokratie und Diktatur Die Entwicklung der preussischen Politischen Polizei vom Staatsschutzorgan der Weimarer Republik zum Geheimen Staatspolizeiamt des Dritten Reiches Berlin 1983 S 63 Siehe Wallbaum Klaus Der Uberlaufer Rudolf Diels 1900 1957 Der erste Gestapo Chef des Hitler Regimes Frankfurt am Main 2010 S 345ff Siehe Bruning Heinrich Memoiren 1918 1934 Stuttgart 1970 S 567f Siehe Wallbaum Uberlaufer S 66 69 Siehe Winkler Heinrich August Weimar 1918 1933 Die Geschichte der ersten deutschen Demokratie Frankfurt am Main Wien 1993 S 459 Zitiert nach Wallbaum Uberlaufer S 70 Zu Diels siehe Graf Politische Polizei S 317 329 Siehe Graf Politische Polizei S 58 sowie Wallbaum Uberlaufer S 71 Siehe Petzold Joachim SPD und KPD in der Endphase der Weimarer Republik Unuberwindbare Hindernisse oder ungenutzte Moglichkeiten in Winkler Heinrich August Hrsg Die deutsche Staatskrise Handlungsspielraume und Alternativen Munchen 1992 S 95 Zitiert nach Karl Heinz Kucklich Erika Hrsg Die Antifaschistische Aktion Dokumentation und Chronik Mai 1932 bis Januar 1933 Berlin 1965 S 167 a b Siehe Graf Politische Polizei S 407 a b c Zitiert nach Graf Politische Polizei S 408 a b c Siehe Graf Politische Polizei S 59 Zitiert nach Graf Politische Polizei S 61 Graf schreibt diese Formulierung allerdings einer seiner Ansicht nach in den Folgejahren eingetretenen Radikalisierung und Verbitterung Abeggs zu und legt damit nahe dass derlei 1932 nicht die Absicht des Staatssekretars war Graf Politische Polizei S 64 a b Zitiert nach Graf Politische Polizei S 55 Siehe Dams Carsten Staatsschutz in der Weimarer Republik Die Uberwachung und Bekampfung der NSDAP durch die preussische politische Polizei von 1928 bis 1932 Marburg 2002 S 158 Fussnote 40 Zitiert nach Graf Politische Polizei S 57 Papen Franz von Vom Scheitern einer Demokratie 1930 1933 Mainz 1968 S 233 Siehe Wallbaum Uberlaufer S 69 Siehe Wallbaum Uberlaufer S 350 Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Abegg Affare amp oldid 225861505