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Wadʿ arabisch وضع DMG waḍʿ Setzung Aufstellung Pragung ist ein Begriff der arabisch islamischen Sprachphilosophie der grosse Bedeutung auch innerhalb der islamischen Rechtstheorie uṣul al fiqh erlangt hat Er bezeichnet den Akt durch den eine Lautgruppe lafẓ zum Zeichen dalil fur eine bestimmte Bedeutung maʿna gemacht wird Damit entspricht Wadʿ ungefahr der scholastischen Impositio nominis ad significandum 1 Sprache wird im Rahmen der Wadʿ Lehre als ein System von Einzel Wadʿs verstanden 2 Inhaltsverzeichnis 1 Begrifflichkeit 2 Die arabischen Theorien uber den Ursprung der Sprache 3 Wadʿ in der islamischen Rechtstheorie 4 ʿIlm al wadʿ als eigene Disziplin 5 Literatur 6 EinzelnachweiseBegrifflichkeit BearbeitenDurch den Wadʿ wird zwischen Lautgruppe und Bedeutung eine Zeichenbeziehung dalala hergestellt innerhalb derer die Lautgruppe als das Bezeichnende dall und die Bedeutung als das Bezeichnete madlul fungiert Eine Lautgruppe der eine bestimmte Bedeutung zugewiesen worden ist wird mauḍuʿ aufgestellt gepragt genannt die Bedeutung der die Lautgruppe zugewiesen wurde als mauḍuʿ la hu Gegenstand der Aufstellung Pragung 3 Eine Lautgruppe der keine Bedeutung zugeordnet ist wird als muhmal vernachlassigt ungenutzt bezeichnet 4 Die arabischen Theorien uber den Ursprung der Sprache BearbeitenDie Vorstellung vom Wadʿ als einer primaren Setzung von Sprache hat sich erst im Laufe der Zeit gegenuber anderen Theorien durchgesetzt Bis zum fruhen 10 Jahrhundert war die naturalistische Theorie vorherrschend wonach die Zeichenbeziehungen zwischen Lautgruppen und Bedeutungen durch naturliche Affinitat munasaba ṭabiʿiya entstehen 5 Als Hauptvertreter dieser naturalistischen Theorie gilt der Muʿtazilit ʿAbbad ibn Sulaiman gest ca 864 6 Demgegenuber vertrat der Muʿtazilit Abu Haschim gest 933 die Theorie dass Sprache durch reine Ubereinkunft und Konvention istilah zustande kommt wobei die Namen die den Dingen zugeordnet werden arbitrar sind Der Gegensatz zwischen der naturalistischen Sicht ʿAbbads und der konventionalistischen Sicht Abu Haschims entspricht in etwa der Physis Thesis Debatte der griechischen Sprachphilosophie 7 wie sie sich in Platons Dialog Kratylos spiegelt Wadʿ entspricht dabei dem Wort thesis der arabische Begriff tabʿ dem Wort physis 8 Neben der naturalistischen und der konventionalistischen gab es noch eine revelationistische Theorie uber den Ursprung von Sprache die sich an der koranischen Aussage in Sure 2 31 wonach Gott Adam die Namen aller Dinge gelehrt hat orientierte Hauptverfechter dieser Theorie nach der Gott selbst fur die Herstellung der Zeichenbeziehungen zwischen Lautgruppen und Bedeutungen verantwortlich ist war der Muʿtazilit al Dschubbaʾi gest 915 6 9 10 In spaterer Zeit gab es viele Versuche die konventionalistische und die revelationistische Sicht zum Ausgleich zu bringen So meinte zum Beispiel der Gelehrte al Mutahhar ibn Tahir al Maqdisi gest 966 der am Hof der Samaniden tatig war dass der Wadʿ aufgrund der Ubereinkunft der Menschen erfolge aber nur aufgrund einer vorausgehenden Rede kalam sabiq Gottes 11 Wadʿ in der islamischen Rechtstheorie BearbeitenInnerhalb der islamischen Rechtstheorie erhielt das Wadʿ Konzept deshalb eine wichtige Bedeutung weil hier der Grundsatz entwickelt wurde dass bei der Interpretation von Koran und Sunna zunachst die durch Wadʿ begrundete eigentliche Bedeutung haqiqa der Worter zugrunde gelegt werden musste 12 Nur wenn der Kontext qarina darauf hinwies dass das Wort an der betreffenden Stelle in ubertragener Bedeutung Madschaz verwendet wurde durfte man sich bei der Interpretation auf diese sekundare Bedeutung stutzen 13 Die Frage welche Bedeutungen der Worter durch Wadʿ begrundet waren erhielt somit Relevanz fur die Normenfindung Der Wadʿ Begriff verlor allerdings im Laufe der Zeit dadurch seinen restriktiven Charakter dass seine Bedeutung auf alle Formen der Begriffsbildung ausgeweitet wurde Als Wadʿ galt somit nicht mehr nur eine primare Bedeutungszuweisung im Rahmen der Bildung einer Sprache sondern es wurden jetzt auch andere Bedeutungzuweisungen darunter gefasst Zu den Wadʿ Arten die diskutiert wurden gehoren durch die Scharia erfolgter Wadʿ waḍʿ sarʿi durch lokalen Brauch erfolgter Wadʿ waḍʿ ʿurfi ʿamm fachsprachlicher Wadʿ waḍʿ ʿurfi ḫaṣṣ und personlicher Wadʿ waḍʿ saḫṣi 14 Einige Gelehrte die der salafitischen Richtung angehorten stellten das Konzept einer primaren allgultigen Bedeutungszuweisung auch vollstandig in Frage So meinte Ibn Qayyim al Dschauziya dass ein Wadʿ nie absolut muṭlaq sondern immer nur an einen Kontext gebunden muqayyad erfolgen konne 15 ʿIlm al wadʿ als eigene Disziplin BearbeitenAb dem 14 Jahrhundert entwickelte sich die Reflexion uber Wadʿ zu einer eigenen sprachwissenschaftlichen Disziplin die als ʿilm al wadʿ bezeichnet wurde Als das grundlegende Werk gilt ein kurzer Traktat mit dem Titel ar Risala al wadʿiya von ʿAdud ad Din al idschi gest 1355 zu dem in der Folgezeit zahlreiche muslimische Gelehrte Kommentare und Glossen abfassten 16 Literatur BearbeitenM Mohamed Yunis Ali Medieval Islamic Pragmatics Sunni Legal Theorists Models of Textual Communication Richmond Surrey 2000 Heinrich Leberecht Fleischer Bemerkungen zur arabischen Grammatik in Zeitschrift der Deutschen Morgenlandischen Gesellschaft 30 1876 487 513 Hier online abrufbar https menadoc bibliothek uni halle de dmg periodical pageview 47815 Ulrich Haarmann Religioses Recht und Grammatik im klassischen Islam in Wolfgang Voigt Hrsg Vortrage Deutscher Orientalistentag vom 1 bis 5 Oktober 1972 in Lubeck Wiesbaden Steiner 1974 Zeitschrift der Deutschen Morgenlandischen Gesellschaft Supplement 2 S 149 169 Hier abrufbar https freidok uni freiburg de data 4643 Bernard G Weiss Language in orthodox Muslim thought a study of waḍ al lughah and its development Dissertation Princeton 1966 Bernard G Weiss Medieval Muslim Discussions of the Origin of Language in Zeitschrift der Deutschen Morgenlandischen Gesellschaft 124 1974 33 41 Hier online abrufbar https menadoc bibliothek uni halle de dmg periodical titleinfo 96002 Bernard G Weiss ʿIlm al waḍʿ An introductory account of a later Muslim philological science in Arabica 34 1987 339 56 Bernard G Weiss Art Waḍʿ al Lugha in The Encyclopaedia of Islam New Edition Bd XI S 7 Einzelnachweise Bearbeiten Vgl Haarmann 152 Vgl Ali 7 Vgl Haarmann 153 Vgl Fleischer 488 Vgl Weiss 1974 37 Vgl Weiss 1974 34f Vgl dazu L Deitz Art Physis Thesis in Historisches Worterbuch der Philosophie Bd VII S 968f Vgl Fleischer 488 Vgl Weiss 1974 36f Die revelationistische Theorie erachtet auch nach der Definition von Anke von Kugelgen die Sprache als ursprunglich dem Menschen durch Gott geoffenbart und betrachtet Gott und nicht den Menschen als Namensgeber der Dinge Quelle Anke von Kugelgen Menschliche Konvention und gottliche Setzung In Logik und Theologie Das Organon im arabischen und im lateinischen Mittelalter Hrsg Dominik Perler Ulrich Rudolph Brill Academic Pub 2005 ISBN 978 9 00411 118 9 S 200 Vgl Cornelia Schock Adam im Islam Ein Beitrag zur Geschichte der Sunna Berlin 1993 S 196f Vgl Ali 70f Vgl Ali 73 75 Vgl Ali 16 23 Vgl Ali 100f Vgl Carl Brockelmann Geschichte der arabischen Literatur 2 Band 2 Aufl Leiden 1949 S 268f Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Wadʿ amp oldid 234230668