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Als Verfassungskreislauf altgriechisch ἀnakyklwsis anakyklosis wird vor allem das vom Historiker Polybios im 2 Jahrhundert v Chr entworfene System der Verfassungslehre bezeichnet Es baut auf der aristotelischen Klassifikation der antiken Verfassungen auf und besagt dass es einen zwingenden Verfallsprozess gibt in dessen Folge die verschiedenen Verfassungen zyklisch aufeinander folgen Dabei spielt so die dem Modell zugrunde liegende These das Phanomen der Dekadenz eine zentrale Rolle Der Verfall der Tugenden innerhalb der Stadtstaaten etwa in Gestalt einer nachlassenden Orientierung am Gemeinwohl sei dafur verantwortlich dass vormals gute und gerechte Verfassungsordnungen korrumpiert und durch despotische Regierungen ersetzt wurden An deren Stelle folge nach einer Phase des Chaos der Unzufriedenheit und der Machtkampfe die jeweils nachste Phase des Verfassungskreislaufs Die Vorstellung eines Verfassungskreislaufes hatte grossen Einfluss auf die Theoretiker des Republikanismus etwa auf die Forderung nach einer Mischverfassung durch Marcus Tullius Cicero welche die politische Ordnung stabilisieren sollte den Republikentwurf Niccolo Machiavellis Montesquieus Konzept der Gewaltenteilung und die Mischverfassung der Vereinigten Staaten von Amerika siehe z B Federalist No 40 1 Inhaltsverzeichnis 1 Kreislauf der Verfassungen bei Platon 2 Kreislauf der Verfassungen bei Aristoteles 3 Kreislauf der Verfassungen bei Polybios 4 Kreislauf der Verfassungen bei Machiavelli 5 Antike Quellen 6 Literatur 7 Weblinks 8 EinzelnachweiseKreislauf der Verfassungen bei Platon BearbeitenLaut Platon 2 kann auf die Aristokratie die Timokratie folgen die wiederum von der Oligarchie dann der Demokratie und schliesslich der Tyrannis abgelost werden kann vgl auch die entsprechenden alten Vorstellungen von einem Goldenen Zeitalter bzw von einer progressiven Verschlimmerung der Zustande Nach herrschender Meinung handelt es sich dabei jedoch nicht um einen vollstandig geschlossenen Kreislauf Kreislauf der Verfassungen bei Aristoteles BearbeitenAristoteles unterscheidet zwischen sechs Staatsformen der Monarchie Alleinherrschaft der Aristokratie Herrschaft der Besten und der Politie als gute Formen sowie deren entarteten Pendants Tyrannis Oligarchie Herrschaft weniger und Demokratie bei ihm als Herrschaft der freigeborenen Armen definiert zur Differenzierung zum heutigen Demokratiebegriff heute auch als Ochlokratie bezeichnet Aristoteles glaubt eine gute Staatsform neige zur Entartung aus dieser entarteten Form gehe dann die nachste gute Form hervor usw 3 Um diesem Kreislauf zu entgehen pladiert er fur eine Form der Mischverfassung zwischen Demokratie und Oligarchie die er auch wieder als Politie bezeichnet Monarchie Tyrannis Tyrannis Aristokratie Aristokratie Oligarchie oder Plutokratie als Sonderfall Oligarchie Politie Politie Demokratie im Sinne von Ochlokratie und Laokratie Demokratie Monarchie Kreislauf der Verfassungen bei Polybios BearbeitenUber den Kreislauf der Verfassungen politeiῶn ἀnakyklwsis politeiōn anakyklōsis schreibt Polybios im 6 Buch seiner Universalgeschichte 6 9 Er erblickt in der Geschichte sechs bzw sieben Verfassungstypen die sich in einem bestandigen Kreislauf und nach einer festen Regel abwechseln 4 Kreislauf der Verfassungen nach Polybios 5 Anzahl der Herrscher Gemeinwohl EigennutzEiner Monarchie TyrannisWenige Aristokratie OligarchieViele Demokratie OchlokratieEs sind dies die drei rechtmassigen guten Formen der Monarchie altgriechisch basileia basileia der Aristokratie und der Demokratie sowie deren zugehorige Verfallsformen der Tyrannis der Oligarchie und der Ochlokratie Am Anfang des Kreislaufs steht eine einmalige und nicht in die Anakyklosis einbezogene Hauptlingsherrschaft oder Urmonarchie monarxia 6 Die drei Verfallsformen entstehen zwingend durch den moralischen Verfall die Sicherheit ihres Lebens als Herrschende verursacht bei ihnen Habsucht Uberheblichkeit Ungerechtigkeit und Herrschsucht und den daraus folgenden Machtmissbrauch des jeweils Herrschenden oder der jeweils herrschenden Gruppe und diese werden wieder durch eine sich neu formierende Gruppe gesturzt So lost die Tyrannis zwingend die Monarchie ab um dann gesturzt zu werden Die sich nun bildende Aristokratie erleidet ebenfalls das Schicksal dass die Herrschenden ihre Macht missbrauchen und sich das System so zur Oligarchie wandelt die nicht mehr das Gemeinwohl sondern ihr eigenes Wohl im Sinne hat Diese wiederum wird von der Demokratie der Herrschaft des Volkes abgelost die sich als letzte Stufe zwingend zur Ochlokratie der Herrschaft des Pobels entwickelt Hier schliesst sich der Kreislauf wenn sich eine starke Einzelperson aufschwingt und wieder eine Monarchie installiert 7 Polybios unterscheidet also bei seinen Verfassungstypen einerseits nach der Zahl derer die Macht ausuben und andererseits ob die Macht mit Einverstandnis der Untertanen ausgeubt wird oder nicht In der Anakyklosis Theorie vereinigt Polybios drei Vorstellungsprinzipien die fur ihn universal sind zum einen den Gedanken dass angelehnt an den biologischen Prozess auch alle ablaufenden Verfassungsprozesse die naturlichen Entwicklungsschritte Werden Sein und Vergehen durchlaufen als zweite Konstante findet sich die Vorstellung dass sich die Zahl der Herrschaftsausubenden sukzessive vergrossert und schliesslich als dritte Komponente die Kyklos Denkform ausgedruckt dadurch dass nach der Ochlokratie wieder die Monarchie folgt 8 Aristoteles hatte die Ansicht vertreten dass Staaten mit Mischverfassungen wie die Handelsrepublik Karthago Sparta und die Romische Republik vor diesem Verfallskreislauf geschutzt seien Der weniger an Modellen als an konkreten Verfassungen interessierte Polybios hielt diesen Schutz fur langanhaltend aber nicht fur dauerhaft diese Einschatzung bestatigte sich fur Karthago und Rom Kreislauf der Verfassungen bei Machiavelli BearbeitenIn der Renaissance griff Niccolo Machiavelli die in der Antike verbreitete Auffassung von der Geschichte als einem Kreislauf der Staatsformen wieder auf Er hatte in einem volgarizzamento d h in volkssprachlicher Ubersetzung Polybios rezipiert Alle genannten Formen sind daher unheilbringend und zwar wegen der Kurze des Lebens der drei guten und wegen der Verderblichkeit der drei schlechten Deshalb vermieden die weisen Gesetzgeber diese Mangel erkennend jede der drei guten Regierungsformen an und fur sich und erwahlten eine aus allen dreien zusammengesetzte Diese hielten sie dann fur die festeste und dauerhafteste da Monarchie Aristokratie und Demokratie in einem und demselben Staate vereinigt sich gegenseitig uberwachen Niccolo Machiavelli Discorsi sopra la prima deca di Tito Livio Erstes BuchAntike Quellen BearbeitenPlaton Politeia 8 Aristoteles Politik 1297 a 5 Polybios 6 4 9 online in englischer Ubersetzung Literatur BearbeitenAlexander Demandt Antike Staatsformen Eine vergleichende Verfassungsgeschichte der Alten Welt Akademie Verlag Berlin 1995 ISBN 3 05 002794 0 S 40 Henning Ottmann Die Romer Geschichte des politischen Denkens Band 2 Teilband 1 Metzler Stuttgart Weimar 2002 ISBN 3 476 01631 5 Stephan Podes Polybios Anakyklosis Lehre diskrete Zustandssysteme und das Problem der Mischverfassung In Klio Beitrage zur Alten Geschichte Band 73 1991 S 382 390 Weblinks Bearbeiten nbsp Wiktionary Verfassungskreislauf Bedeutungserklarungen Wortherkunft Synonyme Ubersetzungen Verfassungskreislauf anschaulich beschrieben englisch Einzelnachweise Bearbeiten Marshall Davies Lloyd 1998 Polybius and the Founding Fathers the separation of powers Volltext online Platon Politeia 8 Ernst Wolfgang Bockenforde Geschichte der Rechts und Staatsphilosophie 2 Auflage Mohr Siebeck Tubingen 2006 ISBN 3 16 149165 3 S 126 f Stephan Podes Polybios Anakyklosis Lehre diskrete Zustandssysteme und das Problem der Mischverfassung In Klio Beitrage zur Alten Geschichte Band 73 1991 S 382 390 Panagiotis Argyropoulos Von der Theorie zur Empirie philosophische und politische Reformmodelle des 4 bis 2 Jahrhunderts v Chr Utz Munchen 2013 ISBN 978 3 8316 4244 1 7 1 3 Polybios Anakyklosistheorie Verfassungskreislaufstheorie S 89 91 205 S zugleich Dissertation Universitat Munchen 2012 Die Verfassungslehre Polybios stimmt insoweit mit der des Aristoteles uberein dass er jeweils drei gute und drei schlechte Verfassungen identifiziert Einen grundlegenden Unterschied stellt jedoch eine zusatzliche siebte Verfassung dar Diese siebte Verfassung ist der hierarchisch geordnete Naturzustand den Polybios als monarxia bezeichnet Die Urmonarchie ist jedoch nicht mit dem Konigreich basileia zu verwecheln denn das Konigtum entsteht aus der Urmonarchie Die Urmonarchie nimmt eine Sonderstellung in der Verfassungslehre ein Die Tyrannis und die Urmonarchie scheinen sehr ahnlich zu sein Die Urmonarchie schliesst und bildet zu gleich erneut den Ausgangspunkt des Verfassungskreislaufs Wolfgang Blosel Die Anakyklosis Theorie und die Verfassung Roms im Spiegel des sechsten Buches des Polybios und Ciceros De re publica Buch II In Hermes Zeitschrift fur klassische Philologie Band 126 1998 S 31 57 Karl Ernst Petzold Kyklos und Telos im Geschichtsdenken des Polybios In Saeculum Jahrbuch fur Universalgeschichte Band 28 1977 S 253 290 Hansulrich Labuske Zur geschichtsphilosophischen Konzeption des Polybios In Klio Beitrage zur Alten Geschichte Band 59 1977 S 403 413 Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Verfassungskreislauf amp oldid 236094963