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Die Variolation auch veraltet Inoculierung Inokulation oder Blatternbelzen 1 ist die Ubertragung des Pustelinhaltes von Pocken Blattern von Mensch auf Mensch durch Inokulation Es handelt sich dabei um eine Technik der Impfung gegen Viruserkrankungen die bis ins 18 Jahrhundert bei Menschen vor allem in China und im Nahen Osten eingesetzt wurde Inhaltsverzeichnis 1 Durchfuhrung 2 Historie 3 Varianten 3 1 Methode nach Sutton 3 2 Methode nach Dimsdale 4 Literatur 5 EinzelnachweiseDurchfuhrung BearbeitenHierbei wurden Virenkollektiva aus den Wunden von Pockenkranken genutzt die die Krankheit uberstanden hatten Fur gewohnlich entnahm man erkrankten Personen mittels einer Lanzette Material aus einer Pustel das man dann gesunden Personen subkutan also durch kleine Wunden in den Arm oder in das Bein einbrachte 2 Dadurch wurden gesunden Personen attenuierte abgeschwachte Viren appliziert Es wurde also ein attenuierter Lebendimpfstoff verwendet Durch die Vermehrung der Viren sollte die Immunreaktion ausgelost werden Allerdings konnten die Viren durch Ruckmutation bei ihrer Vermehrung wieder krankheitsauslosend werden was zu einer relativ hohen Todesrate 2 3 3 unter den derart Behandelten fuhrte Immerhin war aber damals die Sterblichkeit bei dieser Behandlung geringer als nach Infektion ohne vorausgegangene Variolation 4 5 So lag diese nach einer Berechnung von 1722 bei 1 14 fur nicht inokulierte und bei 1 91 fur inokulierte Kinder 1 Ein weiteres Problem war dass auch andere Krankheiten wie z B Syphilis oder Tuberkulose ubertragen werden konnten 2 Ausserdem konnte durch die Variolation eine echte Pockenepidemie ausgelost werden 6 Historie BearbeitenWann genau diese Technik entwickelt wurde ist unbekannt vermutlich Anfang des zweiten Jahrtausends in Zentralasien Von dort hat sich das Wissen uber die Variolation nach China und uber die Turkei nach Afrika und Europa verbreitet 3 Avicenna empfahl die Variolation durch Haut zu Haut Ubertragung oder per Inhalation durchzufuhren 7 In Indien wurden mit Pockenlymphe getrankte Baumwollbauschchen auf den angeritzten Oberarm gebunden 1 Tscherkessische Handler haben 1670 die Technik in den turkischen Teil des Osmanischen Reiches eingefuhrt 2 Das 1742 in China erschienene Werk Yizong jinjian Goldener Spiegel der Medizin dokumentiert vier Arten der Variolation grosstenteils durch Einbringen pockenvirushaltigen Materials in die Nase 3 8 Die Arzteschaft Englands wurde 1713 uber diese Technik schriftlich durch den in der Turkei lebenden italienischen Arzt der in Oxford studiert hatte Emanuel Timonius informiert Dies wurde von John Woodward 1714 der Royal Society vorgestellt An account or history of the procuring the small pox by incision or inoculation as it has for some time been practices at Constantinople 1715 erschien eine andere Darstellung der Variolation in lateinischer Sprache durch Giacomo Pilarino Jacobus Pylarinus unter dem Titel Nova et tuta variolas excitandi per transplantationen methodus in Venedig 3 1721 berichtete Abraham Vater Medizin Professor in Wittenberg davon unter dem Titel Das Blatter Beltzen oder die Art und Weise die Blattern durch kunstliche Einpropfung zu erwecken In dem Buchlein das er an den damaligen Konig von Polen und Kurfursten von Sachsen Friedrich August richtet empfiehlt er die Methode auch in Deutschland auszuprobieren nbsp Lady Mary Wortley Montagu mit ihrem Sohn Edward etwa 1717 Das Wissen uber die Variolation wurde schliesslich von Lady Mary Wortley Montagu 1721 nach ihrer Ruckkehr von Konstantinopel nach England uberliefert 9 10 In Konstantinopel fuhrte der Arzt Charles Maitland eine Variolation am Sohn Montagus durch 1721 nach ihrer Ruckkehr in England an ihrer Tochter Dies geschah unter der Aufsicht verschiedener Hofarzte u a vom Vorsitzenden des Royal College of Physicians Hans Sloane 11 Die neue Technik wurde in England durch Konig Georg I gestattet nachdem sie zuerst an sechs Straflingen im Newgate Gefangnis gegen volle Amnestie am 9 August 1721 sowie sechs Waisenkindern erfolgreich getestet worden war 6 11 In beiden Fallen fuhrte Maitland die Variolation durch 11 1722 wurden die beiden Tochter der Princess of Wales Caroline von Brandenburg Ansbach Amelia und Carolina erfolgreich einer Variolation unterzogen 12 Von da an wurde die Methode generell akzeptiert 1745 wurde das Londoner Smallpox Hospital gegrundet das ausschliesslich der Behandlung und Pravention der Pocken gewidmet war 11 Kenntnisse uber die Variolation gelangten im fruhen 18 Jahrhundert auch in die damaligen Britischen Kolonien in Nordamerika So hat Cotton Mather erstmals 1707 13 durch den damaligen Sklaven Onesimus etwas uber diese Technik erfahren 14 Onesimus vom Stamm der Guramantese vermutlich ein Coromantee aus dem heutigen Ghana 15 wurde bereits in Afrika inokuliert bevor er nach Amerika gelangte und zeigte Mather die typische Narbe am Arm auch andere afrikanische Sklaven berichteten ubereinstimmend von der Variolation aus ihrer Heimat 13 Zudem hatte Mather 1716 Timonius Bericht uber die in der Turkei eingesetzte Methode gelesen aus dem Lateinischen ubersetzte Auszuge wurden damals in einem Artikel der Fachzeitschrift Philosophical Transactions of the Royal Society veroffentlicht 13 Abraham Vater der 1723 uber die Variolation in Boston Neu England berichtete schreibt dass ein Herr Dummer einen Brief aus Neu England publiziert hat in dem er berichtet dass er mit vielen Africanischen Mohren gesprochen habe welche ihm versichert hatten dass die Methode die Blattern zu pfropfen in ihrem Vaterland so universal ware dass wenn die Europaischen Kaufleute auf der Kuste von Guinea einige Sklaven erhandelten welche die Krankheit noch nicht gehabt sie dieselben gleich hinsendeten und die Blattern an ihnen pfropfen liessen A Vater sah das mit einer gewissen Skepsis und empfahl dass man erstlich bey unseren Englischen Kaufleuten so dahin handeln Erkundigung einzoge ehe man derselben volligen Glauben beymisset Aus A Vater Ausfuhrliche Nachricht von der Beschaffenheit und Success des Blatter Beltzens in Neu Engelland beschrieben von Herrn Benjamin Colmann Wittenberg 1723 Mather konnte einen von zehn Bostoner Arzten 16 Zabdiel Boylston 1679 1766 wahrend der Pockenepidemie in Boston 1721 von der Technik uberzeugen von 287 inokulierten Menschen verstarben sechs nach Infektion mit den Pocken 2 17 Dagegen starben 842 von 5 759 nicht inokulierten Menschen 15 die an den Pocken erkrankt waren Benjamin Franklin dessen Sohn 1736 an den Pocken verstorben war wurde selbst ein gluhender Verfechter der Variolation 11 nbsp Baron Thomas DimsdaleAls Erster auf dem europaischen Kontinent inokulierte 1748 der Arzt Theodore Tronchin seinen Sohn in Amsterdam 6 Der englische Arzt Thomas Dimsdale impfte Katharina die Grosse und ihre Sohne und Enkel mit dieser Methode und wurde deshalb zum Baron ernannt In Wien liess Maria Theresia vier ihrer jungsten Kinder 1768 auf Anraten des Leibarztes Gerard van Swieten durch Jan Ingenhousz inokulieren nachdem man das Verfahren an 100 Waisenkindern erfolgreich erprobt hatte 18 19 Die Monarchin richtete auch ein kostenloses Inokulationshaus fur die Bevolkerung Wiens ein und ermutigte ihre anderen erwachsenen Kinder sowie viele weitere Verwandte zur Immunisierung 18 Kunde durch die Technik stammte von Voltaire der von ihr im englischen Exil erfahren und im Hof von Preussen bekannt gemacht hatte In der Schrift Philosophische Briefe von 1733 empfahl er die Inoculation in Frankreich 20 Militarische Bedeutung erlangte die Variolation im Amerikanischen Unabhangigkeitskrieg 1776 scheiterte der Versuch der Amerikaner Kanada zu erobern an einer Pockenepidemie die in der Armee grassierte Ihre britischen Gegner blieben von der Krankheit dank zuvor praktizierter Variolation verschont 1 George Washington lernte rasch und so waren bereits im nachsten Jahr auch seine Truppen mittels Variolation gegen Pocken immunisiert 2 Das Verfahren wurde in Europa und in Amerika mehr und mehr angewandt und perfektioniert Ab 1800 wurde die Variolation zunehmend durch Edward Jenners Vakzination ersetzt in England schliesslich 1840 gesetzlich verboten Vaccination Acts Varianten BearbeitenMethode nach Sutton Bearbeiten Das System oder die Methode nach Sutton geht auf den in Suffolk praktizierenden Arzt Robert Sutton 1707 1788 21 zuruck 22 Ausloser ist wahrscheinlich eine 1756 von John Rodbard durchgefuhrte klassische Variolation seines altesten Sohnes Robert Jr Dieser entwickelte starke Symptome einer Pockenerkrankung Die Methode nach Sutton wurde von ihm und seinen sechs Sohnen praktiziert 21 Bei dieser Methode erfolgt zwei Wochen vor der Variolation eine Diat bei der der Patient keinen Alkohol und kein Fleisch zu sich nehmen soll 22 Bei der Variolation selbst wurde darauf geachtet dass die Lanze mit der geringe Mengen an Lymphe ubertragen wurden nicht zu tief in die Haut des Empfangers eindrang minimalinvasiv Danach sollte der Empfanger im Freien Ubungen abhalten so lange bis er Fieber entwickelte Dieses wurde mit kaltem Wasser warmem Tee und Brei behandelt Gegen beim milden Verlauf einer Pockenerkrankung auftretende Symptome sollte der Patient unter anderem quecksilber und antimonhaltige Praparate einnehmen 22 Die Methode nach Sutton war hochst popular und verbreitete sich auch in Europa 1769 verstarben von 40 000 Patienten die in England inokuliert wurden nicht mehr als 100 Patienten Methode nach Dimsdale Bearbeiten Thomas Dimsdale kritisierte die Methode nach Sutton dahingehend dass gerade inokulierte Personen sich frei auch unter nicht inokulierten Menschen aufhalten und damit unbeabsichtigt Pocken verbreiten konnten 22 Daraus schloss er dass man ganze Gemeinden inokulieren musse Zusammen mit Ingenhousz inokulierte er in der Grafschaft Hertfordshire die Gemeinden Little Berkhamsted und Bayford was einen vorausgegangenen Zyklus an Variolation und Kontamination beendete 22 Literatur BearbeitenGustav Behrend Uber Variolation Ein historischer Ruckblick bei Gelegenheit der Hundertjahrsfeier der Entdeckung Eduard Jenner s In Deutsche Medizinische Wochenschrift Band 22 1896 S 307 311 Einzelnachweise Bearbeiten a b c d Axel Helmstadter Zur Geschichte der aktiven Immunisierung Vorbeugen ist besser als Heilen In Pharmazie in unserer Zeit Band 37 Nr 1 2008 S 12 18 doi 10 1002 pauz 200700247 a b c d Stefan Riedel Edward Jenner and the history of smallpox and vaccination In Proceedings Baylor University Medical Center Band 18 Nr 1 2005 S 21 25 PMID 16200144 PMC 1200696 freier Volltext a b c d Susan L Plotkin und Stanley A Plotkin A Short History of Vaccination In Stanley A Plotkin et al Hrsg Plotkin s Vaccines 7 Auflage Elsevier Philadelphia 2017 ISBN 978 0 323 35761 6 S 1 doi 10 1016 B978 0 323 35761 6 00001 8 elsevier com Otto Dornbluth Klinisches Worterbuch Variolation Pocken Seuchengeschichte a b c Marie Louise Portmann Die Variolation im Spiegel der Korrespondenz Albrecht von Hallers 1708 1777 und Achilles Mieg 1731 1799 In Gesnerus Swiss Journal of the history of medicine and sciences Band 34 Nr 3 4 1977 doi 10 5169 seals 521255 e periodica ch Damiano Rondelli Edward Jenner 1749 1823 from variolation to vaccination Hektoen International 2016 abgerufen am 16 Dezember 2018 englisch Writing and Publishing Medical Knowledge in Late Imperial China conference uni leipzig de August 2021 abgerufen am 1 Dezember 2021 Wortley Montagu Mary Modern History Sourcebook Lady Mary Wortley Montagu 1689 1762 Smallpox Vaccination in Turkey abgerufen am 31 Januar 2011 Sequence 263 Page 59 Montagu Mary Wortley Letters of the Right Honourable Lady M y W y M e written during her travels in Europe Asia and Africa to persons of distinction men of letters amp c in different parts of Europe which contain Abgerufen am 27 August 2008 a b c d e N Barquet und P Domingo Smallpox the triumph over the most terrible of the ministers of death In Annals of Internal Medicine Band 127 8 Pt 1 15 Oktober 1997 S 635 642 doi 10 7326 0003 4819 127 8 part 1 199710150 00010 PMID 9341063 Herve Bazin Vaccination A History from Lady Montagu to Genetic Engineering John Libbey Eurotext 2011 ISBN 978 2 7420 0775 2 S 31 a b c Amalie M Kass Boston s Historic Smallpox Epidemic In Massachusetts Historical Review Band 14 2012 S 1 51 doi 10 5224 masshistrevi 14 1 0001 Kelly Wisecup African medical knowledge the plain style and satire in the 1721 Boston Inoculation controversy In Early American Literature Band 46 Nr 1 2011 S 25 50 doi 10 1353 eal 2011 0004 PMID 21688446 Christopher Ellis Hayden Of Medicine and Statecraft Smallpox and Early Colonial Vaccination in French West Africa Senegal Guinea 28 Januar 2008 S 229 abgerufen am 2 Mai 2020 englisch Sterben bevor der Morgen graut In DER SPIEGEL 14 Oktober 1985 abgerufen am 2 Mai 2020 M Best et al Making the right decision Benjamin Franklin s son dies of smallpox in 1736 In Quality amp Safety in Health Care Band 16 Nr 6 Dezember 2007 S 478 480 doi 10 1136 qshc 2007 023465 PMID 18055894 PMC 2653186 freier Volltext a b Carola Dorner Impfgeschichte Die Kaiserin und die Pocken In Der Spiegel 2 Juni 2020 abgerufen am 4 Oktober 2020 Impfgegner fuhrten damals religiose Motive an In Osterreichische Akademie der Wissenschaften 5 August 2020 abgerufen am 4 Oktober 2020 Voltaire Uber die Pockenimpfung 11 Brief In Rudolf von Bitter Hrsg Philosophische Briefe Ullstein Frankfurt am Main ISBN 978 3 548 35223 7 S 43 ff a b Darren R Flower Bioinformatics for Vaccinology John Wiley amp Sons Ltd Chichester UK 2008 ISBN 978 0 470 69983 6 S 18 ff doi 10 1002 9780470699836 a b c d e S L Kotar J E Gessler Smallpox A History McFarland 2013 ISBN 978 0 7864 6823 2 S 18 ff Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Variolation amp oldid 227271589