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Die totale Faktorproduktivitat englisch total factor productivity TFP ist in der Volkswirtschaftslehre eine volkswirtschaftliche Kennzahl welche die Produktivitat samtlicher Produktionsfaktoren unter Berucksichtigung des technischen Fortschritts wiedergibt Inhaltsverzeichnis 1 Allgemeines 2 Ermittlung 3 Solow Residuum 4 Wachstumsmodell 5 Mathematische Darstellung 6 Betriebswirtschaftslehre 7 TFP als Erklarung fur das Asiatische Wunder 8 Wirtschaftliche Aspekte 9 Literatur 10 EinzelnachweiseAllgemeines BearbeitenDie totale Faktorproduktivitat berucksichtigt das Zusammenwirken aller Produktionsfaktoren 1 Sie zeigt das Verhaltnis der Ausbringung zu allen eingesetzten Produktionsfaktoren an und gibt bei der Analyse des Wirtschaftswachstums Auskunft daruber inwieweit technischer Fortschritt eine hohere Ausbringung bei gleichem Faktoreinsatz ermoglicht Bei der Berechnung wird eine konstant bleibende Kapazitatsauslastung unterstellt Beim Wirtschaftswachstum wird die Faktorproduktivitat aller Produktionsfaktoren Arbeit Arbeitsproduktivitat Boden Bodenproduktivitat Kapital Kapitalproduktivitat um das Solow Residuum erganzt um zur totalen Faktorproduktivitat zu gelangen Dabei wird der Boden ausgeklammert Ermittlung BearbeitenFormal setzt sich die totale Faktorproduktivitat T F P displaystyle TFP nbsp aus Arbeitsproduktivitat A P displaystyle AP nbsp Bodenproduktivitat B P displaystyle BP nbsp und Kapitalproduktivitat K P displaystyle KP nbsp zusammen T F P A P B P K P displaystyle TFP AP BP KP nbsp Die totale Faktorproduktivitat ergibt sich aus der Gegenuberstellung der Ausbringungsmenge A m displaystyle Am nbsp und samtlicher Faktorkosten F K displaystyle FK nbsp 2 T F P A m F K displaystyle TFP frac Am FK nbsp Die Produktionsfunktion berucksichtigt nun bei der totalen Faktorproduktivitat das vorhandene Technologieniveau T displaystyle T nbsp so dass sich die Ausbringung englisch output nicht nur wegen einer Vermehrung von Arbeit L displaystyle L nbsp und Kapital K displaystyle K nbsp sondern auch wegen einer Verbesserung der Technologie erhoht 3 Y T F K L displaystyle Y TF K L nbsp Erhoht sich die Ausbringung ohne dass dies auf eine erhohte Arbeitsleistung oder hoheren Kapitaleinsatz zuruckzufuhren ist so wird die Erhohung der Ausbringung durch technischen Fortschritt verursacht Solow Residuum BearbeitenDas nach Robert Solow benannte Solow Residuum 4 ist die Differenz zwischen dem Produktionswachstum und dem Anteil der dem Wachstum von Arbeit und Kapital zugerechnet wird 5 Das Solow Residuum S R displaystyle SR nbsp ist gleich dem Anteil der Arbeit L displaystyle L nbsp und des Kapitals K displaystyle K nbsp mal der Rate des technischen Fortschritts T F displaystyle TF nbsp S R L K T F displaystyle SR L cdot K cdot TF nbsp Das Solow Residuum ist demgemass Null wenn es keinen technischen Fortschritt gibt Das Wirtschaftswachstum also das Wachstum der gesamtwirtschaftlichen Ausbringung Y displaystyle Y nbsp wird als Summe der Wachstumsbeitrage des Faktors Arbeit L displaystyle L nbsp und Kapital K displaystyle K nbsp sowie eines verbleibenden Rests dem Solow Residuum S R displaystyle SR nbsp begriffen Y S R L K displaystyle Y SR cdot L cdot K nbsp Folglich ist das Solow Residuum mit dem technischen Fortschritt identisch es gilt S R T F displaystyle SR TF nbsp Da der technische Fortschritt als solcher nicht direkt messbar ist muss er uber die messbaren Grossen Arbeits und Kapitalproduktivitat indirekt ermittelt werden Messbare Daten sind die Wachstumsraten des Arbeitseinsatzes d A d A displaystyle frac delta A delta A nbsp und des Kapitaleinsatzes d A d K displaystyle frac delta A delta K nbsp so dass sich durch Umstellung der technische Fortschritt d K d T F displaystyle frac delta K delta TF nbsp isolieren lasst Wachstumsmodell BearbeitenMit Hilfe der Wachstumsbuchhaltung kann das Wirtschaftswachstum d h das Wachstum des gesamtwirtschaftlichen Outputs Y displaystyle Y nbsp auf die Wachstumsbeitrage der verschiedenen Produktionsfaktoren aufgeteilt werden Im Solow Modell sind dies Arbeit A displaystyle A nbsp Kapital K displaystyle K nbsp und ein verbleibender Rest das Solow Residuum Dieser Rest wird als totale Faktorproduktivitat bezeichnet und kann als Mass fur den technischen Fortschritt angesehen werden Mathematisch wird das totale Differential einer Cobb Douglas Produktionsfunktion mit konstanten Skalenertragen gebildet dass eine solche Produktionsfunktion vorliegt ist eine Annahme und dann nach der Zeit abgeleitet Nach Division mit Y displaystyle Y nbsp erhalt man als Ergebnis die Wachstumsrate des Outputs Y displaystyle Y nbsp als die Summe der Wachstumsraten der Produktionsfaktoren Arbeit A displaystyle A nbsp und Kapital K displaystyle K nbsp jeweils gewichtet mit den Grenzproduktivitaten von A displaystyle A nbsp und K displaystyle K nbsp also den partiellen Ableitungen von Y displaystyle Y nbsp nach A displaystyle A nbsp bzw K displaystyle K nbsp Unter der Annahme vollkommener Konkurrenz auf den Guter und Faktormarkten entsprechen diese Grenzproduktivitaten den Einkommensanteilen der Produktionsfaktoren A displaystyle A nbsp und K displaystyle K nbsp die sich zu 1 d h 100 summieren Beobachtbar sind im Prinzip die Wachstumsraten von Y displaystyle Y nbsp A displaystyle A nbsp und K displaystyle K nbsp und die Einkommensanteile der Produktionsfaktoren Arbeit und Kapital Die Solow Wachstumszerlegung kann also empirisch uberpruft werden Normalerweise ist festzustellen dass die Summe der Produktionsfaktorenwachstumsraten gewichtet mit den Einkommensanteilen der Produktionsfaktoren eine Outputwachstumsrate ergibt die kleiner als die beobachtete ist Die Differenz ist die empirisch ermittelte totale Faktorproduktivitat die als ein Mass fur den technischen Fortschritt verstanden werden kann Mathematische Darstellung BearbeitenDie Cobb Douglas Produktionsfunktion mit konstanten Skalenertragen lautet Y c K a A 1 a displaystyle Y c cdot K a cdot A 1 a nbsp Logarithmieren log Y log c a log K 1 a log A displaystyle log Y log c a cdot log K 1 a cdot log A nbsp Nach der Zeit abgeleitet unter der Berucksichtigung dass d log Y d Y Y Y Y displaystyle frac mathrm d log Y mathrm d Y dot Y over Y hat Y nbsp erhalt man die Solow Wachstumszerlegung Y Y a K K 1 a A A displaystyle dot Y over Y a cdot dot K over K 1 a cdot dot A over A nbsp Die Wachstumsrate von Y displaystyle Y nbsp ist also die gewichtete Summe der Wachstumsraten von A displaystyle A nbsp und K displaystyle K nbsp A Wenn die tatsachlichen Wachstumsraten beobachtet vorliegen und wenn a displaystyle a nbsp als Einkommensanteil von K displaystyle K nbsp bzw 1 a displaystyle 1 a nbsp als der Einkommensanteil von A displaystyle A nbsp ebenfalls bekannt ist kann diese Gleichung uberpruft werden Sie stimmt in der Regel nicht sondern es gilt Y Y a K K 1 a A A TFP displaystyle dot Y over Y a cdot dot K over K 1 a cdot dot A over A text TFP nbsp wobei T F P displaystyle TFP nbsp die totale Faktorproduktivitat ist Betriebswirtschaftslehre BearbeitenIn der Betriebswirtschaftslehre wird der technische Fortschritt beim Unternehmenswachstum ausgeklammert Bei einem Mehrproduktunternehmen mussen zur Erfassung seiner Gesamtproduktivitat alle Inputs ins Verhaltnis zu allen Outputs gesetzt werden 6 TFP als Erklarung fur das Asiatische Wunder BearbeitenDie Wachstumstheorie gliedert Wachstum in Faktorakkumulation und Veranderungen der TFP Das reale Pro Kopf Einkommen in den Tigerstaaten Hongkong nbsp Hongkong Singapur nbsp Singapur Korea Sud nbsp Sudkorea und Taiwan nbsp Taiwan zwischen 1966 und 1990 wuchs jahrlich um mehr als 7 verglichen mit weniger als 2 in den westlichen Industriestaaten 7 Um dieses enorme Wachstum der Tigerstaaten zu erklaren argumentieren die Weltbank 1993 und andere mit Hilfe von Schatzungen der TFP Sie kommen zu dem Schluss dass ein nicht unerheblicher Teil des asiatischen Wachstums auf der erfolgreichen Assimilierung westlicher Technologien basiert und die weitergehende technische Diffusion als potentielle Chance fur andere Entwicklungslander genutzt werden kann Anstieg der TFP Die Sichtweise zu den asiatischen Tigerstaaten wurde von Young und anderen in verschiedenen empirischen und theoretischen Arbeiten in Frage gestellt Einige Autoren fuhren dieses Wachstum darauf zuruck dass die Tigerstaaten westliche Technologien imitiert hatten womit ein ungewohnlich hoher Anstieg der totalen Faktorproduktivitat verbunden sein musste Das war jedoch nicht der Fall Vielmehr war das Wachstum auf einen Anstieg von Erwerbstatigkeit Kapitalstock und Bildungsniveau zuruckzufuhren in keinem der Tigerstaaten war ein ungewohnlich hoher Anstieg der totalen Faktorproduktivitat zu beobachten 8 Kernpunkte der Kritik sind die theoretische Konstruktion der TFP und deren empirische Messung Kim Lau Young erzielten deutlich abweichende Ergebnisse mit der Schlussfolgerung dass das asiatische Wirtschaftswachstum rein auf Faktorakkumulation zuruckzufuhren ist 9 TFP Wachstum sei fur Asien nicht signifikant Paul Krugman fugte der Diskussion eine weitere historische Komponente hinzu Er zieht Parallelen zwischen dem wirtschaftlichen Aufstieg der Tigerstaaten mit dem Aufstieg der Sowjetunion Er warnte vor der Angst die Tigerstaaten konnten durch ihren Aufstieg den Wohlstand in den Industrielandern gefahrden und prognostizierte aufgrund der Natur ihres Wirtschaftswachstums einen baldigen Ruckgang des Wachstums Seit Ende der 1990er Jahre scheint die Diskussion zu ruhen Young Kim Lau haben sich offenbar mit ihrer Kritik durchgesetzt obwohl auch sie keinen Sieg erringen konnten Das Konstrukt der TFP und der makrookonomischen Basis werden zunehmend durch andere eher mikrookonomische Ansatze ersetzt Robert U Ayres 10 und Reiner Kummel 11 haben durch Zeitreihenanalysen an volkswirtschaftlichen Statistiken und Energieverbrauchen nachgewiesen dass das Solow Residuum als totale Faktorproduktivitat sehr gut durch den Energieeinsatz einer Volkswirtschaft erklart werden kann Somit ist der technische Fortschritt die Fahigkeit durch Arbeit Primarenergie aufzunehmen und diese effizient in Nutzenergien umzuwandeln um damit volkswirtschaftliche Produktionsprozesse anzutreiben Wirtschaftliche Aspekte BearbeitenEin technischer Fortschritt kann entweder an einen bestimmten Produktionsfaktor gebunden sein etwa Werkzeuge beim Faktor Arbeit oder als faktorunabhangiger Anstieg des Niveauparameters in der Produktionsfunktion modelliert werden Im letzteren Fall wird vom Anstieg der totalen Faktorproduktivitat die das Solow Residuum enthalt gesprochen Empirisch ist die totale Faktorproduktivitat in jungerer Zeit die wichtigste Determinante des Wirtschaftswachstums in Deutschland gewesen wahrend der Faktoreinsatz selbst nur wenig zugenommen bzw im Falle des Arbeitsvolumens teilweise sogar abgenommen hat 12 Solow untersuchte zwischen 1909 und 1949 die Verhaltnisse in den USA und konnte empirisch nachweisen dass das dortige Wirtschaftswachstum uberwiegend dem technischen Fortschritt zu verdanken war und Arbeit und Kapital nur fur den geringfugigen Rest 13 Literatur BearbeitenDeutsche Bundesbank Hrsg Zur Entwicklung der Produktivitat in Deutschland Deutsche Bundesbank Monatsbericht September 2002 PDF Datei 367 kB Collins Bosworth Rodrik 1996 Economic Growth in East Asia Accumulation versus Assimilation Brookings Papers on Economic Activity Felipe Total Factor Productivity Growth in East Asia A critical survey EDRC Report Series No 65 1997 Kim Lau The Sources of Economic Growth of the East Asian Newly Industrialized Countries in Journal of Japanese and International Economies 1994 Paul Krugman The myth of Asia s miracle in Foreign Affairs 1994 Nelson Pack The Asian Miracle and Modern Growth Theory in The Economic Journal 1999 Pack Page Accumulation exports and growth in the high performing Asian economies in Carnegie Rochester Conferences Series on Public Policy 40 1994 Pack Page Reply to Alwin Young in Carnegie Rochester Conference Series on Public Policy 40 1994 Pack Page The Asian Miracle and the Modern Growth Theory in The Economic Journal 1999 World Bank The East Asian Miracle Economic Growth and Public Policy Oxford University Press 1993 World Bank An East Asian Renaissance Ideas for Economic Growth IBRD 2006 Alwyn Young Accumulation exports and growth in the high performing Asian economies A comment in Carnegie Rochester Conference Series on Public Policy 40 1994 S 237 250 Einzelnachweise Bearbeiten Horst Albach Margareta Kulessa Produktivitat in Gunter Renz Johannes Eurich Jorg Hubner Margareta Kulessa Martin Honecker Traugott Jahnichen Hrsg Evangelisches Soziallexikon 2016 o S Charles T Horngren George Foster Srikant M Datar Kostenrechnung Entscheidungsorientierte Perspektive 2001 S 827 N Gregory Mankiw Makrookonomik 2017 S 329 f Robert Solow Technical Change and the Aggregate Production Function in Review of Economics and Statistics 39 1957 S 312 320 Olivier Blanchard Gerhard Illing Makrookonomie 2009 S 387 f Frank Schulz Nieswandt Holger Muhlenkamp Ludwig Theuvsen Markus Krajewski Hrsg Offentliche Wirtschaft 2019 S 346 N Gregory Mankiw Makrookonomik 2017 S 334 Alwyn Young The Tyranny of Numbers Confronting the Statistical Realities of the East Asian Growth Experience in Quarterly Journal of Economics 101 1995 S 641 680 Jong Il Kim Lawrence J Lau The sources of Asian Pacific economic growth in Canadian Journal of Economics 29 1 1996 S 448 454 Robert U Ayres Benjamin Warr Accounting for Growth The Role of Physical Work In INSEAD Working Paper Centre for the Management of Environmental Resources 2002 abgerufen am 30 Juni 2018 Reiner Kummel Dietmar Lindenberger Wolfgang Eichhorn Energie Wirtschaftswachstum und technischer Fortschritt In Physikalische Blatter Wiley September 1997 abgerufen am 30 Juni 2018 Verlag Herder Hrsg Staatslexikon Band 6 2021 S 373 Hans Werner Holub Eine Einfuhrung in die Geschichte des okonomischen Denkens 2013 S 106Normdaten Sachbegriff GND 4453815 7 lobid OGND AKS Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Totale Faktorproduktivitat amp oldid 230605085