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Das Tagelied in den romanischen Sprachen nach der Weisse des Morgengrauens benannt okzitanisch Alba altfranzosisch Aube ist eine hofische Liedgattung der mittelalterlichen Lyrik Sie ist in erster Linie inhaltlich definiert wobei sie die Situation des geheimen Beisammenseins und des Abschieds zweier Liebender beim Tagesanbruch nach einer gemeinsam verbrachten Liebesnacht thematisiert Gemeinsam mit der Pastourelle die das Zusammentreffen eines Ritters mit einer Schaferin niederen Standes schildert ist das Tagelied ein Sonderfall in der hofischen Dichtung insofern es nicht die entsagende auf Aufschub und ethische Verfeinerung gerichtete Hohe Minne besingt sondern die korperliche Vereinigung zulasst und sogar in den Mittelpunkt stellt Dabei behandelt das Tagelied im Unterschied zur Pastourelle sein Thema nicht in derber und ironischer Weise sondern bringt das Gluck der Vereinigung und den Schmerz uber die bevorstehende Trennung zum Ausdruck Inhaltsverzeichnis 1 Entstehung und Motive 2 Literatur 2 1 Primartexte 2 2 Sekundarliteratur 3 Siehe auch 4 EinzelnachweiseEntstehung und Motive BearbeitenDas Tagelied wurde von den okzitanischen Trobadors und nordfranzosischen Trouveres als Gattung ausgebildet und von den mittelhochdeutschen Minnesangern ubernommen und weiterentwickelt wobei jeweils auch Elemente alteren volkstumlichen Liedgutes und Anknupfungen an mittellateinische Dichtung zum Tragen kommen konnten Das Tagelied verbindet erzahlende mit monologischen und szenischen Elementen vergegenwartigt den Tagesanbruch durch charakteristische Motive wie das Morgenlicht den beginnenden Gesang der Vogel und den warnenden Ruf der Wachter Es verbindet den Ausdruck von Liebesgluck und Trennungsschmerz mit der Klage uber Neider und den eifersuchtigen Ehemann die als Reprasentanten einer feindlichen Gesellschaft die Trennung der Liebenden erzwingen Dass eine solche Trennung droht wird von den Figuren der Lieder jeweils befurchtet betrauert zuweilen gar trotzig ignoriert der Vollzug einer solchen Trennung wird jedoch nahezu nie erzahlt Die Lieder enden jeweils bevor es zur Trennung kommt siehe unten Obwohl auch volkstumliche Elemente wie Refrain und Wachterruf aufgenommen werden und keine Bindung an ein festgelegtes formales Bauprinzip vorliegt wird das Tagelied in der Regel mit formal anspruchsvoller Reim und Strophentechnik durchgefuhrt Ein lateinisch okzitanisches Tagelied ist mit der zweisprachigen Alba von Fleury sur Loire aus dem Jahr 1000 uberliefert In der mittelhochdeutschen Dichtung wird das mutmasslich alteste uberlieferte Tagelied Slafest du friedel ziere Dietmar von Aist zugeschrieben Weitere wichtige Vertreter waren u a Heinrich von Morungen Wolfram von Eschenbach Walther von der Vogelweide und spater Oswald von Wolkenstein 1 Der Abschied Romeos von Julia bei William Shakespeares Romeo und Julia sowie der zweite Akt von Richard Wagners Oper Tristan und Isolde sind dramatisierte Formen des Tagelieds In der Literatur der Romantik die sich ja viel mit dem Mittelalter auseinandersetzte finden sich ebenfalls Tagelieder z B Morgentau von Adelbert von Chamisso 2 Bekannte Tagelieder der Moderne sind Tagelied von Rainer Maria Rilke Entdeckung an einer jungen Frau von Bertolt Brecht Tagelied von Peter Ruhmkorf sowie Alba von Ezra Pound Neuere literaturwissenschaftliche Forschung hat zudem auf die poetologische Metaphorik der Tagelieder hingewiesen die ein wesentliches Element der Gattung Tagelied und ihrer neuzeitlichen Adaptionen ist Die meisten Tagelieder handeln auf komplexe Weise nicht nur vom Wecken und der bevorstehenden Trennung eines heimlichen Liebespaares sondern zugleich auch metaphorisch gesprochen vom singenden Wecken des Liedes selbst das kaum gesungen wieder verstummen muss resp wieder einschlaft Fur eine solche Metaphorik spricht u a der asthetisch und poetologisch eingesetzte Zeitpunkt des Liedendes das in nahezu allen Tageliedern mit dem Ende der erzahlten Morgendammerung zusammenfallt Der Zeitpunkt des Liedendes birgt in den Tageliedern dabei immer auch eine trostliche Komponente Da es in der erzahlten Welt des Tageliedes nie helllichter Tag wird kommt es letztlich auch nie zur Trennung des Liebespaares denn zusammen mit dem Lied schlafen auch die darin besungenen und singenden Figuren wieder ein bis das Lied erneut gesungen resp geweckt wird 3 Literatur BearbeitenPrimartexte Bearbeiten Texte zur Geschichte des deutschen Tageliedes Hg v Ernst Scheunemann Erganzt und hg v Friedrich Ranke Bern 1947 Deutsche Tagelieder von den Anfangen der Uberlieferung bis zum 15 Jahrhundert Nach dem Plan Hugo Stopps hg v Sabine Freund Heidelberg 1983 Hausner Renate Hg Owe do tagte ez Tagelieder und motivverwandte Texte des Mittelalters und der fruhen Neuzeit Goppingen 1983 Tagelieder des deutschen Mittelalters Mittelhochdeutsch Neuhochdeutsch Ausgewahlt ubersetzt und kommentiert von Martina Backes Reclam Stuttgart 1992 1999 RUB 8831 Rezension von L Okken in Mediavistik 7 1994 S 394f Sekundarliteratur Bearbeiten Arthur T Hatto Hg Eos an enquiry into the theme of lovers meetings and partings at dawn in poetry London 1965 Wolfgang Mohr Spiegelungen des Tagelieds In Mediaevalia litteraria Festschrift H de Boor Hg v Ursula Hennig und Herbert Kolb Munchen 1971 S 287 304 Ulrich Knoop Das mittelhochdeutsche Tagelied Inhaltsanalyse und literaturhistorische Untersuchungen Marburg 1976 Alois Wolf Variation und Integration Beobachtungen zu hochmittelalterlichen Tageliedern Darmstadt 1979 Gerdt Rohrbach Studien zur Erforschung des mittelhochdeutschen Tageliedes Ein sozialgeschichtlicher Beitrag Goppinger Arbeiten zur Germanistik Band 462 Kummerle Verlag Goppingen 1986 ISBN 3 87452 697 6 Christoph Cormeau Zur Stellung des Tagelieds im Minnesang In Festschrift W Haug und B Wachinger Hrsgg v J Janota Tubingen 1992 Bd 2 S 695 708 Hans Joachim Behr Die Inflation einer Gattung das Tagelied nach Wolfram In Lied im deutschen Mittelalter Hg v Cyril Edwards Tubingen 1996 S 195 202 Uwe Ruberg Gattungsgeschichtliche Probleme des geistlichen Tagelieds Dominanz der Wachter und Weckmotivik bis zu Hans Sachs In Traditionen der Lyrik Festschrift Hans Henrik Krummacher Hg v Wolfgang Dusing Tubingen 1997 S 15 29 Rudolf Kilian Weigand Vom Kreuzzugsaufruf zum Minnelied Uberlieferungsformen und Datierungsfragen weltlicher Minnelyrik In Artes liberales Festschrift fur Karlheinz Schlager zum 60 Geburtstag Hg v Marcel Dobberstein Tutzing 1998 S 69 92 ISBN 3 7952 0932 3 Markus Gut Zur poetologischen Dimension mittelhochdeutscher Tagelieder In Jens Haustein Christa Jansohn Barbara Kuhn u a Hrsg Archiv fur das Studium der neueren Sprachen und Literaturen Band 251 Nr 2 2014 ISSN 0003 8970 S 255 282 Siehe auch BearbeitenAubade Morgenlied Abendlied Wolframs TageliederEinzelnachweise Bearbeiten Zur Tradition des Tagelieds im deutschen Mittelalter besonders bei Wolfram von Eschenbach Wolframs Tagelieder Adelbert von Chamisso Morgentau im Projekt Gutenberg DE Markus Gut Zur poetologischen Dimension mittelhochdeutscher Tagelieder In Jens Haustein Christa Jansohn Barbara Kuhn u a Hrsg Archiv fur das Studium der neueren Sprachen und Literaturen Band 251 Nr 2 2014 S 255 282 Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Tagelied amp oldid 234662094