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Das Gedicht Slafest du friedel ziere ist das vermutlich erste Lied der Gattung Tagelied auf deutschsprachigem Boden und wurde von Dietmar von Aist verfasst Die Entstehungszeit des mittelhochdeutschen Liedes ist umstritten aber die Forschung geht von 1170 80 aus Das Lied handelt von der Trennung zweier Liebender Abschied bei Tagesanbruch Dietmar von Aist Codex Manesse Blatt 64r Inhaltsverzeichnis 1 Originaltext und Ubersetzung 1 1 Zusatzliche Ubersetzungshinweise 2 Liedform 3 Zur Textkritik 4 Inhaltlicher Aufbau 5 Interpretation 6 Zur Uberlieferung 7 Gattungseinordnung 8 Verhaltnis von Mann und Frau 9 Literatur 9 1 FussnotenOriginaltext und Ubersetzung BearbeitenOriginal Ubertragung nach Schweikle 1 Ubertragung nach Rohrbach 2 Slafest du friedel ziere man wecket uns leider schiere ein vogellin so wol getan daz ist der linden an daz zwi gegan Schlafst du lieber Freund Man weckt uns leider bald Ein Voglein so schon das ist auf der Linde Zweig geflogen Schlafst du schoner Freund Man weckt uns leider bald ein Voglein ein so schones das hat sich der Linde ins Gezweig gesetzt Ich was vil sanfte entslafen nu ruefest du kint Wafen liep ane leit mac niht gesin swaz du gebiutest daz leiste ich friundin min Ich war so sanft eingeschlafen nun rufst du Kind wach auf Lieb ohne Leid kann nicht sein Was du gebietest das tue ich meine Freundin Ich war ganz leicht eingeschlafen als du Kind O weh riefst Liebe ohne Leid kann es nicht geben Was du befiehlst Geliebte das tue ich Diu frouwe begunde weinen Du ritest und last mich eine wenne wilt du wider her zuo mir owe du fuerest min froude sament dir Die Dame begann zu weinen Du reitest von hinnen und lasst mich allein Wann wirst du wieder zu mir kommen O weh Du fuhrst meine Freude mit dir Die Dame begann zu weinen Du reitest weg und lasst mich alleine Wann willst du wieder her zu mir kommen Oweh du fuhrst meine Freude mit dir fort Zusatzliche Ubersetzungshinweise Bearbeiten Str 1 v 1 friedel Geliebter ziere prachtig herrlich schon v 2 wan alem Form von man v 3 wol getan wohlgestaltet v 4 zwi Zweig Str 2 v 2 kint hier als zartliche Anrede gebraucht wafen elliptischer Ausruf fur zu den Waffen allgemein als Not Hilfe Wehruf Str 3 v 2 einen allein v 4 sant lt samet prap mit Dat zusammen mit 3 Liedform BearbeitenDas Gedicht besteht aus drei Strophen mit jeweils vier Versen Die Strophenform besteht aus Kurzzeilenstrophen und zwar paargereimt 4 mit Vierheber und je ein Funfheber als Schlussbeschwerung 5 Damit ist die Form des Gedichtes einfach gehalten und dementsprechend in der Forschung wenig widerspruchlich beschrieben Die Form dieses dreistrophigen Liedes ist einfach Die Vierzeilerverse zeigen keine Einwirkung der hofischen Kanzone der Kadenzwechsel zwischen dem 1 und 2 Reimpaar markiert formal die Strophe als Einheit 6 Typisch ist diese Gedichtsform fur die mittelhochdeutsche Lyrik trotz oder wegen seiner Einfachheit nicht Die kurzzeiligen Paarreimstrophen stehen vereinzelt in dieser Phase des Minnesangs der paargereimte Vierheber begegnet als Grundmass in lyrischer und epischer ahd und fruhmhd Dichtung und in der mhd Epik in der mhd Lyrik von Ausnahmen wie z B dem Reichston Walthers von der Vogelweide abgesehen tritt er meist nur kombiniert mit anderen Versformen auf 7 Zur Textkritik BearbeitenDie Textkritik konzentriert sich ahnlich wie die Interpretationsansatze vor allem auf Vers 2 der ersten Strophe Dieser Vers wird von verschiedenen Autoren unterschiedlich analysiert Von Hermann Paul der an der handschriftlichen Lesart wan des 2 Verses festhalten wollte bis zu Gunther Jungbluth der sehr bestechend diese ganze problematische Zeile aus Versatzstucken aus anderen Tageliedern ersetzen wollte reicht der Bogen der Textkritik 8 Die Vorstellung Hermann Pauls an der Lesart wan festzuhalten wird von der Forschung im Allgemeinen konsequent als uberholt angesehen Als akzeptiert gilt es dass wan als Variante fur man steht Siewerts geht ebenfalls davon aus Die Handschrift und auch die Edition in Des Minnesangs Fruhling bieten die Lesart wan Dies Wort erfuhr zwei verschiedene Deutungen Wahrend die eine fussend auf Hermann Paul in wan die Adversativpartikel aber es sehen mochten verstehen die anderen im Anschluss an Wilhelm Scherer wan als alemannische Variante fur man Die zweite Deutung wan als Variante zu man ist inzwischen allgemein akzeptiert 9 Jungbluth betont am konsequentesten dass nur die zweite Deutung bzw dass wan als Variante fur man zu lesen ist Es kann uberhaupt nicht zweifelhaft sein dass der uberlieferte Wortlaut von v 39 19f nur die zweite Deutung zulasst allein und ausschlaggebend 10 Auch wenn die Forschung sich in diesem Punkt einig zu sein scheint so ist auch das man textkritisch schwierig zu begrunden zumal seine Funktion fragwurdig ist 11 Es ist fur Jungbluth namlich beinahe ausgeschlossen dass das man sich auf einen Wachter oder den Vogel bezieht da beides einen absoluten Sonderfall darstellen wurde Unter dieser Bedingung ware das man ohne Funktion was ebenfalls unmoglich scheint Jungbluth geht daher davon aus dass das Gedicht und vor allem der betreffende Vers nicht in seiner ursprunglichen Fassung uberliefert wurde und dass das man in dieser ursprunglichen Fassung nicht vorhanden war Stellt Dietmars Tagelied also einen Sonderfall dar Oder sollte eine Frage zu der die obigen Beobachtungen zu berechtigen scheinen das Besondere und Ungewohnliche allein auf einem Irrtum der Uberlieferung beruhen durch den wir uns nachgerade ein Jahrhundert das richtige Verstandnis dieses Liedes haben verbauen lassen 12 Beispielsweise Schweikle unterstutzt in Bezug zu Dietmars Tagelied diese Auffassung Da sich im Liedercorpus von Dietmar formale Verbesserungen aufweisen die nach Meinung der Forschung von den Schreibern stammen sollen ware zu fragen warum dann bei diesem Gedicht solche Besserungen unterblieben vollends wenn sie so naheliegend sind wie G Jungbluth annimmt 13 Jungbluth glaubt an eine Veranderung des Originals durch den Redakteur 14 und mochte v 39 19 rekonstruieren indem er eine typische Formel aus anderen Lieder fur den Anbruch des Tages benutzt so wie ich mir das Lied in seiner ursprunglichen Gestalt vorstelle 15 Slafest du friedel ziere ich waen ez taget und schiere ein vogellin so wol getan daz ist der linden an daz zwi gegan 16 In dieser Fassung ist es weder der Vogel noch ein suspekter Wachter der die Liebenden zum Aufwachen und zur Trennung zwingt Der Tag und eventuell die Formel liep ane leit mac niht sin sind in dieser Fassung die wesentlichen Trennungsgrunde Alles scheint wenn ich recht sehe nunmehr aufs schonste zu stimmen Weder geistert mehr ein sonderbar stummer Wachter durch das Lied noch ist es das Voglein auf dem Lindenzweig das die Liebenden aus dem Schlafe weckt Das Voglein ist vielmehr nur Zeichen des grauenden Tages der unerbeitterlich den Abschied heranwinkt 17 Inhaltlicher Aufbau BearbeitenDer Inhalt und das Thema des Gedichts der Abschied der Liebenden beim Morgengrauen entspricht der Alba im provenzalischen Minnesang 13 Somit entspricht der Inhalt abgesehen vom nicht deutlich anwesenden Wachter dem deutschen Tagelied Das Lied ist uberwiegend dialogisch aufgebaut In der ersten Strophe spricht die Frau zu ihrem Geliebten in der zweiten Strophe antwortet ihr der Mann schliesslich in der letzten Strophe ist lediglich der erste Vers erzahlend gestaltet In den folgenden drei Versen weint und klagt die Dame In direkter Rede uber ihr Verlassenwerden 18 Die Forschung ist sich beim Inhalt des Liedes nicht einig weshalb die Frau den Mann weckt Wegen einer Warnung eines Wachters der Anwesenheit des Vogels oder wegen des anbrechenden Tages De Boor geht eindeutig von der Abwesenheit eines Wachters aus aber betont das Grune Umfeld durch die Linde und den Vogel Es kann mit Sicherheit registriert werden dass dieses Lied von einer Liebesbegegnung im Grunen singt dass der hofische Wachter keine Rolle spielt und dass sich auch die ehebrecherische Liebesbeziehung der hofisch aristokratisierenden Tagelieder keineswegs aufdrangt ja nicht einmal wahrscheinlich ist Mit Voglein Linde und Liebe im Grunen ist man auf der umfassenden Ebene mittelalterlicher erotischer Dichtung auf der auch die Alba sich entfalten und vereinstigen konnte 19 Die Beziehung der beiden Liebenden ist somit vermutlich keine moralisch bewertete und das Gedicht betont die Rollen der beiden Liebenden nicht als ein Hierarchisches sondern als ein personlich erotisches Verhaltnis Interpretation BearbeitenDie Interpretation des Liedes fokussiert sich in der Forschung vor allem auf die erste Strophe die Aufschluss daruber geben soll ob ein Wachter im Lied vorkommt oder nicht Siewerts fasst die Moglichkeiten der Interpretationen fur das Lied nach Handschrift C zusammen an der Person des Wachters jedoch deren eigenartige Kunstlichkeit eine Art Gattungssignal darstellt scheiden sich die hermeneutischen Geister Gibt es nun einen Wachter in Dietmars Lied und wenn ja wo ist dieser zu finden Man Vers 2 und oder vogellin Vers 3 1 Strophe so lasst sich die Diskussion knapp aufs wesentliche reduzieren Zur Verdeutlichung seien die vier Interpretationsansatze noch einmal kurz zusammengefasst 1 Der Wachter versteckt sich im unbestimmten Pronomen man dabei wird die Konjunktur man wan als gegeben vorausgesetzt und der Wachter auf radikale Weise reduziert 2 Das vogellin nimmt die Rolle des Wachters ein und wird damit zum Feind der Liebenden Allerdings zeigt eine prazise Betrachtung des mittelhochdeutschen Textes dass der Vogel an keiner Stelle auch nur den Schnabel bewegt er sitzt lediglich im Lindenbaum 3 Man und vogellin sind identisch d h die Frau geht mit ihrer Warnung man wekt uns davon aus dass der Vogel demnachst singen wird 4 Es gibt keinen Wachter weil das Lied zu fruh entstanden ist um einen Wachter enthalten zu durfen bzw es ist auch hinsichtlich einer Gattungserwartung des Publikums unerheblich wo und ob ein Wachter existiert Entscheidend ist lediglich die typische Tageliedsituation 20 Der zweite und der dritte Interpretationsansatz wurde zwar diskutiert aber ist nach der Forschung am unwahrscheinlichsten Vom dritten Interpretationsansatz dass man und vogelin identisch seien distanziert sich bspw Jungbluth deutlich und bejaht zumindest fur die Handschrift C den ersten Interpretationsansatz Damit erhebt sich wiederum die alte Frage wer mit man gemeint sein kann Doch gewiss nicht wie etliche angenommen haben das Voglein auf dem Lindenzweig Scheidet diese Anknupfungsmoglichkeit aber aus so kann der Vers wie er uns vor Augen steht 21 schlechterdings nur auf den Wachter Bezug nehmen 10 Allerdings betont Jungbluth dass ein Wachter der nur durch man eingefuhrt wird kaum moglich scheint Dennoch melden sich schwerwiegende Bedenken und zwar ist es gerade die Feststellung dass v 39 19 man mit Fug nur auf den Wachter bezogen werden kann die Anlass zu kritischen Erwagungen gibt unbefriedigend bleibt dass der Wachter uberhaupt nur durch das unbestimmte man eingefuhrt wird auch dafur wird man sich in der Geschichte des hofischen Tagelieds vergeblich nach Parallelen umsehen 22 23 Siewerts selbst wie oben schon von ihr angedeutet geht zudem nicht von einem vogellin aus welcher die Rolle des Wachters ubernimmt Der Vogel ist stumm und verkorpert in Verbindung mit dem Lindenzweig die Symbolik der Liebe wie sie durchaus bekannt war in Dietmars Text gerade die Untatigkeit des Vogels in Kombination mit Liebesbaum das vogellin singt nicht sondern hat sich nur auf dem Lindenzweig niedergelassen als deutlich gesetztes Zeichen zum einen fur die Gattung Liebeslied und zum anderen fur die Liebe selbst verstanden werden kann 24 Die Frage ob der erste oder vierte Interpretationsansatz den Siewerts schildert richtig ist kann auch in der neuesten Forschung nicht beantwortet werden Die Wichtigkeit dieser Frage besteht vor allem deshalb weil mit der Anwesenheit des Wachters die Gattungs und Entstehungsfrage beeinflusst wird Zur Uberlieferung BearbeitenDas Lied Slafest du friedel ziere ist in der Heidelberger Liederhandschrift C uberliefert In der Weingartner Liederhandschrift B und in der Heidelberger Liederhandschrift C sind 45 Strophen seines Œuvres uberliefert von denen die Minnesangsforschung jedoch nur ca ein Viertel als zweifellos echt identifiziert hat Das Lied Slafest du friedel ziere nur in C uberliefert besitzt einen einzigartigen Wert nicht nur bezogen auf das Schaffen des Dichters sondern auch in der mediavistischen Tagelieddiskussion 25 Schon die Definition der Entstehungszeit des Gedichts ist schwierig und konnte nicht vollends beantwortet werden Geht man davon aus dass das Gedicht von Dietmar stammt so muss es vor 1171 das vermutete Todesjahr des Dichters geschrieben sein 26 Die Datierung des vielleicht altesten deutschen Dietmar von Aist zugeschriebenen Tagelieds ist umstritten vielleicht 1170 80 27 Da wir Dietmars Lied vor allem aufgrund seines Inhalts zeitlich einordnen konnen kann sich die Entstehungszeit durchaus nach Forschungsergebnissen zur Interpretation verschieben Eine ungefahre Einordnung des Dichters in die Geschichte des Minnesangs ist lediglich auf Grund der formalen und inhaltlichen Auspragung seines Werkes moglich 7 Reimgebrauch und Liederhandschrift sind ebenfalls wenig aufschlussreich Die Uberlieferung hat bekanntermassen unter dem Verfasser Herr Dietmar von Aist C sehr disparate Stucke ausgesprochen Fruhes und daneben recht Spates zusammengetragen und von ihr darf man sich jedenfalls keinen zureichenden Aufschluss uber die mutmassliche Entstehungszeit des Liedes 39 18 erwarten Ebenso wenig vergonnt uns der Reimgebrauch eine klare Entscheidung uber Fruh oder Spat 28 Ein Beispiel dafur dass die Interpretation des Gedichtes massgeblich fur die Datierung der Entstehungszeit ist betrifft die Anwesenheit oder Abwesenheit des Wachters mit gebotener Vorsicht die das sparliche Material nahelegt wird man aussprechen durfen dass die An bzw Abwesenheit dieses Motivs des Wachters jeweils ein wichtiges Kriterium fur die Abfassungszeit des betreffenden Denkmals darstellt Sollte das Motiv des Wachters bei Dietmar vertreten sein wurde diese Feststellung daher sehr wahrscheinlich zu einer spateren Datierung als der traditionellen notigen 29 Das Motiv des Wachters so die Forschung wurde in Deutschland namlich deutlich spater eingefuhrt als man Dietmars Lied bisher zeitlich einordnete Falls jedoch Dietmars Tagelied bereits den Wachter kennt so wurde man nach dem Vorbemerkten allerdings genotigt sein die Entstehungszeit um etliche Jahrzehnte hinauf zu rucken 10 Da ein Teil der Forschung davon ausgeht dass erst Wolfram den Wachter als Motiv des Tagelieds in Deutschland einfuhrte wurde Dietmars Lied als Nachbildung der Lieder Wolframs gelten Das Tagelied 39 18 dagegen ist mit hoher Wahrscheinlichkeit nach Wolframs Vorbild verfasst wie ich demnachst nachweisen zu konnen hoffe 30 Jungbluth geht davon aus dass der Wachter in Dietmars Tagelied durch das man anwesend ist aber nur weil Redakteure Jahrzehnte nach der Entstehung des Originals wo noch kein Wachter vorkam die betreffenden Verse so umschrieben dass ein Wachter anwesend sein muss Diese Korrekturen seien der wesentliche Grund dafur dass die Forschung mit dem Lied nie recht fertigwurde Zeigt sich doch eben dass der Bearbeiter zwecks Heilung einer Verderbnis zu einem Motiv gegriffen hat das wir fur Dietmar schwerlich schon voraussetzen durfen die Einfuhrung des Wachter motivs begrundet einen Anachronismus und verleiht dem Liede in der uberlieferten Gestalt den Charakter eines Zwitters Dieser Befund stellt wohl letzten Endes die Ursache dafur dar dass die Forschung mit Dietmars Tagelied nie so recht fertig werden konnen das Ungereimte das der Fassung in C anhaftet vergonnt keine sinnreiche Auflosung 31 Gattungseinordnung BearbeitenDie Gattungseinordnung des Liedes ist stark umstritten Lange ist man davon ausgegangen dass Dietmars Tagelied der erste Vertreter des deutschen Tageliedes ist und somit zur Gattung der Tagelieder gehort Die Annahme wird in neuerer Forschung allerdings immer mehr umstritten da einige Forscher das Lied Slafest du friedel ziere nicht als vollstandiges Tagelied akzeptieren Welche Argumente fur und wider der Einordnung des Liedes zu den Tageliedern sprechen wird kurz wiedergegeben Zuvor zwei wesentliche Zitate zur Definition des Tageliedes damit der Leser sich selbst ein Bild machen kann Tagelieder sind monologische oder dialogische Rollengedichte mit optionalen Erzahlteilen Kennzeichnend sind Ausgangssituation und Handlungsablauf Ein Liebespaar meist Ritter und Dame erwacht nach gemeinsam verbrachter Nacht Der Tagesanbruch haufig durch den Weckruf eines Wachters angekundigt fuhrt mit der Gefahr der Entdeckung die von den Liebenden beklagte Trennung herbei Als Sprecher konnen alle beteiligten Personen fungieren 32 Das typische Tagelied wie es immer gultig geblieben ist geht von einer epischen Situation aus dem Augenblick da der Tageruf des Wachters die heimlich Liebenden aus der Begluckung der Liebesnacht reisst und sie zum Abschied zwingt Drei Personen episch eingefuhrt treten in Wechselrede zueinander die Frau der Mann und der Wachter 33 Die Vertreter der Meinung dass das Lied ein Tagelied sei berufen sich auf die fur das Tagelied typische Situation der Trennung zweier Liebenden bei Tagesanbruch De Boor fasst diese Sichtweise so zusammen 34 Das aus einer epischen Situation entwickelte Tagelied der Abschied zweier Liebenden bei Anbruch des Tages nach der Liebesnacht hat bei Dietmar seinen ersten und einen seiner zartesten Vertreter 35 Diese Beurteilung teilen bspw Schweikle und Siewerts ebenso Schweikle sagt in Bezug zu Dietmars Lied Das alteste Tagelied der mhd Lyrik 13 Und Siewerts schreibt Erst in jungerer Zeit einigte man sich nach heftigen Debatten dahingehend den Text als echte Schopfung Dietmars zu bewerten dem man damit den Rang des ersten Vertreters der Gattung Tagelied auf deutschsprachigem Boden zuerkannte 25 Es ist aber durchaus zu vernehmen dass diejenigen welche gegen eine Zuordnung des Liedes zu den Tageliedern sind gute und triftige Argumente vorbringen So wird auf die fehlende Rolle des Wachters in Dietmars Lied hingewiesen obwohl die oben aufgezeigten Definitionen des Tagelieds den Wachter nicht als unbedingtes Gattungsmerkmal nennen Trotzdem ist er doch ein wesentliches Motiv der Gattung Tagelied welches in Deutschland wohl erst bei den Tageliedern Wolframs seinen Platz findet In Bezug auf die Situation der Trennung der Liebenden bei Tagesanbruch bei Dietmars Lied schreibt De Boor All dies ist hochstens Vorklang oder Anklang des Tageliedes nicht wirkliche Nachbildung der Alba Jetzt bei Wolfram tritt das echte Tagelied mit Wachter und Abschiedsreden plotzlich gleich funffach auf Der Gedanke lag also nah in ihm den Schopfer des deutschen Tageliedes zu sehen 36 De Boor hat zudem die Erwagung Dietmars Lied ganz aus der Nachfolge der Alba zu streichen Neben dem fehlenden Wachter fehle dem Lied auch die Hindeutung auf die Liebessituation Das Tagelied Dietmars von Aist 39 18 kennt die Figur des Wachters nicht denn das Voglein auf dem Zweig der Linde ist nicht poetischer Ersatz fur den weckenden Wachter sondern Zeichen des grauenden Tages Dem zarten Gedicht fehlt auch jede unmittelbare Hindeutung auf die sinnliche Situation es ist einzig auf die Stimmung des Trennungsleides auf die Erkenntnis liep ane leit mac niht gesin gestellt Es scheint mir denkbar dieses Lied ganz aus der Nachfolge der provenzalischen Alba herauszuhalten und aus den Vorbedingungen des donaulandischen Liebesgedichtes zu entwickeln 36 Zudem ist nach Rohrbach nicht einmal gultig dass es der Tagesanbruch ist welcher die Liebenden zur Trennung zwingt Rohrbach argumentiert dafur dass die Trennung ein Willensakt des Mannes ist welcher aufgrund personlicher Differenzen mit der Frau vollzogen wird Die wichtigste Differenz ist die aufgezeigte Stellung des Liebespaares zu sich selbst Was hier trennt ist nicht der Tag sie weint vielmehr uber den Willen ihres Geliebten 37 Die Einordnung des Liedes in eine Gattung ist somit noch offen Die wesentliche Frage ob das Lied einem Tagelied entspricht ist noch nicht befriedigend beantwortet Um die Frage nach der Gattungszugehorigkeit beantworten zu konnen muss zuerst bestimmt werden ob bei Dietmar tatsachlich kein Wachter vorkommt ob die Anwesenheit des Wachters Gattungsvoraussetzung ist 38 ob der Tag die Liebenden trennt und ob die Hindeutung auf die sinnliche Situation bei Dietmar nicht vorhanden ist Rohrbach ordnet das Lied vielleicht auch deshalb nur Literaturgeschichtlich grob ein Literaturgeschichtlich liesse sich dieser Text als Zeugnis des Ubergangs von der fruhmittelhochdeutschen zur hofischen Dichtung bestimmen 39 Verhaltnis von Mann und Frau BearbeitenDas Verhaltnis der beiden Liebenden in Dietmars Tagelied ist kein hierarchisches sondern vor allem ein personliches Es sind nicht zwei unterschiedliche Institutionen welche die Szene bestimmen sondern die der Beziehung innere Konstellation Dies ist an den Anreden des Mannes zu erkennen Es agieren nicht wie im Hohen Minnesang Herrin und Knecht also keine gesellschaftlichen Rollen sondern zwei Menschen Das vorstellig gemachte Verhaltnis ist demnach zwar kein individuelles so doch ein personliches Dies setzt sich in der Anrede kint fort die der Mann der Frau zudenkt Auf die intime Art der Beziehung verweist nochmals das vriundin wahrend der Berichterstatter sie mit dem hofischen vrouwe zeichnet 39 Das vrouwe mit der der Erzahler die Frau benennt und das wafen mit der die Frau den Mann zu wecken scheint spricht allerdings dafur dass hier Ritter und eventuell hofische Dame miteinander verkehren Die Beziehung zwischen den beiden Liebenden bleibt trotzdem personlich und thematisiert dies nicht So ist es nur zu naturlich und wie fur Tagelieder typisch dass die Liebe ihre Erfullung finden Bei Dietmar ist es vor allem die Frau die liebt und klagt Die Frau die auch von Dietmar gern als die Redende dargestellt wird ist noch nirgends die versagend umworbene Herrin uberall noch die Liebende 35 Wenn das Verhaltnis beider ein erotisch personliches ist und nicht durch Stellung bestimmt wird dann schliesst dies doch nicht ein Machtverhaltnis aus Die Forschung interessierte sich vor allem dafur wessen Wille im Gedicht die Situation bestimmt und zum Schluss zur Trennung fuhrt Dabei wird meist nicht davon ausgegangen dass der Tag oder ein warnender Wachter die Trennung erzwingt Die wichtigste Differenz ist die aufgezeigte Stellung des Liebespaares zu sich selbst Was hier trennt ist nicht der Tag sie weint vielmehr uber den Willen ihres Geliebten 37 Nach Rohrbach ist es somit der Wille des Mannes der die Situation bestimmt denn sein Wille ist es der die Trennung herbeifuhrt Dies begrundet er zudem mit den Versen 10 und 11 Die Betonung Du druckt somit aus dass zumindest dem Urteil der Frau nach eine Trennung nicht notwendig ist Diese ergibt sich vielmehr daraus dass es der Mann so w i l l weswegen auch gleich von ihr die Frage kommt wenne w i l t du wieder her zuo mir 40 Anders sieht es De Boor der mit Bezug auf Vers 8 betont dass der Mann an den Willen der Frau gebunden ist von der Bindung des Mannes an den Willen der Frau weiss das Tagelied 39 18 swaz du gebiutest daz leiste ich friundin min 41 Es kann davon ausgegangen werden dass De Boor diesem Vers mehr Bedeutung als den Schlussversen schenkt weil er den Trennungsgrund eben nicht als personliche Entscheidung der Liebenden bzw des Mannes betrachtet Ahnlich teilt De Boor die Vorstellung dass die Frau die Situation bestimmt Allerdings wenig verstandlich und auch ohne Begrundung Festzuhalten ist dass die Stimme der Frau ungleich mehr Gewicht hat als die des Mannes Die Worte des Mannes in diesem Lied sind gleichsam sekundare Eindringlinge in die Frauenklage und sie haben auch inhaltlich nicht die Bedeutung der Worte der Frau 6 Abstrakter aber durchaus begrundet argumentiert Obermaier 42 dafur dass die Frau nicht unbedingt einen hoheren Wert als der Mann aber allein schon durch das Wecken des schlafenden Mannes einen hohen Wert erhalt 43 Schlaf habe in diesem Zusammenhang im Mittelalter namlich negative Konnotationen wahrend das Wach sein positive hat Ganz allgemein gehort die Vorstellung vom Schlaf als einer Zeit des Gefahrdet Sein zur Alltagserfahrung des mittelalterlichen Menschen 44 Dem gegenuber steht die wache Frau Es ist die Schlaflosigkeit einer die Wache halt und zum gegebenen Zeitpunkt den sich ihr anvertrauenden Partner weckt Die wache Frau ist in diesem Sinne also eigentlich die wachende Frau in deren Obhut sich der trotz der grossen Gefahr schlafende Mann begeben hat und als wachende Frau ist sie nicht nur Herrin der Situation sondern gleichsam auch Herrin und Huterin ihrer beider Liebe 45 In diesem Sinne ist es vor allem die Frau welche uber die Situation bestimmt Insgesamt scheint sich die Forschung bei der Frage des Paarverhaltnisses in diesem Tagelied nicht recht einig zu sein Literatur BearbeitenDie Deutsche Literatur des Mittelalters Verfasserlexikon Band 1 Stammler Wolfgang hrsg Walter de Gruyter Berlin und Leipzig 1933 Weimar Klaus u a Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft Neubearbeitung des Reallexikon der deutschen Literaturgeschichte 3 Aufl de Gruyter Berlin u a 1997 2003 Die deutschsprachige Lyrik des Mittelalters In Deutsche Philologie im Aufriss 2 Uberarbeitete Auflage Bd 2 1960 Sp 69 Deutsche Dichtung des Mittelalters 1962 S 240 Rohrbach Gerdt Studien zur Erforschung des mittelhochdeutschen Tageliedes Ein sozialgeschichtlicher Beitrag Kummerle Verlag Goppingen 1986 Einleitung S 1 18 De Boor Helmut Geschichte der deutschen Literatur Nd 2 Die hofische Literatur 1955 S 26 29 246 331 Schweikle Gunther Die fruhe Minnelyrik Texte und Ubertragungen Einfuhrung und Kommentar Wiss Buchges Darmstadt 1977 S 152f 388f 404f Obermaier Sabine Wer wacht Wer schlaft Gendertrouble im Tagelied des 15 und 16 Jahrhunderts In Deutsche Liebeslyrik im 15 und 16 Jahrhundert Rodopi Amsterdam u a 2005 S 119 145 Siewerts Ute Rilkes Ubersetzung des mittelhochdeutschen Tagelieds Slafest du friedel ziere In Rilke Perspektiven Bucken amp Sulzer Overath 2004 S 126 138 Jungbluth Gunther Zu Dietmars Tagelied In Festschrift Pretzel Hrsg V Werner Simon u a E Schmidt Berlin 1963 S 118 127Fussnoten Bearbeiten Schweikle Gunther S 152 155 Rohrbach Gerdt S 1 Vgl Deutsche Dichtung des Mittelalter S 240 und Schweikle Gunther S 404 Vgl Schweikle Gunther S 389 Vgl Schweikle Gunther S 404 a b De Boor Helmut S 29 a b Schweikle Gunther S 389 De Boor Helmut S 27 Siewerts Ute S 130 a b c Jungbluth Gunther S 120 Siehe Interpretation Jungbluth Gunther S 121 a b c Schweikle Gunther S 404 Jungbluth Gunther S 122 Ich erwahne einzig die Veranderungen der ersten Strophe bzw v 19 Die ubrigen Anderungen finden sich bei Jungbluth S 127 Jungbluth Gunther S 127 Jungbluth Gunther S 123 Siewerts Ute S 131 De Boor Helmut S 28 Siewerts Ute S 132 Jungbluth deutet hier schon an dass er an der Originalitat des Gedichtes C zweifelt Jungbluth Gunther S 120 f Jungbluth fuhrt diese Sackgasse der Interpretation auf Uberlieferungsfehler des Textes zuruck Siewerts Ute S 133 a b Siewerts Ute S 129 Wallner Anton In VL S 415 Ranawaka Silvia In RLW 578 Jungbluth Gunther S 118 Jungbluth Gunther S 119 Die Deutschsprachige Lyrik des Mittelalters Sp 69 Jungbluth Gunther S 125 Ranawaka Silvia In RLW S 577 De Boor Helmut S 328 De Boor erkennt dem Lied Dietmars zwar an dass es die angesprochene epische Situation sogar als erster in Deutschland zeichnete aber argumentiert auch wegen des fehlenden Wachters gegen eine klare Einordnung des Liedes zu den Tageliedern a b De Boor Helmut S 247 a b De Boor Helmut S 329 a b Rohrbach Gerdt S 5 Es sei erwahnt dass auch bei einem der so genannten Wolframs Taglieder Ez taget der Wachter auch wenn bewusst nicht da ist a b Rohrbach Gerdt S 2 Rohrbach Gerdt S 4 De Boor Helmut S 246 Obermaier Sabine S 119 145 Obermaier Sabine S 125 Obermaier Sabine S 127 Obermaier sieht in dieser Paarkonstellation eine Parallele zur Minnekanzone Der sich im Tagelied der Frau vollig hingebende Mann im Schlaf entspricht dem Minnediener und die uber die Situation herrschende wache Frau entspricht der Minnedame Vgl Obermaier Sabine S 141f Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Slafest du friedel ziere amp oldid 237266247