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Die Systemtheorie der Evolution geht insbesondere auf die informationstheoretisch gepragte Systemtheorie nach Ludwig von Bertalanffy und ihre Anwendung auf Phanomene der Evolution durch die Wiener Schule unter anderem Rupert Riedl ab den 1970er Jahren zuruck und stellt eine Weiterentwicklung der Synthetischen Evolutionstheorie nach Ernst Mayr dar die wiederum auf Charles Darwin basiert Die Systemtheorie der Evolution geht davon aus dass lebende Organismen offene Systeme im Sinne der Thermodynamik sind die in einem Fliessgleichgewicht mit ihrer Umwelt stehen Sie zeichnen sich dadurch aus dass die Gleichgewichtszustande vieler Faktoren innerhalb der Lebewesen sich deutlich von den Gleichgewichtszustanden der Umgebung unterscheiden Ein Beispiel ist die oft weit uber der Umgebungstemperatur liegende und im Gegensatz zu ihr konstant bleibende Korpertemperatur der meisten Saugetiere Auch abiotische Systeme die weitab vom Gleichgewicht ablaufen wie die Belousov Zhabotinsky Reaktion zeigen besondere Eigenschaften und gewisse Formen von Selbstorganisation zum Beispiel die Oszillation Inhaltsverzeichnis 1 Kritik an der synthetischen Evolutionstheorie 2 Makroevolution 3 Praadaptation 4 Siehe auch 5 Literatur 6 EinzelnachweiseKritik an der synthetischen Evolutionstheorie BearbeitenDie Systemtheorie der Evolution widmet sich insbesondere auch solchen Phanomenen die durch die klassische synthetische Evolutionstheorie nicht hinreichend erklart werden beispielsweise der Entstehung tiefgreifender Anderungen im Grundbauplan Makroevolution der Koevolution also der parallelen Evolution von aufeinander abgestimmten Merkmalen bei sehr verschiedenen Arten beispielsweise von SymbiosenDer Begriff der Selektion wird in der Systemtheorie kritisch hinterfragt Die Systemtheorie der Evolution 1 erganzt den Begriff der ausseren Selektion in der Definition Darwins um den der inneren Selektion Ein Organismus muss in Bezug auf die Funktionalitat seiner Untersysteme in sich stimmig sein da er sonst nicht uberlebensfahig ware innere Passung Ist das nicht der Fall so kann die aussere klassische Selektion nicht wirksam werden Zum Beispiel muss ein von der Natur entwickeltes Gelenk gemass seinem Konstruktionszweck einwandfrei funktionieren Eine Mutation im Gennetzwerk das fur das Gelenk codiert kann diese angepasste Funktionalitat storen und dadurch fur den Organismus letal enden Somit werden auch die Freiheitsgrade eingeschrankt also jene Spielraume die Mutation Rekombination Selektion bilden um Organismen und deren Organe progressiv weiterzuentwickeln d h zu verbessern im Hinblick auf die Funktion die im Organismus erfullt werden soll Somit ergibt sich dass die Veranderung der ausseren Selektionsbedingungen sich nur zunachst mittelbar im Rahmen der durch die innere Passung gegebenen Randbedingungen auswirken kann Riedl bezeichnet diese innere Funktionalitat als evolutionare Burde weil sie sich Veranderungen widersetzt So entstehen evolutionare constraints die letztlich zu als Bauplane bezeichneten Konstruktionsprinzipien fuhren Die Systemtheorie berucksichtigt dass die Auspragung von Merkmalen nicht allein durch die DNA Sequenz eines Genes bedingt ist sondern ein Ergebnis einer komplexen Wechselwirkung vieler Faktoren des Gesamtsystems Lebewesen im Zuge der Ontogenese Dabei wirken nicht nur genetisch festgelegte Faktoren der direkten Erbinformation 2 sowie der Steuerung durch Mechanismen der Genregulation Riedl epigenetisches System und von Stoffgradienten innerhalb eines Organismus sondern teilweise auch externe Faktoren wie die Temperatur oder die Einwirkung chemischer Stoffe wahrend der Embryonalentwicklung Die Menge der in der Embryogenese wirkenden Faktoren wird auch als epigenetische Landschaft bezeichnet Durch diese Betrachtung der Zusammenhange soll erklarbar werden warum bestimmte Entwicklungsstadien der Ontogenese Stadien der Phylogenese rekapitulieren sollen siehe auch die veraltete Theorie Biogenetische Grundregel Systemtheoretisch ergeben sich durch die Komplexitat der ontogenetischen Entwicklung Entwicklungskanale Damit wird also die Menge der moglichen evolutionaren Dynamiken eingeschrankt Die Entwicklungskanale erganzen das der synthetischen Theorie entstammende Konzept konvergenter Selektionsdrucke bei der Erklarung von Konvergenzen zum Beispiel analoger Organe Ein Verlassen der Entwicklungskanale ermoglicht grossere Anderungen Makroevolution 3 Die Systemtheorie berucksichtigt auch dass die Ein Gen ein Enzym Hypothese nicht als Eine DNA Sequenz ein Merkmal verstanden werden darf So gibt es Merkmale die durch das Zusammenspiel vieler Gene und Polypeptide entstehen Polygenie aber auch Gene die mehrere Merkmale gleichzeitig beeinflussen Polyphanie oder Pleiotropie Riedl Die Adaptierung einer Funktionseinheit wird darum nicht nur auf eine gunstige Chance sondern sogar auf die Haufung gunstiger Chancen zu warten haben Es gibt zudem auch multifaktorielle Merkmale deren Auspragung nicht nur polygen sondern auch durch Umweltfaktoren bedingt ist Eine besondere Rolle spielen Gene die fur die Genregulation zustandig sind So reguliert allein das Gen Paxx6 bei Drosophila melanogaster mehr als 2000 einzelne Genloci Solche Mastergene konnen die Gesamtkosten des Systems Lebewesen deutlich senken Makroevolution BearbeitenMakroevolutionare Veranderungen konnen so durch solche Mutationen an Regulatoren und Strukturgenen verstanden werden die ein ganzes Spektrum von phanotypischen Veranderungen infolge der Abanderung von Genexpressionsmustern bedingen Diese Mutationen verandern also das gesamte System Wie tiefgreifend bereits einfache Anderungen wirken konnen haben Experimente an Schlammspringern einer halbamphibisch in Mangrovensumpfen lebenden Fischgruppe gezeigt Nach mehrmonatiger Behandlung mit dem Hormon Thyroxin ergaben sich u a folgende Anderungen die Brustflossen wurden zu beinchenartigen Extremitaten die Haut wurde dicker die Kiemen wurden verkleinert die Lungenatmung nahm zu Im Endergebnis wurde die Abwesenheit von Wasser deutlich langer ertragen als ohne Behandlung Sievert Lorenzen dazu In vielen Genotypen schlummern Potenzen die wie in den aufgefuhrten Fallen erst durch adaquate Umweltreize realisiert werden Andererseits konnen auch geringfugige genotypische Veranderungen unter bestimmten Bedingungen recht dramatische Effekte hervorrufen Diese Entwicklungspotenzen werden auch Praadaptation genannt vereinfacht ausgedruckt eine zufallige Anpassung noch bevor sich diese dann unter einem Selektionsdruck als vorteilhaft erweist Praadaptation BearbeitenEine Praadaptation kann auch deshalb vorhanden sein weil viele Merkmale eine Doppel oder Mehrfachfunktion haben konnen So musste die Evolution von Federn und Flugel bei Vogeln nicht unbedingt parallel koordiniert ablaufen Federn sind bereits vor der Entwicklung des Vogelflugs bei Dinosauriern vorhanden gewesen und dienten der Warmeisolierung Neuere Fossilfunde lassen eine Reihe von Zwischenstufen von einfachen zu komplex aufgebauten Federn bei eindeutig bodenbewohnenden Dinosauriern erkennen Mit der Evolution des Flugels konnten sie dann zugleich dem Fliegen dienen Die Praadaptation hat durch die Entdeckung des alternativen Splicings sowie der Introns und Exons eine zusatzliche molekulargenetische Grundlage gefunden Insbesondere das alternative Splicing ist ein Paradebeispiel fur Mehrfachfunktion an sich und ermoglicht durch Neukombination bereits erprobter DNA Code Abschnitte eine rasche Entwicklung neuer Proteine ohne Anderung des DNA Primarcodes Berucksichtigt man dass etwa beim Menschen weit uber 90 Prozent der DNA nicht direkt fur Proteine codieren so wird deutlich welche Menge an Erbinformationen vorliegt die prinzipiell fur die Entstehung neuer Merkmale bereits durch geringe Anderungen der DNA im Bereich der Genregulation aktivierbar ist Siehe auch BearbeitenEvolutionstheorie SystemtheorieLiteratur BearbeitenRupert Riedl Die Ordnung des Lebendigen Systembedingungen der Evolution Berlin Parey 1975Einzelnachweise Bearbeiten Rupert Riedl Die Ordnung des Lebendigen 1975 G P Wagner M D Laubichler 2004 Rupert Riedl and the Re Synthesis of Evolutionary and Developmental Biology Journal of Experimental Zoology Part B 302B 92 102 Vgl auch Gunter P Wagner Uber die populationsgenetischen Grundlagen einer Systemtheorie der Evolution In Jorg Ott G P Wagner Franz Wuketits Hrsg Evolution Ordnung und Erkenntnis Berlin Parey 1985 S 97 111 Durch Einbeziehung der Synergetik wurde die Systemtheorie der Evolution zu einer Synergetischen Evolutionstheorie erweitert Vgl Sievert Lorenzen How to advance from the theory of natural selection towards a General Theory of Self Organisation in Dieter Stefan Peters Michael Weingarten Hrsg Organisms genes and evolution evolutionary theory at the crossroads Wissenschaftliche Gesellschaft an der Johann Wolfgang Goethe Universitat Frankfurt am Main Schriften 2000 Bd 14 S 119 127 Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Systemtheorie der Evolution amp oldid 214032150