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Im Streik bei der Berliner Verkehrsgesellschaft BVG der den Hohepunkt einer Welle von betrieblichen Arbeitskampfen bildete die auf Reichskanzler Franz von Papens Notverordnung vom September 1932 folgten gingen in der Endphase der Weimarer Republik die Kommunistische Partei Deutschlands KPD und die Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei NSDAP gemeinsam vor BVG Streik 1932 Strassenbahnschienen in Berlin Schoneberg werden blockiert um von Streikbrechern gefahrene Strassenbahnen aufzuhalten Inhaltsverzeichnis 1 Vorgeschichte 2 Das Kalkul der Parteien 3 Streikverlauf 4 Literatur 5 Zeitzeugenberichte 6 Weblinks 7 EinzelnachweiseVorgeschichte BearbeitenUnmittelbar vor den Reichstagswahlen vom 6 November 1932 begonnen richtete sich der Streik gegen eine Lohnkurzung die zwischen der BVG und dem zu den freien Gewerkschaften gehorenden Gesamtverband der Arbeitnehmer der offentlichen Betriebe und des Personen und Warenverkehrs ausgehandelt worden war Diese Vereinbarung war ein Kompromiss zwischen beiden Seiten Anfangs hatte das Unternehmen eine Senkung von 14 bis 23 Pfenning die Stunde gefordert Der Gewerkschaft gelang es die Kurzung auf zwei Pfennig pro Stunde abzusenken Gleichwohl fuhrte dies zu heftigen Protesten der KPD und der von ihr abhangigen Revolutionaren Gewerkschafts Opposition RGO Von den 22 000 Beschaftigten der BVG gehorten etwa 1 200 der RGO 6 000 hingegen dem Gesamtverband an Etwa 1 200 gehorten zur Nationalsozialistischen Betriebszellenorganisation NSBO Etwa zwei Drittel der Beschaftigten inklusive der NSBO Mitglieder waren nicht organisiert Dennoch hatte die RGO bei der BVG eine starke Stellung unter anderem weil sie 1932 begonnen hatte sogenannte Einheitsausschusse zu bilden Aus Vertretern dieser Ausschusse rekrutierte sich eine Delegiertenkonferenz die am 29 Oktober zusammentrat Von 127 Delegierten gehorten 27 dem Gesamtverband 5 der Gewerkschaft der Eisenbahner 5 dem Deutschen Metallarbeiterverband und 52 der RGO an Hinzu kamen 40 Delegierte die grosstenteils nicht organisiert waren oder zu einem kleinen Teil zur NSBO gehorten Die Konferenz bildete einen Kampfausschuss zur Vorbereitung einer Urabstimmung Unter dem propagandistischen Druck von KPD und NSDAP sah sich der Gesamtverband nicht mehr in der Lage die alleinige Verantwortung fur die weitere Entwicklung zu tragen Er stimmte zu dass die Urabstimmung unter der gesamten Belegschaft stattfinden sollte statt wie ublich nur unter den Gewerkschaftsmitgliedern Am 2 November nahmen 84 der Belegschaft daran teil Fur den Streik stimmten 14 471 Arbeiter 3 993 votierten dagegen Da damit zwar eine Dreiviertel Mehrheit der Abstimmenden nicht aber der Beschaftigten zustande gekommen war hatte dies nach der ublichen gewerkschaftlichen Praxis eine Ablehnung des Streiks bedeutet So sah es zumindest der Gesamtverband der einen Streik bei dem es nicht nur um Lohnforderungen ging sondern von der RGO als politischer Streik betrachtet wurde unbedingt verhindern wollte Diese Position war aber bei einer radikalisierten und zu einem Grossteil unorganisierten Belegschaft nicht durchzusetzen Stattdessen kam es noch am 2 November zur Wahl einer zentralen Streikleitung In dieser konnte sich die RGO eine dominierende Stellung sichern Neben Mitgliedern des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbunds ADGB und Unorganisierten wurden auch zwei Angehorige der NSBO gewahlt Das Kalkul der Parteien BearbeitenDie Einbeziehung der NSBO in die Streikleitung entsprach zu diesem Zeitpunkt der Linie der KPD Bereits im Herbst 1932 hatte Ernst Thalmann geaussert Bei der Auslosung von Streiks in den Betrieben sei die Hereinnahme von Nazis in die Streikkomitees absolut notwendig und erwunscht 1 Dahinter stand der Versuch Taktik der Einheitsfront von unten zu modifizieren Anstatt SPD Anhanger anzusprechen wurde diese nun auf Nationalsozialisten ubertragen Ein Grund dafur war dass die als Sozialfaschisten diffamierte SPD und die von dieser dominierte reformistische Gewerkschaftsburokratie wie es die KPD ausdruckte noch immer als Hauptgegner der Partei galt Daher hatte es auch in anderen Arbeitskampfen schon Kooperationen von Kommunisten und Nationalsozialisten gegeben 2 Die NSDAP beteiligte sich an dem Streik aus taktischen Grunden Da sie bei den bevorstehenden Wahlen ohnehin mit Verlusten im burgerlichen Lager rechnete spielte dieser Teil der Wahlerschaft keine entscheidende Rolle fur den Entschluss Wichtiger war fur Joseph Goebbels als Gauleiter von Berlin der Einbruch in das Lager der Arbeiter Hier haben wir vor dieser Wahl noch einmal die grosse Gelegenheit der Offentlichkeit zu zeigen dass unser antireaktionarer Kurs wirklich von innen heraus gemeint und gewollt ist dass es sich bei der NSDAP in der Tat um eine neue Art des politischen Handelns und um eine bewusste Abkehr von den burgerlichen Methoden handelt Wahrend sich die burgerlichen Wahler spater zuruckgewinnen liessen ware das bei den Arbeitern anders hat man aber den Arbeiter einmal verloren dann ist er auf immer verloren 3 Der scheinbare soziale Radikalismus der NSBO und der NSDAP insgesamt wie er beim Verkehrsstreik zu Tage getreten war hat den von der NSDAP Fuhrung befurchteten Negativtrend bei der Reichstagswahl vom 6 November noch einmal verstarkt Einen nennenswerten Einbruch in das Lager der Arbeiterwahler wie von der NSDAP gehofft brachte der sozialpolitische Radikalismus nicht Die KPD hingegen gewann mehr als 2 Millionen Stimmen hinzu ebenso wie die DNVP die die Verluste der NSDAP abschopfte 4 Streikverlauf Bearbeiten nbsp Streikposten der Strassenbahner vor dem Strassenbahn Betriebshof Mullerstrasse in BerlinAm 3 November legte der Streik den gesamten offentlichen Nahverkehr in Berlin lahm Der Arbeitskampf der sich in der Berliner Arbeiterschaft grosser Sympathien erfreute wurde von der KPD und der NSDAP propagandistisch unterstutzt Der Reichstagsabgeordnete Albert Kayser KPD fruher Betriebsrat Vorsitzender der BVG dann entlassen leitete die Streikvorbereitungen in enger Absprache mit dem ZK der KPD Der sozialdemokratische Vorwarts appellierte an die Beschaftigten sich an den Gewerkschaften zu orientieren und nicht dort wo man am Feuer eines Lohnstreiks kommunistische oder nationalsozialistische Parteisuppe kochen mochte 5 SPD Gewerkschaften und BVG machten in Plakaten darauf aufmerksam dass BVG Arbeiter sozial besser gestellt waren als andere Werktatige Die Lohne waren gut ausserdem unterhielt die BVG Betriebswohnungen und eigene Sportvereine fur ihre Mitarbeiter 6 Die Reichsregierung beurteilte den Streik nicht als Lohnstreik da die Lohne deutlich uber denen der Reichsbahn lagen sondern als politische Kraftprobe der KPD Nach den Erkenntnissen der Regierung war die tatsachliche Zusammenarbeit von KPD und NSDAP wahrend der Streikpraxis eher gering ausgepragt Als die treibende Kraft sah die Regierung eindeutig die KPD an Gegen diese richteten sich daher auch die staatlichen Repressionsmassnahmen Dazu gehorte unter anderem das zeitweilige Verbot der Parteizeitung Die Rote Fahne In einer Radioansprache ging Reichskanzler Franz von Papen der darauf hoffte die NSDAP in Regierungsverantwortung bringen und dadurch zahmen zu konnen auch mit den Nationalsozialisten ins Gericht Man habe Hitler freie Hand gelassen damit er die der bolschewistischen Lehre verfallenen Arbeiterschaft der nationalen Sammlung zufuhre Stattdessen sabotiere er Arm in Arm mit den Kommunisten die Bemuhungen der Reichsregierung die Weltwirtschaftskrise zu uberwinden ein Verbrechen gegen die Gesamtheit der Nation Daher werde gegen solche Friedensstorer mit grosster Strenge vorgegangen 7 Die Polizei verhaftete willkurlich Teilnehmer des Streiks In Berlin Schoneberg kam es zu gewalttatigen Auseinandersetzungen an denen sich sowohl Kommunisten als auch SA Leute beteiligten Die Polizei schoss scharf mindestens drei Tote waren zu beklagen 8 Die Gewerkschaften nutzten die Gelegenheit um ihre Position zu verbessern Einen ersten Schlichterspruch der im Wesentlichen das Ergebnis der fruheren Verhandlungen bestatigte lehnten sie nunmehr ab Als daraufhin der Schlichter den Spruch fur verbindlich erklarte forderten die Gewerkschaften ihre Mitglieder auf die Arbeit wieder aufzunehmen Fur den Fall der Weigerung drohte den Beschaftigten von Seiten der Geschaftsfuhrung die fristlose Entlassung In der Folge fuhrte die Polizei in der Nacht zum 4 November zahlreiche zum Teil willkurliche Verhaftungen durch Am Tag darauf wurden drei Demonstranten von der Polizei erschossen acht weitere schwer verletzt Am 6 November fand dann die Reichstagswahl statt die der KPD in den Berliner Arbeitervierteln Gewinne der SPD und der NSDAP letzterer vor allem in den burgerlichen Vierteln der Hauptstadt Verluste einbrachte Als die Streikfront brockelte brach die zentrale Streikleitung am 7 November den Kampf ab Am 8 November hatte sich der Verkehr wieder normalisiert Zahlreiche Festnahmen und Kundigungen schlossen sich an Im Lauf des Streiks hatte die BVG 2500 Arbeiter entlassen von denen nur 900 zuruckkehren durften 9 Der Sozialdemokratie galt der BVG Streik fortan als Paradebeispiel einer antirepublikanischen Einheitsfront von Nazis und Kozis Grosse Teile der Bevolkerung zeigten aber ihre Solidaritat mit den Streikenden den Ilko Sascha Kowalczuk daher als herbe Schlappe fur Gewerkschaften und SPD bezeichnet 2 In Wirklichkeit waren Kommunisten und Nationalsozialisten nicht koordiniert vorgegangen sondern hatten weitgehend nebeneinanderher agiert Walter Ulbricht der Politische Leiter des KPD Bezirks Berlin Brandenburg stellte das Ergebnis in einem Flugblatt als Erfolg dar musste aber kritisch einraumen dass es Solidaritatsaktionen weder in anderen Branchen noch von Arbeitslosen gegeben hatte Dass der politische Massenstreik ausgeblieben war fuhrte er auf den Streikverrat von SPD und ADGB zuruck Auch wenn die KPD bei den Reichstagswahlen am 6 November 1932 als einzige Partei nennenswerte Stimmengewinne erzielte hatte der Streik fur sie insgesamt eine Niederlage gebracht Er hatte gezeigt dass sie einen grossen Streik gegen die demokratische Arbeiterbewegung nicht durchhalten konnte ihr Ruckhalt in der Arbeiterschaft blieb schmal 10 Literatur BearbeitenKlaus Rainer Rohl Nahe zum Gegner Kommunisten und Nationalsozialisten im Berliner BVG Streik von 1932 Campus Verlag Frankfurt am Main 1994 ISBN 3 593 35038 6 neu veroffentlicht 2008 unter dem Titel Die letzten Tage der Republik von Weimar im Universitas Verlag ISBN 978 3 8004 1479 6 Michael Schneider Hohen Krisen und Tiefen Die Gewerkschaften in der Weimarer Republik 1918 bis 1933 In Klaus Tenfelde u a Geschichte der deutschen Gewerkschaften Von den Anfangen bis 1945 S 432f Koln 1987 ISBN 3 7663 0861 0 Heinrich August Winkler Der Weg in die Katastrophe Arbeiter und Arbeiterbewegung in der Weimarer Republik 1930 1933 2 Aufl Bonn 1990 Geschichte der Arbeiter und der Arbeiterbewegung in Deutschland seit dem Ende des 18 Jahrhunderts Bd 11 S 765 773 ISBN 3 8012 0095 7 Wolfgang Abendroth Einfuhrung in die Geschichte der Arbeiterbewegung von den Anfangen bis 1933 Heilbronn 1985 ISBN 3 929348 08 X Klaus Wiegrefe Nazis und Kozis In Spiegel Special Geschichte 1 2008 Januar 2008 Seite 36 Reiner Zilkenat Henryk Skrzypczak 80 Jahre Berliner Verkehrsarbeiterstreik 3 7 November 1932 Mitteilungen des Forderkreises Archive und Bibliotheken zur Geschichte der Arbeiterbewegung Sonderheft Berlin 2012 Zeitzeugenberichte BearbeitenHorst Bednareck Vor 70 Jahren legten die Berliner Verkehrsarbeiter BVG den Verkehr lahm Erinnerungen von Karl Binder in Jahrbuch fur Forschungen zur Geschichte der Arbeiterbewegung Heft III 2003 Gunter Reimann Uber den BVG Streik 1932 ein personlicher Bericht und eine politische Bewertung in Diethart Kerbs Henrik Stahr Hg Berlin 1932 Das Letzte Jahr der ersten deutschen Republik Politik Symbole Medien Berlin 1992 Weblinks Bearbeiten nbsp Commons Streik bei der Berliner Verkehrsgesellschaft 1932 Sammlung von Bildern Videos und Audiodateien Arnulf Scriba BVG Streik 1932 bei LeMO DHM und HdG Horst Bednareck 70 Jahre nach dem Berliner Verkehrsarbeiterstreik im November 1932 Frieder Bohne Otto Schmirgal 1900 1944 VVN BdA Lichtenberg e V S 1 abgerufen am 12 August 2020 Die KPD und das Ende der Weimarer Republik BVG Streik Vier Tote beim Streit um zwei Pfennig 9 Marz 2008 Von Andreas Conrad in Der TagesspiegelEinzelnachweise Bearbeiten Zitiert nach Heinrich August Winkler Der Weg in die Katastrophe Arbeiter und Arbeiterbewegung in der Weimarer Republik 1930 1933 Geschichte der Arbeiter und der Arbeiterbewegung in Deutschland seit dem Ende des 18 Jahrhunderts Bd 11 2 Aufl Bonn 1990 ISBN 3 8012 0095 7 S 766 a b Ilko Sascha Kowalczuk Walter Ulbricht Der deutsche Kommunist 1893 1945 C H Beck Munchen 2023 ISBN 978 3 406 80660 5 S 442 Zitiert nach Heinrich August Winkler Der Weg in die Katastrophe Bonn 1990 S 767 Heinrich August Winkler Der Weg in die Katastrophe Bonn 1990 S 775 Zitiert nach Heinrich August Winkler Der Weg in die Katastrophe Bonn 1990 S 769 Ilko Sascha Kowalczuk Walter Ulbricht Der deutsche Kommunist 1893 1945 C H Beck Munchen 2023 S 442 und 444 Heinrich August Winkler Der Weg in die Katastrophe Bonn 1990 S 771 Ilko Sascha Kowalczuk Walter Ulbricht Der deutsche Kommunist 1893 1945 C H Beck Munchen 2023 S 444 Ilko Sascha Kowalczuk Walter Ulbricht Der deutsche Kommunist 1893 1945 C H Beck Munchen 2023 S 444 und 446 Ilko Sascha Kowalczuk Walter Ulbricht Der deutsche Kommunist 1893 1945 C H Beck Munchen 2023 S 444 ff Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Streik bei der Berliner Verkehrsgesellschaft 1932 amp oldid 236282789