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Ein stationarer stochastischer Prozess ist ein stochastischer Prozess mit speziellen Eigenschaften und damit Untersuchungsobjekt der Wahrscheinlichkeitstheorie Man unterscheidet stochastische Prozesse die stationar im engeren Sinn auch strikt streng oder stark stationar sind und solche die stationar im weiteren Sinn auch schwach stationar sind Bei beiden Typen von Prozessen besitzen die endlichdimensionalen Verteilungen des Prozesses bestimmte zeitunabhangige Eigenschaften Diese beziehen sich bei der Stationaritat im engeren Sinn auf die gesamte Verteilungsgestalt und bei der Stationaritat im weiteren Sinn nur auf die ersten beiden Momente der endlichdimensionalen Verteilungen Fur Gauss Prozesse deren samtliche endlichdimensionalen Verteilungen multivariate Normalverteilungen sind fallen die beiden Konzepte zusammen Inhaltsverzeichnis 1 Definition 1 1 Stationaritat im engeren Sinn 1 2 Stationaritat im weiteren Sinn 1 3 Anmerkungen 2 Eigenschaften 3 Interpretation der Stationaritat im weiteren Sinn 4 Beispiele 5 Anwendungen 5 1 Zeitreihenanalyse 5 2 Wahrscheinlichkeitstheorie 6 Literatur 7 FussnotenDefinition Bearbeiten nbsp Zeitreihe von Residuen fur dessen zugrundeliegenden Prozess durch eine Dickey Fuller Test die Hypothese der Stationaritat abgelehnt wird Im Folgenden bezeichnet X t t T displaystyle X t t in mathbb T nbsp einen reellwertigen stochastischen Prozess mit Indexmenge T R displaystyle mathbb T subseteq mathbb R nbsp Dabei ist T displaystyle mathbb T nbsp haufig die Menge der ganzen der naturlichen oder der reellen Zahlen Haufig ist t displaystyle t nbsp ein Zeitindex und T displaystyle mathbb T nbsp eine Menge von Zeitpunkten Stationaritat im engeren Sinn Bearbeiten Ein stochastischer Prozess X t t T displaystyle X t t in mathbb T nbsp mit T R displaystyle mathbb T subseteq mathbb R nbsp heisst stationar im engeren Sinn auch strikt streng oder stark stationar falls alle endlichdimensionalen Verteilungen translationsinvariant sind d h fur beliebige m N displaystyle m in mathbb N nbsp beliebige Stellen Zeitpunkte t 1 t m T displaystyle t 1 dots t m in mathbb T nbsp und alle Verschiebungen s R displaystyle s in mathbb R nbsp mit t 1 s t m s T displaystyle t 1 s dots t m s subseteq mathbb T nbsp gilt dass die Zufallsvektoren die endlichen Teilfamilien X t 1 X t m displaystyle X t 1 dots X t m nbsp und X t 1 s X t m s displaystyle X t 1 s dots X t m s nbsp dieselbe Wahrscheinlichkeitsverteilung haben 1 Stationaritat im weiteren Sinn Bearbeiten Ein stochastischer Prozess X t t T displaystyle X t t in mathbb T nbsp heisst stationar im weiteren Sinn 1 oder schwach stationar wenn die Varianzen aller Zufallsvariablen endlich sind d h fur alle t T displaystyle t in mathbb T nbsp gilt Var X t lt displaystyle text Var X t lt infty nbsp die Erwartungswertfunktion konstant ist d h fur alle t T displaystyle t in mathbb T nbsp gilt E X t m displaystyle mathrm E X t mu nbsp die Kovarianzfunktion translationsinvariant ist d h fur alle t t T displaystyle t t in mathbb T nbsp und alle Verschiebungen s R displaystyle s in mathbb R nbsp mit t s t s T displaystyle t s t s in mathbb T nbsp giltCov X t X t Cov X t s X t s displaystyle text Cov X t X t text Cov X t s X t s nbsp dd dd Dabei bezeichnen E X displaystyle mathrm E X nbsp und V a r X displaystyle mathrm Var X nbsp den Erwartungswert und die Varianz einer Zufallsvariablen X displaystyle X nbsp und Cov X Y displaystyle text Cov X Y nbsp bezeichnet die Kovarianz der Zufallsvariablen X displaystyle X nbsp und Y displaystyle Y nbsp Anmerkungen Bearbeiten Die Kovarianzfunktion wird auch als Autokovarianzfunktion bezeichnet Mit einem stationaren Prozess ohne zusatzliche Spezifikation kann je nach inhaltlichem Kontext und Autor ein im engeren Sinn stationarer Prozess 2 oder ein im weiteren Sinn stationarer Prozess 3 gemeint sein Die beiden Konzepte der Stationaritat konnen formal analog fur allgemeinere Indexmengen T displaystyle T nbsp definiert werden auf denen eine binare Operation displaystyle nbsp erklart ist Der Begriff der Kovarianzstationaritat wird in der Literatur uneinheitlich verwendet Meistens heisst ein Prozess kovarianzstationar wenn die Kovarianzfunktion translationsinvariant ist aber die Erwartungswertfunktion nicht notwendig konstant ist 4 Bei einigen Autoren wird kovarianzstationar synonym mit stationar im weiteren Sinn verwendet so dass die Konstanz der Erwartungswertfunktion impliziert ist 5 Eigenschaften BearbeitenEin stochastischer Prozess dessen Zufallsvariablen insgesamt stochastisch unabhangig und identisch verteilt sind ist stationar im engeren Sinn Wegen der stochastischen Unabhangigkeit existieren die hoherdimensionalen Verteilungen in elementarer Form namlich als Produktverteilungen der eindimensionalen Verteilungen also z B P X s u X t v P X s u P X t v F u F v fur s t u v R displaystyle P X s leq u X t leq v P X s leq u P X t leq v F u F v quad text fur s neq t quad u v in mathbb R nbsp dd fur die zweidimensionalen Verteilungen wobei F displaystyle F nbsp die Verteilungsfunktion jeder eindimensionalen Verteilung ist Also sind alle zweidimensionalen Verteilungen zeitunabhangig Fur drei voneinander verschiedene Zeitpunkte r s displaystyle r s nbsp und t displaystyle t nbsp giltP X r u X s v X t w P X r u P X s v P X t v F u F v F w u v w R displaystyle P X r leq u X s leq v X t leq w P X r leq u P X s leq v P X t leq v F u F v F w quad u v w in mathbb R nbsp dd so dass auch die dreidimensionalen Verteilungen zeitunabhangig sind Analoges gilt fur alle endlichdimensionalen Verteilungen so dass die Stationaritat im engeren Sinn folgt Ein stochastischer Prozess dessen Zufallsvariablen paarweise unkorreliert und identisch verteilt sind ist stationar im weiteren Sinn Ein stochastischer Prozess der stationar im engeren Sinn ist ist nicht notwendig auch stationar im weiteren Sinn Dies hangt damit zusammen dass eine im weiteren Sinn stationarer Prozess endliche Varianzen besitzen muss was fur einen im engeren Sinn stationaren Prozess nicht gilt Beispielsweise bildet eine Folge stochastisch uanbhangiger identisch Cauchy verteilter Zufallsvariablen einen im engeren Sinn stationaren stochastischen Prozess der aber nicht im weiteren Sinn stationar ist da eine Cauchy verteilte Zufallsvariable keine endliche Varianz besitzt Ein stochastischer Prozess der stationar im weiteren Sinn ist muss nicht notwendig stationar im engeren Sinn sein Die Stationaritat im engeren Sinn bezieht sich nur auf auf die ersten und zweiten Momente des Prozesses Beispielsweise die dritten Momente oder andere Eigenschaften der Verteilung konnen sich im Zeitablauf andern Wenn eine Zufallsvariable X displaystyle X nbsp eine Gleichverteilung im Intervall 3 3 displaystyle sqrt 3 sqrt 3 nbsp hat dann gilt E X 0 displaystyle mathrm E X 0 nbsp und V a r X 1 displaystyle mathrm Var X 1 nbsp X t t N displaystyle X t t in mathbb N nbsp sei eine Folge stochastisch unabhangiger Zufallsvariablen wobei X t displaystyle X t nbsp fur t 1 3 5 displaystyle t 1 3 5 dots nbsp standardnormalverteilt ist und fur t 2 4 6 displaystyle t 2 4 6 dots nbsp eine Gleichverteilung auf 3 3 displaystyle sqrt 3 sqrt 3 nbsp besitzt dann ist dieser Prozess stationar im weiteren Sinn aber nicht stationar im engeren Sinn Ein Gauss Prozess ist genau dann stationar im engeren Sinn wenn er stationar im weiteren Sinn ist Dies rechtfertigt es im Zusammenhang von Gauss Prozessen nur von stationar zu sprechen Ein Gauss Prozess dessen Zufallsvariablen paarweise unkorreliert und identisch verteilt sind ist ein stationarer Gaussprozess da fur multivariate Normalverteilungen aus der Unkorreliertheit die stochastische Unabhangigkeit folgt Ein stochastischer Prozess identisch normalverteilter Zufallsvariablen die paarweise unkorreliert sind ist stationar im weiteren Sinn aber nicht notwendig stationar im engeren Sinn und nicht notwendig ein Gauss Prozess Interpretation der Stationaritat im weiteren Sinn BearbeitenDie erste Eigenschaft besagt dass jede der Zufallsvariablen endliche Varianz hat und somit zu dem Hilbertraum L 2 displaystyle L 2 nbsp gehort Hieraus folgt dann auch dass der Erwartungswert E X t displaystyle mathrm E X t nbsp existiert und endlich ist Mit der Konstanz der Erwartungswertfunktion kann man zu einem neuen Prozess Z t X t E X t displaystyle Z t X t mathrm E X t nbsp ubergehen fur den dann E Z t 0 displaystyle mathrm E Z t 0 nbsp gilt Dieser Prozess wird auch zentrierter Prozess genannt Man kann also fur viele Zwecke ohne Beschrankung der Allgemeinheit annehmen ein stationarer stochastischer Prozess habe den Mittelwert 0 Die Zeitinvarianz der Kovarianzfunktion stellt eine Beziehung zwischen unterschiedlichen Zeitpunkten her und ist damit die bedeutendste Eigenschaft Sie sagt aus dass die Kovarianzen zwischen zwei Zeitpunkten nicht von den beiden Zeitpunkten sondern nur von dem Abstand r t 2 t 1 displaystyle r t 2 t 1 nbsp der beiden Zeitpunkte zueinander abhangt Die Bedingung kann auch so formuliert werden dass g r C o v X t 1 X t 1 r displaystyle gamma r mathrm Cov X t 1 X t 1 r nbsp eine Funktion nur einer einzigen Variablen r displaystyle r nbsp ist Eine geometrische Interpretation des univariaten Falles greift auf den Hilbertraum L 2 displaystyle L 2 nbsp zuruck dessen Elemente die einzelnen Zufallsvariablen des Prozesses sind Die geometrische Interpretation unterstutzt das tiefere Verstandnis des Begriffs der Stationaritat Es wird angenommen das die Erwartungswertfunktion konstant Null ist Da E X t 2 displaystyle mathrm E X t 2 nbsp eine Norm in L 2 displaystyle L 2 nbsp ist kann die Forderung E X t 2 g 0 displaystyle mathrm E X t 2 gamma 0 nbsp so verstanden werden dass alle Prozessvariablen gleich lang sind d h auf einer Kugel liegen E X t s X t g s displaystyle mathrm E X t s X t gamma s nbsp sagt dann obiger Interpretation folgend dass fur festes s displaystyle s nbsp alle X t displaystyle X t nbsp den gleichen Winkel einschliessen Erhoht man s displaystyle s nbsp um Eins so wird immer um denselben Winkel weitergedreht Die Konstanz der Erwartungswertfunktion bedeutet X t 1 m displaystyle langle X t 1 rangle m nbsp dass also der Winkel zwischen der Einheit und jeder Prozessvariablen konstant ist Hier wird ein Breitengrad aus der Einheitskugel ausgeschnitten Beispiele BearbeitenEin wichtiger im weiteren Sinn stationarer Prozess ist das weisse Rauschen Bestimmte Gauss Prozesse und durch ARMA Modelle beschriebene Prozesse sind stationar Von theoretischer Bedeutung sind harmonische Prozesse die unter gewissen Bedingungen stationar sind Markow Ketten die in ihrer stationaren Verteilung starten sind stationare Prozesse Anwendungen BearbeitenZeitreihenanalyse Bearbeiten Stationaritat ist eine der bedeutendsten Eigenschaften stochastischer Prozesse in der Zeitreihenanalyse Mit der Stationaritat erhalt man Eigenschaften die nicht nur fur einzelne Zeitpunkte gelten sondern Invarianzen uber die Zeit hinweg sind Die Zeitreihe hat zu allen Zeitpunkten den gleichen Erwartungswert und die gleiche Varianz Eine wichtige Klasse von nichtstationaren Prozessen sind integrierte Prozesse In der Zeitreihenanalyse ist eine wichtige Fragestellung eine nichtstationare Zeitreihe so zu transformieren dass die Stationaritat fur die transformierte Zeitreihe plausibel wird Weit verbreitete Methoden sind hier die Bildung von Differenzen das Umskalieren oder das Logarithmieren der Zeitreihe Allgemeiner kann man versuchen eine stationare Zeitreihe zu erhalten indem man ein geeignetes Trend Saison Modell verwendet Wahrscheinlichkeitstheorie Bearbeiten Stationare stochastische Prozesse in diskreter Zeit die als kanonische Prozesse gegeben sind lassen sich als masserhaltendes dynamisches System auffassen Dazu definiert man den Shift Operator t displaystyle tau nbsp als t w n n N w n 1 n N displaystyle tau omega n n in mathbb N omega n 1 n in mathbb N nbsp Dann ist X n w X 0 t n w displaystyle X n omega X 0 tau n omega nbsp und der Prozess entsteht durch iterierte Anwendung von t displaystyle tau nbsp Somit handelt es sich um ein dynamisches System das aufgrund der Stationaritat masserhaltend ist Darauf aufbauend lassen sich auch ergodische stochastische Prozesse definieren fur die wichtige Satze der Ergodentheorie wie beispielsweise der individuelle Ergodensatz gelten und damit starke Gesetze der grossen Zahlen fur abhangige Folgen von Zufallsvariablen liefern Literatur BearbeitenPeter J Brockwell Richard A Davis Time Series Theory and Methods 2 Auflage Springer New York 1991 ISBN 0 387 97429 6 doi 10 1007 978 1 4419 0320 4 G E P Box G M Jenkins Times Series Analysis Forecasting and Control 3 Auflage ISBN 0 13 060774 6 P H Muller Hrsg Lexikon der Stochastik Wahrscheinlichkeitsrechnung und mathematische Statistik 5 Auflage Akademie Verlag Berlin 1991 ISBN 978 3 05 500608 1 Stationarer Prozess S 368 372 Fussnoten Bearbeiten a b P H Muller Hrsg Lexikon der Stochastik Wahrscheinlichkeitsrechnung und mathematische Statistik 5 Auflage Akademie Verlag Berlin 1991 ISBN 978 3 05 500608 1 Stationarer Prozess S 368 Heinz Bauer Wahrscheinlichkeitstheorie 5 Auflage Walter de Gruyter Berlin New York 2002 ISBN 3 11 017236 4 S 383 Peter J Brockwell Richard A Davis Time Series Theory and Methods 2 Auflage Springer New York 1991 ISBN 0 387 97429 6 S 11 doi 10 1007 978 1 4419 0320 4 Gebhard Kirchgassner Jurgen Wolters Uwe Hassler Introduction to Modern Times Series Analysis 2 Auflage Springer Berlin Heidelberg 2012 ISBN 978 3 642 33435 1 S 14 doi 10 1007 978 3 642 33436 8 James D Hamilton Time Series Analysis Princeton University Press Princeton 1994 ISBN 978 0 691 04289 3 S 45 Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Stationarer stochastischer Prozess amp oldid 237114782