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Entscheidung des BundesverfassungsgerichtsEntscheidungsdatum 14 Juli 1981Spruchkorper Erster SenatAktenzeichen 1 BvL 24 78Verfahrensart konkrete NormenkontrolleEntscheidung UrteilFundstelle BVerfGE 58 137Angewandtes RechtArt 14 Abs 1 GGDie Pflichtexemplar Entscheidung vom 14 Juli 1981 1 ist ein Beschluss des Bundesverfassungsgerichtes zur in Art 14 Grundgesetz GG niedergelegten Eigentumsfreiheit und den in Art 14 Abs 1 Satz 2 GG genannten Inhalts und Schrankenbestimmungen In dem Beschluss entschied das Gericht dass es ausgleichspflichtige gesetzliche Schranken des Eigentumsrechtes geben kann ausgleichspflichtige Inhalts und Schrankenbestimmungen Die Entscheidung stellt damit eine wesentliche Entscheidung zum Staatshaftungsrecht dar Inhaltsverzeichnis 1 Sachverhalt 2 Stellungnahmen 3 Entscheidung des Gerichts 4 Umsetzung 5 Literatur 6 EinzelnachweiseSachverhalt BearbeitenEs handelte sich um eine Entscheidung im Rahmen einer konkreten Normenkontrolle Das Verwaltungsgericht Darmstadt hatte den folgenden Fall dem Bundesverfassungsgericht vorgelegt da es Zweifel an der Verfassungsmassigkeit der gesetzlich festgelegten Pflicht zur Ablieferung von Pflichtexemplaren an staatliche Bibliotheken hatte Der damals geltende 9 des Hessischen Gesetzes uber Freiheit und Recht der Presse LPrG in der Fassung der Bekanntmachung vom 20 November 1958 2 sah folgende Regelung vor Der Minister fur Kultus und Unterricht kann durch Ausfuhrungsverordnung bestimmen dass von jedem im Geltungsbereich dieses Gesetzes erscheinenden Druckwerk ein Belegstuck kostenlos an die von ihm bestimmte zustandige Bibliothek abgeliefert wird Von dieser Verordnungsermachtigung hatte das Ministerium Gebrauch gemacht indem eine Pflichtexemplarverordnung PflEVO 3 erlassen worden war 1 Abs 1 PflEVO sah folgende Regelung vor Von jedem Druckwerk das innerhalb des Landes Hessen erscheint hat der Verleger soweit 3 nicht befreit ein Stuck Pflichtexemplar unentgeltlich und auf eigene Kosten je nach dem Verlagsort an nachstehende Bibliotheken abzugeben Als Verleger verstand diese Verordnung auch Verfasser von Werken die im Selbstverlag herausgegeben wurden Herausgeber von Druckwerken und die Kommissionsverleger 2 PflEVO Das Pflichtexemplar war unverzuglich mit der Veroffentlichung abzugeben 5 PflEVO Der Klager im Ausgangsverfahren vor dem Verwaltungsgericht war ein in Offenbach am Main ansassiger Verleger Er hatte sich auf das Verlegen bibliophiler Bucher in geringen Auflagen und von Original Graphiken spezialisiert Er sandte 1976 vier Werke mit Auflagen zwischen 70 und 625 Stuck und Preisen zwischen 180 und 625 DM an die Hessische Landes und Hochschulbibliothek Darmstadt Diese behielt die Werke als Pflichtexemplare ein und erteilte einen entsprechenden Bescheid Gegen diesen legte der Klager erfolglos Widerspruch ein und erhob schliesslich Klage vor dem Verwaltungsgericht Darmstadt Az I E 153 77 Stellungnahmen BearbeitenIm Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht nahm der Ministerprasident Hessens die Regierung der Bundesrepublik Deutschland durch den Bundesminister des Innern der III Zivilsenat des Bundesgerichtshofes und der VII Senat des Bundesverwaltungsgerichts Stellung Der Ministerprasident Hessens vertrat die Auffassung dass die fragliche Regelung verfassungsgemass sei Es werde aus kulturpolitischen Grunden die dem Recht auf Eigentum anhaftende Sozialpflichtigkeit nach Art 14 Abs 2 GG verdeutlicht Die wirtschaftliche Belastung durch die Abgabe des Pflichtexemplares ginge in die Gesamtkalkulation der Verleger ein und werde an die Kaufer weitergereicht Dies stelle das normale wirtschaftliche Risiko der Verleger dar Die Bundesregierung verwies darauf dass das Gesetz uber die Deutsche Bibliothek vom 31 Marz 1969 4 die Moglichkeit vorsehe Ablieferungspflichtigen auf Verlangen eine Vergutung zu gewahren wenn die unentgeltliche Abgabe eine unzumutbare Belastung darstelle Der III Zivilsenat legte dar dass er in seiner hochstrichterlichen Rechtsprechung zur Staatshaftung bei Eingriffen in die Eigentumsfreiheit die enteignungsrechtliche Opfergrenze danach bestimme ob der Eingriff nach Dauer Art Intensitat und Auswirkung so erheblich sei dass dem Betroffenen eine entschadigungslose Hinnahme nicht mehr zugemutet werden konne Zu einem konkret vergleichbaren Fall habe der Senat aber noch nicht entscheiden mussen Der VII Senat des Bundesverwaltungsgerichts vertrat die Auffassung dass die Pflicht zur Ablieferung von Pflichtexemplaren keine enteignende Wirkung habe Es handele sich um eine zulassige Inhalts und Schrankenbestimmung nach Art 14 Abs 1 Satz 2 GG Entscheidung des Gerichts BearbeitenDas Bundesverfassungsgericht entschied dass 9 des hessischen Landespressegesetzes LPrG als Ermachtigungsnorm fur den Erlass der Pflichtexemplar Verordnung nicht mit dem Grundgesetz und insbesondere nicht mit Art 14 GG vereinbar sei soweit der Hessische Kultusminister ermachtigt wurde die Pflicht zur Ablieferung eines Belegstucks von jedem im Geltungsbereich des Gesetzes erscheinenden Druckwerk ausnahmslos ohne Kostenerstattung anzuordnen Das Bundesverfassungsgericht grenzte den Eingriff durch die Abgabepflicht von Pflichtexemplaren zunachst von der Enteignung Art 14 Abs 3 GG ab So sehe die Regelung nicht eine Berechtigung der Exekutive auf ein bestimmtes Vermogensobjekt vor sondern die Gesamtauflage werde mit einer Ablieferungspflicht eines vom Verleger auszusuchenden Exemplars belastet Es werde daher in allgemeiner Form der Inhalt des Eigentums bestimmt Inhalts und Schrankenbestimmung Inhaltsbestimmung und Enteignung hatten unterschiedliche Funktionen und daher auch Voraussetzungen Hieran andere sich entgegen der Auffassung des vorlegenden Verwaltungsgerichtes auch nichts wenn die fragliche Regelung verfassungswidrig sei Die Regelungen des 9 LPrG ist nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichtes allerdings nicht aus formellen Grunden wegen Verstosses gegen den Gesetzesvorbehalt wie er in Art 14 Abs 1 S 2 GG vorgesehen ist nichtig Eine Inhalts und Schrankenbestimmung konne auch durch die Einraumung der Ermachtigung eine Verordnung zu erlassen zulassig formuliert werden Zwar sehe Art 14 Abs 1 S 2 GG eine Begrenzung der Eigentumsfreiheit durch Gesetz vor aber die Legislative musse nicht alles bis hin zu jeder Kleinigkeit regeln Der Gesetzgeber sei insoweit lediglich gehalten die Voraussetzungen unter denen der Gebrauch des Eigentums beschrankt werden darf durch eine nach Inhalt Zweck und Ausmass ausreichend bestimmte Ermachtigung festzulegen Dem genuge die Regelung des 9 LPrG Allerdings verstosse die Verordnungsermachtigung in 9 LPrG materiellrechtlich gegen Art 14 Abs 1 S 1GG da der hessische Kultusminister ermachtigt wurde die Pflicht zur Ablieferung eines Pflichtexemplars ausnahmslos ohne Kostenerstattung anzuordnen Der Gesetzgeber habe beim Erlass von Gesetzen einerseits die grundgesetzlichen Anerkennung des Privateigentums nach Art 14 Abs 1 S 1 GG und andererseits auch die Sozialpflichtigkeit des Eigentums nach Art 14 Abs 2 GG in gleicher Weise zu beachten Er musse dabei die schutzwurdigen Interessen aller Beteiligten in einen gerechten Ausgleich und in ein ausgewogenes Verhaltnis zueinander bringen Die vom Gesetzgeber zulassigerweise dem Eigentumer durch das Grundgesetz zugemutete und vom Gesetzgeber zu konkretisierende soziale Bindung des Eigentums hange wesentlich davon ab ob und in welchem Ausmass das Eigentumsobjekt in einem sozialen Bezug und in einer sozialen Funktion stehen wurde Eigentumsbindungen mussten dementsprechend stets verhaltnismassig sein und den Eigentumer gemessen am sozialen Bezug und an der sozialen Bedeutung des Eigentumsobjekts sowie im Blick auf den Regelungszweck nicht ubermassigen belasten und im vermogensrechtlichen Bereich unzumutbar treffen Es sei auch zusatzlich der Gleichheitssatz als Auspragung des Rechtsstaatsprinzips zu beachten Grundsatzlich zulassig sei es im Rahmen der Inhalts und Schrankenbestimmungen eine Pflicht zur Ablieferung von Belegexemplaren zu erlassen soweit die daraus sich ergebende Vermogensbelastung des Verlegers nicht wesentlich ins Gewicht fallt Gerechtfertigt werde dies dadurch dass Druckwerke nach der Veroffentlichung ein gewisses Eigenleben entwickeln und in die Gesellschaft hineinwirken Es handele sich damit um das kulturelle und geistige Geschehen mitbestimmende Faktoren Druckwerke wurden dadurch geistiges und kulturelles Allgemeingut Unter Berucksichtigung der Sozialpflichtigkeit des Eigentums stelle es ein legitimes Anliegen dar die literarischen Erzeugnisse dem wissenschaftlich und kulturell Interessierten moglichst geschlossen zuganglich zu machen und kunftigen Generationen einen umfassenden Eindruck vom geistigen Schaffen fruherer Epochen zu vermitteln Es werde durch eine unentgeltliche Ablieferungspflicht der sozialen Bedeutung und Funktion von Druckwerken angemessen Rechnung getragen soweit der damit verbundene wirtschaftliche Nachteil der Verleger nicht wesentlich ins Gewicht falle Davon konne bei der Mehrzahl der modernen Publikationen ausgegangen werden da diese in grosseren Auflagen gedruckt wurden Die Regelung sei aber insofern verfassungswidrig als dass die allgemeine Ablieferungspflicht bei unterschiedslosem Ausschluss einer Kostenerstattung auch Druckwerke erfasse die mit grossem Aufwand und zugleich nur in kleiner Auflage hergestellt wurden Die Pflicht zur unentgeltlichen Abgabe von Belegstucken solcher Druckwerke stelle im Gegensatz zu Billig und Massenproduktionen eine ins Gewicht fallende Belastung dar Diese Belastung fur Verleger solcher Produkte im Interesse der Allgemeinheit wurde nicht mehr durch Art 14 Abs 1 S 2 GG zu rechtfertigen sein Verleger kunstlerisch hochwertiger Druckwerke wurden wegen der geringen Auflagen ein wesentlich erhohtes wirtschaftliches Risiko eingehen Das Interesse der Allgemeinheit auch an solchen kunstlerisch wissenschaftlich und literarisch exklusiven Werken wurde nur durch die private Initiative und Risikobereitschaft solcher Verleger wie dem Klager moglich Es wurde dem verfassungsrechtlichen Gebot widersprechen die Belange des betroffenen Eigentumers mit denen der Allgemeinheit in einen gerechten Ausgleich zu bringen und einseitige Belastungen zu vermeiden wenn solchen Verlegern zusatzlich zu diesem zusatzlichen wirtschaftlichen Risiko auch noch die erheblich uberdurchschnittlichen Herstellungskosten fur ein Pflichtexemplar aufgeburdet wurden Die kostenlose Pflichtablieferung von wertvollen Druckwerken mit niedriger Auflage wurde deshalb die Grenzen verhaltnismassiger und noch zumutbarer inhaltlicher Festlegung des Verlegereigentums uberschreiten Umsetzung BearbeitenZur Umsetzung der Pflichtexemplar Entscheidung haben Bund und Lander verschiedene Vorschriften erlassen Teilweise wird der Entschadigung der Ladenpreis zugrunde gelegt teilweise unterschiedlich definierte Herstellungskosten teilweise eine Kombination aus beidem Stand der folgenden Tabelle 2017 Bereich Rechtsquelle kleine Auflage grosser Aufwand EUR Bemessungsgrundlage fur Aufwand bzw Entschadigung Hohe der EntschadigungDeutschland nbsp Deutschland PflAV 17 Oktober 2008 6 300 Musikalien 50 80 nicht gewerbsmassig freiberuflich 20 Herstellungskosten Kosten der Vervielfaltigung amp Preis Abgabepreis max grundsatzlich HerstellungskostenBaden Wurttemberg nbsp Baden Wurttemberg Pflichtexemplargesetz 3 Marz 1976 1 Abs 5 k A k A Ladenpreis Halfte des Ladenpreises max Bayern nbsp Bayern PflStER 1 Oktober 2006 500 75 nicht gewerbsmassig 25 Herstellungskosten Satz Papier Druck Einband Autorenhonorare 5 amp Preis Halfte des Laden bzw Subskriptions Vorzugs oder Abonnementspreises max grundsatzlich 100 80 der Berechnungsgrundlage Herstellungskosten zuzuglich 40 v H hiervon als Gemeinkostenpauschale Berlin nbsp Berlin PflExG 15 Juli 2005 5 k A k A k A angemessene Entschadigung Brandenburg nbsp Brandenburg BbgPG 13 Mai 1993 13 k A k A Herstellungskosten HerstellungskostenBremen nbsp Bremen k A k A k A k A k A Hamburg nbsp Hamburg PEG 14 September 1988 4 Abs 2 k A k A Selbstkosten SelbstkostenHessen nbsp Hessen Verordnung 12 Dezember 1984 6 500 6 51 6 Herstellungskosten Herstellungskosten Zuschuss Mecklenburg Vorpommern nbsp Mecklenburg Vorpommern LPrG M V 6 Juni 1993 11 Abs 3 500 102 Ladenpreis Halfte des LadenpreisesNiedersachsen nbsp Niedersachsen NPresseG 22 Marz 1965 12 Abs 3 500 100 Ladenpreis Halfte des LadenpreisesNordrhein Westfalen nbsp Nordrhein Westfalen Pflichtexemplargesetz 29 Januar 2013 7 300 200 Ladenpreis Halfte des LadenpreisesRheinland Pfalz nbsp Rheinland Pfalz Landesverordnung zur Durchfuhrung der 3 und 4 des Landesbibliotheksgesetzes vom 24 Mai 2017 500 75 nicht gewerbsmassig 25 Herstellungskosten Satz Papier Druck und Einband amp Preis Halfte des Laden bzw Verkaufspreises max grundsatzlich 100 80 der Berechnungsgrundlage Herstellungskosten zuzuglich 40 v H hiervon als Gemeinkostenpauschale Saarland nbsp Saarland PflAV 8 November 2016 3 300 150 Herstellungskosten Kosten der Vervielfaltigung Herstellungskosten Halfte Sachsen nbsp Sachsen SachsPresseG 3 April 1992 11 Abs 6 k A k A Herstellungskosten Herstellungskosten max Sachsen Anhalt nbsp Sachsen Anhalt Landespressegesetz 2 Mai 2013 11 Abs 3 500 100 Ladenpreis Halfte des LadenpreisesSchleswig Holstein nbsp Schleswig Holstein BiblG 30 August 2016 10 Abs 2 k A k A Selbstkosten Selbstkosten max Thuringen nbsp Thuringen TPG 31 Juli 1991 12 Abs 1 k A k A Herstellungskosten HerstellungskostenAllerdings hat die Bibliothek auch die Moglichkeit auf die Ablieferung zu verzichten 7 Literatur BearbeitenJurgen Eschenbach Die ausgleichspflichtige Inhaltsbestimmung In Juristische Ausbildung 1998 S 401 403 Karl Eckhart Heinz Zur Dogmatik der Sozialpflichtigkeit des Eigentums gem Art 14 Abs 2 GG In Archiv fur Presserecht 2007 S 94 97 Hildebert Kirchner Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 14 Juli 1981 1 BvL 24 78 zum Pflichtexemplarrecht In Zeitschrift fur Bibliothekswesen und Bibliographie 1982 S 82 84 Karl Friedrich Meyer Das Pflichtexemplarrecht aus juristischer Sicht In Mitteilungen der Arbeitsgemeinschaft fur juristisches Bibliotheks und Dokumentationswesen 1983 S 61 70 Bertold Picard Die Erstattung der Herstellungskosten von Pflichtexemplaren nach der hessischen Verordnung uber die Abgabe von Druckwerken vom 12 Dezember 1984 In Zeitschrift fur Bibliothekswesen und Bibliographie 1986 S 16 22 Hermann Weber Verfassungsrechtliche Grenzen fur Enteignung und Inhaltsbestimmung des Eigentums In Juristische Schulung 1982 S 852 856Einzelnachweise Bearbeiten Az 1 BvL 24 78 BVerfGE 58 137 Hess GVBl 1958 S 183 Verordnung vom 21 Marz 1977 hess GVBl S 146 BGBl I 1969 S 265 im Selbstverlag auch Kosten des Manuskripts BayVGH Urteil vom 4 November 1992 7 B 90 3264 a b HessVGH Urteil vom 8 Dezember 1987 IX OE 46 82 in dem der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zugrundeliegenden Verfahren OVG RP Urteil vom 5 Oktober 2009 2 A 10243 09 OVG Burkhardt in Loffler Presserecht 6 Aufl 2015 12 LPG Anh Rn 32 Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Pflichtexemplar Entscheidung amp oldid 239353565