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Die Sozialpflichtigkeit des Eigentums auch Sozialbindung des Eigentums bezeichnet in Deutschland einen rechts und sozialphilosophischen Grundsatz Im verfassungsrechtlichen Sinne schrankt die Sozialbindung den Schutzbereich des Eigentums gemass Art 14 Abs 1 Grundgesetz GG ein indem Eingriffsrechte im Sinne des Art 14 Abs 2 GG verfassungsrechtlich gerechtfertigte Inhalts oder Schrankenbestimmungen aussprechen Vor dem Hintergrund einer grundsatzlichen Anerkennung des Instituts des Privateigentums und einer entsprechenden Verfugungsfreiheit wird gefordert dass der Gebrauch des Eigentums dem Gemeinwohl nicht zuwiderlaufen sondern ihm zugutekommen soll Neben seiner Thematisierung in der Rechts und Sozialphilosophie hat der Sozialpflichtigkeitsgrundsatz vor allem in die christliche Soziallehre sowie in verschiedene Verfassungen Eingang gefunden Inhaltsverzeichnis 1 Antike Stoische Philosophie 2 Rechts und Sozialphilosophie 3 Christliche Theologie und Soziallehre 4 Deutsches Verfassungsrecht und Rechtsprechung 5 Soziale Verantwortung von Unternehmen Stakeholder Value 6 Literatur 7 EinzelnachweiseAntike Stoische Philosophie BearbeitenSpuren einer Sozialpflichtigkeitstheorie finden sich bereits in der Antike etwa in Marcus Tullius Ciceros Schrift De officiis basierend auf seiner Okkupationstheorie des Eigentums Gemass Cicero sollen wir den gemeinsamen Nutzen in den Mittelpunkt stellen und durch gegenseitige Leistungen durch Geben und Nehmen ferner durch Fachkenntnisse Hilfeleistung und materielle Mittel das Band der Zusammengehorigkeit der Menschen untereinander knupfen 1 Weiterhin haben stoische Philosophen vor allem zwei liberale Gedanken erarbeitet 1 Jedes menschliche Individuum ist der naturliche und rechtmassige Eigentumer mindestens einer Sache namlich seiner selbst und 2 Dass die menschliche Natur die einzelnen Menschen dazu bewegt Privateigentum zu erwerben und miteinander als Eigentumer zu interagieren 2 Rechts und Sozialphilosophie BearbeitenAls Vorlaufer einer expliziten Sozialbindung ist im 19 Jahrhundert verschiedentlich die sittliche Bindung des Eigentums propagiert worden So heisst es etwa in der Philosophie des Rechts von Friedrich Julius Stahl Das Eigentum ist aber insbesondere und hauptsachlich auch der Stoff fur die sittliche Erfullung der Pflichten des Menschen Christliche Theologie und Soziallehre BearbeitenIn der Enzyklika Rerum Novarum 1891 zitiert Leo XIII Thomas von Aquin Der Mensch muss die aussern Dinge nicht wie ein Eigentum sondern wie gemeinsames Gut betrachten und behandeln insofern namlich als er sich zur Mitteilung derselben an Notleidende leicht verstehen soll Darum spricht der Apostel Befiehl den Reichen dieser Welt dass sie gerne geben und mitteilen In Quadragesimo anno 1931 betont Pius XI dass der Ertrag aus dem Zusammenwirken von Arbeit und Kapital dem allgemeinen Nutzen dienstbar gemacht werden muss In der Pastoralkonstitution Gaudium et Spes 1965 Nr 69 des Zweiten Vatikanums ist der Grundsatz folgendermassen formuliert Gott hat die Erde mit allem was sie enthalt zum Nutzen aller Menschen und Volker bestimmt darum mussen diese geschaffenen Guter in einem billigen Verhaltnis allen zustatten kommen dabei hat die Gerechtigkeit die Fuhrung Hand in Hand geht mit ihr die Liebe Immer gilt es achtzuhaben auf diese allgemeine Bestimmung der Guter Darum soll der Mensch der sich dieser Guter bedient die ausseren Dinge die er rechtmassig besitzt nicht nur als ihm personlich zu eigen sondern muss er sie zugleich auch als Gemeingut ansehen in dem Sinn dass sie nicht ihm allein sondern auch anderen von Nutzen sein konnen Deutsches Verfassungsrecht und Rechtsprechung BearbeitenIn der Weimarer Verfassung von 1919 Art 153 Abs 3 WRV 3 fand die Sozialpflichtigkeit folgenden Niederschlag Eigentum verpflichtet Sein Gebrauch soll zugleich Dienst sein fur das Gemeine Beste In Art 14 Abs 2 Grundgesetz steht Eigentum verpflichtet Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen In der einschlagigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist neben der Bekraftigung des Eigentums als ein elementares Grundrecht vor dem Hintergrund einer freiheitlichen Ordnung die Sozialbindung verschiedentlich konkretisiert worden auch in dem Sinne dass nicht jedes Eigentum einer solchen Bindung unterliege sondern nur solches das soziale Relevanz habe Daruber hinaus hat das Verfassungsgericht festgelegt dass Regelungen im Sinne des Art 14 Abs 2 GG nicht allein aufgrund von Verwaltungsakten und Rechtsprechung zulassig sind sondern der Gesetzgebung bedurfen 4 5 Ausserhalb bestehender gesetzlicher Verpflichtungen leiten sich aus dem deutschen Grundgesetz deshalb keine daruber hinausgehenden Verpflichtungen fur Eigentumer ab Einen aktuellen Bezug hat der Verfassungsgrundsatz der Sozialpflichtigkeit etwa in der Frage der Vermogensteuer bzw Maximalbesteuerung entfaltet Nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts ist der Vermogensertrag einerseits fur die steuerliche Gemeinlast zuganglich andererseits muss dem Berechtigten ein privater Ertragsnutzen verbleiben Die Vermogensteuer darf deshalb zu den ubrigen Steuern auf den Ertrag nur hinzutreten soweit die steuerliche Gesamtbelastung in der Nahe einer halftigen Teilung zwischen privater und offentlicher Hand verbleibt 6 Soziale Verantwortung von Unternehmen Stakeholder Value BearbeitenDer Sozialpflichtigkeitsgrundsatz im Rahmen der aktuellen wirtschaftsethischen Diskussion zum Thema Corporate Social Responsibility steht im Licht einer breiten und weltweiten Aufmerksamkeit Eigentum in Form von Unternehmen steht im Rahmen dieses Konzeptes in einer gesellschaftlichen Verantwortung Die Wahrnehmung dieser Verantwortung soll neben der Gewinnerzielungsabsicht und der Rechtsnormenkonformitat Compliance einen entscheidenden Massstab fur die Fuhrung und Ausrichtung des Unternehmens bilden Die Dimension der Sozialpflichtigkeit findet auch Berucksichtigung im Stakeholder Value Konzept der Unternehmensfuhrung im Gegensatz zu einer reinen Orientierung am Shareholder Value Kritiker dieser Perspektive betonen die soziale Funktion von Unternehmen im System der Marktwirtschaft auch ohne erganzende CSR Massnahmen Literatur BearbeitenGrundgesetz Kommentare zu Artikel 14 Ernst Benda Industrielle Herrschaft und sozialer Staat Gottingen 1966 Traugott Jahnichen Vom Besitzindividualismus zur gemeinwohlorientierten Sozialpflichtigkeit Der neuzeitliche Eigentumsbegriff in der Entwicklung des Privat und Verfassungsrechts In Gunther Brakelmann Norbert Friedrich Traugott Jahnichen Hrsg Auf dem Weg zum Grundgesetz Beitrage zum Verfassungsverstandnis des neuzeitlichen Protestantismus Lit Verlag Munster 1999 Ludwig Lau Die Sozialpflichtigkeit des Eigentums Wurzburg 1997 Walter Leisner Sozialbindung des Eigentums Berlin 1972 Kurt Rudolph Die Bindungen des Eigentums Tubingen 1960 Einzelnachweise Bearbeiten Cicero De officiis I22 A A Long Stoic Philosophers on Persons Property Ownership and Community Oxford Scholarship Hrsg Oxford Scholarship Online doi 10 1093 acprof oso 9780199279128 001 0001 acprof 9780199279128 chapter 16 universitypressscholarship com abgerufen am 9 Februar 2021 Art 153 WRV BVerfG Urteil vom 10 Marz 1981 Az 1 BvR 92 71 BVerfGE 56 249 260 Jochen Rozek Die Unterscheidung von Eigentumsbindung und Enteignung S 65 71 BVerfG Beschluss vom 22 Juni 1995 Az 2 BvL 37 91 BVerfGE 93 121 Bitte den Hinweis zu Rechtsthemen beachten Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Sozialpflichtigkeit des Eigentums amp oldid 237391590