www.wikidata.de-de.nina.az
Dieser Artikel behandelt das abnorme Verhalten Fur Jurij Andruchowytschs Roman siehe Perversion Roman Klassifikation nach ICD 10F65 0 FetischismusF65 2 ExhibitionismusF65 3 Voyeurismus Storung der Sexualpraferenz F65 4 PadophilieF65 5 Sadismus Storung der Sexualpraferenz F65 5 Masochismus Storung der Sexualpraferenz F65 8 Nekrophilie Sonstige Storungen der Sexualpraferenz ICD 10 online WHO Version 2019 Perversion von lateinisch perversus verdreht verkehrt bezeichnet eine Verkehrung ins Krankhafte oder Abnorme bzw ein solches Empfinden und Verhalten 1 Umgangssprachlich wird der Begriff vielfach fur ein stark abweichendes oder tabuisiertes Verhalten oder eine Entwicklung in diese Richtung verwendet Inhaltsverzeichnis 1 Begriffsgeschichte 2 Die Frage der Krankheitswertigkeit 2 1 Diskursanalytische Perspektiven 3 Siehe auch 4 Literatur 5 EinzelnachweiseBegriffsgeschichte BearbeitenUrsprunglich war die Verwendung des Adjektivs pervers im medizinischen Sprachgebrauch nicht negativ besetzt 2 Der Begriff der Perversion ist zunachst mit der Degenerationslehre des ausgehenden 19 Jahrhunderts verknupft 3 Wesentliche wissenschaftliche Grundlagen lieferte der Psychiater und Neurologe sowie Rechtsmediziner Richard von Krafft Ebing 1886 mit seinem Werk Psychopathia Sexualis Dort unterschied er auch zwischen Krankheit Perversion und Laster Perversitat 4 5 Homosexuelle Manner wurden damals als erblich belastete Perverse dargestellt Nach Sigmund Freuds Veroffentlichung der Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie im Jahre 1905 hat sich das Begriffsverstandnis vor allem in Bezug auf die sexuellen Aspekte verbreitet 6 Anschliessend haben sich in der zeitlichen Reihenfolge weitere Begriffe entwickelt Deviation Abweichungen Spielarten des Sexuellen Varianten Paraphilie Praferenzstorungen 6 Auch ist die Bezeichnung Dissexualitat von Beier in den Jahren 1994 und 1995 vorgeschlagen worden 3 Bis ins spate 20 Jahrhundert hinein wurden in den meisten Staaten homosexuelle Handlungen unter Mannern als pervers eingestuft und teilweise strafrechtlich verfolgt weil zum Beispiel die Fahigkeit partnerschaftlicher Liebesbeziehungen unter Homosexuellen bestritten wurde Traditionell wurde in vielen Kulturkreisen insbesondere ein Sexualverhalten als pervers bezeichnet wenn es nicht der Fortpflanzung diente Ahnlich gelten zum Teil noch heute sexuelle Aktivitaten und Phantasien deren Objekt kein Partner ist mit dem ein Kind gezeugt werden kann als pervers 7 Wahrend im Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders DSM die Bezeichnung Perversion durch Paraphilie ersetzt wurde verwendet die Internationale statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme ICD den Begriff Sexualpraferenzstorungen 6 Die Frage der Krankheitswertigkeit BearbeitenIm sexuellen Kontext steht die Bezeichnung fur eine stark zeit und gesellschaftsabhangige Abweichung von den allgemein als angemessen betrachteten soziokulturellen Normen hinsichtlich sexueller Begierde und Handlung Im Zentrum stehen unubliche sexuelle Praktiken oder Objekte Gerade im sexuellen Bereich ist es jedoch oft kulturabhangig was als Abweichung von der Normalitat gilt In vielen Kulturkreisen werden etwa oral genitale oder anal genitale Sexualitat Homosexualitat oder Masturbation als Perversionen angesehen Gemass der ICD 10 stellt ebengenanntes ein normgerechtes Verhalten dar Stattdessen werden in der ICD 10 und im neueren DSM 5 8 Storungen der Sexualpraferenz diagnostiziert wie Fetischismus 9 Transvestitischer Fetischismus Exhibitionismus Voyeurismus Padophilie bestimmte Formen des Sadomasochismus Sodomie und vergleichbar starke Abweichungen der Sexualitat vom Normverhalten In Anlehnung an Hans Giese wird die Bezeichnung sexuelle Perversion dann verwendet wenn es sich um ein krankhaftes Abweichen handelt 10 Die Krankheitswertigkeit wird von Giese aber auch von Eberhard Schorsch 1971 und Johann Glatzel 11 an folgenden Kriterien festgemacht 10 Austauschbarkeit der Partner Anonymitat und Promiskuitat Ausbau der Phantasie Praktik und Rafinement suchtiger Charakter des Verhaltens Ritualisierung Ichbezogenheit Entlastung nichtsexueller Schwierigkeiten durch Sexualitat und Gestaltzerfall indem das Objekt sexueller Begierde aus dem Kontext personalen Beziehungsrahmen gelost wird Die Psychoanalytikerin Estela Welldon verwendet den Begriff Perversion durchweg im Sinne einer anerkannten klinischen Existenzform bei der die betroffene Person nicht die Freiheit besitzt genital sexuelle Befriedigung zu erlangen und sich stattdessen einem zwanghaften Verhalten unterworfen fuhlt bei dem unbewusste Feindseligkeit eine Rolle spielt 12 Der Sexualwissenschaftler Volkmar Sigusch begrundet 2005 sein Festhalten am Perversionsbegriff Ich habe mich entschieden behandlungsbedurftige suchtige sexuelle Entwicklungen weiterhin Perversion zu nennen Der Hauptgrund ist Dieses Wort beschonigt nichts es ruft die Katastrophe beim Namen Von dem Ausdruck Paraphilie den jungere Sexualwissenschaftler vorziehen kann das nicht gesagt werden Dieses Wort sollten wir benutzen wenn es um ungewohnliche sexuelle Vorlieben und Verhaltensweisen geht die keiner Therapie bedurfen und die niemandem Gewalt antun die also weder den Paraphilen selbst noch eine andere Person schadigen Volkmar Sigusch Sexuelle Welten 13 Diskursanalytische Perspektiven Bearbeiten Unter diskursanalytischer Perspektive versteht der Philosoph Michel Foucault Perversionen als gesellschaftlich konstruiertes und produziertes Phanomen In seinem Werk Der Wille zum Wissen frz Original Histoire de la sexualite vollzieht Foucault eine tiefgreifende Analyse der gesellschaftlichen politischen und okonomischen Machtmechanismen welche sexuelle Normen uber die Zeit hinweg produzieren und manipulieren Dabei untersucht er die Bedingungen medizinischer juristischer und biologischer Diskurse uber Sexualitat ihr historisches Apriori In diesem Zuge ubt er Kritik an ihren Konzeptionen von Sexualitat und ihrem Verstandnis sexueller Neigungen Der Einpflanzung von Perversionen 14 widmet er dazu ein eigenes Kapitel Foucault zufolge ist seit dem 17 Jahrhundert ein Prozess im Gange der zwar oberflachlich als Repression d h als Verbot der Rede uber den Sex erscheint Betrachtet man dieses Phanomen jedoch auf der Ebene der Diskurse uber den Sex so ist laut Foucault ein geradezu umgekehrter Prozess beobachtbar Die modernen Gesellschaften zeichnen sich nicht dadurch aus dass sie den Sex ins Dunkel verbannen sondern dass sie unablassig von ihm sprechen und ihn als das Geheimnis geltend machen 14 Der Sex wird damit in eine diskursive Existenz 14 gedrangt die gleichzeitig Produkt von Machteinwirkung ist sie jedoch ebenso erst ermoglicht Dies ist beispielsweise bei dem Umgang mit der Sexualitat von Kindern zu beobachten Die Onanie von Kindern gerat ab dem 19 Jahrhundert zunehmend in den Fokus von Erziehungsanstalten sowie elterlicher Erziehung Indem sie klar als Laster verurteilt wird werden strengere Kontrollmassnahmen lanciert wodurch in der Folge jedoch auch die Zielscheibe der Machtausubung enorm wachst alles wird verdachtig Die Verurteilung der Onanie von Kindern macht sie somit nur zu einem Geheimnis naturlich ohne sie jedoch vollstandig ausloschen zu konnen Kinder werden gezwungen sie zu verstecken damit man sie anschliessend entdecken kann 14 Stattdessen wird ihre Sexualitat kontrolliert verhort und im Zweifelsfall medizinisch behandelt Die Perversion als anormale sexuelle Neigung ruckt so Foucault ebenfalls zunehmend im 19 Jahrhundert in den medizinischen Blick unter welchem wir sie heute noch betrachten Kurz gesagt ist ein Wandel festzustellen nach welchem die kirchlich juridische Verfolgung von Verstossen gegen das eheliche Gesetz zunehmend durch die medizinische Untersuchung und Behandlung sexueller Praferenzen ersetzt wird Anders als der juridische Diskurs sei das Feld der Medizin darum bemuht Perversionen genauestens zu klassifizieren sowie ihre Ursachen und Zusammenhange klar zu beleuchten In diesem Zuge erfolgt die Ausdifferenzierung unterschiedlicher widernaturlicher sexueller Handlungen sowie ihre Identifizierung mit bestimmten Menschentypen Charakteren Physiognomien und Lebenslaufen Die Perversion und die Sexualitat im Allgemeinen so Foucault wird damit zunehmend zu einem Gegenstand wissenschaftlicher Erkenntnis und gesellschaftlicher Kontrolle Eine Folge ist dass die Perversion in erster Linie nicht verbannt sondern vielmehr uberhaupt erst benannt und somit produziert wird Foucault kommt damit zu dem Schluss dass auch wenn sie oberflachlich die Sexualitat zu unterdrucken scheint gerade die burgerliche Gesellschaft des 19 Jahrhunderts zweifellos noch die unsere eine Gesellschaft der bluhendsten Perversion 14 sei Siehe auch BearbeitenPerversion Die erotische Form von Hass Perversionen der FrauLiteratur BearbeitenHeinrich Ammerer Krafft Ebing Freud und die Erfindung der Perversion Versuch einer Einkreisung Tectum Marburg 2006 ISBN 3 8288 9159 4 Heinrich Ammerer Am Anfang war die Perversion Richard von Krafft Ebing Psychiater und Pionier der modernen Sexualkunde Styria Premium Wien Graz Klagenfurt 2011 ISBN 978 3 222 13321 3 uberarbeitete Dissertation Universitat Salzburg 2010 Sergio Benvenuto Perversionen Sexualitat Ethik und Psychoanalyse Turia amp Kant 2009 ISBN 978 3 85132 549 2 Janine Chasseguet Smirgel Die Anatomie der menschlichen Perversion Psychosozial Verlag Giessen 2002 Michel Foucault Der Wille zum Wissen Sexualitat und Wahrheit 1 Frankfurt am Main 2019 ISBN 978 3 518 28316 5 Otto Goldmann Das Sexuallaster in seinen Abarten In Leo Schidrowitz Hrsg Sittengeschichte des Lasters Die Kulturepochen und ihre Leidenschaften Sittengeschichte der Kulturwelt und ihrer Entwicklung in Einzeldarstellungen Band 5 Verlag fur Kulturforschung Wien Leipzig 1927 S 185 252 archive org abgerufen am 22 Januar 2023 Eberhard Schorsch Gerlinde Galedary Antje Haag Margret Hauch Hartwig Lohse Perversion als Straftat Dynamik und Psychotherapie Springer Berlin 1985 ISBN 3 540 12468 3 Eberhard Schorsch Perversion Liebe Gewalt Herausgegeben von Volkmar Sigusch und Gunter Schmidt Beitrage zur Sexualforschung Band 68 Enke Stuttgart 1993 ISBN 3 432 25391 5 Volkmar Sigusch Neosexualitaten Uber den kulturellen Wandel von Liebe und Perversion Campus Frankfurt am Main New York 2005 ISBN 3 593 37724 1 Robert Stoller Perversion Die erotische Form von Hass Psychosozial Giessen 1998 ISBN 3 932133 51 X Estela V Welldon Perversionen der Frau Hrsg Martin Dannecker Gunter Schmidt Volkmar Sigusch Beitrage zur Sexualforschung Band 82 Psychosozial Giessen 2003 ISBN 3 89806 164 7 Einzelnachweise Bearbeiten Duden Stichwort Perversion Sydney Alrutz Uber die sog perversen Temperaturempfindungen In Skandinavisches Archiv fur Physiologie Band 18 1906 S 166 176 a b Hans Jurgen Moller G Laux H P Kapfhammer Psychiatrie und Psychotherapie Springer Verlag 2007 ISBN 978 3 540 27386 8 S 1537 eingeschrankte Vorschau in der Google Buchsuche Claudia Bundschuh Padosexualitat Entstehungsbedingungen und Erscheinungsformen Springer 2013 ISBN 978 3 663 10987 7 S 18 eingeschrankte Vorschau in der Google Buchsuche Andreas Marneros Intimizid die Totung des Intimpartners Ursachen Tatsituationen und forensische Beurteilung mit 12 Tabellen Schattauer 2008 ISBN 978 3 7945 2414 3 S 179 eingeschrankte Vorschau in der Google Buchsuche a b c Ilka Quindeau Freud und das Sexuelle neue psychoanalytische und sexualwissenschaftliche Perspektiven Campus Verlag 2005 ISBN 978 3 593 37848 0 S 136 eingeschrankte Vorschau in der Google Buchsuche Weber Klaudia Luise et al Perversionen Ein Standardwerk der Sexualpsychologie Edition Liber Specialis Norderstedt 2015 David Kupfer Darrel Regier DSM 5 Implementation and Support American Psychiatric Association abgerufen am 4 Mai 2015 englisch John Junginger Summation of arousal in partial fetishism In Journal of Behavior Therapy and Experimental Psychiatry Band 19 Nr 4 1988 a b Norbert Nedopil Forensische Psychiatrie Klinik Begutachtung und Behandlung zwischen Psychiatrie und Recht 69 Tabellen Georg Thieme Verlag 2007 ISBN 978 3 13 103453 3 S 199 eingeschrankte Vorschau in der Google Buchsuche abgerufen am 20 Februar 2016 Johann Glatzel Forensische Psychiatrie Der Psychiater im Strafprozess F Enke Stuttgart 1985 ISBN 3 432 94901 4 Estela V Welldon Perversionen der Frau Psychosozial Giessen 2003 ISBN 3 89806 164 7 S 208 Volkmar Sigusch Sexuelle Welten Zwischenrufe eines Sexualwissenschaftlers Psychosozial Giessen 2005 ISBN 3 89806 482 4 S 100 a b c d e Michel Foucault Der Wille zum Wissen Sexualitat und Wahrheit 1 22 Auflage Suhrkamp Frankfurt am Main 2019 ISBN 978 3 518 28316 5 Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Perversion amp oldid 235682992