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Eine Leichenpredigt ist im engeren historischen Sinn eine Trauerschrift fur einen Verstorbenen wie sie insbesondere in der Zeit zwischen dem 16 und 18 Jahrhundert im protestantischen Raum verfasst wurde haufig in gedruckter Form Im deutschen Sprachraum sind rund 300 000 derartige Leichenpredigten uberliefert mehrere Bande der Mindener LeichenpredigtensammlungGanz allgemein kann mit dem Begriff auch die Predigt gemeint sein die ein Geistlicher bei einer kirchlichen Begrabnisfeier halt Leichenpredigten gehoren zur Gattung der Personalschriften also den Schriften die anlasslich von Geburtstagen Taufen Verlobungen Hochzeiten Amtseinfuhrungen Jubilaen oder zum Tod eines Menschen entstanden Inhaltsverzeichnis 1 Geschichte 2 Leichenpredigten als historische Quellen 3 Literatur 4 Weblinks 5 EinzelnachweiseGeschichte BearbeitenGrabreden zur Beerdigung Verstorbener hatte es schon fruher gegeben Der Brauch das Andenken Hinterbliebener mit einer gedruckten Leichenpredigt zu ehren ist im 16 Jahrhundert unmittelbar nach der Reformation im mitteldeutschen Raum dem Kerngebiet des lutherischen Protestantismus aufgekommen Mit seinem Sermon von der Bereytung zum Sterben lieferte Martin Luther 1519 einen ersten Vorlaufer einer Leichenpredigt und beschrieb auch die aus seiner Sicht wichtigsten Anforderungen an eine Leichenpredigt das Lob Gottes den Trost die Erbauung der Hinterbliebenen sowie die Belehrung der versammelten Gemeinde Luthers Predigten auf Kurfurst Friedrich den Weisen von Sachsen 1525 und dessen Bruder Johann den Bestandigen 1532 gelten als die ersten klassischen gedruckten Leichenpredigten Der Brauch verbreitete sich rasch in den ubrigen Gebieten des lutherischen Bekenntnisses und wurde in geringerem Masse auch von Zwinglianern Calvinisten und selbst von Katholiken jedoch nur ausnahmsweise fur Wurdentrager aufgegriffen Die fruhen Leichenpredigten bestanden fast ausschliesslich aus der eigentlichen Predigt in der biographische Notizen zum Verstorbenen nur vereinzelt auftauchen Erst nach 1570 ist die Entstehung eines eigenstandigen Personalia Teils zu beobachten Gegen Ende des 16 und im Laufe des 17 Jahrhunderts gesellen sich zu Predigt und Lebenslauf weitere Bestandteile hinzu etwa Trauergedichte Epicedien Gedachtnis und Uberfuhrungspredigt Abdankung akademische Trauerschrift Trauerkompositionen sowie aufwandige bildliche Darstellungen 1 Die lutherische Kirche wollte mit den Trauerschriften zeigen dass auch unter ihrer Obhut seliges Sterben mit der Gewissheit auf die Gnade Gottes moglich sei Dieses Bedurfnis fuhrte im 17 Jahrhundert dazu dass in die Personalia auch ausfuhrliche Schilderungen der Sterbeszene und des sie begleitenden geistlichen Rituals aufgenommen wurden Gedruckt wurden Leichenpredigten uberwiegend fur Adlige und das wohlhabende Burgertum die soziale Oberschicht 2 Dem entspricht die nicht selten kostspielige Ausstattung mit einem Portrat des Verstorbenen als Holzschnitt spater in Kupfer gestochen auch mit Noten und Text von Trauerkompositionen Erhaltene Druckereirechnungen weisen Auflagen zwischen 100 und 300 Exemplaren nach der Umfang konnte von anfangs 10 bis 20 Seiten in den Buchformaten Oktav oder Quart spater im 17 Jahrhundert vor allem bei Hochadligen bis auf 100 200 und mehr Seiten in Folio oder gar Grossfolio anwachsen Messkataloge des Buchhandels belegen dass die Leichenpredigten im 17 Jahrhundert als Erbauungsliteratur zur bevorzugten Lekture gehorten Gelegentlich gab es sogar Neuauflagen Das Gebiet mit dem hochsten Leichenpredigten Aufkommen wird im Suden durch den Main und im Norden von einer Linie zwischen Osnabruck und Berlin begrenzt Auch Schlesien eine Hochburg der Barockliteratur und die oberdeutschen Reichsstadte bieten wertvolle Bestande 3 4 Etwa 40 000 verschiedene Leichenpredigten soll Reichsgrafin Sophie Eleonore zu Stolberg Stolberg 1669 1745 gesammelt haben Philipp Jacob Spener ein evangelischer Theologe 1635 1705 ist ebenfalls fur seine Sammlung von Leichenpredigten bekannt Um die Mitte des 18 Jahrhunderts kam das Verfassen von Leichenpredigten dann weitgehend zum Erliegen Leichenpredigten als historische Quellen BearbeitenDie erbauliche Absicht der Leichenpredigten die sie mit der Hagiographie des Mittelalters der Predigtliteratur oder den Grabmonumenten der Barockzeit teilt sowie ihr Charakter als Gelegenheitsschrifttum haben ihrer Entdeckung als Geschichtsquelle lange Zeit im Weg gestanden Das Interesse der modernen Forschung an der Gattung Leichenpredigt ist bei zahlreichen Disziplinen durch die Mannigfaltigkeit der Informationen geweckt worden die uber das rein biographische Material hinausgehen 1 Die 1976 gegrundete Forschungsstelle fur Personalschriften an der Philipps Universitat Marburg seit 1984 eine Arbeitsstelle der Akademie der Wissenschaften und der Literatur Mainz ermittelt und katalogisiert Leichenpredigten Das besondere Interesse gilt dabei den in diesen Quellen enthaltenen oft ausfuhrlichen Biographien der Verstorbenen Neben den in Form von gedruckten Katalogen und Online Datenbanken publizierten Arbeitsergebnissen der Forschungsstelle existieren weitere Verzeichnisse die Leichenpredigtenbestande mittels der Namen von Verstorbenen und Autoren erfasst haben Dazu gehort u a der Gesamtkatalog der Personalschriften und Leichenpredigtensammlungen der Zentralstelle fur deutsche Personen und Familiengeschichte Leipzig Die Leichenpredigten bieten eine Fulle statistisch verwertbarer Daten in raumlicher Differenzierung Damit lassen sich z B Fragestellungen zur damaligen Sauglings und Kindersterblichkeit zum durchschnittlichen Immatrikulationsalter der Studienanfanger oder zur Wanderung von Handwerksgesellen beantworten 1 Als multi und interdisziplinare Quellen konnen die Leichenpredigten somit von den unterschiedlichsten wissenschaftlichen Disziplinen genutzt werden Bildungsgeschichte Biographik Emblematik Epigraphik Genealogie Geschlechtergeschichte Heraldik Historische Demographie Kulturanthropologie Ikonographie Kriminalitatsgeschichte Kulturgeschichte Kunstgeschichte Literaturgeschichte Medizingeschichte Militargeschichte Historische Musikwissenschaft Pharmaziegeschichte Prosopographie Sozialgeschichte Stadtgeschichte Thanatologie Theologie Universitatsgeschichte WirtschaftsgeschichteLiteratur BearbeitenMarburger Personalschriften Forschungen hrsg bis Band 50 von Rudolf Lenz ab Band 51 hrsg von Eva Maria Dickhaut Schwarz Verlag Marburg Band 1 9 Jan Thorbecke Verlag Sigmaringen Band 10 31 Franz Steiner Verlag Stuttgart Band 32 ff Leichenpredigten als Quelle historischer Wissenschaften hrsg bis Band 4 von Rudolf Lenz ab Band 5 hrsg von Eva Maria Dickhaut Franz Steiner Verlag Stuttgart Werner Friedrich Kummel Der sanfte und selige Tod Verklarung und Wirklichkeit des Sterbens im Spiegel lutherischer Leichenpredigten des 16 bis 18 Jahrhunderts In Rudolf Lenz Hrsg Leichenpredigten als Quelle historischer Wissenschaften Band 3 Marburg 1984 S 199 226 Bibliographie zur Leichenpredigten Literatur Datenbank der Forschungsstelle fur Personalschriften Artikelserie Leben in Leichenpredigten Anna Aurast Leichenpredigten in Sudwestdeutsche Archivalienkunde Stand 17 Oktober 2017 Rolf Hartmann Das Autobiographische in der Basler Leichenrede Basel Stuttgart 1963 Diss Basel Basler Beitrage zur Geschichtswissenschaft Bd 90 Franz Lerner Ideologie und Mentalitat patrizischer Leichenpredigten Marburg 1970 Fritz Roth Restlose Auswertungen von Leichenpredigten und Personalschriften fur genealogische Zwecke 10 Bande Boppard Rhein 1959 1980 Georg Schrott Leichenpredigten fur bayerische Pralaten der Barock und Aufklarungszeit Materialien zur bayerischen Landesgeschichte 22 Munchen 2012 Jan Turinski Leichenpredigten und Trauerzeremoniell der geistlichen Kurfursten Studien zum Bischofsideal und zur Sepulkralkultur in der Germania Sacra zwischen Westfalischem Frieden und Sakularisation Quellen und Abhandlungen zur mittelrheinischen Kirchengeschichte Bd 147 Munster 2023 Weblinks Bearbeiten nbsp 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3 476 02230 1 S 257 261 besonders S 259 f Rudolf Lenz De mortuis nil nisi bene Leichenpredigten als multidisziplinare Quelle Marburger Personalschriften Forschungen Band 10 Jan Thorbecke Verlag Sigmaringen 1990 ISBN 3 7995 4300 7 S 17 21 Normdaten Sachbegriff GND 4074117 5 lobid OGND AKS Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Leichenpredigt amp oldid 235169026