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Lazar Gulkowitsch geboren 20 Dezember 1898 in Zirin bei Nowogrudok Russisches Kaiserreich gestorben Juli 1941 in Tartu Estnische Sozialistische Sowjetrepublik war ein russisch deutscher Judaist Philologe der von 1924 bis 1933 an der Universitat Leipzig und von 1934 bis 1940 an der Universitat Tartu lehrte Er befasste sich vor allem mit dem Chassidismus der Kabbala der Geschichte des spaten Judentums der hebraischen Sprache und mit den judischen Philosophen Maimonides und Spinoza Inhaltsverzeichnis 1 Leben und Wirken 1 1 1898 bis 1932 1 2 1933 bis 1941 2 Veroffentlichungen Auswahl 3 Literatur 4 Weblinks 5 AnmerkungenLeben und Wirken Bearbeiten1898 bis 1932 Bearbeiten Lazar Gulkowitsch wurde als Sohn eines judischen Kaufmanns geboren Er besuchte die Schule in Baranowitschi an der er auch in hebraischer Sprache und im Talmud unterrichtet wurde und von 1911 bis 1915 die Talmudschule in Minsk ehe er sich in der Abendklasse des russischen Gymnasiums auf das 1918 in Mykolajiw abgelegte Abitur vorbereitete Die Bolschewiki ubernahmen in der Nacht vom 15 zum 16 November 1917 auch in Belarus die Macht 1 Am 18 Februar 1918 erfolgte die Besetzung von Minsk durch deutsche Truppen Infolge des Versailler Vertrages musste sich die deutsche Armee aus Belarus zuruckziehen und die Bolschewiki kehrten erneut nach Minsk zuruck Deshalb verliess Gulkowitsch seine Heimat mit dem Ziel in Deutschland ein Studium zu beginnen Er anderte jedoch seinen ursprunglichen Plan und begab sich nach Virbalis in Litauen Von dort aus knupfte er Kontakte zur Universitat in Konigsberg wo er noch im Sommer 1919 mit Erlaubnis der deutschen Regierung ein Studium in den Fachrichtungen Altes Testament Philosophie und Medizin begann Der Alttestamentler Max Lohr 1864 1931 war einer seiner Lehrer Lazar Gulkowitsch wurde am 22 Oktober 1922 mit einer Arbeit uber Wesen und Entstehung der Kabbala zum Dr phil promoviert und setzte danach sein Medizinstudium fort da er beabsichtigte den Arztberuf zum Broterwerb auszuuben Seine wissenschaftlichen Interessen galten jedoch philologischen Fragen und den geistesgeschichtlichen Grundlagen des Judentums Das Medizinstudium schloss er nicht ab obwohl er am 26 Marz 1924 seine medizinische Dissertation einreichte Denn zu diesem Zeitpunkt lag ihm schon ein Angebot des sachsischen Ministeriums fur Volksbildung vor als Lektor fur spathebraische judisch aramaische und talmudische Wissenschaft an der Universitat Leipzig zu arbeiten Gulkowitsch nahm das Angebot an und erhielt infolge seiner Anstellung bereits im April 1924 die deutsche Staatsburgerschaft Diese rasche Einburgerung war ungewohnlich da aus Osteuropa zugewanderte Juden oft viele Jahre auf das deutsche Burgerrecht warten mussten Der Freistaat Sachsen wollte den in den 1920er Jahren erkennbaren kulturellen Gegensatz zwischen den zugewanderten Ostjuden die zum Teil Anhanger des Chassidismus waren und den ortsansassigen uberwiegend liberalen Juden entscharfen Aus diesem Grund zeigte sich der Freistaat bereit wissenschaftliche Untersuchungen zur judischen Religion an der Universitat Leipzig zu fordern Lazar Gulkowitsch begann an der Theologischen Fakultat zu lehren wo er zuerst seinen Studenten die verschiedenen judischen Glaubensrichtungen vorstellte Am 22 Juni 1925 beantragte er bei der Philosophischen Fakultat der Universitat Leipzig sich fur spathebraische Religionsgeschichte zu habilitieren Die Theologische Fakultat stimmte diesem Plan zu die Philosophische Fakultat verweigerte aber ihre Zustimmung und schlug stattdessen eine Habilitation zum Thema Wissenschaft des spaten Judentums vor Nach zustimmenden Gutachten des Theologen Hans Haas 1868 1934 aber auch nach Einwanden des Orientalisten August Fischer 1865 1949 bekam Gulkowitsch Ende 1926 seine Venia legendi fur die Philosophische Fakultat Daraufhin begann Lazar Gulkowitsch am 24 Februar 1927 mit seiner Vorlesung uber Rationale und mystische Elemente in der judischen Religion In seinen Forschungen knupfte er an Franz Delitzsch 1813 1890 an dessen Wirken der Universitat Leipzig den guten Ruf in alttestamentlicher und rabbinischer Forschungen begrundet hatte Die sachsische Regierung berief Gulkowitsch am 5 August 1932 zum ausserordentlichen Professor fur die Wissenschaft des spaten Judentums an der Philosophischen Fakultat der Universitat Leipzig und setzte damit die Lehre und Erforschung der nachbiblischen Religionsgeschichte auf eine philologische Grundlage 1933 bis 1941 Bearbeiten Die Nationalsozialisten entzogen am 7 Oktober 1933 Gulkowitsch die Lehrerlaubnis Am 14 Februar 1934 widerriefen sie dessen Einburgerung Dies vorausahnend war Gulkowitsch mit seiner Ehefrau Frieda Rabinowitz die er in Leipzig geheiratet hatte bereits im Januar 1934 nach Estland ausgereist Der Leipziger Rabbiner Felix Goldmann 1882 1934 hatte Kontakte zur Universitat Tartu Dorpat in Estland geknupft die am 24 Januar 1934 zur Berufung Gulkowitschs zum ordentlichen Professor durch den Rat der Philosophischen Fakultat der Universitat Tartu fuhrten Die Bestatigung dieser Ernennung durch den estnischen Ministerprasidenten Konstantin Pats 1874 1956 erfolgte zufallig am Tag der Ausburgerung Gulkowitschs aus Deutschland Gulkowitsch erlebte in Tartu sechs fruchtbare Arbeitsjahre er veroffentlichte in diesen Jahren die meisten seiner Schriften Seine Vorlesungen hielt er in Deutsch Denn seinem Wunsch gemass hatte der estnische Bildungsminister an der Fakultat Deutsch als Unterrichtssprache zugelassen 2 Daraufhin erweiterte und internationaliserte sich der Kreis der Judaistik Studenten seine Horer waren vor allem aber nicht nur aus Deutschland vertriebene Juden Als Professor fur judische Studien folgte er den methodischen Ansatzen Karl Lamprechts 1856 1915 und Simon Dubnows 1860 1941 die Sprache und Sprachentwicklung als Quelle zur Erforschung der Geschichte nutzten Er untersuchte die Bildung abstrakter Begriffe in der hebraischen Sprachgeschichte und schloss daraus dass Veranderungen auf der Wort und auf der Begriffsebene zusammenhangen und dass die Entwicklung der Abstrakta aus der Alltagssprache erwachst 3 So wurde er zu einem nach seinem Tode vergessenen Wegbereiter der Begriffsgeschichte Den aus Berlin vertriebenen ebenfalls sprach und begriffsgeschichtlich interessierten Slawisten Leopold Silberstein lud er 1936 zu Vortragen an die Universitat Tartu ein und vermittelte ihm dort ein Lektorat Gulkowitsch hielt anlasslich des 800 Geburtstages des judisch arabischen Gelehrten Maimonides 1135 1204 einen Festvortrag dem mehrere Gastvortrage im Ausland folgten so 1938 in Schweden an der Universitat Uppsala 1939 in Grossbritannien an der Universitat Cambridge sowie in den USA Nach der am 15 Marz 1939 erfolgten Annexion der Resttschechoslowakei bemuhte sich Gulkowitsch sowohl in Grossbritannien als auch in den USA um ein Visum fur sich und seine Familie jedoch vergebens Da er keine Aufenthaltsgenehmigung erhielt kehrte er Ende 1939 nach dem Hitler Stalin Pakt zu seiner Frau und seinen zwei kleinen Tochtern nach Estland zuruck Der Einmarsch der Roten Armee im Juni 1940 beendete die estnische Unabhangigkeit Die Sowjets schlossen das Seminar fur judische Studien Lazar Gulkowitsch verlor seine Anstellung an der Universitat Als seine Ersparnisse aufgebraucht waren bat der arbeitslose Gelehrte am 6 Januar 1941 den Rektor der Universitat Tartu seine Studien fortsetzen zu durfen Inwieweit die Universitat Tartu Gulkowitsch in den folgenden Wochen unterstutzt hatte ist nicht gesichert Seine Personalakte wurde am 30 April 1941 abgeschlossen Nach dem Uberfall Hitlerdeutschlands auf die Sowjetunion ruckte die Wehrmacht am 10 Juli 1941 in Tartu ein Lazar Gulkowitsch und seine Familie wurden am 9 Juli 1941 von deutschen Verbanden ermordet 4 Veroffentlichungen Auswahl BearbeitenDer Hasidismus religionsgeschichtlich untersucht Verlag von Eduard Pfeifer Leipzig 1927 Die Bildung von Abstraktbegriffen in der hebraischen Sprachgeschichte Verlag von Eduard Pfeiffer Leipzig 1931 S 5 132 Rationale und mystische Elemente in der judischen Lehre In Acta et commendationes universitatis Tartuensis Reihe B Humaniora Bd XXXVII 1 Tartu 1935 S 1 24 Entwicklung des Begriffs Hasid im Alten Testament In Acta et commendationes universitatis Tartuensis Reihe B Humaniora Bd XXXII 4 Tartu 1934 S 5 38 Das Wesen der maimonidischen Lehre In Acta et commendationes universitatis Tartuensis Reihe B Humaniora Bd XXXVII 2 Tartu 1935 S 1 24 Die Bildung des Begriffes Hasid In Acta et commendationes universitatis Tartuensis Reihe B Humaniora Bd XXXVII 2 Tartu 1935 6 S 7 104 Zur Grundlegung einer begriffsgeschichtlichen Methode in der Sprachwissenschaft In Acta et commendationes universitatis Tartuensis Bd XLI 1 Tartu 1937 S 1 234 Das Charisma des Gebets im Regen nach der Talmudischen Tradition Ein Beitrag zur Erfassung des religiosen Volkslebens in der Zeit Jesu In Acta et commendationes universitatis Tartuensis Reihe B Humaniora Bd XLVI 4 Tartu 1939 S 1 50 Das kulturhistorische Bild des Chassidismus In Acta et Commentationes Universitatis Tartuensis Reihe B Humaniora Bd XLIII 3 Tartu 1938 Die Grundgedanken des Chassidismus als Quelle seines Schicksals Ein Beitrag zum Problem Idee und Leben In Acta et Commentationes Universitatis Tartuensis Reihe B XLII 1 Tartu 1938 Die Bildung des Begriffes Hasid II In Acta et Commentationes Universitatis Tartuensis Reihe B Humaniora Bd XLVI 5 Tartu 1940 S 7 53 Der Chassidismus als kulturphilosophisches Problem In Acta et Commentationes Universitatis Tartuensis Reihe B Humaniora Bd XLVI 6 Tartu 1940 S 7 118 Schriften zur begriffsgeschichtlichen Methode 1934 1940 41 hrsg von Ernst Muller in Zusammenarbeit mit Annett Martini Vandenhoeck amp Ruprecht Gottingen 2022 ISBN 978 3 666 31149 9 Literatur Bearbeitenin der Reihenfolge des Erscheinens Gulkowitsch Lazar In Reichshandbuch der deutschen Gesellschaft Band 1 1930 S 611 Foto Siegfried Hoyer Lazar Gulkowitsch an den Universitaten in Leipzig und Dorpat Tartu In Ephraim Carlebach Stiftung Hrsg Judaica Lipsiensia Zur Geschichte der Juden in Leipzig Edition Leipzig Leipzig 1994 ISBN 3 361 00423 3 S 123 131 Gulkowitsch Lazar In Lexikon deutsch judischer Autoren Band 10 Gude Hein Hrsg vom Archiv Bibliographia Judaica Saur Munchen 2002 ISBN 3 598 22690 X S 33 35 Urmas Nommik Lazar Gulkowitsch und das Seminar fur judische Wissenschaft an der Universitat Tartu In Judaica Beitrage zum Verstehen des Judentums Jg 61 2005 S 351 372 Teil 1 und Jg 62 2006 S 1 42 Teil 2 Anu Poldsam Lazar Gulkowitschs Streben nach dem Ideal der Wissenschaft des Judentums geschichtlich betrachtet im Lichte seines Briefwechsels mit Franz Boas und Martin Buber In Judaica Beitrage zum Verstehen des Judentums Jg 66 2010 S 348 365 Weblinks BearbeitenLazar Gulkowitsch im Professorenkatalog der Universitat Leipzig Ernst Muller Die Sprache ist immer die letzte Zuflucht FAZ net 16 Juli 2017 abgerufen am 21 Juli 2017 Anmerkungen Bearbeiten Nach dem gultigen julianischen Kalender begann die Revolution in Weissrussland in der Nacht vom 2 zum 3 November 1917 Urmas Nommik Lazar Gulkowitsch und das Seminar fur judische Wissenschaft an der Universitat Tartu Teil 2 In Judaica Beitrage zum Verstehen des Judentums Jg 62 2006 S 1 42 hier S 19 Ernst Muller Latenz und Explikation Die Sprache ist immer die letzte Zuflucht Der Talmudforscher Lazar Gulkowitsch entwickelte die Methode einer Begriffsgeschichte mit der er die progressiven Vorurteile der Religionsgeschichte korrigierte In Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 12 Juli 2017 S N3 Urmas Nommik Lazar Gulkowitsch und das Seminar fur judische Wissenschaft an der Universitat Tartu Teil II In Judaica Band 62 2006 S 42 Normdaten Person GND 120909537 lobid OGND AKS LCCN n00033925 VIAF 856121 Wikipedia Personensuche PersonendatenNAME Gulkowitsch LazarKURZBESCHREIBUNG russisch deutscher JudaistGEBURTSDATUM 20 Dezember 1898GEBURTSORT Zirin Gouvernement Minsk Russisches ReichSTERBEDATUM Juli 1941STERBEORT Tartu Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Lazar Gulkowitsch amp 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