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Das Krankenhaus Notopfer war ein 1997 in der Bundesrepublik Deutschland eingefuhrter Sonderbeitrag in Hohe von 20 DM fur die bauliche Renovierung von Krankenhausern Die Zahlung sollte jahrlich bis 1999 ausschliesslich von Mitgliedern gesetzlicher Krankenkassen erfolgen Verschiedene Organisationen erhoben Verfassungsbeschwerde und riefen zum Boykott auf da Privatversicherte und Beamte aber auch alle Krankenkassenmitglieder in Bayern von der Zahlung ausgenommen waren 1998 wurde das Krankenhaus Notopfer ersatzlos ausgesetzt Inhaltsverzeichnis 1 Hintergrunde 2 Bestimmungen 3 Kritik 4 Abschaffung 5 Rechtmassigkeit 6 Siehe auch 7 Weblinks 8 EinzelnachweiseHintergrunde BearbeitenIm Zuge der Privatisierung des deutschen Gesundheitswesens zogen sich ab Mitte der 1990er Jahre die Bundeslander Stadte und Landkreise zunehmend aus der Krankenhausfinanzierung zuruck Grundlage fur diese Entwicklung war das zum 1 Januar 1993 in Kraft getretene Gesundheitsstrukturgesetz womit sich in Deutschland endgultig die Wende von einer uberwiegend staatswirtschaftlich organisierten Ordnungspolitik im Gesundheitswesen hin zu einer marktwirtschaftlich organisierten Ordnungspolitik vollziehen sollte 1 In der Folge ubergaben viele kommunale Trager ihre Krankenhauser vollstandig an private Betreiber 2 Bis dahin galt fur Klinikaufwendungen nahezu ausschliesslich das duale Finanzierungssystem Die Kommunen und Lander bestimmten wo Krankenhauser gebaut wurden und kamen dementsprechend auch fur die Neubau und Erneuerungskosten auf Dagegen beglichen die Krankenkassen alle Betriebskosten der Krankenhauser aus ihren regularen Beitragseinnahmen 3 Da die Profitentwicklung der privaten Klinikbetreiber nicht wie erhofft verlief kam bald die Forderung nach einer monistischen Finanzierung auf Bei diesem System sind die Krankenkassen die alleinigen Finanzierungstrager samtlicher Kosten der Krankenhauser 4 1 Grundsatzlich befurworteten die Krankenkassen das monistische Modell allerdings nur unter der Voraussetzungen dass sich der Staat weitgehend aus der Krankenhausverwaltung zuruckziehe und die Planungs sowie Vertragsgestaltung der Selbstverwaltung der Krankenkassen uberlassen wurde Diese Forderung wurde jedoch niemals erfullt Krankenhausversorgung ist in Deutschland unverandert als ein meritorisches Gut definiert in dem kapitalistische Marktgesetze zwar grundsatzlich moglich sind vom Staat aber nur eingeschrankt zugelassen werden um negative Folgen abzuwenden z B regionale Unterversorgung 1 Bestimmungen BearbeitenZur Finanzierung von Renovierungskosten der damals rund 2300 bundesweiten Krankenhauser verpflichtete das Kabinett Kohl die Krankenkassen mit dem am 1 Juli 1997 in Kraft getretenen 2 GKV Neuordnungsgesetz GKVNOG 2 Art 17 2 eine Instandhaltungspauschale zu zahlen Zur Gegenfinanzierung wurde das sogenannte Krankenhaus Notopfer ein Sonderbeitrag fur alle gesetzlich versicherten Krankenkassenmitglieder in Hohe von 20 DM jahrlich befristet fur drei Jahre eingefuhrt 5 3 Nach dem Willen des Gesetzgebers sollte der Sonderbeitrag jahrlich rund 1 Milliarde DM fur die Instandhaltungsmassnahmen der Krankenhauser kompensieren 6 Die faktische Beitragserhohung von jahrlich 20 Mark zahlte das Mitglied der Krankenkasse allein ein Arbeitgeberanteil war nicht vorgesehen Damit wich die Erhebung dieses Sonderbeitrags von der in Deutschland bis dahin existierenden paritatischen Finanzierung der Sozialversicherung erstmals ab Bis Dezember 1997 forderten die gesetzlichen Krankenkassen bundesweit 44 der damals insgesamt 51 Millionen Kassenmitglieder ohne mitversicherte Personen auf zunachst fur das laufende Jahr den Sonderbeitrag an sie zu uberweisen 3 Privatversicherte und Beamte waren von der Erbringung des Notopfers ausgenommen Auch die Bewohner von Bayern mussten den Sonderbeitrag nicht zahlen weil Bayern als einziges Bundesland unverandert fur die Klinikreparaturen aufkam Ebenfalls ausgenommen waren Bundesburger die als Hartefall galten zum Beispiel Alleinstehende mit einem monatlichen Bruttoeinkommen bis zu 1708 Mark West beziehungsweise 1456 Mark Ost oder Versicherte die nach 61 des SGB V von Zuzahlungen befreit waren 7 Kritik BearbeitenGegen die Neuordnungsgesetze hatte der Bundesrat mit seiner damaligen SPD Mehrheit am 25 April 1997 sowie am 16 Mai 1997 Einspruch eingelegt der jedoch vom Bundestag mit den Stimmen der Union und FDP am 12 Juni 1997 zuruckgewiesen wurde 8 Dem folgten zahlreiche Klagen Proteste und Unterschriftensammlungen gegen die Erhebung des Notopfers seitens verschiedener Interessenvertreter Organisationen und Parteien Nachdem unter anderem der Arztekammerprasident Ellis Huber sich offentlich weigerte personlich das Klinik Notopfer zu zahlen riefen Bundnis 90 Die Grunen zum Boykott auf 9 Bei den Krankenkassen stiess die Finanzierungsregelung ebenfalls auf massive Kritik Sie brachten vor dass die Ubertragung der Finanzlast fur Instandhaltungsinvestitionen auf die gesetzlichen Krankenkassen den elementaren Prinzipien der Daseinsvorsorge widerspreche In verfassungsrechtlich zweifelhafter Weise wurden zentrale Aufgaben des Staates auf die Krankenkassen verlagert und den Versicherten ein zusatzliches Notopfer zugemutet Ferner kritisierten sogar Vertreter von Krankenhausern dass die Forderung unabhangig der Bausubstanz der Krankenhauser und der Notwendigkeit zur Durchfuhrung solcher Massnahmen nach dem Giesskannenprinzip erfolgte 6 Explizit wiesen die Krankenkassen bereits im Vorwege wiederholt auf den immensen Verwaltungsaufwand hin der ihrer Schatzung zufolge jeweils 20 Mark an Kosten nur fur das Einziehen der 20 Mark nach sich ziehe 10 Weil Privatversicherte Beamte und gesetzlich Versicherte in Bayern das Notopfer zur Renovierung von Krankenhausern nicht zahlen mussten kundigte unter anderem der Deutsche Gewerkschaftsbund DGB eine Verfassungsbeschwerde wegen Ungleichbehandlung an 11 Die Vertreter des DGB empfahlen den Mitgliedern gesetzlicher Krankenkassen zunachst die 20 Mark unter Vorbehalt der Rechtmassigkeit zu zahlen und sich gegen diesen Zwangsbeitrag zu wehren indem sie bei ihrer Krankenkasse Widerspruch einlegen sollten 12 Die Verbraucherzentralen vertraten dagegen die Ansicht dass die Krankenkassen die falschen Ansprechpartner seien und sich der Protest an die Adresse der Bundesregierung richten sollte So ware ein Widerspruch nicht das korrekte Rechtsmittel gewesen weil die Versicherten keinen Bescheid sondern nur eine Rechnung uber 20 Mark erhielten 12 Zudem gingen die Verbraucherschutzer nicht davon aus dass die Kassen grosse Energie in das Eintreiben fehlender Zahlungen stecken wurden da der Arbeitsaufwand in keinem Verhaltnis zu dem stand was hinterher dabei herauskommen sollte Im Ubrigen hatten die Kassen uberhaupt kein Interesse an diesem Einzugsweg gehabt dieser sei vielmehr rein politisch gewollt gewesen 13 Verschiedene Zeitungen und Nachrichtenmagazine gaben Tipps wie praktisch jeder Versicherte die Zwangsspende zur Instandsetzung der Kliniken umgehen konne 14 Tatsachlich mussten die Krankenkassen spateren Schatzungen zufolge allein fur Zahlungserinnerungen die Halfte des im Jahr 1997 eingenommenen Notopfer Geldes aufwenden 15 Am Ende des Mahnverfahrens sollte nach Vorgabe des Gesetzgebers sogar der Vollstreckungsbescheid stehen Auch in diesem Zusammenhang forderten Krankenkassenvertreter vehement die Abschaffung des Notopfers denn ein gerichtliches Einfordern der 20 Mark hatte 101 Mark gekostet 16 Abschaffung BearbeitenNach dem Regierungswechsel 1998 setzte das Kabinett Schroder das Krankenhaus Notopfer das fur das Jahr 1997 nur mit erheblichem Verwaltungsaufwand erhoben werden konnte und auf erhebliche Akzeptanzprobleme stiess fur die Jahre 1998 und 1999 aus In Einzelfallen bereits erfolgte Zahlungen der 20 Mark fur das Jahr 1998 wurden von den Krankenkassen zuruckerstattet 17 18 Fur das Jahr 1997 gezahlte Beitrage wurden jedoch nicht zuruckerstattet Das heisst die Krankenkassenmitglieder die 1997 das Krankenhaus Notopfer nicht gezahlt hatten sparten faktisch 20 Mark denn die Krankenkassen klagten den Ruckstand nicht ein Auch die neue rot grune Regierung sah keinen Bedarf den Boykotteuren gesetzlich beizukommen 19 Offiziell wurde verkundet dass eine Regelung uber die Ruckerstattung des gezahlten Krankenhaus Notopfers fur 1997 nicht moglich sei weil dadurch fur die Krankenkassen ein sehr hoher Verwaltungsaufwand mit hohen Folgekosten entstunde 17 Trotz der massiven Proteste gegen die Zahlung des Krankenhaus Notopfers hatte jeder zweite gesetzlich Krankenversicherte die 20 DM an seine Krankenkasse uberwiesen 20 Die damit jedoch nicht abgeschlossene Diskussion uber die Instandhaltungskosten und deren Finanzierung beurteilten Gesundheitswissenschaftler als ein weiteres Trauerspiel besonderer Art Ursprunglich plante die neue Bundesregierung die Instandhaltungskosten den Beitragszahlern der Krankenkassen nicht weiter aufzuburden Die Abschaffung der systemwidrigen Belastung der gesetzlichen Krankenversicherung scheiterte jedoch wiederum an den Interessen der Bundeslander und der privaten Klinikbetreiber Zum 1 Januar 1999 trat das Gesetz zur Starkung der Solidaritat in der gesetzlichen Krankenversicherung Solidaritatsstarkungsgesetz GKV SolG in Kraft Darin wurde zwar die Aussetzung des Krankenhaus Notopfers ruckwirkend ab 1998 fixiert hingegen die Krankenkassen erneut verpflichtet die Finanzierung von Investitionen und Instandhaltungen der Krankenhauser zu ubernehmen dies jedoch fortan uber die normalen Beitrage abzufangen 6 21 Rechtmassigkeit BearbeitenIm Rahmen eines sich anschliessenden Rechtsstreits uber die Verfassungskonformitat des von den Krankenkassen eingeforderten Sonderbeitrags wurde von Seiten des Bundessozialgerichts BSG das Krankenhaus Notopfer als rechtmassiger Verwaltungsakt bestatigt der weder gegen die finanzverfassungsrechtlichen Vorschriften des Grundgesetzes noch andere Vorschriften des Grundgesetzes verstossen habe 6 Das BSG entschied am 23 September 1999 dass der Sonderbeitrag ein Sozialversicherungsbeitrag und keine Sonderabgabe oder Steuer sei Eine nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung sahen die Richter unter anderem deshalb nicht weil die finanzielle Auswirkung der Regelung fur das einzelne Mitglied mit 20 DM absolut gesehen gering und tragbar gewesen sei 22 Das Bundesverfassungsgericht BverfG sah ebenfalls keine generelle Vernachlassigung oder krasse Verkennung von Grundrechten und nahm die Verfassungsbeschwerden uberhaupt erst gar nicht zur Entscheidung an 6 Auch nach Ansicht des Verfassungsgerichts wog die Belastung von 20 Mark nicht besonders schwer zudem habe fur Hartefalle eine Befreiungsmoglichkeit bestanden Daruber hinaus hielten die Richter des BverfG in ihrem Beschluss vom 27 Marz 2001 fest dass den Klagen auch deshalb keine grundsatzliche Bedeutung zukomme weil es sich um nicht mehr anzuwendendes Recht handele und eine Wiederholung des Notopfers nicht ersichtlich sei 15 Siehe auch BearbeitenReichsnotopfer Notopfer BerlinWeblinks BearbeitenArt 17 2 des GKVNOG 2 Krankenhaus Notopfer Juristische Datenbank buzer deEinzelnachweise Bearbeiten a b c Jochen Vaillant Struktur und Organisation des Krankenhausmanagements unter sich verandernden wirtschaftlichen und rechtlichen Rahmenbedingungen Diplomica Verlag 1998 S 12 15 Offentliche Krankenhauser Die Grenzen der Privatisierung Deutsches Arzteblatt 2009 106 19 A 924 6 abgerufen am 2 Oktober 2021 a b c Notopfer Zahlen oder nicht Millionen Versicherte sind verunsichert Die Welt vom 9 Dezember 1997 abgerufen am 2 Oktober 2021 A S Muller Baniswald Warum die politische Staatsreform zur Neugliederung von Noten ist LIT Verlag 2005 S 264 f Zweites Gesetz zur Neuordnung von Selbstverwaltung und Eigenverantwortung in der gesetzlichen Krankenversicherung buzer de abgerufen am 2 Oktober 2021 a b c d e Ariane Weber Die Veranderung der Finanzierungsweisen medizinischer Leistungen am Beispiel der Krankenhausfinanzierung seit dem Gesundheitsstrukturgesetz 1993 bis zum GKV Gesundheitsreformgesetz 2000 Cuvillier Verlag 2004 S 135 149 S 169 Notopfer fur Krankenhauser Schildburgerstreich Deutsche Apothekerzeitung vom 23 November 1997 abgerufen am 2 Oktober 2021 Deutschland Chronik 23 Juni 1997 Bundeszentrale fur politische Bildung abgerufen am 2 Oktober 2021 Boykott gegen Krankenhaus Notopfer Taz vom 11 November 1997 abgerufen am 2 Oktober 2021 Krankenhaus Notopfer Versicherte mussen bald zahlen Deutsche Apothekerzeitung vom 24 August 1997 abgerufen am 2 Oktober 2021 Krankenhaus Notopfer entspricht der Verfassung Der Spiegel vom 23 September 1999 abgerufen am 2 Oktober 2021 a b Widerspruchliche Empfehlungen zum Notopfer Taz vom 4 Dezember 1997 abgerufen am 2 Oktober 2021 Kassieren der Zusatzbeitrage bereitet Kassen Probleme Hamburger Abendblatt vom 28 Januar 2001 abgerufen am 2 Oktober 2021 Vorerst muss keiner zahlen Focus Nr 49 1997 abgerufen am 2 Oktober 2021 a b Bundesverfassungsgericht Krankenhausnotopfer bestatigt Der Tagesspiegel vom 27 Marz 2001 abgerufen am 2 Oktober 2021 Rot Grun will Krankenkassen Notopfer kippen Taz vom 10 Oktober 1998 abgerufen am 2 Oktober 2021 a b Entwurf eines Gesetzes zur Starkung der Solidaritat in der gesetzlichen Krankenversicherung GKV Solidaritatsstarkungsgesetz GKV SolG S 15 und S 21 Bundestagsdrucksache 14 2414 vom 9 November 1998 abgerufen am 3 Oktober 2021 Kassen erstatten die Beitrage zuruck Zollern Alb Kurier vom 6 Februar 1999 abgerufen am 3 Oktober 2021 Der Ehrliche zahlt doppelt Taz vom 25 November 1998 abgerufen am 3 Oktober 2021 Jeder zweite gesetzlich Versicherte zahlte Krankenhaus Notopfer Arzteblatt 1998 95 4 abgerufen am 3 Oktober 2021 OECD Hrsg OECD Wirtschaftsberichte Deutschland 1999 OECD Publishing 1999 S 87 Krankenhaus Notopfer Arbeit und Arbeitsrecht vom 4 Mai 2009 abgerufen am 2 Oktober 2021 Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Krankenhaus Notopfer amp oldid 227811842