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Ein Hartefall ist ein atypischer Sachverhalt der erheblich vom gesetzlich vorgesehenen Normalfall abweicht und deshalb Ausnahmeregelungen oder entscheidungen gerechtfertigt erscheinen lasst Bei dem Begriff Hartefall oder auch Harte handelt es sich um einen unbestimmten allgemein formulierten Rechtsbegriff der bei der Rechtsanwendung im Einzelfall prazisiert werden muss Die Rechtsanwendung unterliegt anders als Ermessensentscheidungen der uneingeschrankten richterlichen Uberprufung Inhaltsverzeichnis 1 Allgemeines 2 Typische Hartefallregelungen 2 1 Hartefallregelungen in Gesetzen 2 2 Hartefall Entscheidungen durch die Rechtsprechung 3 Besonderer Hartefall 4 Folgerungen 5 Weblinks 6 EinzelnachweiseAllgemeines BearbeitenDer Gesetzgeber kann kraft seines verfassungsrechtlichen Gestaltungsauftrags grundsatzlich frei entscheiden an welche tatsachlichen Verhaltnisse er bestimmte Rechtsfolgen anknupft und wie er Personengruppen definiert denen er bestimmte Vergunstigungen zukommen lassen will Dabei ist er insbesondere bei Massenerscheinungen befugt zu generalisieren typisieren und pauschalieren selbst dann wenn die damit verbundenen Harten lediglich eine verhaltnismassig kleine Zahl von Personen betreffen und diese nicht sehr intensiv belasten 1 Ein Verstoss gegen den Gleichheitsgrundsatz liegt dann erst vor wenn eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu einer anderen Gruppe abweichend behandelt wird obwohl zwischen beiden Gruppen objektiv keine Unterschiede bestehen die eine ungleiche Behandlung rechtfertigen konnen 2 Mit Hartefallregelungen soll ein bestimmter Personenkreis begunstigt werden Sie stellen eine gesetzliche Auspragung des verfassungsrechtlichen Grundsatzes der Verhaltnismassigkeit dar 3 Hartefallregelungen sollen gewahrleisten dass auch in Ausnahmefallen die wegen ihrer atypischen Ausgestaltung nicht im Einzelnen vorhersehbar sind und sich deshalb nicht mit den abstrakten Merkmalen der Gesetzessprache erfassen lassen ein Ergebnis erzielt wird das dem Normergebnis in seiner grundsatzlichen Zielrichtung gleichwertig ist 4 Typische Hartefallregelungen BearbeitenInsbesondere Leistungsgesetze etwa das Sozialgesetzbuch SGB Bundessozialhilfegesetz BSHG sozialorientierte Bestimmungen etwa das Mietrecht des BGB BAfoG oder personenschutzende Normen Hartefallkommission im Auslanderrecht beschreiben Norm oder Regeltatbestande die uberwiegend zur Anwendung kommen Entweder sehen sie von vorneherein hiervon abweichende Ausnahmesituationen vor oder diese werden durch die Rechtsprechung geschaffen Diese Ausnahmesituationen werden dann als Hartefallregelung bezeichnet Hartefallregelungen in Gesetzen Bearbeiten Aus der Vielzahl gesetzlicher Regelungen werden vier herausgegriffen um an ihrem Beispiel die Hartefallregelungen zu demonstrieren Im Bereich der in 1 d der Verordnung zu 40 SGB XII Regelsatzverordnung genannten Tatbestande konnen atypische Gegebenheiten vorliegen die von der typisierenden Sichtweise der Regelsatzberechnung stark abweichen Dann kann ein Hartefall angenommen werden So wird nach 28 SGB XII der gesamte Bedarf des notwendigen Lebensunterhalts ausserhalb von Einrichtungen mit Ausnahme von Leistungen fur Unterkunft und Heizung und der Sonderbedarfe nach den 30 bis 34 nach Regelsatzen erbracht Der Gesetzgeber hat jedoch erkannt dass diese Normregelung im Einzelfall zu unangemessenen Ergebnissen fuhren kann Deshalb hat der Gesetzgeber in Satz 2 dieser Bestimmung vorgesehen dass die Bedarfe abweichend festgelegt werden konnen wenn im Einzelfall ein Bedarf unabweisbar seiner Hohe nach erheblich von einem durchschnittlichen Bedarf abweicht Selbst nach wirksamer Kundigung des Mietverhaltnisses durch den Vermieter kann der Mieter eine Fortsetzung des Mietverhaltnisses verlangen Das Mietrecht gewahrt ihm durch die so genannte Harte oder Sozialklausel des 574 BGB ausdrucklich einen solchen Rechtsanspruch Es mussen aber aussergewohnliche Grunde vorliegen Der Vermieter muss das Mietverhaltnis dann in aller Regel nur fur eine angemessene Zeit und nicht auf unbestimmte Zeit fortsetzen Fur die dem Mieter zu gewahrende Frist sind im Einzelfall die konkreten personlichen Umstande des Mieters zu berucksichtigen Der Mieter kann nach einer gerechtfertigten Kundigung eine weitere Fortsetzung des Mietverhaltnisses fur einen ausreichenden Zeitraum verlangen wenn es ihm beispielsweise nicht gelingt zumutbaren Ersatzwohnraum zu besorgen 574 Abs 2 BGB Nicht zumutbar ist eine neue Wohnung allerdings noch nicht wenn sie teurer ist nicht im gleichen Wohnviertel liegt oder nicht so gross ist wie die bisherige Zu den verschiedenen Hartegrunden im Sinne von 574 Abs 1 BGB gehort etwa eine Fortsetzung des Mietverhaltnisses aus uberwiegenden Hartegrunden nach der Eigenbedarfskundigung des Vermieters wenn die optimale Versorgung und Pflege von Angehorigen des Mieters nur vom Standort der Mietwohnung aus zu handhaben ist 5 Nach 6 Abs 1 Satz 1 Nr 1 RGebStV werden von der Rundfunkgebuhrenpflicht u a Empfanger von Sozialhilfe befreit die Voraussetzungen fur die Befreiung sind durch Vorlage des entsprechenden Bescheides nachzuweisen 6 Abs 2 RGebStV Die bisher mit dieser Problematik befasste Rechtsprechung hat hierzu die Auffassung vertreten dass von der Hartefallregelung des 6 Abs 3 RGebStV nur solche Tatbestande erfasst werden konnen die vom Gesetzgeber versehentlich unberucksichtigt geblieben sind 6 Hatte der Gesetzgeber sie in ihren Auswirkungen und ihrer Vergleichbarkeit mit den dort geregelten Fallen gekannt hatte er sie in Absatz 1 in gleicher Weise geregelt Es ist daher mit dem Gesetzeszweck nicht zu vereinbaren wenn die Befreiungsregelungen durch eine extensive Anwendung der Hartefallregelung umgangen wurden Insbesondere kann allein ein geringes Einkommen nicht dazu fuhren dass uber die Hartefallregelung die abgeschaffte Moglichkeit einer Befreiung wegen geringen Einkommens wieder eingefuhrt wurde 6 Versicherte werden beim Zahnersatz von den Eigenanteilen weitgehend befreit wenn sie unzumutbar belastet werden Eine unzumutbare Belastung liegt vor wenn ihre monatlichen Bruttoeinnahmen 2013 die Grenze von 1 078 Euro mit einem Angehorigen 1 482 25 Euro mit zwei Angehorigen 1 751 75 Euro und mit drei Angehorigen 2 021 25 Euro nicht ubersteigen Versicherte die unter die Hartefallregelung fallen erhalten demnach den doppelten Festzuschuss fur die Zahnersatz Regelversorgung auch wenn sie das Bonusheft nicht luckenlos gefuhrt haben 55 Abs 2 SGB V Im Falle einer Regelversorgung entfallt in diesen Fallen ein Eigenanteil des Versicherten Die Zahnersatzkosten werden in voller Hohe durch die Krankenkasse ubernommen Die Hartefallgrenze ist nicht starr sondern sieht eine Gleitklausel vor Die Krankenkasse erstattet dem Versicherten den Betrag um den die einfachen Festzuschusse ohne Bonus das Dreifache der Differenz zwischen den monatlichen Bruttoeinnahmen zum Lebensunterhalt und der zur Gewahrung des doppelten Festzuschusses massgebenden Einnahmegrenze Hartefallgrenze ubersteigen Diese zusatzliche Beteiligung an den Kosten umfasst hochstens einen Betrag in Hohe der doppelten Festzuschusse und nicht mehr als die tatsachlich entstandenen Kosten 55 Abs 3 SGB V Der verbleibende Restbetrag ist durch den Versicherten zu tragen Hartefall Entscheidungen durch die Rechtsprechung Bearbeiten Insbesondere das Bundesverwaltungsgericht BVerwG als oberste Instanz fur offentlich rechtliche Streitigkeiten und das Bundessozialgericht BSG als oberste Instanz der Sozialgerichtsbarkeit haben in der Vergangenheit in zahlreichen Urteilen Stellung zu Hartefallfragen genommen Die Verwaltungs und Sozialgerichte haben bezuglich der Hartefalltatbestande eine umfangreiche Rechtsprechungstradition entwickelt In standiger Rechtsprechung subsumiert das BVerwG unter den Begriff Hartefall einen atypischen Sachverhalt der sich aus dem Regelungsinhalt der betreffenden Vorschrift in Verbindung mit den Besonderheiten des Einzelfalls ergeben muss 7 Dabei muss eine objektive Harte feststellbar sein Diese liegt aber nicht schon dann vor wenn eine Entscheidung von dem betroffenen Burger subjektiv als zu hart empfunden wird Ferner geht das BVerwG davon aus dass eine Harte im Sinne von 26 Abs 1 Satz 2 BSHG a F nur vorliege wenn die Folgen des Anspruchsausschlusses uber das Mass hinausgingen das regelmassig mit der Versagung von Hilfe zum Lebensunterhalt fur eine Ausbildung verbunden ist und vom Gesetzgeber bewusst in Kauf genommen wurde 8 Auch das BSG rekurriert auf atypische Sachverhalte die von der Normregelung abweichen Eine Harte kann nur angenommen werden wenn Atypizitat vorliegt das heisst es muss ein aussergewohnlicher Sachverhalt vorliegen der vom Gesetzgeber nicht in die enumerative Aufzahlung des 90 Abs 2 SGB XII aufgenommen werden konnte 9 Besonderer Hartefall BearbeitenDer Begriff Hartefall wird durch die Rechtsprechung noch durch den Zusatz besonderer oder unbilliger Harte gesteigert Hier ist zusatzlich zu prufen ob durch die Anwendung einer Vorschrift die betroffene Person in ihrer spezifischen Situation besonders hart getroffen wurde Ein besonderer Hartefall liegt demnach vor wenn die Regelvorschrift jemand ubermassig hart und unzumutbar oder in hohem Masse unbillig trifft Ein besonderer Hartefall liegt nach standiger Rechtsprechung nur dann vor wenn aussergewohnliche schwerwiegende atypische und moglichst nicht selbstverschuldete Umstande vorliegen oder diese eine sonstige Notlage hervorrufen wurden 10 Daneben wird noch die schwere Harte unterschieden die eine weitere Steigerung der unbilligen Harte ist siehe 1568a BGB Folgerungen BearbeitenSehen die Gesetze ausdrucklich Hartefallregelungen vor und zahlen einzelne Tatbestande sogar auf darf die Hartefallregelung nicht zu einer Umgehung oder Erweiterung der Systematik der Befreiungstatbestande fuhren Dies verbietet die Auslegung von Gesetzen weil der Gesetzgeber durch eine enumerative Aufzahlung zu erkennen gegeben hat dass er eine Ausdehnung des Anwendungsbereichs auf ahnliche nicht genannte Falle nicht zulasst enumeratio ergo limitatio siehe Gesetzeslucke Hat der Gesetzgeber lediglich eine Norm vorgegeben ist die Rechtsprechung gefordert diese auf der Grundlage der Rechtsprechung in restriktiver Weise durch analoge Hartefallentscheidungen zu konkretisieren Insbesondere Gesetze mit Massenwirkung sind auf generalisierende und pauschalierende Regelungen angewiesen Im Interesse der Praktikabilitat und Verwaltungsvereinfachung werden dann pauschalierende Regelungen geschaffen die naturgemass nicht in jedem Fall Einzelfallgerechtigkeit herstellen sondern lediglich Typengerechtigkeit erreichen sollen 6 Mit der Hartefallregelung sollen individuelle Nachteile oder Schwachen die durch die Anwendung der Normtatbestande entstehen oder verscharft wurden ausgeglichen werden Die Zulassung von Hartefallregelungen ermoglicht dadurch einerseits die Berucksichtigung individueller Besonderheiten erhoht jedoch andererseits den Verwaltungsaufwand und fordert eine kasuistische Rechtsprechung Diese Belastungen sind jedoch aus dem verfassungsrechtlichen Gleichheits und Sozialstaatsprinzip geboten Weblinks BearbeitenHartefall Richtlinien HRi der Spitzenverbande PDF 119 kB Hartefallregelungen in der gesetzlichen Krankenversicherung im Arbeitsministerium Bayern Anne Rothel Normkonkretisierung im Privatrecht 2004 ISBN 3161483782 Vorschau in der Google Buchsuche Einzelnachweise Bearbeiten BVerfG Beschluss vom 4 April 2001 Az 2 BvL 7 98 318 DDR Dienstzeiten BVerfG Urteil vom 24 August 2005 Az 1 BvR 309 03 Volltext BVerfG Urteil vom 31 Marz 2006 Az 1 BvR 1750 01 Volltext BVerwG Urteil vom 25 Juli 2001 Az 6 C 8 00 43 BVerwG Urteil vom 22 Mai 1992 Az 8 C 50 90 206 AG Lubeck Urteil vom 26 September 2002 Az 27 C 1621 02 Kurzfassung a b c BVerwG Urteil vom 18 Juni 2008 Az 6 B 1 08 Volltext vgl BVerwG Urteil vom 25 Juli 2001 Az 6 C 8 00 BVerwG Urteil vom 14 Oktober 1993 Az 5 C 16 91 BSG Urteil vom 18 Marz 2008 Az B8 9b SO 9 06 R Volltext BSG Urteil vom 6 September 2007 Az B 14 7b AS 28 06 R Volltext Normdaten Sachbegriff GND 4332349 2 lobid OGND AKS Bitte den Hinweis zu Rechtsthemen beachten Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Hartefall amp oldid 214323517