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Die judische Gemeinde Ingelheim im heutigen rheinland pfalzischen Landkreis Mainz Bingen umfasste die judischen Einwohner der drei Gemeinden Ober Ingelheim Nieder Ingelheim sowie Frei Weinheim die 1939 zur Stadt Ingelheim am Rhein zusammengeschlossen wurden Sie bestand vom 18 Jahrhundert bis in die 1930er Jahre und gehorte zum Rabbinat Bingen Inhaltsverzeichnis 1 Geschichte 1 1 14 bis 18 Jahrhundert 1 2 19 und 20 Jahrhundert 1 3 Entwicklung der Einwohnerzahl 2 Einrichtungen 2 1 Synagoge 2 2 Mikwe 2 3 Schule 2 4 Friedhofe 2 4 1 Judinacker zu Ober Ingelheim 2 4 2 Todtenhof im Saal 2 4 3 Gewann Sohl 2 4 4 Neuer Friedhof Rotweinstrasse 2 5 Vereine 3 Opfer des Holocaust 4 Erinnerungsarbeit 5 Literatur 6 Weblinks 7 EinzelnachweiseGeschichte BearbeitenDie Geschichte der Juden in Ingelheim erstreckt sich uber einen Zeitraum von fast 600 Jahren vom 14 Jahrhundert bis in die 1930er Jahre Anhand der Quellen kann davon ausgegangen werden dass vom 16 Jahrhundert bis zu Deportation der letzten judischen Einwohner 1942 durchgehend Juden in Ingelheim siedelten wobei sich zu Beginn des 19 Jahrhunderts eine judische Gemeinde bildete Als Kammerknechte des Kaisers und spater als Schutzjuden des jeweiligen Landesfursten mussten die judischen Einwohner fur die ihnen erteilten Privilegien hohe Abgaben an diese zahlen Zur judischen Gemeinde die zum Rabbinat Bingen gehorte zahlten mehrheitlich die judischen Einwohner aus Ober Ingelheim daneben auch aus Nieder Ingelheim sowie Frei Weinheim In Frei Weinheim sind nur fur wenige Zeitraume im 16 und 17 Jahrhundert judische Einwohner nachgewiesen 1 2 3 4 14 bis 18 Jahrhundert Bearbeiten Bereits im 14 Jahrhundert siedelten Juden auf dem Gebiet von Ingelheim Im Jahr 1364 wird in Ober Ingelheim eine Judengasse genannt Ingelheim gehorte zu den wenigen Gemeinden in der Kurpfalz in denen nach der Vertreibung der Juden durch Kurfurst Ruprecht II auch genannt Ruprecht der Harte noch Juden lebten 5 Die nachste namentlicher Erwahnung findet sich in Urkunden aus den Jahren 1424 und 1430 als Kurfurst Ludwig II einigen judischen Familien die Erlaubnis erteilte sich in Nieder Ingelheim niederzulassen 6 Ihren Lebensunterhalt bestritten die judischen Einwohner zuerst im Kreditgeschaft als Geld und Pfandverleiher das Christen zu jener Zeit verboten war Daraus erwuchs dann auch ein Handel mit anderen Waren in deren Besitz diese kamen wenn Schuldner die Zinsen nicht bedienen oder Kredite nicht zuruckzahlen konnten Zwischen dem 15 und dem 17 Jahrhundert wurden Juden aus Mainz mehrmals vertrieben diese liessen sich zumeist in den Ortschaften im Umland von Mainz nieder So zum Beispiel 1662 und 1671 als Kurfurst Johann Philipp von Schonborn die judischen Einwohner auf Druck der Zunfte aus Mainz auswies es ihnen aber zugleich freistellte sich uberall im Erzstift niederzulassen Im 17 und 18 Jahrhundert hingegen geben die Quellen nur wenig Auskunft uber judisches Leben in Ingelheim Das durfte daran liegen dass im 17 und 18 Jahrhundert Ingelheim wie das gesamte Rheinland fast durchgangig von verschiedenen Kriegen betroffen war Julich Klevischer Erbfolgestreit Dreissigjahriger Krieg Pfalzischer Erbfolgekrieg und Spanischer Erbfolgekrieg Nachweise fur in Ingelheim ansassige Juden stammen fur diesen Zeitraum uberwiegend aus Listen in denen die Abgaben der Schutzjuden festgehalten wurden Mitte des 18 Jahrhunderts lebten auf dem Gebiet von Ingelheim 45 Juden 19 und 20 Jahrhundert Bearbeiten Vermutlich zu Beginn des 19 Jahrhunderts bildete sich eine judische Gemeinde die uber einen eignen Betsaal verfugte Dieser befand sich wohl im Wohnhaus in der Stiegelgasse 25 in dessen Hinterhof spater die Synagoge errichtet wurde Im 19 Jahrhundert stieg die judische Bevolkerungszahl stark an und erreichte im Jahr 1850 ihren hochsten Stand Ab diesem Zeitpunkt kam es wie in vielen Landgemeinden in Deutschland zu Auswanderungen in die USA nach Sudamerika Palastina und Sudafrika und in andere europaische Landern 7 sowie zur Abwanderung in Folge der zunehmenden Industrialisierung in die Stadte Mit der Aufhebung der Verordnungen von Napoleon Bonaparte sowie weiterer franzosischer Gesetze im Jahr 1847 verbesserte sich die wirtschaftliche Situation der judischen Einwohner Sie waren bis 1933 weitgehend in das kulturelle soziale politische und offentliche Leben in Ingelheim integriert Sie begleiteten neben Ehrenamtern in nichtjudischen Vereinen auch offizielle Amter wie die Beispiele von Ferdinand Meyer und Siegmund Oppenheimer belegen Ferdinand Meyer von Beruf Bankdirektor war 20 Jahre Mitglied des Gemeinderates Daneben begleitete er das Amt des Branddirektors von Ober Ingelheim und wurde 1891 zum Grossherzoglichen Kreis Feuerwehr Inspektor berufen 8 Siegmund Oppenheimer war 40 Jahre lang Mitglied und Schriftfuhrer des Mannergesangsverein GERMANIA Noch im Januar 1933 erhielt er die silberne Ehrennadel fur seine 40 jahrige Mitgliedschaft und wurde als Schriftfuhrer bestatigt Als solcher musste er dann im Juni 1933 seinen eigenen Ausschluss aus dem Verein aufgrund seiner judischen Abstammung protokollieren 4 Obwohl die Juden in Ingelheim niemals ghettoisiert waren wurden sie ab 1933 nach der Machtergreifung Adolf Hitlers immer mehr entrechtet Nach mehreren judenfeindlichen Aktionen verringerte sich die Zahl der Ingelheimer Juden zwischen 1933 und 1938 von 115 auf 76 Bei den Novemberpogromen 1938 wurden neben der Synagoge auch Hauser und Geschafte der judischen Einwohner verwustet es kam zu Misshandlungen und ein Teil der mannlichen judischen Gemeindemitglieder wurde vorubergehend im KZ Buchenwald interniert Angefuhrt wurde der Mob dem sich auch zahlreiche Einwohner Ingelheims anschlossen von osterreichischen Mitgliedern der SA die zu diesem Zeitpunkt in Wackernheim stationiert waren 9 Danach verliessen fast alle judischen Einwohner Ingelheim die letzten verbliebenen 17 wurden 1942 deportiert Entwicklung der Einwohnerzahl Bearbeiten Jahr Ober Ingelheim Nieder Ingelheim Gesamt1758 39 6 451804 56 8 641810 150 keine Angaben1824 128 21 1491835 141 23 1641850 1851 200 25 2251861 137 42 1791871 169 keine Angaben1900 94 48 1421910 110 42 1521925 74 56 1301933 59 56 1151936 37 51 31 821938 761939 301942 17Je nach Quelle unterscheiden sich die Angaben zur Einwohnerzahl in den verschiedenen Jahren Quelle 1758 bis 1871 Die Judische Bevolkerungsentwicklung in Ingelheim 1364 1950 10 Quelle 1900 bis 1942 Freudige Gefolgschaft und bedingungslose Einordnung 11 Einrichtungen BearbeitenSynagoge Bearbeiten Hauptartikel Synagoge Ingelheim Die Synagoge wurde zwischen 1840 und 1841 im Hinterhof eines Wohnhauses in der Stiegelgasse 25 errichtet Bei den Novemberpogromen 1938 wurde die Synagoge vollstandig zerstort Die Ruine wurde verkauft und spater ein Wohnhaus auf dem Grundstuck errichtet Heute erinnert eine Gedenkstele auf dem Grundstuck Synagogenplatz an die Synagoge und die judische Gemeinde Mikwe Bearbeiten Die Gemeinde verfugte uber eine eigene Mikwe Schule Bearbeiten Die judische Gemeinde verfugte uber eine Religionsschule deren Lehrer zeitgleich auch das Amt des Vorbeters und Schochet innehatte Zwischen 1868 und 1875 unterhielt die Gemeinde eine eigene judische Konfessionsschule Elementarschule deren Lehrer Josef Klingenstein nach deren Auflosung an der Gemeindeschule unterrichtete 12 13 Friedhofe Bearbeiten Die judische Gemeinde nutzte in der 600 jahrigen Geschichte ihres Bestehens vier unterschiedliche Friedhofe zur Beisetzung ihrer Verstorbenen Eine genaue Datierung der Belegungszeiten ist nicht immer moglich da wahrend der NS Zeit die Friedhofe geschandet und die Grabsteine teilweise zwischen den Friedhofen verlegt wurden 14 Judinacker zu Ober Ingelheim Bearbeiten Nachweislich in der Zeit zwischen 1385 und 1411 wurde ein heute nicht mehr erhaltener Friedhof bei Ober Ingelheim genutzt Ob dieser auch vor oder nach dieser Zeit belegt wurde ist nicht bekannt Ebenso unbekannt ist seine genaue Lage Er soll sich auf der Gemarkung Ober Hollern befunden haben Todtenhof im Saal Bearbeiten Dieser judische Friedhof lag in Ober Ingelheim in der Strasse Im Saal an der westlichen Mauer der Kaiserpfalz Eine Belegung erfolgte vermutlich vom letzten Drittel des 17 Jahrhunderts bis in die erste Halfte des 19 Jahrhunderts Gewann Sohl Bearbeiten Der Friedhof lag auf dem Gewann Sohl an der heutigen Hugo Loersch Strasse in Ober Ingelheim Eine Belegung fand von ca 1836 bis 1938 statt Neuer Friedhof Rotweinstrasse Bearbeiten 1925 wurde in Ober Ingelheim in unmittelbarer Nahe des kommunalen Friedhof in der Rotweinstrasse ein neuer judischer Friedhof angelegt Dieser wurde ab diesem Zeitpunkt uberwiegend fur die Bestattungen genutzt Die letzte Beisetzung fand dort im Jahr 1941 statt Vereine Bearbeiten Die Mitglieder der judischen Gemeinde waren in verschiedenen judischen Vereinen engagiert Diese waren im einzelnen 1 4 Der Israelitische Mannerverein Der Israelitische Frauenverein Der Israelitische Jugendbund Der Israelitische Wohltatigkeitsverein Die Ortsgruppe des Central Verein deutscher Staatsburger judischen Glaubens Die Ortsgruppe des Reichsbund judischer FrontsoldatenOpfer des Holocaust BearbeitenDas Gedenkbuch Opfer der Verfolgung der Juden unter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft 1933 1945 und die Zentrale Datenbank der Namen der Holocaustopfer von Yad Vashem fuhren 65 Mitglieder der judischen Gemeinschaft Ingelheim die dort geboren wurden oder zeitweise lebten auf die wahrend der Zeit des Nationalsozialismus ermordet wurden 15 16 Erinnerungsarbeit BearbeitenZwischen 2006 und 2020 wurden durch den Kunstler Gunter Demnig insgesamt 44 Stolpersteine und eine Stolperschwelle in Ingelheim vor Wohnhausern deren judische Einwohner wahrend der Zeit des Nationalsozialismus deportiert ermordet oder vertrieben worden waren verlegt Durch die politische Gemeinde wurde 1972 eine Gedenktafel am Standort der ehemaligen Synagoge angebracht 1992 entwarfen Schuler des Sebastian Munster Gymnasiums eine Gedenkstele die in Zusammenarbeit mit dem Deutsch Israelischen Freundeskreis und einer ortlichen Baufirma erstellt und 1992 am Standort der ehemaligen Synagoge dem heutigen Synagogenplatz aufgestellt und eingeweiht wurde In die aus Beton bestehende Stele sind im oberen Bereich zwei Davidsterne eingelassen Im Sockel befindet sich ein Stein vom Berg Sinai Vor der Stele waren zwei Bronzeplatten eingelassen Die eine Platte trug die Namen der Opfer des Nationalsozialismus und die zweite Platte erinnerte an die ehemalige Synagoge Im Zuge der Umgestaltungen des Platzes im Jahr 2008 wurden die zwei Tafeln durch eine neue Informationstafel die an einer Wand angebracht ist ersetzt 8 17 Literatur BearbeitenStefan Fischbach Ingrid Westerhoff und dies ist die Pforte des Himmels Synagogen Rheinland Pfalz und Saarland Herausgegeben vom Landesamt fur Denkmalpflege Rheinland Pfalz Staatliches Konservatoramt des Saarlandes Synagogue Memorial Jerusalem Gedenkbuch der Synagogen in Deutschland 2 Verlag Philipp von Zabern Mainz 2005 ISBN 3 8053 3313 7 Hans Georg Meyer Gerd Mentgen Sie sind mitten unter uns Zur Geschichte der Juden in Ingelheim Deutsch Israelischer Freundeskreis Ingelheim 1998 ISBN 978 3 924124 29 8 Franz Josef Ziwes Studien zur Geschichte der Juden im mittleren Rheingebiet wahrend des hohen und spaten Mittelalters In Helmut Castritius Hrsg Alfred Haverkamp Hrsg Franz Irsigler Hrsg Stefi Jersch Wenzel Hrsg Forschungen zur Geschichte der Juden Forschungen zur Geschichte der Juden Band 1 Verlag Hahnsche Buchhandlung Hannover 1995 ISBN 978 3 7752 5612 4 Weblinks BearbeitenDeutsch Israelischer Freundeskreis Ingelheim e V Historischer Verein Ingelheim e V Einzelnachweise Bearbeiten a b Ingelheim Landkreis Mainz Bingen alemannia judaica de abgerufen am 31 Juli 2021 Ingelheim Rhein Rheinland Pfalz judische gemeinden de abgerufen am 31 Juli 2021 Stefan Fischbach Ingrid Westerhoff und dies ist die Pforte des Himmels Synagogen Rheinland Pfalz und Saarland Herausgegeben vom Landesamt fur Denkmalpflege Rheinland Pfalz Staatliches Konservatoramt des Saarlandes Synagogue Memorial Jerusalem Gedenkbuch der Synagogen in Deutschland 2 Verlag Philipp von Zabern Mainz 2005 ISBN 3 8053 3313 7 S 194 f a b c Hartmut Geissler Die Geschichte der Ingelheimer Juden bis 1933 ein Uberblick In Ingelheimer Themen Historischer Verein Ingelheim e V abgerufen am 31 Juli 2021 Franz Josef Ziwes Studien zur Geschichte der Juden im mittleren Rheingebiet wahrend des hohen und spaten Mittelalters In Helmut Castritius Hrsg Alfred Haverkamp Hrsg Franz Irsigler Hrsg Stefi Jersch Wenzel Hrsg Forschungen zur Geschichte der Juden Forschungen zur Geschichte der Juden Band 1 Verlag Hahnsche Buchhandlung Hannover 1995 ISBN 978 3 7752 5612 4 S 55 online Leopold Lowenstein Geschichte der Juden in der Kurpfalz In Beitrage zur Geschichte der Juden in Deutschland Beitrage zur Geschichte der Juden in Deutschland Band 1 Kaufmann Frankfurt am Main 1895 S 22 Digitalisat http vorlage digitalisat test 1 3Dhttps 3A 2F 2Fdigi ub uni heidelberg de 2Fdiglit 2Floewenstein1895bd1 GB 3D IA 3D MDZ 3D 0A SZ 3D doppelseitig 3D LT 3D PUR 3D Nicole Nieraad Schalke Auswanderung judischer Ingelheimer im 19 und 20 Jahrhundert In Ingelheimer Themen Historischer Verein Ingelheim e V abgerufen am 31 Juli 2021 a b Judische Spuren in Ober Ingelheim Deutsch Israelischer Freundeskreis Ingelheim e V abgerufen am 31 Juli 2021 Novemberpogrom 1938 Deutsch Israelischer Freundeskreis Ingelheim e V abgerufen am 31 Juli 2021 Hans Georg Meyer Die Judische Bevolkerungsentwicklung in Ingelheim 1364 1950 In Sachor Beitrage zur Judischen Geschichte in Rheinland Pfalz Sachor Beitrage zur Judischen Geschichte in Rheinland Pfalz Ausgabe 2 1992 Heft 3 Verlag 1992 S 37 44 Hans Georg Meyer Hrsg Caroline Klausing Hrsg Freudige Gefolgschaft und bedingungslose Einordnung Der Nationalsozialismus in Ingelheim Leinpfad Verlag Ingelheim 2011 ISBN 978 3 942291 32 3 S 422 Hartmut Geissler Judische Lehrer in Ober Ingelheim In Ingelheimer Epochen Historischer Verein Ingelheim e V abgerufen am 31 Juli 2021 Hartmut Geissler Der Schulbesuch judischer Kinder In Ingelheimer Epochen Historischer Verein Ingelheim e V abgerufen am 31 Juli 2021 Ingelheim am Rhein Kreis Mainz Bingen Rheinland Pfalz Die judischen Friedhofe alemannia judaica de abgerufen am 31 Juli 2021 Gedenkbuch Opfer der Verfolgung der Juden unter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft in Deutschland 1933 1945 Bundesarchiv abgerufen am 31 Juli 2021 Zentrale Datenbank der Namen der Holocaustopfer Yad Vashem Internationale Holocaust Gedenkstatte abgerufen am 31 Juli 2021 Hartmut Geissler Synagogenplatz mit Gedenkstele In Ingelheimer Themen Historischer Verein Ingelheim e V abgerufen am 31 Juli 2021 Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Judische Gemeinde Ingelheim amp oldid 227606361