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Die Frage nach Hitlers Wahlern gehort zu den Kernfragen der historischen Forschung um die Ursachen und den Charakter des NS Regimes zu erklaren Zwischen 1930 und 1933 wahlten zunachst 6 4 Millionen 1930 schliesslich 17 3 Millionen 1933 Wahler in den vier Reichstagswahlen Hitler und die NSDAP Die Zeitgenossen und spater die historische Forschung haben gefragt wer diese Wahler waren Dies betrifft die sozialen Schichten und Berufe die Geschlechter und Konfessionen das Lebensalter die deutschen Regionen aber auch die vorherigen Wahlpraferenzen bis zu den Nichtwahlern und individuellen Motive fur die Wahl Die historischen Ergebnisse hatten auch eine Relevanz in politischen Debatten nach 1945 wenn es um die Widerstandsfahigkeit sozialer Milieus Arbeiterbewegung Kirchen Eliten gegen den Nationalsozialismus ging Inhaltsverzeichnis 1 Forschungsgeschichte 2 Ergebnisse 2 1 Reichstagswahlen 2 2 Die Wahlergebnisse der NSDAP bei den Reichstagswahlen 1930 bis 1933 3 Literatur 4 BelegeForschungsgeschichte BearbeitenDie Zeitgenossen Werner Stephan Carlo Mierendorff und Theodor Geiger mit der Analyse Panik im Mittelstand von 1930 vertraten in den ersten Wahlanalysen die Mittelstandsthese es seien also vor allem Kleinburger gewesen der alte Selbststandige und der neue Mittelstand Angestellte Diesen Ansatz griffen amerikanische Soziologen und Politologen auf In einer okonomischen Krisensituation habe der Mittelstand einen Extremismus der Mitte Lipset 1960 ausgebildet Der typische Wahler sei ein protestantischer Angehoriger der selbstandigen Mittelschicht der entweder auf einem Bauernhof oder in einer kleinen Gemeinde lebt und fruher fur eine Partei der Mitte oder eine Regionalpartei gestimmt hat Daneben stand die massentheoretische Erklarung von Reinhard Bendix nach der die Schichtzugehorigkeit eine geringe dagegen die okonomisch bedingte Entwurzelung von sozialen Bindungen eine grosse Rolle gespielt habe Der NS Wahler stand als vereinzelter Massenmensch der Propaganda gegenuber ohne sozialen Ruckhalt So waren auch Arbeiter ansprechbar Bereits in den 1970er Jahren konnten regionale Studien eine grossere Anfalligkeit der Arbeiter belegen Richard F Hamilton sah in einer Studie 1982 auch eine grossere Wahlerschaft in gehobenen Wohnvierteln und luxuriosen Platzen Fernbahnhofe Schiffe allerdings mit nur schwachen eindeutigen Belegen Ebenso zeigten Studenten eine hohe Affinitat zum Nationalsozialismus Walter Dean Burnham entwarf eine Ansteckungstheorie und die Theorie des politischen Konfessionalismus 1972 Danach gab es sehr stabile politische Lager mit jeweils eigenen Weltanschauungen und eigenen Subkulturen in die mit Ausnahme der Nichtwahler die NSDAP erst 1933 eindringen konnte Im sozialistischen Lager gab es nur Verschiebungen von der SPD zur KPD im katholischen Lager so gut wie keine nur im burgerlich protestantischen Lager gewann die NSDAP hinzu William Brustein ubertrug schliesslich den Rational Choice Ansatz von den Entscheidungen zum Parteibeitritt Neue Mitglieder orientierten sich meist an materiellen Vorteilserwartungen ubertragen stimmten Wahler mit positiven okonomischen Perspektiven durch z B Autarkie Arbeitsbeschaffung fur die NSDAP 1 Ergebnisse BearbeitenMit exakteren Methoden wissenschaftlicher Statistik konnte Jurgen W Falter seit den 1980er Jahren nachweisen dass der Mittelstand nur wenig uberdurchschnittlich stark NSDAP gewahlt hat Vielmehr sei die NSDAP die erste Volkspartei gewesen die proportional Wahler aus allen Schichten hatte Falters Verdienst war die vollstandige Berucksichtigung aller Regionen und die Differenzierung der Arbeiter in viele soziale Einzelgruppen mit sehr verschiedenen Mentalitaten Wahrend Landarbeiter und kleinstadtische Arbeiter relativ oft die NSDAP gewahlt haben durften zeigten sich die grossstadtischen Arbeiter in Industrie und Gewerbe in den vier Wahlen als weitgehend resistent Gleiches gilt aber auch fur erwerbslose Arbeiter die eher von der SPD zur KPD abwanderten Rund ein Viertel derjenigen die 1930 fur die NSDAP votierten waren zwei Jahre zuvor nicht zur Wahl gegangen Soweit erkennbar zeigten die Frauen keine grossen Unterschiede zu Mannern entgegen einem popularen Vorurteil Weder waren die Frauen vorsichtiger noch zog Hitler besonders schwarmerische Frauen an Nicht belegbar ist auch die Praferenz der Jungwahler fur die NSDAP obwohl die Jugendlichkeit der NS Bewegung oft hervorgehoben wurde und an den Universitaten die Wahlen der Vertretungen dafur sprachen Es gab neunmal so viele Studenten in der NSDAP wie in der erwerbstatigen Bevolkerung insgesamt 2 Von den Regionen waren das agrarische Ostpreussen und Pommern besonders stark fur die NSDAP katholische und industrielle Regionen Niederbayern Eifel Westfalen Sud Rheinland Berlin eher resistent Insgesamt so urteilte Falter in der Studie von 1991 sei die NSDAP von der sozialen Zusammensetzung ihrer Wahler her am ehesten eine Volkspartei des Protestes oder wie man es wegen des nach wie vor uberdurchschnittlichen aber eher nicht erdruckenden Mittelschichtsanteils unter ihren Wahlern in Anspielung auf die daraus resultierende statistische Verteilungskurve formulieren konnte eine Volkspartei mit Mittelstandsbauch 3 4 Von den 17 Millionen NS Wahlern kamen ungefahr 7 4 Millionen von den burgerlich protestantischen 2 5 Millionen von den sozialistischen Parteien und 6 Millionen von den Nichtwahlern Uberdurchschnittlich waren protestantische Milieus und Beamte vertreten Dagegen widerstanden das katholische Milieu das der Zentrumspartei BVP treu blieb und das der sozialistischen Arbeiterschaft den Nazis Dennoch haben 40 Prozent der deutschen Arbeiter die Nazis gewahlt die in Kleinbetrieben und auf dem Land arbeiteten 5 Ab den Reichstagswahlen Juli 1932 gaben mehr Arbeiter der NSDAP ihre Stimme als jeweils der KPD und SPD Eine klare Korrelation besteht zwischen Grenzinkonvexitaten der Weimarer Republik und dem NSDAP Stimmenanteil Marz 1933 siehe unten Regionen mit inkonvexen Reichsgrenzen Pommern Ostpreussen Schlesien und oder Landergrenzen z B Provinz Schleswig Holstein Provinz Hannover Braunschweig Anhalt Thuringen Pfalz Baden wahlten relativ stark NSDAP die suddeutschen Lander mit ihrer eher subsidiaren Tradition z B Bayern um Munchen Wurttemberg um Stuttgart Sachsen um Dresden das ebenfalls katholische und kaum durch Landergrenzen zerschnittene Rheinland Hauptstadte mit liberalen Eliten und ihr konvexes Umland z B die Berlin als Hauptstadt des Reichs und Preussens und andere liberale Grossstadte mit einem hohen Judenanteil Frankfurt Leipzig 6 sowie wahlten hingegen eher andere Parteien Es ist zu vermuten dass sich Randregionen von liberalen Eliten abgehangt fuhlten und daher antiliberal wahlten Ein ahnliches Muster findet sich in abgeschwachter Form auch heute wieder bei rechtspopulistischen Parteien z B Zittau Skane Limburg Karnten nbsp Inkonvexitaten der Binnen und Aussengrenzen der Weimarer RepublikReichstagswahlen Bearbeiten In den Reichstagswahlen 1930 stimmten uberwiegend protestantische nationalkonservative und liberale Mittel und auch Oberschichtwahler fur die NSDAP Starken Anklang fand Hitlers Partei bei den Mittelschichten Von der um sieben Prozent gestiegenen Wahlbeteiligung hatte sie starker als andere Parteien profitiert also Jungwahler und bisherige Nichtwahler gewonnen 7 In den beiden Reichstagswahlen im Juli 1932 und November 1932 gewannen Zentrum und BVP leicht hinzu doch wurden die protestantischen burgerlichen Mittelparteien fast vollig aufgerieben Auch die DNVP verlor weiter im November aber nicht mehr Die NSDAP gewann von wohl allen Parteien ausser KPD und Zentrum in unterschiedlichem Umfang Wahler 13 7 Millionen Stimmen 37 3 Prozent Etwa 60 Mittelschichtwahler kamen auf 40 Wahler aus Arbeiterhaushalten Jurgen W Falter 8 In der Reichstagswahl Marz 1933 gewann die NSDAP vor allem aus dem Reservoir der bisherigen Nichtwahler teilweise auch aus dem Potential der Protestwahler Eine starkere Wanderung von der KPD zur NSDAP ist auch fur 1933 nicht feststellbar 9 Den hohen Grad der politischen Mobilisierung zeigte die Wahlbeteiligung mit der Rekordmarke von 88 8 Prozent 10 Die Wahlergebnisse der NSDAP bei den Reichstagswahlen 1930 bis 1933 Bearbeiten nbsp Reichstagswahl 1930 Stimmenstarkste Parteien nach Wahlkreisen mit Prozentanteil der starksten Partei nbsp Juli 1932 Stimmenstarkste Parteien nach Wahlkreisen angegeben ist jeweils der Prozentanteil der starksten Partei nbsp November 1932 Stimmenstarkste Parteien nach Wahlkreisen angegeben ist jeweils der Prozentanteil der starksten Partei nbsp Marz 1933 Stimmenstarkste Parteien nach Wahlkreisen angegeben ist jeweils der Prozentanteil der starksten Partei nbsp NSDAP in der Reichstagswahl Marz 1933 die Farbskala zeigt den Stimmenanteil der NSDAP im jeweiligen Wahlkreis nbsp Berlin Reichstagswahl Wahlkampf NSDAP 1932Wahlkreis 11 5 Marz 1933 6 November 1932 31 Juli 1932 14 September 1930Osthannover 54 3 42 9 49 5 20 6 Sudhannover Braunschweig 48 7 40 6 46 1 24 3 Hamburg 38 9 27 2 33 7 19 2 Schleswig Holstein 53 2 45 7 51 0 27 0 Weser Ems 41 4 31 9 38 4 20 5 Westfalen Nord 34 9 22 3 25 7 12 2 Westfalen Sud 33 8 24 8 27 2 13 9 Dusseldorf Ost 37 4 27 0 31 6 17 0 Dusseldorf West 35 2 24 2 27 0 16 8 Koln Aachen 30 1 17 4 20 2 14 5 Koblenz Trier 38 4 26 1 28 8 14 9 Pfalz 46 5 42 6 43 7 22 8 Hessen Darmstadt 47 4 40 2 43 1 18 5 Hessen Nassau 49 4 41 2 43 6 20 8 Thuringen 47 2 37 1 43 4 19 3 Franken 45 7 36 4 39 9 20 5 Niederbayern 39 2 18 5 20 4 12 0 Oberbayern Schwaben 40 9 24 6 27 1 16 3 Wurttemberg 42 0 26 2 30 3 9 4 Baden 45 4 34 1 36 9 19 2 Ostpreussen 56 5 39 7 47 1 22 5 Pommern 56 3 43 1 48 0 24 3 Mecklenburg 48 0 37 0 44 8 20 1 Oppeln 43 2 26 8 29 2 9 5 Breslau 50 2 40 4 43 5 24 2 Liegnitz 54 0 42 1 48 0 20 9 Frankfurt an der Oder 55 2 42 6 48 1 22 7 Berlin 31 3 22 5 24 6 12 8 Potsdam I 44 4 34 1 38 2 18 8 Potsdam II 38 2 29 1 33 0 16 7 Leipzig 40 0 31 0 36 1 14 0 Dresden Bautzen 43 6 34 0 39 3 16 1 Chemnitz Zwickau 50 0 43 4 47 0 23 8 Merseburg 46 6 34 5 42 6 20 5 Magdeburg 47 3 39 0 43 8 19 5 Deutsches Reich 43 9 33 1 37 4 18 3 Literatur BearbeitenWalter Dean Burnham Political Immunization and Political Confessionalism The United States and Weimar Germany in Journal of Interdisciplinary History 3 1972 S 1 30 online Richard F Hamilton Who Voted for Hitler Princeton University Press 2014 ISBN 978 1 4008 5534 6 google de abgerufen am 17 Januar 2021 Thomas Childers The Nazi Voter The Social Foundations of Fascism in Germany 1919 1933 UONC 1983 ISBN 978 0 8078 4147 1 ders Who indeed did vote for Hitler In Central European History 17 1984 S 45 53 Jurgen W Falter Hitlers Wahler Munchen 1991 ISBN 978 3 406 35232 4 Uberarbeitete und erganzte Neuauflage Hitlers Wahler Die Anhanger der NSDAP 1924 1933 Campus Frankfurt New York 2020 ISBN 978 3 593 51289 1 William Brustein The Logic of Evil The Social Origins of the Nazi Party 1925 1933 New Haven Yale University Press 1996 ISBN 0 300 07432 8 Peter Borowsky Wer wahlte Hitler und warum Hamburg 2005 Volltext Uni HamburgBelege Bearbeiten William Brustein The Logic of Evil The Social Origins of the Nazi Party 1925 1933 Yale University Press 1996 ISBN 978 0 300 07432 1 google de abgerufen am 18 Januar 2021 Michael Wildt Aufstieg bpb Abgerufen am 17 Januar 2021 Jurgen W Falter Hitlers Wahler Beck Munchen 1991 S 371 f Jurgen W Falter Hitlers Wahler Die Anhanger der NSDAP 1924 1933 2 Auflage Campus Frankfurt New York 2020 ISBN 978 3 593 44540 3 S 413 google de abgerufen am 7 Marz 2021 Sudwest Presse Online Dienste GmbH DAS POLITISCHE BUCH Wer wahlte Hitler 13 Juli 2013 abgerufen am 16 Januar 2021 Wer wahlte Hitler 2 August 2023 Vorlage Internetquelle abruf 2023 MM TT ist Pflichtparameter Vorlage Internetquelle abruf 2023 MM TT ist Pflichtparameter Reinhard Sturm Zerstorung der Demokratie 1930 1933 bpb Abgerufen am 16 Januar 2021 Reinhard Sturm Zerstorung der Demokratie 1930 1933 bpb Abgerufen am 16 Januar 2021 Jurgen W Falter Hitlers Wahler Die Anhanger der NSDAP 1924 1933 2 Auflage Campus Frankfurt New York 2020 ISBN 978 3 593 44540 3 S 164 google de abgerufen am 7 Marz 2021 Hans Ulrich Thamer Beginn der nationalsozialistischen Herrschaft bpb Abgerufen am 16 Januar 2021 Peter Longerich Stichwort 30 Januar 1933 Heyne Verlag Munchen 1992 S 64 65 Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Hitlers Wahler amp oldid 237650877