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Das Gettier Problem entsteht aus einem Einwand gegen die sogenannte klassische Analyse des Wissens KAW oder englisch JTB fur Justified True Belief Diese definiert Wissen als Meinung Uberzeugung die gerechtfertigt und wahr ist Dem wird entgegnet dass eine gerechtfertigte und wahre Meinung aber auch durch Zufall wahr sein kann Dies wiederum bedeute dass diese Meinung dann kein Wissen sei wie die KAW aber behaupte Deswegen sei die KAW falsch Das Gettier Problem besteht nun darin die KAW so zu verbessern dass sie mit derartigen Fallen zufallig wahrer gerechtfertigter Meinung umgehen kann oder sie durch eine andere bessere Analyse ersetzt Das Problem geht auf den beruhmten nur drei Seiten umfassenden Aufsatz Is Justified True Belief Knowledge 1963 dt Ist gerechtfertigte wahre Meinung Wissen 1987 des US amerikanischen Philosophen Edmund Gettier zuruck Das Gettier Problem ist eines der Hauptprobleme der gegenwartigen Erkenntnistheorie Inhaltsverzeichnis 1 Die Standardanalyse von Wissen als gerechtfertigte wahre Meinung 2 Gettiers Gegenbeispiele 2 1 Erstes Gegenbeispiel 2 2 Zweites Gegenbeispiel 2 3 Allgemeine Kennzeichen 3 Problematisierung verschiedener Losungsansatze 3 1 Elimination falscher Annahmen 3 2 Forderung nach Kausalitat 3 3 Forderung einer Erfolgswahrscheinlichkeit 3 4 Die epistemische Differenz zwischen Meinung und Wissen 4 Historische Einordnung 5 Siehe auch 6 Weblinks 7 Literatur 7 1 Primarliteratur 7 2 Sekundarliteratur 8 EinzelnachweiseDie Standardanalyse von Wissen als gerechtfertigte wahre Meinung BearbeitenBis zur Publikation von Gettiers Aufsatz nahmen die meisten Erkenntnistheoretiker an Wissen liesse sich als gerechtfertigte wahre Meinung analysieren Genauer Ein Subjekt S weiss dass P dann und nur dann wenn i S glaubt dass P ii P ist wahr und iii S hat gute Grunde zu glauben dass P Nach der ersten Bedingung Uberzeugungsbedingung kann man nur wissen was man auch glaubt Hier werden wie oft in der gegenwartigen Erkenntnistheorie glauben meinen fur wahr halten uberzeugt sein synonym verwendet Nach der zweiten Bedingung Wahrheitsbedingung kann man nur wissen was auch tatsachlich der Fall ist Nach der dritten Bedingung Rechtfertigungsbedingung darf die Meinung nicht bloss geraten sein o a der Glaubende muss in der Lage sein Grunde fur seine Uberzeugung anzufuhren Was genau unter der dritten Bedingung zu verstehen ist ist umstritten Gettier setzt jedoch nur zwei Annahmen uber Rechtfertigung voraus die vergleichsweise unkontrovers sind vgl Gettier 1963 121 Fallibilismus Eine gerechtfertigte Meinung kann falsch sein Deduktive Geschlossenheit Wenn man aus einer gerechtfertigten Meinung eine andere Meinung logisch korrekt ableitet dann ist auch die zweite Meinung gerechtfertigt Das Gettier Problem sollte daher fur all jene Varianten der Standardanalysen von Wissen einschlagig sein die die beiden Annahmen uber Rechtfertigung teilen Gettiers Gegenbeispiele BearbeitenGettier gibt zwei Gegenbeispiele fur gerechtfertigte wahre Meinungen die dennoch kein Wissen seien Die drei Bedingungen seien in diesen Fallen erfullt aber es handele sich nicht um Wissen Die drei Bedingungen der Standardanalyse seien daher nicht hinreichend Erstes Gegenbeispiel Bearbeiten Smith und Jones haben sich fur eine Arbeitsstelle beworben Smith hat starke Grunde das Folgende zu glauben a Jones ist derjenige der den Arbeitsplatz bekommen wird und Jones hat zehn Munzen in seiner Tasche Smiths Grunde fur a bestehen darin dass der Chef ihm versichert hat dass er am Ende Jones auswahlen wurde und dass er Smith die Munzen in Jones Tasche vor zehn Minuten gezahlt hat Aus a zieht Smith den folgenden Schluss b Derjenige der den Job bekommt hat zehn Munzen in der Tasche Smith glaubt b nur deshalb weil er die logische Schlussfolgerung von a nach b einsieht In diesem Fall ist Smith gerechtfertigt b zu glauben Nun ist es jedoch so dass ohne dass Smith dies weiss Smith den Job bekommt und Smith ebenfalls ohne dass Smith dies weiss zehn Munzen in der Tasche hat b ist daher wahr obwohl a woraus Smith b gefolgert hat falsch ist In unserem Beispiel gilt daher i Smith glaubt dass b ii b ist wahr iii Smith ist gerechtfertigt zu glauben dass b Aber es ist auch klar dass Smith nicht weiss dass b wahr ist Denn b ist nur deshalb wahr weil Smith den Arbeitsplatz bekommt und zehn Munzen in der Tasche hat und nicht etwa deshalb weil Jones den Arbeitsplatz bekommt und zehn Munzen in der Tasche hat Smith grundet seine Meinung dass b auf das Nachzahlen der Munzen in Jones Tasche und darauf dass er falschlicherweise annimmt dass Jones den Job bekommen wurde Zweites Gegenbeispiel Bearbeiten In Gettiers zweitem Gegenbeispiel geht Smith davon aus dass Jones einen Ford fahrt Er hat gute Grunde fur diese Annahme Seit er Jones kennt hat dieser immer einen Ford gefahren und Jones hat Smith in einem Ford sitzend zu einer Fahrt eingeladen Hinzu kommt dass Smith einen weiteren Freund hat der Brown heisst und uber dessen derzeitigen Aufenthaltsort Smith keine Kenntnis hat Mit den guten Grunden fur die Proposition c Jones besitzt einen Ford im Rucken schlussfolgert Smith die weitere Proposition d d Jones besitzt einen Ford oder Brown halt sich in Barcelona auf Nun kommt es aber ganzlich anders In Wahrheit besitzt Jones uberhaupt keinen Ford sondern hat diesen lediglich geliehen Folglich ist die Proposition c falsch fur die Smith vermeintlich gute Grunde hatte Zufalligerweise halt sich Brown jedoch tatsachlich in Barcelona auf wodurch die Proposition d sich bewahrheitet Auch hier hat Smith eine wahre gerechtfertigte Meinung aber dennoch kein Wissen Allgemeine Kennzeichen Bearbeiten Allgemein zeichnen sich Gettier Probleme dadurch aus und werden als solche charakterisiert dass ein gerechtfertigter Glaube in einer anderen Weise als erwartet wahr wird Eine neue Analyse des Wissens muss diesen epistemischen Zufall in Angriff nehmen Problematisierung verschiedener Losungsansatze BearbeitenElimination falscher Annahmen Bearbeiten In den beiden Beispielen kommt die gerechtfertigte wahre Meinung durch einen Schluss aus falschen Pramissen zustande Es ware aber verfruht zu meinen dass die Standardanalyse nun einfach zu verbessern ware durch Anhangen einer Zusatzklausel iv Die Meinung dass P beruht nicht auf einem Schluss aus einer falschen Annahme Dass auch diese modifizierte Standardanalyse nicht hinreichend ist haben weitere Beispiele gezeigt siehe Feldman 1974 etwa das folgende Smith betritt einen Raum und sieht Jones Er bildet umgehend die gerechtfertigte Meinung e Jones ist im Zimmer Tatsachlich aber hatte Smith nicht Jones gesehen sondern eine originalgetreue Nachbildung von Jones Nun ist aber wie es der Zufall will Jones wirklich im Zimmer wenngleich Smith ihn naturlich gar nicht gesehen hat Smiths Meinung dass e ist eine gerechtfertigte wahre Meinung die nicht auf einer falschen Annahme beruht aber dennoch kein Wissen Forderung nach Kausalitat Bearbeiten Die Idee eine Kausalitat zwischen dem Fakt und dem Glauben desselben zu fordern also iv Die Meinung dass P steht in kausalem Zusammenhang zu P lost das Grundproblem und auch das obige Beispiel der Nachbildung da kein kausaler Zusammenhang zwischen der Anwesenheit Jones und Smiths Glauben daran besteht Jedoch ist auch hier eine Erweiterung um einen kausalen Zusammenhang moglich wenn man annimmt dass die Nachbildung nur deshalb im Zimmer ist weil Jones sie eben dort erstellt hat In dieser Version ist die neue Definition des Wissens damit ebenfalls unzulanglich Der Einwand dass hier kein adaquater kausaler Zusammenhang bestehe entbehrt einer Bestimmung des Begriffes adaquat Forderung einer Erfolgswahrscheinlichkeit Bearbeiten Eine weitere Moglichkeit ware die Forderung dass der epistemische Erfolg d h dass die geglaubte Aussage wahr ist auch wahrscheinlich war Denn dann waren die eingetretenen hochst unwahrscheinlichen Falle der Gettier Probleme vom Wissensbegriff ausgeschlossen Allerdings musste so auch der Glaube nicht im Lotto zu gewinnen Wissen sein falls er sich bewahrheitet da dieses Ereignis sehr wahrscheinlich ist Zu behaupten man glaube nicht nur sondern wisse dass man nicht gewonnen hat erscheint dagegen widersinnig Die epistemische Differenz zwischen Meinung und Wissen Bearbeiten Eine deutschsprachige Widerlegung des Gettier Problems findet man bei Steen Olaf Welding in der epistemischen Unterscheidung zwischen Meinung und Wissen 1 Es gibt Grunde fur die Meinung von P die nicht ubereinstimmen mit dem Wissen dass P Somit ist die jeweilige Einschatzung des Grundes bzw der Grunde fur P entscheidend Wird Q als ein hinreichender Grund fur P aufgefasst dann konnte Q der Grund fur eine Person sein zu behaupten sie wisse dass P und wenn Q als ein unzureichender Grund fur P beurteilt wird dann konnte Q fur sie ein Grund sein zu meinen oder zu glauben dass P Da es also keine allgemeingultigen Kriterien fur die hinreichenden oder unzureichenden Grunde der Wahrheit einer Aussage P unabhangig von der Beurteilung eines Subjekts gibt ist es nicht moglich den Begriff der Meinung oder den des Wissens zu definieren Historische Einordnung BearbeitenOftmals schreibt man bereits Platon zu Wissen als gerechtfertigte wahre Meinung verstanden zu haben So findet sich im Dialog Menon die traditionelle Bestimmung des Wissens episteme als durch Begrundung gebundene richtige Meinung orthe doxa Statt dem momentanen Erwogenwerden zu entgleiten werde die richtige Vorstellung durch eine Begrundung dauerhaft festgehalten 2 Auch im Gorgias werden Wissen und Uberzeugtsein dadurch definiert dass zum Wissen stets Wahrheit gehort zum Uberzeugtsein jedoch nicht zwangslaufig 3 ebenso spricht Platon im Politikos von wahrer Meinung mit Absicherung alethes doxa meta bebaioseo 4 Diese Analyse stellt Platon jedoch im Theaitetos infrage Er negiert hierbei gerade dass Wissen episteme wahre Meinung uber x mit Wissen von einem Unterschied von dem was x von allen relevanten Alternativen x artigen Typs unterscheidet einem Grund oder einer Erklarung ware doxa orthe meta epistemes diaphorotetos logou proslepsis 5 Die Bestimmung von Wissen als wahre Meinung mit Begrundung wird verworfen 6 da die Begrundung einer Meinung wiederum begrundet werden musste und ebenso die Begrundung der Begrundung was zu einem infiniten Regress fuhren wurde Vielmehr musste es einen begrundungslosen Anfang aller Begrundung geben Die Begrundung einer Meinung muss sich daher auf bereits vorhandenes Wissen stutzen um die wahre Meinung zu Wissen werden zu lassen 7 Jedoch kann auch die Definition Wissen ist durch Wissen begrundete wahre Meinung nicht gultig sein da der zu definierende Begriff in der Definition enthalten ist und dies zu einem Zirkelschluss fuhren wurde Der Dialog endet aporetisch In der ersten Halfte des 20 Jahrhunderts wurde dennoch rege kolportiert dass Platon Wissen als wahre gerechtfertigte Meinung analysiert habe und somit als Wegbereiter der Standardanalyse zu sehen sei 8 Siehe auch BearbeitenWissenWeblinks BearbeitenMatthias Steup Eintrag in Edward N Zalta Hrsg Stanford Encyclopedia of Philosophy Vorlage SEP Wartung Parameter 1 und Parameter 3 und nicht Parameter 2 Stephen Hetherington Gettier Problems In J Fieser B Dowden Hrsg Internet Encyclopedia of Philosophy James Pryor Theory of Knowledge The Gettier Problem Peter Millican Gettier and Other Complications Aufzeichnung einer Vorlesung Literatur BearbeitenPrimarliteratur Bearbeiten Edmund Gettier Is Justified True Belief Knowledge in Analysis 23 1963 S 121 123 Deutsch Ist gerechtfertigte wahre Meinung Wissen In Peter Bieri Hrsg Analytische Philosophie der Erkenntnis Frankfurt M 1987 S 91 93 Gettier Edmund L 2013 Una creencia verdadera justificada es conocimiento Is Justified True Belief Knowledge ed English Spanish Trad P Velez Leon Disputatio Philosophical Research Bulletin 3 pp 185 193 Sekundarliteratur Bearbeiten Gerhard Ernst Lisa Marani Hrsg Das Gettierproblem Eine Bilanz nach 50 Jahren Mentis Munster 2013 ISBN 978 3 89785 840 4 Richard Feldman An Alleged Defect in Gettier Counterexamples In Australasian Journal of Philosophy 52 1974 S 68 69 Alvin Goldman A Causal Theory of Knowing In The Journal of Philosophy 64 1967 S 335 372 Martin Grajner Erkenntnistheorie In Breitenstein Rohbeck Hrsg Philosophie Metzler Stuttgart Weimar 2011 S 147 149 152 Keith Lehrer Thomas Paxson Knowledge Undefeated Justified True Belief In The Journal of Philosophy 66 1969 S 1 22 Robert Nozick Philosophical Explanations Cambridge MA 1981 ISBN 0 674 66479 5 Marshall Swain Epistemic Defeasibility In American Philosophical Quarterly 11 1974 S 15 25 Einzelnachweise Bearbeiten Steen Olaf Welding Die epistemische Differenz zwischen Meinung und Wissen In Ders Wo denn bin ich Einige essentielle Probleme der Philosophie Meiner Hamburg 2016 S 37 44 Platon Menon 98a dese aitias logismo Platon Gorgias 454d Platon Politikos 309c Zur Interpretation Timothy Chappell Plato on Knowledge in the Theaetetus In Edward N Zalta Hrsg Stanford Encyclopedia of Philosophy Kelly L Ross Knowledge 2007 Platon Theaitetos 210a b Platon Theaitetos 203 c d So etwa schon im Stellenkommentar von Lewis Campbell The Sophistes and Politicus of Plato Oxford 1867 S 184 real true opinion with confirmation i e knowledge as defined in Theaet sub fin and Meno 98 a b Phaedo 76 Tim 51 d e Legg 2 653 b Dagegen wendet sich schon Hans Henning Raeder Platons Philosophische Entwickelung Teuber 1905 S 347 mit Hinweis darauf dass am Ende des Theaitetos nur die doxa auf real existierende Objekte bezogen werde fur Wissen aber ein hoherer Status reserviert bleibe Noch Rainer Enskat Authentisches Wissen Was die Erkenntnistheorie beim Platonischen Sokrates lernen kann In Amicus Plato magis amica veritas Festschrift fur Wolfgang Wieland zum 65 Geburtstag Berlin New York 1998 S 101 43 103f meint Platon habe im Theaitetos die differenzierteste Arbeitsdefinition des Wissensbegriffs gegeben an die Gettier nahtlos anknupfe Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Gettier Problem amp oldid 230728384