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Die Geheimschrift Kaiser Leopolds II diente dem spateren Kaiser Leopold II 1747 1792 insbesondere wahrend seiner Regentschaft als Grossherzog der Toskana 1765 bis 1790 als Verschlusselungsverfahren zum Schutz vertraulicher Notizen und Datenbestande Sie wurde 1959 durch Adam Wandruszka entziffert aber erst 1961 als Weiterentwicklung eines ursprunglich aus Grossbritannien stammenden Kurzschriftsystems erkannt Kaiser Leopold II 1747 1792 Inhaltsverzeichnis 1 Erforschung 2 Verwendung 3 Einordnung 4 Literatur 5 EinzelnachweiseErforschung BearbeitenIm Zuge seiner Recherchen fur eine Biographie Leopolds als Grossherzog der Toskana und romisch deutscher Kaiser 1 studierte Adam Wandruszka zahlreiche Autographen des Monarchen die sich in verschiedenen Archiven in Wien Florenz und Prag erhalten haben Im Wiener Haus Hof und Staatsarchiv stiess er auf zwei eigentumliche Schriftstucke in einer stenographieartigen Geheimschrift 2 die wahrend zweier Aufenthalte Leopolds am Wiener Hof in den Jahren 1778 79 und 1784 entstanden waren Stand zunachst keineswegs fest in welcher Sprache die beiden verschlusselten Schriftstucke Leopolds abgefasst waren so durfte nach Wandruszkas Einschatzung mit grosser Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden dass der damalige Grossherzog hier wie auch bei seinen anderen privaten Notizen die italienische und nicht wie in seiner Korrespondenz mit dem Wiener Hof die franzosische Sprache benutzt hatte Zwei ahnliche als Kapiteluberschriften verwendete und auch sonst im Text mehrmals vorkommende Zeichengruppen liessen zudem vermuten dass es sich bei diesen um die Bezeichnungen l imperatrice fur Maria Theresia und l imperatore fur Joseph II handeln konne 3 doch kam Wandruszka mit diesen Zeichengruppen zunachst nicht weiter Allerdings konnte er feststellen dass sich Grossherzog Leopolds Geheimschrift einer phonetischen Schreibweise bediente und daher weder das Dehnungs h noch die im Italienischen recht haufige Konsonantenverdoppelung berucksichtigte 4 nbsp Tafel 1 mit Kurzeln nbsp Tafel 2 mit Kurzeln nbsp Beispiele Maria und Wikipedia in Lautschrift siehe die Erlauterungen im Haupttext Einen wesentlichen Beitrag zur Entzifferung der Manuskripte lieferte Rudolf Neck der Wandruszkas Aufmerksamkeit auf die vielen uber den Text verstreuten Punkte lenkte und die Vermutung ausserte dass es sich dabei vielleicht um Zeichen zur Worttrennung handeln konnte 5 Diese Punkte folgen dem vorangehenden Zeichen nicht auf gleicher Hohe sondern wurden teils daruber teils darunter teils daneben teils halbrechts oben oder halbrechts unten nach dem vorhergehenden Zeichen gesetzt So ergeben sich funf verschiedene Positionen die Wandruszka schliesslich in einem Halbkreis von oben nach unten im Sinne eines Ziffernblattes von 12 bis 6 gelesen mit den Vokalen a e i o u sowie in weiterer Folge als Schlussvokale der einzelnen Worter identifizieren konnte So bedeutet ein in die Mitte uber das Kurzel fur den Buchstaben l gesetzter Punkt ein la ein Punkt halbrechts oben ein le ein Punkt rechts neben dem Kurzel ein li oder in Lautschrift auch gli ein Punkt halbrechts unter dem Kurzel ein lo und ein gerade unter das Kurzel gesetzter Punkt ein lu 4 Ein ahnliches Schema gilt fur das Wortinnere wobei Vokale zwischen den Konsonanten durch die Position des folgenden Konsonanten ausgedruckt werden So ist ein Gedankenstrich das Kurzel fur den Buchstaben n Folgt darauf ein zweiter halbrechts daruntergesetzter Strich so ergibt dies non wahrend zwei Striche ubereinander als nan oder nun gelesen werden konnen zwei Striche nebeneinander als nin Steht ein Vokal im Anlaut oder allein was im Italienischen haufig vorkommt z B als a zu in hat e und ist o oder habe i die so gibt es fur ihn ein separates Kurzel und er wird damit gleichsam als Konsonant behandelt Das Gleiche gilt wenn zwei Vokale aufeinandertreffen wie z B im Namen Maria In einem solchen Fall wird das erste a dadurch ausgedruckt dass das r in die Mitte uber das m gesetzt wird das zweite a aber wird durch das separate Anlautzeichen fur a gekennzeichnet das rechts neben das Kurzel fur r gesetzt wird Wenn ein langeres Wort mehrere a oder u enthalt kann sich durch diese Notation eine Art von Turmbau ergeben der in den Manuskripten des Grossherzogs bis in die daruberliegende oder die darauffolgende Zeile reicht 4 Verwendung Bearbeiten nbsp Manuskript 1 Allegato di No 1 1778 1779 nbsp Manuskript 2 Cose particolari 1784 Die beiden von Wandruszka im Haus Hof und Staatsarchiv entdeckten und 1959 entzifferten Schriftstucke mit den Aufzeichnungen des spateren Kaisers wurden 1963 und 1965 in den beiden Banden seiner Biographie Leopolds II publiziert 6 Ihre Auswertung offenbarte dass der damalige Grossherzog bei seinen Aufenthalten am Wiener Hof 1778 79 und 1784 sehr scharfe und kritische Urteile uber alle Familienmitglieder gefallt und sich in seinen Notizen in ungewohnlich offener Weise Luft uber seinen Arger gemacht hatte Leopolds Verwendung der Kurzschrift als Geheimschrift war durch die Notwendigkeit der Geheimhaltung seiner Gedanken gegenuber dem Wiener Hof gegeben Auf diesen Umstand weist auch der von Leopold in diesem Zusammenhang selbst verwendete Ausdruck in cifra hin 7 Manuskript 1 tragt in Klarschrift die Uberschriften Stato della famiglia sowie Allegato di No 1 deutsch Status der Familie sowie Anhang Nr 1 entstand um die Jahreswende 1778 1779 umfasst 52 Seiten und ist auf Italienisch verfasst 8 Grossherzog Leopold war damals von seiner Mutter Maria Theresia und seinem Bruder Joseph II wegen des Bayerischen Erbfolgekrieges nach Wien gerufen worden war aber uber den langen Aufenthalt dort aus mehreren Grunden sehr unglucklich 7 Er verfasste in dieser Zeit umfangreiche Abhandlungen zum einen als Charakteristiken der am Wiener Hof lebenden Mitglieder des Hauses Habsburg Lothringen mit kurzen Urteilen uber seine drei an bourbonische Hofe verheirateten Schwestern sowie uber Erzherzog Ferdinand und dessen Gemahlin in Mailand zum anderen als Charakteristiken der fuhrenden Beamten uber den Zustand der Monarchie uber die in Bohmen stehende habsburgische Armee uber seine Gesprache mit Maria Theresia Joseph II sowie weiteren fuhrenden Personlichkeiten des Staates 9 Manuskript 2 tragt in Klarschrift die Uberschrift Cose particolari 10 deutsch spezielle Dinge entstand im Sommer 1784 und ist ebenfalls auf Italienisch verfasst Der Text stellt eine Charakteristik Josephs II dar Grossherzog Leopold empfand auch diese Reise nach Wien als unerfreulich da er von seinem Bruder effektiv dazu gezwungen wurde ihm seinen altesten Sohn Franz zur weiteren Erziehung zu ubergeben und zudem eine Ubereinkunft uber die zukunftige Abschaffung der habsburgischen Sekundogenitur im Grossherzogtum Toskana nach dem Tod Leopolds oder Josephs II zu unterschreiben 7 Einordnung Bearbeiten nbsp Sheltons Kurzschrift Alphabet nbsp Gerard Freiherr van Swieten 1700 1772 Erst 1961 zwei Jahre nach der 1959 gegluckten Entzifferung und Transkription der ursprunglich verschlusselten Schriftstucke Leopolds II wurde seine Geheimschrift als Weiterentwicklung eines ursprunglich aus England stammenden Kurzschriftsystems erkannt wobei der in Munchen lebende ungarische Historiker Denis Silagi den entscheidenden Hinweis lieferte 11 Die von Leopold II verwendete monoalphabetische Substitution zahlt zur Gattung der geometrischen Kurzschriftsysteme wie sie im 16 und 17 Jahrhundert in England von John Willis und seinen Nachfolgern entwickelt wurden 11 Willis bildete die Buchstabenzeichen seiner Kurzschrift nach geometrischen Gesichtspunkten Strich Bogen Kreis Schleife dazu wurden die Vokale im Auslaut nicht ausgeschrieben sondern durch Punkte in verschiedener Stellung zum vorhergehenden Zeichen angezeigt Auf dem stenographischen System von Willis baute die um 1624 von Thomas Shelton vorgestellte Kurzschrift auf die im spateren 17 und 18 Jahrhundert fuhrend in Gebrauch war Neben vielen Gemeinsamkeiten mit Sheltons System weist die von Leopold II zur Verschlusselung seiner Notizen gebrauchte Kurzschrift auch Ahnlichkeiten zu den Kurzschriften von Theophilus Metcalfe 1635 und Charles A Ramsay auf Ramsay hatte fur seine stenographischen Lehrbucher die Kurzschrift Sheltons ins Deutsche 1678 Lateinische 1681 und Franzosische 1681 ubertragen wahrend eine ebenfalls von ihm verfasste Ubertragung ins Italienische nie gedruckt wurde 11 Da der 1772 verstorbene Gerard van Swieten als Leiter der Wiener Hofbibliothek sowie der Bucherzensur Hofkommission fur die Niederschrift seiner Vermerke die von Ramsay stammende Ubertragung von Sheltons Kurzschriftsystem ins Lateinische verwendet hatte vermutete Wandruszka zunachst dass bei van Swieten auch das Vorbild fur die Geheimschrift Leopolds II zu suchen sei nicht zuletzt auch aufgrund der engen Beziehungen Gerard van Swietens zur Familie Maria Theresias Letztlich gab Wandruszka aber der These den Vorzug dass Leopold II das Schriftsystem fur seine verschlusselten Aufzeichnungen erst in der Toskana kennengelernt habe und es sich dabei nicht um eine vollige Neuentwicklung handelte sondern tatsachlich um Ramsays Ubertragung von Sheltons Kurzschriftsystem ins Italienische welche nie im Druck erschien und der Allgemeinheit daher unbekannt war 12 Literatur BearbeitenAdam Wandruszka Die Geheimstenographie Leopolds II in Karl Heinz Manegold Hrsg Wissenschaft Wirtschaft und Technik Studien zur Geschichte Wilhelm Treue zum 60 Geburtstag Bruckmann Verlag Munchen 1969 S 64 68 Adam Wandruszka Geheimschrift Kaiser Leopolds II in Walter Koschatzky Hrsg Maria Theresia und ihre Zeit Zur 200 Wiederkehr des Todestages Ausstellung 13 Mai bis 26 Oktober 1980 Wien Schloss Schonbrunn Im Auftrag der Osterreichischen Bundesregierung veranstaltet vom Bundesministerium fur Wissenschaft und Forschung Gistel Verlag Wien 1980 S 259 261 Christopher R Seddon Spass mit Geschichte Die Geheimschrift Kaiser Leopolds II Unterrichtsbehelf fur Volksschulen Scharding 2019 Einzelnachweise Bearbeiten Adam Wandruszka Leopold II Erzherzog von Osterreich Grossherzog von Toskana Konig von Ungarn und Bohmen Romischer Kaiser 2 Bande Herold Verlag Wien u a 1963 1965 Wandruszka Geheimstenographie 65 Nach der Entzifferung der Manuskripte stellte sich heraus dass Leopold die Titel l imperatrice und l imperatore im Klartext stets abgekurzt in seiner Geheimschrift hingegen stets voll ausgeschrieben hatte Wandruszka Geheimstenographie 65 a b c Wandruszka Geheimstenographie 65 66 Nach der Entzifferung der Manuskripte stellte sich heraus dass die vielen uber den Text verstreuten Punkte eigentlich Zeichen fur Vokale am Schluss eines Wortes sind Da aber im Italienischen fast jedes Wort mit einem Vokal endet trennen diese Punkte tatsachlich auch die einzelnen Worter voneinander Wandruszka Geheimstenographie 65 Siehe dazu Wandruszka Leopold II Band I 1963 333 ff und Band II 1965 82 ff In beiden Banden auch jeweils ein Faksimile der Schrift Der vollstandige italienische Originaltext der beiden Schriftstucke findet sich in der einbandigen italienischen Ausgabe Pietro Leopoldo un grande riformatore Firenze 1968 363 ff und 472 ff a b c Wandruszka Geheimstenographie 64 65 Haus Hof und Staatsarchiv Familienarchiv Sammelbande Karton 15 Siehe dazu Wandruszka Geheimstenographie 64 65 sowie Wandruszka Geheimschrift 259 261 Wandruszka Geheimschrift 259 261 Haus Hof und Staatsarchiv Familienarchiv Sammelbande Karton 16 Siehe dazu Wandruszka Geheimstenographie 64 65 sowie Wandruszka Geheimschrift 261 a b c Wandruszka Geheimstenographie 66 Wandruszka Geheimstenographie 68 Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Geheimschrift Kaiser Leopolds II amp oldid 237970702