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Erhard Tornier 5 Dezember 1894 in Obernigk 1982 war ein deutscher Wahrscheinlichkeitstheoretiker der vor allem durch seine Rolle fur die nationalsozialistische Beeinflussung der Mathematik vgl Deutsche Mathematik bekannt wurde Inhaltsverzeichnis 1 Biographie 2 Werk 3 Schriften 4 Literatur 5 Weblinks 6 EinzelnachweiseBiographie BearbeitenTornier studierte in Breslau Berlin und Marburg Mathematik und Philosophie und wurde 1922 bei Kurt Hensel an der Universitat Marburg promoviert Uber die Periodizitat der g adischen gamma adischen und pi adischen Zahlen und damit zusammenhangende Fragen 1 und war ab 1929 2 in Kiel als Kollege von Willy Feller mit dem er veroffentlichte und zusammenarbeitete Er habilitierte sich 1930 in Marburg und war danach Privatdozent in Kiel wo er 1931 beim dortigen Professor Abraham Fraenkel um eine Stellung nachgefragt hatte um wie er sich brieflich ausdruckte von diesem zu lernen 3 Fraenkel sagte zu damit der aufstrebende Wahrscheinlichkeitstheoretiker Feller einen Fachkollegen hatte Tornier vertrat Fraenkel in Kiel auch zeitweise als dieser 1929 bis 1931 in Jerusalem lehrte 1932 trat Tornier der NSDAP bei Mitgliedsnummer 1 114 305 Er denunzierte nach der Machtubernahme der Nationalsozialisten Feller als Juden und hoffte vergebens die Nachfolge von Fraenkel als Professor in Kiel anzutreten als dieser 1933 nach Jerusalem ging 4 Aufgrund seiner politischen Einstellung sollte er 1934 zum Direktor des Mathematischen Instituts in Gottingen ernannt werden bis Helmut Hasse eintraf Eine Zeitlang arbeitete er der schon beschlossenen Ernennung Hasses entgegen Dabei wurde er von der Studentenschaft u a Oswald Teichmuller unterstutzt Nach massiven Interventionen Helmut Hasses der ein Kommilitone und Kollege von Tornier in Marburg war sie standen anscheinend damals auf freundschaftlichem Fuss In seiner Arbeit Wahrscheinlichkeit und Zahlentheorie von 1930 dankt er Hasse fur wertvolle Hinweise beim zustandigen Ministerium scheiterte seine Ernennung stattdessen wurde Hasse wie vorgesehen Institutsdirektor Tornier wurde aber ebenfalls Direktor und hatte zeitweise den Lehrstuhl des von den Nationalsozialisten aus der Universitat gedrangten Edmund Landau Er sorgte auch gleich 1934 fur die Entlassung des regimekritischen Franz Rellich 5 Ebenfalls 1934 wurde Tornier von Ludwig Bieberbach fur das Fuhreramt der DMV vorgeschlagen Diese sollte nach Bieberbach das Fuhrerprinzip einfuhren Weil es unter den gegebenen Umstanden nicht moglich gewesen ware dieser Forderung grundsatzlich zu widersprechen einigten sich Helmut Hasse Konrad Knopp und Oskar Perron auf Wilhelm Blaschke als Gegenkandidaten zu Tornier Bei der Mitgliederversammlung in Bad Pyrmont bei der Tornier in Begleitung eines SA Mannes in Zivil erschien 6 scheiterte Bieberbachs Antrag zum Ubergang auf das Fuhrerprinzip mit Tornier als Fuhrer stattdessen ging die DMV zum gemassigten Fuhrerprinzip ein auf zwei Jahre gewahlter Vorsitzender der die Mitglieder des Vorstands bestimmte mit Blaschke als Vorsitzenden uber was sich aber auch nicht durchsetzen konnte da Bieberbach die Satzungsanderung hinauszogerte 7 Tornier wurde 1935 Leiter des Instituts fur Mathematische Statistik in Gottingen wo inzwischen ein offener Machtkampf mit Hasse entstand in Fortsetzung des missgluckten Versuchs Torniers Fuhrer der DMV zu werden Hasse drohte gegenuber Theodor Vahlen mit Rucktritt Tornier verliess daraufhin offiziell aus Gesundheitsgrunden im April 1936 die Universitat Gottingen und wurde 1936 Professor in Berlin Dort fuhrte er ein exzessives Leben ein Foto zeigte ihn mit einer Schildkrote an der Leine auf einem beliebten Berliner Boulevard in Begleitung einer Prostituierten was einen Skandal in der mathematischen Fakultat ausloste 8 und seine Ehe wurde geschieden 1938 suchte er wegen nachlassender intellektueller Fahigkeiten um seinen Ruhestand nach was ihm 1939 gewahrt wurde Der Rucktritt war aber erzwungen es liefen Verfahren gegen ihn wegen Uberschuldung und Verfuhrung einer Minderjahrigen 9 Ein Gutachten des Leiters der Psychiatrischen und Neurologischen Klinik der Universitat Breslau bescheinigte ihm psychische Probleme Unmittelbar nach der Annexion Polens zog Tornier nach Krakau um 1941 wurde ein Parteiausschlussverfahren der NSDAP gegen ihn angestrengt da er seit 1937 aufgrund seines Nervenzusammenbruchs sich nicht mehr um die Partei gekummert hatte Damals lebte er in Warschau und wurde auf eigenen Wunsch Lehrer im Generalgouvernement er war an einer Oberschule in Radom 10 Nach dem Krieg lebte er in Lubeck spater in Hamburg wo er sich mit der Wahrscheinlichkeitsrechnung befasste Er korrespondierte mit Hilda Geiringer uber die nachgelassenen wahrscheinlichkeitstheoretischen Arbeiten ihres Ehemanns Richard von Mises die sie fur die Veroffentlichung vorbereitete Geiringers Ton war obwohl sie selbst vor den Nationalsozialisten emigrierte freundlich in der Veroffentlichung der nachgelassenen Arbeiten von Mises weist sie mehrfach auf wesentliche hierauf bezugliche Beitrage von Tornier hin und sie hatte den Eindruck dass Tornier psychische Probleme habe 11 Werk BearbeitenTornier veroffentlichte in den 30er Jahren mehrere Arbeiten zur Masstheorie und Grundlagen der Wahrscheinlichkeitstheorie Er arbeitete dabei an einer Axiomatisierung in der Nachfolge von Richard von Mises 12 13 ein Zugang der spater durch Andrei Kolmogorows Axiomatisierung in den Hintergrund gedrangt wurde Uber eine von Torniers Arbeiten schrieb Paul Halmos in den Mathematical Reviews sie wurde in ihrem Hauptteil sehr detailliert die fur die Standardkonstruktionen des Jordan und Lebesgue Masses benutzten Satze reproduzieren wobei der wesentliche Unterschied zum ublichen Vorgehen eigentlich nur in der systematischen Verwendung der Formel I S i 1 n a i displaystyle I Sigma i 1 n alpha i nbsp anstelle von S i 1 n I a i displaystyle Sigma i 1 n I alpha i nbsp bestunde Sein in den 30er Jahren geschriebenes Buch Wahrscheinlichkeitsrechnung und allgemeine Integrationstheorie mit seiner neuen Axiomatik der Wahrscheinlichkeitstheorie wurde 1944 auch in den USA veroffentlicht Nach dem Krieg veroffentlichte er 1952 noch ein Buch Theorie der Versuchsvorschriften der Wahrscheinlichkeitsrechnung 14 In einer Rezension fur die Mathematical Reviews bemerkte Jacob Wolfowitz dass in Torniers Axiomensystem Wahrscheinlichkeiten nur als endlich additive Funktionen auf Mengen definiert werden 15 und dass sich Torniers Theorie ausschliesslich mit endlichen Wahrscheinlichkeitsraumen befasst wo man die berechneten Wahrscheinlichkeiten durch Vergleich mit relativen Haufigkeiten bei ausreichend vielen Versuchen uberprufen konne Maistrow 16 beschreibt Torniers Versuch der Mathematisierung von Mises Haufigkeitstheorie wie folgt A number of attempts were made to formalize frequency theory completely Tornier refused the use of schemes which did not fit into the frequency interpretation For this purpose he constructed a cumbersome formal calculus and was forced to abandon the possibility of formulating and solving a number of elementary problems of probability theory within the framework of his theory Schriften BearbeitenWahrscheinlichkeitsrechnung und Zahlentheorie Erste Mitteilung Journal fur Reine und Angewandte Mathematik Band 161 1930 S 177 Eine neue Grundlegung der Wahrscheinlichkeitstheorie Zeitschrift fur Physik Band 63 1930 S 697 705 Axiome der Wahrscheinlichkeitsrechnung Journal fur Reine und Angewandte Mathematik Band 163 1930 S 45 64 mit Willy Feller Mengentheoretische Untersuchungen von Eigenschaften der Zahlenreihe Mathematische Annalen Band 107 1933 S 188 mit Willy Feller Mass und Inhaltstheorie des Baireschen Nullraumes Mathematische Annalen Band 107 1932 S 165 187 Grundlagen der Wahrscheinlichkeitsrechnung Acta Mathematica Band 60 1933 S 239 380 Wahrscheinlichkeitstheorie und allgemeine Integrationstheorie Teubner 1936 Zur Erzeugung einer Versuchsvorschrift aus einer anderen durch formale Abanderung Deutsche Mathematik Band 2 1937 S 466 469 Rezension von Erich Kamke Mass und Inhaltstheorien in denen die Additivitat der Masse nur im Unendlichkleinen gefordert wird Abhandlungen der Preussischen Akademie der Wissenschaften Math Naturwiss Klasse 1941 mit Hans Domizlaff Theorie der Versuchsvorschriften der Wahrscheinlichkeitsrechnung Kohlhammer 1952 Rezension in Zentralblatt f Math Literatur BearbeitenNorbert Schappacher und Martin Kneser Fachverband Institut Staat In Gerd Fischer u a Hrsg Ein Jahrhundert Mathematik 1890 1990 Festschrift zum Jubilaum der DMV Vieweg 1990 Thomas Hochkirchen Wahrscheinlichkeitsrechnung im Spannungsfeld von Mass und Haufigkeitstheorie Leben und Werk des Deutschen Mathematikers Erhard Tornier 1894 1982 NTM Zeitschrift fur Geschichte der Wissenschaften Technik und Medizin Band 6 Heft 1 1998 S 22 41 Weblinks BearbeitenEintrag zu Erhard Tornier im Catalogus Professorum HalensisEinzelnachweise Bearbeiten Mathematics Genealogy Project Sanford L Segal Mathematicians under the Nazis Princeton University Press 2003 S 149 Sanford Segal S 149 Sanford Segal S 150 er zitiert Fraenkel Lebenskreise 1967 Reid Courant Hilbert Springer Verlag 1986 S 385 Reid Courant Hilbert Springer Verlag 1986 S 393 Ein weiterer Affront Der SA Mann wurde schliesslich aufgefordert die Versammlung zu verlassen Remmert Die Deutsche Mathematiker Vereinigung im Dritten Reich Mitteilungen DMV 12 3 2004 S 162f Sanford Segal S 156 er zitiert Constance Reid Courant Springer 1976 in der Ausgabe Courant Hilbert Springer Verlag 1986 S 402 Sanford Segal S 156 Er beruft sich auf einen Brief von Wilhelm Suss an Hellmuth Kneser Sanford Segal S 157 Sanford Segal S 157 Sanford Segal S 150 Torniers Axiomatisierungsansatze die von Richard von Mises und von Karl Dorge wurden zum Beispiel von Erich Kamke in einem Ubersichtsartikel 1933 dargestellt Kamke Uber neuere Begrundungen der Wahrscheinlichkeitstheorie Jahresberichte DMV Band 42 1933 S 14 Tornier Erhard Domizlaff Hans Theorie der Versuchsvorschriften der Wahrscheinlichkeitsrechnung W Kohlhammer Verlag Stuttgart 1952 S 108 Die Masstheorie beschaftigt sich mit Mengensystemen und den Inhaltsfunktionen die man darauf definieren kann Die fur den modernen Massbegriff zentrale Eigenschaft der s displaystyle sigma nbsp Additivitat wurde von Emile Borel 1909 eingefuhrt und wurde anfangs nicht unkritisch gesehen Die jordansche Konstruktion fuhrt zu lediglich endlich additiven Inhalten die endliche Additivitat eine schwachere Eigenschaft als s displaystyle sigma nbsp Additivitat ist hier eine Folgerung aus der Definition des Inhalts Borel postuliert dagegen die s displaystyle sigma nbsp Additivitat des Masses und bestimmt so die Masse von Mengen welche in einer unter abzahlbaren Anwendungen von bestimmten Mengenoperationen vollstandigen s displaystyle sigma nbsp Algebra enthalten sind Henry Lebesgues Definition des Integrals 1902 erhalt jedoch die s displaystyle sigma nbsp Additivitat L E Maistrow Theory of probability a historical sketchNormdaten Person GND 138405255 lobid OGND AKS VIAF 24962565 Wikipedia Personensuche PersonendatenNAME Tornier ErhardKURZBESCHREIBUNG deutscher WahrscheinlichkeitstheoretikerGEBURTSDATUM 5 Dezember 1894GEBURTSORT ObernigkSTERBEDATUM 1982 Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Erhard Tornier amp oldid 229133061