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Als Berliner Originale und Typen werden sowohl Einzelpersonen als auch ganze Berufsgruppen bezeichnet die sich auf populare Weise mit ihrem den Berlinern zugeschriebenen ausgepragten Selbstbewusstsein und ihrem schlagfertigen urbanen Witz besonders hervortun Inhaltsverzeichnis 1 Geschichte 2 Charakter 3 Originelle Typen 4 Originale 5 Literatur 6 Weblinks 7 EinzelnachweiseGeschichte Bearbeiten nbsp Schusterjunge und Theater friseur Johann Friedrich Warnick im hellen Anzug auf Franz Krugers Parade auf dem Opernplatz 1832 Neben den unverwechselbar mit Berlin und ihren Bewohnern verbundenen bekannten Personen zahlten bis zum Ende des 19 Jahrhunderts vor allem die kleinen Handler Schusterjungen Laternenanstecker Nachtwachter Sandjungen Marktfrauen Fischweiber Kohlenfritzen Holzhauer und Droschkenkutscher zu den typischen Berlinern Selbst der Leichenbitter wurde dazu gezahlt das war ein in eine altmodische Phantasieuniform gekleideter Mann mit einem Trauerflor am Arm Er hatte Hinterbliebene mit Worten zu trosten wobei auch meist ein Schnaps dabei war ausserdem ging er vor dem Leichenwagen her und lud zur Leiche zum Beispiel mit folgenden Worten Ach ja ihm is wohl oder trosten Se sich Madammeken Jott hat ihn retour jenommen Zu den vertrauten Berufsgruppen gehorten ausserdem Der Lampenputzer der Theaterfriseur Warnick Bimmel Bolle als Milchwagen Kutscher Der Wurstmaxe sowie der Leierkastenmann Charakter Bearbeiten nbsp Frontispiz zu Eckensteher Nante im Verhor von 1833Eine vermeintlich eingehende Beschreibung des Charakters der Berliner findet sich in Meyers Konversationslexikon des 19 Jahrhunderts und in Mit Berlin auf du und du Der Charakter der Berliner lasst sich schwer bestimmen da im Lauf der Zeit die verschiedensten Elemente durch Zuzug von Fremden Platz gegriffen haben Nach statistischen Berechnungen fliesst in den Adern der Berliner 37 Proz germanisches 39 Proz romanisches und 24 Proz slawisches Blut Aus dieser Mischung und den gegebenen Verhaltnissen entwickelte sich mit der Zeit der eigentumliche Typus des Berliners der all die guten und schlechten Eigenschaften der verschiedenen Nationalitaten Rassen und Stamme in sich vereint die Ausdauer Zahigkeit und Gemutlichkeit des Deutschen aber auch das Phlegma die Schwerfalligkeit und Rechthaberei des Germanen die Tapferkeit Leichtlebigkeit und den Esprit des Franzosen aber auch gallische Heissblutigkeit Eitelkeit Grosssprecherei und Rauflust die Anstelligkeit Sprachfertigkeit und schnelle Fassungsgabe der Slawen aber auch ihre Sorglosigkeit Launenhaftigkeit und Genusssucht Von Natur ist der Berliner gutmutig leicht geruhrt in hohem Grad wohlthatig und unter Umstanden grosser Opfer fahig Dagegen ist er ebenso leicht aufbrausend zum Streit geneigt rechthaberisch und spottsuchtig Er kann keinen guten oder schlechten Witz unterdrucken das Nil admirari nichts anstaunen findet unter den Berlinern zahlreiche Vertreter Autorenkollektiv Meyers Konversationslexikon 2 Band Atlantis Blatthornkafer Vierte Auflage Verlag des Bibliographischen Instituts Leipzig und Wien 1885 1892 S 756 Johann Wolfgang von Goethe erlebte in seiner Zeit den Berliner zum Beispiel so Es lebt aber wie ich an allem merke dort ein so verwegner Menschenschlag beisammen dass man mit der Delikatesse nicht weit reicht sondern dass man Haare auf den Zahnen haben und mitunter etwas grob sein muss um sich uber Wasser zu halten Johann Wolfgang von Goethe In einem Brief an Eckermann 4 Dezember 1823 Hans Ostwald bemerkt in der Einfuhrung zu seiner 1924 erschienenen popular abgefassten Berliner Kultur und Sittengeschichte Unter den Zugewanderten stammte stets ziemlich die Halfte aus der Provinz Brandenburg Diese an den Havelseen und Spreeufern grossgewordenen auf dem durftigen Sandboden und in den Heiden muhsam ihr Brot suchenden Menschen gaben den Teig fur den kecken und verwegenen Menschenschlag ab wie Goethe die Berliner nannte Zu ihnen kamen schon zeitig zahlreiche Franzosen und Juden Dass die beiden Volker das Berliner Wesen beeinflussen mussten ist erklarlich wenn man berechnet dass unter Friedrich II fast jeder zehnte Berliner ein Franzose oder ein Jude war So erklarte sich denn der Hang zum Kritisieren ebenso aus der Blutmischung wie durch das verhaltnismassig harte Erwerbsleben Der Berliner konnte nicht wie die Bewohner anderer Weltstadte auf der reichen Erbschaft alter Kulturen und den uppigen Ertragen grosser Latifundien sein Dasein aufbauen So entwickelte sich bei ihm eine hartere rauhere Form unter der allerdings auch oft ein gemutvoller Kern herauszuschalen ist Hans Ostwald Berliner Kultur und SittengeschichteOriginelle Typen Bearbeiten nbsp Die Karschin Karl Christian Kehrer 1791Im 18 Jahrhundert hoben sich nur wenige Personlichkeiten von der Masse ab Eine zumindest eigenartige Person war in dieser Zeit die Volksdichterin Karschin Sie hatte nach dem Siebenjahrigen Krieg in ihrer improvisatorischen Art einem breiten Publikum gefallen war aber in Berlin nach ersten Erfolgen kaum noch beachtet worden Sie geriet in Armut erhielt jedoch manche Zuwendungen Eine Bewirtung konnte sie so frohlich stimmen dass sie den ganzen Abend lang mit typisch berlinischem Ausdruck improvisierte Gedichte von sich gab Als ihr Friedrich II auf eine Bittschrift hin zwei Taler schicken liess sandte sie das Geld mit folgendem Vers zuruck Zwei Taler gibt kein grosser Konig Ein solch Geschenk vergrossert nicht mein Gluck Nein es erniedrigt mich ein wenig Drum geb ich es zuruck Auf Jahrmarkten und Platzen waren es bis zum Ende des 19 Jahrhunderts die Moritatensanger und die Ausrufer vor den Schaubuden unter denen manch origineller Kauz mit seiner grossen Klappe und seiner von verdrehten Formulierungen strotzenden Ausdrucksweise auffiel Das richtige Berliner Mundwerk hatten auch die Droschkenkutscher die mit ihrem Kremser am Brandenburger Tor anhielten und die Vorubergehenden laut und aufdringlich zu einem Ausflug nach dem idyllischen Charlottenburg uberreden wollten Herr Baron fahren Sie mit es fehlt nur noch eine lumpige Person Kurt Tucholsky ging mit dieser Art 1920 herb ins Gericht wir alle kennen ja den bekannten Typ des Berliners im Felde der das grosste Mundwerk der Kompanie aufzuweisen hatte und alle seine Ausspruche auch die plattesten so tat als sagte er damit den besten Witz der Weltgeschichte Originale BearbeitenBei aller Originalitat des Menschenschlags waren und sind wirkliche Berliner Originale vergleichsweise selten Diese wenigen wurden und werden schon zu Lebzeiten und auch nach ihrem Ableben unverwechselbar mit Berlin und der Berliner Art in Verbindung gebracht Hier einige der bekanntesten nbsp Der Hauptmann vor dem Rathaus KopenickDer Schuhmacher Friedrich Wilhelm Voigt erlangte als Hauptmann von Kopenick Beruhmtheit als er zu Beginn des 20 Jahrhunderts Geld aus der Stadtkasse in Kopenick an sich bringen wollte Die erwarteten zwei Millionen Mark waren aber nicht im Tresor und so erbeutete er lediglich 3557 45 Mark die man ihm auch noch freiwillig ausgehandigt hatte Das geschah am Nachmittag des 16 Oktober 1906 Nachdem 3000 Mark Belohnung ausgesetzt waren verriet ihn sein ehemaliger Zellengenosse und so wurde Voigt am 26 Oktober 1906 um 7 Uhr fruh in der Langen Strasse 22 am Ostbahnhof gelegen verhaftet Gelingen konnte das Ganze nur weil er die Uniform eines Hauptmanns des 1 Garde Regiments zu Fuss anhatte Adel des vornehmsten Regiments der zivilisierten Christenheit und eine Mannschaft von zehn Gardefusilieren Er wurde zu vier Jahren Gefangnis verurteilt wovon er wegen Begnadigung nur 20 Monate absitzen musste Bei seinem Coup liess er unter anderem den Burgermeister Georg Langerhans und den Stadtobersekretar verhaften Die Aktion des falschen Hauptmannes wurde allgemein als Satire auf den Zeitgeist mit seiner ubertriebenen Autoritatsglaubigkeit verstanden und war ein gefundenes Fressen fur die gesamte Berliner und internationalen Presse Den Dichter Carl Zuckmayer hat die Kopenickiade zu seiner 1931 geschriebenen Komodie Der Hauptmann von Kopenick die eine Anklage gegen die Glorifizierung der Uniform war angeregt Seit dem 15 Oktober 2006 Urauffuhrung in Kopenick gibt es ein neues Theaterstuck das die wahre Geschichte des Lebens von Wilhelm Voigt zum Gegenstand hat Das Schlitzohr von Kopenick von Felix Huby und Hans Munch ein Kabinettstuck fur einen Schauspieler in 15 Rollen nbsp Selbstportrat Heinrich Zilles 1922Der von den Berlinern liebevoll Pinselheinrich genannte Zeichner Heinrich Zille war zu Beginn des 20 Jahrhunderts der popularste Kunstler der Stadt Er lebte hier und die Vielfalt seiner Milieubeschreibungen Humoresken und Anekdoten sind eine Einheit von Bild und zumeist handgeschriebener Untertitelung die nicht ortsgebunden ist Es sind scheinbar leicht dahingeworfene Studien gepaart mit derben Dialogen in schnodderigem Berliner Jargon ohne grammatikalische Genauigkeit Die Bildunterschriften sind dabei eher als Kommentare zu verstehen die in ironischer manchmal sarkastisch makabrer Weise Zilles Blick in die Hinterhofe und wilhelminischen Amtsstuben der Jahrhundertwende begleiten Aus dem Berlin des 19 Jahrhunderts gelten der Eckensteher Nante und Mutter Lustig als Originale Die Bekanntheit als Nante verdankt der Berliner Dienstmann Ferdinand Strumpf der an der Konig Ecke Neue Friedrichstrasse seinen Standort hatte dem Volksstuck Eckensteher Nante im Verhor Dieses Stuck stammt von dem bekannten Schauspieler Friedrich Beckmann der es nach einem Vorbild aus Adolf Glassbrenners Groschenheft Reihe Eckensteher 1833 auf die Buhne brachte 1 Beckmann hatte die Figur des Nante schon in dem 1832 aufgefuhrten Stuck Ein Trauerspiel in Berlin von Karl von Holtei gespielt Wahrend Nante Kurzform fur Ferdinand an der Strassenecke auf Gelegenheitsarbeit wartete hatte er fur alles und jedes ironische Bemerkungen und derbe Spottreden parat Mit seinem typisch Berliner Witz wurde er zur Verkorperung des Berliner Volkshumors und zum stadtbekannten Original nbsp Denkmal fur Mutter Lustig in Berlin KopenickAls Mutter Lustig wurde die Wascherin Henriette Lustig 1808 1888 bekannt Sie grundete 1835 in Kopenick die erste Lohnwascherei aus der sich eine ganze Dienstleistungsbranche entwickeln sollte Nicht vergessen werden sollten die als Mutter Grabert bekannte couragierte Berlinerin Julie Grabert der Armenarzt Ernst Ludwig Heim sowie Marie Anne du Titre Mutter Grabert betrieb ein Possen Theater und wachte hemdsarmlig daruber dass die Gaste in den Theaterpausen auch genug konsumierten Heim betrieb eine stadtbekannte Arztpraxis am Berliner Gendarmenmarkt in der er arme Menschen haufig kostenlos behandelte Mit feinem oder grobem Humor sagte er jedem ohne Standesunterschied geradeheraus seine Meinung Du Titre war die Ehefrau eines sehr wohlhabenden Fabrikanten die immer ein sogenanntes grosses Haus fuhrte In zahlreichen taglichen Lebenssituationen fiel die du Titre durch schlagfertige Antworten auf von denen viele uberliefert sind In der Literatur sind als weitere Berliner Originale zu finden die Harfenjule Onkel Pelle Strohhut Emil Krucke Big Helga und der als Eiserner Gustav bekannt gewordene Droschkenkutscher Gustav Hartmann Das offizielle Berlin Hauptstadtportal erwahnt auch die Orgel Trude Gertrud Muller die mit Schornsteinfegerkleidung und einem Leierkasten die Berliner unterhielt Der Grabstein auf dem Kommunalfriedhof Mahlsdorf enthalt die originelle Formulierung Schornsteinfegerleierkastenmullerin 2 Literatur BearbeitenMeyers Konversationslexikon 4 Auflage Bibliographisches Institut Leipzig Wien 1885 1892 Friedrich von Tietz Berliner Originale aus fruherer Zeit In ders Bunte Erinnerungen an fruhere Personlichkeiten Begebenheiten und Theaterzustande aus Berlin und anderswoher Leopold Lassar Berlin 1854 S 21 24 Web Ressource dass u d T Heitere Eisenbahn und Reise Lecture Bloch Berlin 1859 Georg Lenz Berliner Typen in Berliner Porzellan In Westermanns Monatshefte Jg 63 1918 Bd 125 S 485 499 Web Ressource Hans Ostwald Kultur und Sittengeschichte Berlins Verlagsanstalt Hermann Klemm A G Berlin Grunewald 1924 Nachdruck als Berliner Kultur und Sittengeschichte Voltmedia Paderborn 2006 ISBN 3 938478 93 4 Hans Ludwig Berlin von Gestern Verlag Das Neue Berlin Berlin 1957 Hans Prang Gunter Kleinschmidt Mit Berlin auf du und du Brockhaus Verlag Leipzig 1980 S 113 121 Bodo Harenberg Hrsg Die Chronik Berlins Chronik Verlag Dortmund 1986 ISBN 3 88379 082 6 Gerhard Flugge Serie Berliner Originale in der Rubrik Berliner ABC Berliner Zeitung 1971 Weblinks BearbeitenBerliner Originale beim Luisenstadtischen Bildungsverein Berliner Originale beim Berliner HauptstadtportalEinzelnachweise Bearbeiten Bodo Harenberg Hrsg Die Chronik Berlins Chronik Verlag Dortmund 1986 ISBN 3 88379 082 6 S 194 Information des BA Marzahn Hellersdorf zum Mahlsdorfer Friedhof Memento vom 9 August 2010 im Internet Archive Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Berliner Original amp oldid 230383288