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Bekiviro ist eine Ritualtrommel die in wenigen Exemplaren auf einigen vor der Nord und Nordwestkuste Madagaskars gelegenen Inseln vorkommt und im Ahnenkult der Sakalava die Macht der toten Konige reprasentiert Die fast lebensgrosse aus einem Baumstamm gefertigte Bechertrommel wird nur bei besonderen Anlassen geschlagen und steht im Zentrum von Besessenheitsritualen zur madagassischen Ahnenverehrung Beim Umgang mit ihr sind zahlreiche Verbote fady zu beachten Inhaltsverzeichnis 1 Kultureller Hintergrund 2 Gesellschaftsordnung 3 Bauform und Herkunft 4 Ahnenverehrungsritual 5 Bedeutung 6 Literatur 7 EinzelnachweiseKultureller Hintergrund BearbeitenDie Kultur Madagaskars vereint die Einflusse der im Verlauf der letzten zwei Jahrtausende eingewanderten Siedler Handler und Kolonisatoren Vermutlich erreichten in den ersten nachchristlichen Jahrhunderten Seefahrer aus dem Malaiischen Archipel entweder direkt oder mit dem Umweg uber die afrikanische Kuste die Insel Der malaiische Kultureinfluss blieb vor allem bei den im zentralen Hochland siedelnden Merina erhalten In der Musik verweist die Bambusrohrenzither valiha am deutlichsten auf eine malaiische Herkunft Einen weiteren Kultureinfluss fur die gesamte Insel brachten ab dem 15 Jahrhundert zu den Bantu gehorende verschleppte Sklaven und freie Einwanderer aus Afrika Der Norden und Nordwesten ist daruber hinaus durch arabische Seefahrer gepragt deren Spuren ab dem 10 Jahrhundert an der Kuste nachweisbar sind In dieser Zeit begann von Sansibar ausgehend die Islamisierung der ostafrikanischen Kuste Wahrend im 16 Jahrhundert die Bevolkerung der nordlich gelegenen Komoren mehrheitlich die neue Religion annahm erreichte der Islam auf Madagaskar lediglich die Nordkuste Zugleich war die im Norden vorgelagerte Insel Nosy Be ab 1840 die erste Station franzosischer Katholiken die von hier aus mit der Missionierung des Sakalava Gebietes begannen 1 Daraus resultiert im Norden und Nordwesten eine afrikanisch arabisch und europaisch beeinflusste Kultur und eine Musik deren Formenreichtum grosser ist als in den ubrigen Landesteilen 2 Uber diese Region verbreiteten sich die in der zweiten Halfte des 20 Jahrhunderts vom afrikanischen Festland eingefuhrten Popularmusikstile in ihrer madagassischen Auspragung darunter soukous in Madagaskar zu sekosy benga zu watcha watcha und mbaquanga zu zolo Im wirtschaftlich dominierenden Norden verfugen auch kleinere Ensembles uber das notwendige Instrumentarium namentlich Elektrogitarren wahrend in anderen Regionen auf den Dorfern weiterhin selbstgebaute Imitationen eingesetzt werden Gegen die Kulturimporte und die technischen Errungenschaften der Moderne behauptet sich als konservativer Gegenpol der fest in die traditionelle Gesellschaftsordnung eingebundene Ahnenkult Hierin nehmen die Ahnen auf die Lebenden Einfluss Durch den ritualisierten Ruckbezug auf die Ahnen stellen diese fur die einzelnen Mitglieder der Gemeinschaft Identifikationsfiguren und Stabilitatsanker dar 3 Gesellschaftsordnung BearbeitenDie Sakalava formierten um 1400 einen Machtbereich unter ihrem ersten Konig Andrianmisara I 4 und bildeten vom 17 Jahrhundert bis zum Anfang des 19 Jahrhunderts das fuhrende Reich auf Madagaskar Gemass ihrer mundlichen Uberlieferung kamen die Sakalava ursprunglich aus dem Sudwesten der Insel Das Mitte des 17 Jahrhunderts unter Konig Andrianihaninarivo postumer Name zu Lebzeiten hiess er Andriandahifotsy entstandene Konigreich Menabe wurde zum Vorbild fur die spatere Gesellschaftsstruktur der Sakalava 5 Das Siedlungsgebiet der Sakalava entlang der West und Nordwestkuste wurde ab 1500 bevorzugt von europaischen Seefahrern angelaufen weshalb uber sie die meisten Berichte aus vorkolonialer Zeit vorliegen Daraus wird die Existenz eines ausgepragten Besessenheitskults ersichtlich den die Sakalava bis heute praktizieren und dessen kibuki Geister in den ostafrikanischen Pepo Kult eingegangen sind Der Besessenheits und Reliquienkult der Sakalava hat Parallelen bei den Bantusprechern Die ethnologisch gut untersuchten Sakalava bieten einen anschaulichen Einblick in das Fortbestehen gesellschaftlicher Strukturen aus der Zeit der Konigreiche fanjakana Anfang des 19 Jahrhunderts gerieten die beiden Sakalava Konigreiche Menabe im Suden und Boeny Boina im Norden unter den Einfluss des mit Unterstutzung der Englander expandierenden Merina Reiches Der Kustenstreifen dazwischen wurde zur Zufluchtsregion der unabhangigen Sakalava was zu einem wirtschaftlichen Aufschwung der bis dahin vernachlassigten Region fuhrte Im 19 Jahrhundert befand sich die in mehrere Kleinreiche zersplitterte Kustenregion in einem permanenten Kriegszustand mit den Merina was zur Folge hatte dass laut zeitgenossischen Beobachtern die Sakalava standig Waffen trugen Erst der franzosischen Kolonialarmee gelang zwischen 1896 und 1904 die Eroberung der Westkuste und die Unterwerfung der Sakalava 6 Seitdem bestehen die alten Herrschaftsstrukturen nur noch auf der gesellschaftlichen Ebene fort Die Geschichte der Sakalava ist die Geschichte der Herrscherdynastien und ihrer Zweige Die Sakalava schopfen aus der Vergangenheit die Legitimitat und Autoritat fur die heutigen Institutionen Sie bilden mit 6 2 Prozent Anteil 2010 an der Gesamtbevolkerung eine der 18 bis 20 ethnischen Gruppen des Landes 7 Ihre Gesellschaft setzt sich aus Clans zusammen die uber eine bestimmte Herkunftsgeschichte tantara mit dem koniglichen Clan verbunden sind Die Gemeinschaft wird vom lebenden Monarchen ampanjaka und von dessen verstorbenen Vorgangern zugleich regiert wobei den toten Herrschern razana ampanjaka aufgrund ihres hoheren Alters die grossere Macht zukommt Mit zunehmendem Alter wachsen Macht und Autoritat Die Zahlung der Altersjahre wird mit dem Tod nicht unterbrochen weil der Tod nur als Ubergang in einen anderen Daseinsbereich gilt Dem lebenden Monarchen dessen Macht in der Nachfolge von den fruheren Herrschern begrundet liegt kommt eine Schlusselrolle bei der Traditionsbewahrung zu Er fungiert als spiritueller Vermittler zur Ahnenwelt weshalb er die Beinamen tompondrazania Meister der Ahnen und tompon ny lambantanana Meister der hohlen Hand tragt Letzteres bezieht sich auf die Anbetungsgeste gegenuber den Ahnen 8 Die toten Monarchen werden in einfach gestalteten Grabern auf dem Ahnenfriedhof mahabo verehrt von wo auch ihre Wirkung ausgeht Ublicherweise befindet sich dieser Friedhof auf einer vorgelagerten Insel Die Sozialorganisation besteht neben den Konigen ampanjaka aus dem burgerlichen Volk vohitry oder vahoaka Sklaven andevo und koniglichen Sklaven sambarivo Die sambarivo Nachfahren der wahrend des arabischen Sklavenhandels an der ostafrikanischen Kuste und bei Raubzugen der Sakalava aus Afrika verschleppten Sklaven fungieren als Wachter der Konigsgraber und bei den Zeremonien als Nachrichten uberbringende Medien Besessene saha In tromba genannten Zeremonien sprechen die Ahnen mit der Stimme der sambarivo uber aktuelle und vergangene Geschehnisse Weil die sambarivo verschleppt wurden haben sie keine Ahnen und damit keine eigene Geschichte Hieraus erklart sich ihre niedrige Sozialstellung trotz der sie durch ihre wesentliche Rolle bei der Ahnenverehrung dem Konigtum am nachsten stehen Es besteht ein gegenseitiges Abhangigkeitsverhaltnis von den als Medien agierenden Sklaven zum lebenden Herrscher in dessen Sinn sie die Worte der Ahnen tenin drazana wiederzugeben haben und vom Herrscher zu den Medien die mit ihren Ahnenworten seine Macht legitimieren 9 Bauform und Herkunft BearbeitenDie bekiviro ist eine aus einem Baumstamm gefertigte Bechertrommel von ungewohnlicher Grosse Bei einem Exemplar wurde eine Gesamthohe von 139 cm gemessen Der Durchmesser des Korpus loha betragt bei diesem Instrument 62 cm und die Korpushohe 89 cm Fur diesen Trommeltyp und allgemein fur Trommeln in Madagaskar wird das Holz des Marula Baums Sclerocarya birrea subsp caffra auch Poupartia caffra in Madagaskar sakoa verwendet Mit dem halbrund geschnitzten Korpusboden ist ein konischer Fuss verbunden der in eine Standplatte vom Durchmesser des Korpus ubergeht Die Membran besteht aus Ochsenhaut angozy die mit einer am Rand umlaufenden doppelten Reihe von Holzpflocken gespannt ist Etwas unterhalb sind am Korpus vier kreisrunde Ringe aus Silber als Tragegriffe befestigt Die Silberringe gaben der Trommel den Malagasy Namen bekiviro was grosse Ohrringe be kiviro ansonsten kavina bedeutet Im mittleren Korpusbereich ist die Trommel mit einem eingekerbten Ornamentband verziert Sie wird mit zwei Holzschlageln kobay Stab geschlagen nbsp Holzerne Bechertrommel mit Nagelspannung und vier Handgriffen der Lulua in der kongolesischen Provinz Kasai Occidental Wahrend der Name bekiviro malayo polynesischen Ursprungs ist gehort die Trommel zur grossen Gruppe der im sudlichen Afrika weit verbreiteten Bechertrommeln mit Nagelspannung und wird deshalb zu den Instrumenten afrikanischer Herkunft gezahlt Nagelspannung bezeichnet eine mit einer engen Nagelreihe oder mit haufig weit herausstehenden Holzdubeln befestigte Membran Eine vergleichbare Bechertrommel ist die von den Makonde im Norden Mosambiks unter anderem beim Maskentanz mashesho gespielte singanga Die singanga besitzt jedoch keinen Standfuss sondern einen unten den Korpus verlangernde Holzstange die wie eine Zahnwurzel aussieht und in den Boden gespiesst wird sodass die Trommel vom stehenden Spieler mit zwei dunnen Staben geschlagen werden kann Eine ungewohnlich lange schlanke Trommel mit Nagelspannung und Standfuss heisst bei den Makonde nnea auch neya 10 Verwandt hiermit sind einfellige Sanduhrtrommeln deren Membran mit einer Nagelreihe befestigt ist und die vom stehenden Musiker zwischen den Beinen gehalten werden etwa die ngoma fumbwa der Wagogo in der Dodoma Region von Tansania 11 In Mosambik gibt es weitere mit der bekiviro vergleichbare Trommeln die aber wesentlich kleiner sind Die bekiviro wurde vermutlich erst im 19 Jahrhundert nach Madagaskar eingefuhrt Nach Auskunft eines Sakalava sei dies unter dem Konig der Bemihistra Sakalava geschehen der 1849 bis 1869 auf der Insel Nosy Lava regierte In einem Reisebericht von 1799 in welchem die madagassischen Musikinstrumente beschrieben werden kommt die bekiviro noch nicht vor Die koniglichen Ahnen die in den Zeremonien von den Medien und den lebenden Herrschern Besitz ergreifen werden mit Liedern und Tanzen unterhalten die zusammenfassend soma Vergnugungen heissen Sie wurdigen die Geschichte und die Eigenschaften des Konigtums Eine Form der soma die nach der Trommel soma bekiviro genannt wird handelt von der Herkunft der koniglichen Sklaven aus Afrika 12 was einen Zusammenhang zwischen dem Sklavenhandel und der Einfuhr der Trommel wahrscheinlich macht 13 Im Verein mit anderen Musikinstrumenten wird die bekiviro gelegentlich dadilahy be Urgrossvater genannt ihre Kinder zanany mit denen sie zusammen gespielt wird sind zwei zweifellige konusformige Rohrentrommeln tsapoa und das Aufschlagidiophon patso Swahili Platte Teller das aus zwei aufeinander gelegten Kupferplatten besteht die mit Holzstabchen angeschlagen werden oder ersatzweise aus einem Stuck Blech Manchmal kommt das Doppelrohrblattinstrument kabiry der in der Swahili Kultur verwendeten Kegeloboe nzumari entsprechend hinzu Die beiden geringfugig in der Grosse abweichenden tsapoa werden meist auf dem Boden liegend von hockenden Musikern mit beiden Handen geschlagen Sie sind etwa 70 cm lang der grossere Felldurchmesser betragt bis 28 cm der kleinere um 20 cm Die Membrane sind mit Y formigen Hautstreifen gegeneinander verspannt Im Tanzstil garasisa wird eine der beiden tsapoa von einem Tanzer an einem Schulterband hangend geschlagen Diese Spielweise hat ihr Vorbild in der europaischen Marschmusik Mit der tsapoa verwandte Zeremonialtrommeln werden in der Swahili Region Ostafrikas chapua genannt 14 In Madagaskar ist die bekiviro die einzige Trommel ihres Typs und in dieser Grosse Ausserhalb des Sakalava Kulturraums auf Madagaskar verwendete Zeremonialtrommeln sind meist zweifellige Konustrommeln mit Y formig verspannten Membranen Der am weitesten verbreitete Malagasy Name hierfur ist hazolahy Die Felle der hazolahy werden mit einer Hand und einem Stock in der anderen Hand geschlagen wie die tsapoa gehoren sie stets paarweise zum Ensemble 15 Die heiligen Trommeln hazolahy heissen nach dem zu ihrem Bau verwendeten Baum wortlich ubelriechendes Holz und werden im Hochland bei Ritualen fur die Herrscher verwendet 16 In vorkolonialer Zeit besassen am Hof von Merina die Zeremonialtrommeln hazolahy und amponga eine ahnliche Bedeutung fur den Konig der ohne die Krafte seiner Trommeln nicht regieren konnte Amponga ntaolo heisst die zylindrische Ahnentrommel Daruber hinaus steht amponga fur Perkussionsinstrumente allgemein wozu auch die Erdzither amponga tany Erd Trommel zahlt 17 In einigen Uberlieferungen wird ein Konig Andrianamponga Prinz der Trommeln als Begrunder des Merina Reiches erwahnt Wenn so die Trommel an den Beginn des Konigreichs gestellt wird um ihre zentrale Rolle zu betonen ist es naheliegend dass den bei Feldzugen unterlegenen Merina Herrschern ihre Trommeln und die Schneckenhorner antsiva abgenommen wurden Die Schneckenhorner wurden wie Trommeln bei religiosen Ritualen und staatlichen Zeremonien verwendet 18 Die Manner der Sakalava spielen eine dabalava genannte Rohrentrommel bei traditionellen Boxwettkampfen morengy und die Frauen begleiten mit ihr kolondoy Lieder Eine weitere zweifellige Sakraltrommel der Sakalava die mit einem Stock und einer Hand geschlagen wird ist die manandria Im Hochland spielen bei Festen Flote Trommel Ensembles die aus einer kleinen Trommel mit Schnarrsaiten langorona und einer grossen Zylindertrommel amponga bestehen 19 Ahnenverehrungsritual BearbeitenEs gibt eine Reihe von Ritualen die in bestimmten Abstanden an den Konigsgrabern mahabo durchgefuhrt werden Eine Form um sich an die koniglichen Ahnen zu erinnern sind Lieder und Tanze Immer wenn die Tore in den Zaunen um den koniglichen Friedhof geoffnet oder geschlossen werden um Ritualgegenstande zu transportieren und bei der Opferung von Rindern singen Frauen im Stehen kolondoy genannte kurze Lieder Uberwiegend Frauen agieren als Besessenheitsmedien und uberbringen in den tromba Ritualen die Botschaften der zum Leben erwachten Ahnengeister die als Gruppe ebenfalls tromba genannt werden 20 Frauen und Manner singen ferner antsa be grosse Lieder mit denen sie an den Konigsgrabern die Ahnen preisen und um ihren Segen bitten Hierbei sitzen die Frauen im Norden und die Manner sitzen ihnen im Suden gegenuber Beide Gruppen orientieren sich nach Osten auf das Konigsgrab Weiter sudlich abseits stehende Jungen und Madchen konnen zur selben Zeit beliebte Volkslieder goma kaoitry singen 21 Ein beliebter Tanz der bei unterschiedlichen zeremoniellen Ereignissen zu Ehren der verstorbenen Konige aufgefuhrt wird ist der langsame getragene rebiky Nur beim rebiky geraten Burger in den Zustand der Besessenheit von koniglichen Ahnen und spielen deren Rollen in den vergangenen Schlachten nbsp Die Membran einer Bechertrommel ngoma in Tansania wird uber dem Feuer gestimmt Die heilige Trommel wird nur von Mannern an den Konigsgrabern geschlagen und gilt als schwieriges sarotra Instrument im Unterschied zur tsapoa die auch Frauen und kleine Jungen spielen durfen Beim Besuch des Ahnenfriedhofs auf einer der Inseln sind einige Verbote und Vorschriften fady zu beachten zu denen das Ausziehen der Schuhe am Eingang des Dorfes gehort Schuhe gelten grundsatzlich als unrein Das heilige Grab darf nicht fotografiert werden Auf der Insel Nosy Faly ist das Grab ein einfaches Haus das von den Hausern der Sklaven umgeben auf der Hugelspitze steht Die grosse Trommel wird in ihrem Haus dem zomba bekiviro aufbewahrt und nur bei wenigen rituellen Anlassen hervorgeholt Dabei muss die Trommel von acht Mannern mit dem Fuss nach vorne getragen werden Ist das Fell mit einem Tuch gereinigt wird die Trommel flach zur Seite geneigt um sie durch Erhitzen mit einer Flamme zu stimmen Hierfur wird ein brennendes Grasbuschel gegen den Uhrzeigersinn vor dem Fell im Kreis bewegt Anschliessend wird die Trommel vor dem Grabmal senkrecht aufgestellt wie August Schmidhofer bei seinem Besuch von Nosy Faly im Januar 1992 beobachtete sodass der Spieler neben der Trommel auf einen Stuhl stehen muss 22 Gillian Feeley Harnik 1988 stellte auf der Insel Nosy Lava fest dass die Trommel schrag gegen eine waagrechte Holzstange gelehnt wird Um nicht wegzurutschen wurde die Trommel mit einer durch die beiden Metallringe gezogenen Schnur fixiert Die Schragstellung ermoglicht dem Spieler sie zu schlagen wahrend er auf dem Boden steht Bevor oder nachdem die Trommel ihren Platz erhalten hat werden das ebenfalls im Haus aufbewahrte Idiophon patso und die kleinen Trommeln tsapoa geholt und in einer bestimmten Ordnung positioniert Die Kegeloboe kabiry bringt der Musiker von seinem Wohnhaus mit Die bekiviro wird ausschliesslich zur Begleitung der Lieder und Ritualtanze soma bekiviro an den Konigsgrabern verwendet Die Auffuhrungen finden nachts statt laut Feeley Harnik 1988 darf die bekiviro tagsuber weder gehort noch gesehen werden Dass dieses Verbot so nicht besteht oder nicht strikt eingehalten wird belegen mehrere Fotos und ausserdem die fur Schmidhofer 1992 arrangierte Vorfuhrung Wahrend das Musikensemble spielt gehen die Tanzerinnen stets gegen den Uhrzeigersinn in einer Reihe oder in einer Doppelreihe aussen herum ohne sich zu beruhren An fast allen Tanzen nehmen nur Frauen und Kinder teil Der einzige Ritualtanz bei dem auch Manner mitwirken ist nach Schmidhofers Beobachtung der garasisa 23 Feeley Harnik 1988 beschreibt hingegen dass an der Spitze der Tanzerreihe die Manner um die bekiviro herumgehen gefolgt von Frauen und Mannern die sich spater anschliessen Wahrend sie sich bewegen singen sie antsa Silamo Swahili Moslem Gesange oder antsa Makoa Makoa Lieder Die Makoa auf Madagaskar stammen von versklavten Makua aus Mosambik ab Die Zeremonie am koniglichen Friedhof dauert die ganze Nacht bis zum Morgengrauen Die antsa be grosse Lieder wechseln mit soma bekiviro Lieder und Tanze und manchmal mit popularen Liedern ab Die Zuschauer kommen und gehen zwischendurch die meisten finden sich zum Abschluss am fruhen Morgen wieder ein Kurz vor dem Morgengrauen tragen acht Manner die bekiviro wie sie gekommen ist mit dem Fuss voraus zuruck in das Trommelhaus gefolgt von den kleineren Rohrentrommeln und schliesslich den Metallplatten patso Wahrenddessen klatschen die Frauen im Gleichtakt und singen grosse Lieder 24 Bedeutung BearbeitenDie nach wie vor praktizierte rituelle Ahnenverehrung wird als Reaktion auf die grossen gesellschaftlichen und politischen Veranderungen verstanden die seit dem Anfang des 19 Jahrhunderts als Folge der europaischen Kolonisierung und weiter nach der Unabhangigkeit 1960 eingetreten sind Auch wenn manche Mitglieder aus den unteren Schichten in dieser Zeit zu Besitztumern kamen und der Adel weitgehend verarmte behielt die Adelsschicht ihr durch die Abstammung gegebenes Prestige Gravierende Ereignisse fuhrten in der Vergangenheit zu epidemieartig ausbrechenden Besessenheitserkrankungen Als etwa die Herrscherin Ranavalona I 1861 verstorben war anderte der Nachfolger Radama II grundlegend die Aussenpolitik Er begunstigte Briten und Franzosen worauf sofort christliche Missionare in grosser Zahl auf die Insel kamen Dies resultierte in einer als Imanenjana bekannten Massenhysterie bei der mehrere Personen erklarten von der wiedererschienenen Ranavalona I besessen zu sein Sie zogen tanzend und von Musikern begleitet durch die Strassen der Hauptstadt Tananarivo Die Tanzsucht legte bald das offentliche Leben der Stadt lahm und breitete sich weiter auf die gesamte Insel aus Ein zeitgenossischer britischer Arzt beschrieb die Krankheitssymptome der Besessenen 25 Die Unsicherheit hervorgerufen durch die plotzlich hereingebrochenen Fremden bewirkte den Ruckzug zu den Ahnen was sich in zunehmenden Besessenheits und Ahnenkulten ausserte Im Besonderen die bekiviro steht bei diesem Bestreben fur ein Symbol der Ahnenwelt und verkorpert die vergangenen Zeiten fanjakana taloha womit die alte Feudalordnung gemeint ist Die bekiviro ist nicht wie manche afrikanische Ritualtrommeln ein Machtsymbol des lebenden Konigs Es ist sogar dem lebenden Konig der Sakalava verboten die Graber seiner Vorfahren zu besuchen weshalb er auch nie eine bekiviro zu sehen bekommt Die Grunde fur die herausgehobene Bedeutung der bekiviro als Symbol der Ahnen haben nur zum Teil etwas mit ihrer Klangqualitat und grossen Lautstarke zu tun die von den enormen Ausmassen des Trommelkorpus herruhrt Die Ringe aus reinem Silber machen das Instrument kostbar Uber den materiellen Wert hinausgehend steht Silber vola fotsy weisses Geld symbolisch fur die koniglichen Ahnen Bei tromba Besessenheitszeremonien und anderen Ritualen spielen die Farben Weiss und Rot eine Rolle Mit Rot ist Gold vola mena rotes Geld gemeint ein weiteres Ahnensymbol 26 Die geringe Zahl von geschatzt funf bis zehn Exemplaren Schmidhofer 1998 von denen sich keines ausserhalb des angestammten Verwendungsgebietes befindet und der auf selten stattfindende Zeremonien beschrankte Einsatz machen die Trommel aussergewohnlich Verstarkt wird der sakrale Charakter der bekiviro durch das vorgestellte hohe Alter der Instrumente die lange Tradition sowie die Verbote und Verpflichtungen fady die im Umgang mit ihnen zu beachten sind Hierzu gehort dass bei der Herstellung zehn Rinder geopfert werden mussen Die Trommelspieler stammen aus der untersten Gesellschaftsschicht ihr Wirken gilt der hochsten Ebene Damit vereint die Trommel das gesamte gesellschaftliche Spektrum 27 Literatur BearbeitenGillian Feeley Harnik Sakalava Dancing Battles Representations of Conflict in Sakalava Royal Service In Anthropos Band 83 Heft 1 3 1988 S 65 85 August Schmidhofer Die Ahnentrommel Bekiviro der Sakalava Madagaskar In Franz Fodermayr Ladislav Burlas Hrsg Ethnologische Historische und Systematische Musikwissenschaft Oskar Elschek zum 65 Geburtstag Institut fur Musikwissenschaft der Slowakischen Akademie der Wissenschaften ASCO art amp science Bratislava 1998 S 135 144 August Schmidhofer Madagaskar In MGG Online November 2016 Musik in Geschichte und Gegenwart 1996 Einzelnachweise Bearbeiten Lesley A Sharp The Sacrificed Generation Youth History and the Colonized Mind in Madagascar University of California Press Berkeley 2002 S 45 August Schmidhofer Madagaskar II In MGG Online August Schmidhofer 1998 S 135f John Middleton World Monarchies and Dynasties Routledge New York 2015 S 818 Peter Kneitz Im Land dazwischen Die Sakalava Konigreiche von Ambongo und Mailaka westliches Madagaskar 17 19 Jahrhundert In Anthropos Band 103 Heft 1 2008 S 33 63 hier S 39 Peter Kneitz Im Land dazwischen Die Sakalava Konigreiche von Ambongo und Mailaka westliches Madagaskar 17 19 Jahrhundert In Anthropos Band 103 Heft 1 2008 S 35 55 59 Benoit Thierry Andrianiainasoa Rakotondratsima u a Nourishing the Land Nourishing the People The Story of One Rural Development Project in the Deep South of Madagascar that Made a Difference CABI Oxfordshire 2010 S 31 ISBN 978 1 84593 739 3 Gillian Feeley Harnik Divine Kingship and the Meaning of History Among the Sakalava of Madagascar In Man New Series Bd 13 Nr 3 September 1978 S 402 417 hier S 403f August Schmidhofer 1998 S 136f Gerhard Kubik Ostafrika Musikgeschichte in Bildern Band 1 Musikethnologie Lieferung 10 Deutscher Verlag fur Musik Leipzig 1982 S 184 186 Gerhard Kubik 1982 S 140 Gillian Feeley Harnik 1988 S 67f August Schmidhofer 1998 S 139 August Schmidhofer 1998 S 138 Roger Blench The Morphology and Distribution of Sub Saharan Musical Instruments of North African Middle Eastern and Asian Origin In Laurence Picken Hrsg Musica Asiatica Bd 4 Cambridge University Press Cambridge 1984 S 155 191 hier S 163f Birger Gesthuisen Beiheft zur CD Madagaskar 4 Musik des Nordens Feuer amp Eis Moers 1997 S 14 Amponga In Laurence Libin Hrsg The Grove Dictionary of Musical Instruments Bd 1 Oxford University Press Oxford New York 2014 S 97 August Schmidhofer Zur Geschichte der Musik am Merina Hofe vor 1828 In Elisabeth T Hilscher Hrsg Osterreichische Musik Musik in Osterreich Beitrage zur Musikgeschichte Mitteleuropas Theophil Antonicek zum 60 Geburtstag Hans Schneider Tutzing 1998 S 327 336 hier S 339 August Schmidhofer Madagaskar IV In MGG Online Lesley A Sharp The Possessed and the Dispossessed Spirits Identity and Power in a Madagascar Migrant Town University of California Press Oakland 1996 S 122 Gillian Feeley Harnik 1988 S 67 August Schmidhofer 1998 S 137 August Schmidhofer 1998 S 139 Gillian Feeley Harnik 1988 S 68 Michael Lueger Dance and the Plague Epidemic Choreomania and Artaud In Nadine George Graves Hrsg The Oxford Handbook of Dance and Theater Oxford University Press Oxford 2015 S 951 Lesley A Sharp The Possessed and the Dispossessed Spirits Identity and Power in a Madagascar Migrant Town University of California Press Oakland 1996 S 120 August Schmidhofer 1998 S 140f Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Bekiviro amp oldid 230672102