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Die 1933 in Nurnberg als Anorgana Chemische Handelsgesellschaft mbH gegrundete und seit dem 10 Mai 1935 in Berlin spater in Frankfurt Main und Ludwigshafen eingetragene Anorgana GmbH war neben den Chemischen Werken Huls GmbH eine der beiden Tochtergesellschaften der I G Farbenindustrie Aufsichtsratsvorsitzender war Fritz ter Meer Geschaftsfuhrer Otto Ambros und Paul Dencker 1 Mit der Auslagerung von Betriebsstatten an die Anorgana Tochter wollte der I G Farben Konzern ab 1939 verschleiern dass er direkt an der Herstellung von chemischen Kampfstoffen Giftgasen beteiligt war Produktionsstatten der Anorgana GmbH waren Gendorf Oberbayern und Dyhernfurth Schlesien heute Brzeg Dolny ˈbʒɛk ˈdɔlnɨ in Polen Eine weitere Betriebsstatte in Falkenhagen ostlich von Berlin wurde bis Kriegsende nicht fertiggestellt 2 Inhaltsverzeichnis 1 Geschichte 2 Produktion bis 1945 3 Demontage und Wiederaufbau nach 1945 4 Umweltfolgen 5 Literatur 6 EinzelnachweiseGeschichte BearbeitenBereits 1937 plante das Oberkommando des Heeres fur den Kriegsfall den Bau von mehreren Bereitschaftsanlagen fur Heeresbedarf also Rustungsbetrieben Einer der Standorte sollte das abgelegene Gendorf an der Alz sein das damals zur Gemeinde Emmerting Oberbayern gehorte Dort sollten in aller Abgeschiedenheit und unter grosster Geheimhaltung Kampfstoffe hergestellt werden Die Bauarbeiten fur eine erste Versuchsanlage begannen im August 1938 gesteuert von der Orgacid GmbH einem Tarnunternehmen der Wehrmacht Ab April 1939 beauftragte die ebenfalls vom Reichskriegsministerium gesteuerte Verwertungsgesellschaft fur Montanindustrie Montan G m b H mit dem Bau der eigentlichen Bereitschaftsanlage die Bayerischen Stickstoffwerke Am 7 September 1939 wenige Tage nach Ausbruch des Zweiten Weltkriegs bestellten Oberst Oskar Schmidt der Leiter der Gasschutzabteilung WaPruf 9 im Heereswaffenamt HWA und Ministerialrat Dr Johannes Zahn vom Oberkommando des Heeres die IG Vorstandsmitglieder Fritz ter Meer und Heinrich Hoerlein zu sich und forderten von der I G Farben eine Produktionsstatte fur das Nervengas Tabun obwohl sich der Konzern wegen der negativen Erfahrungen im Ersten Weltkrieg bereits zwei Mal geweigert hatte weniger wegen moralischer Bedenken sondern um seine internationalen Geschaftsinteressen nicht zu gefahrden Die IG mochte als Weltunternehmen ihren Namen nicht mit Kampfgasproduktion in Verbindung gebracht haben 3 Mit ihrer distanziert ausweichenden Haltung konnten sich die Manager gegen die Forderungen des NS Regimes jedoch nicht durchsetzen Zur Errichtung der von den Militars verlangten chemischen Anlagen grundete die I G Farbenindustrie gemeinsam mit den Buna Werken in Ludwigshafen die Luranil Baugesellschaft Uber sie erfolgten Planung und Bau der Betriebsstatten in Dyhernfurth und Gendorf anfanglich mit dem Einsatz von freiwilligen Arbeitskraften da wegen der heiklen Produktpalette absolute Zuverlassigkeit und Verschwiegenheit gefragt waren Durch die Knappheit an Arbeitskraften wurden fur Gendorf aber ab 1941 42 zunehmend auslandische Beschaftigte rekrutiert zunachst ca 500 italienische und etwa 120 franzosische Arbeitskrafte spater zunehmend Ostarbeiter Kriegsgefangene und rund 250 KZ Haftlinge aus Dachau Insgesamt sollen ab 1942 ca 30 bis 40 der Gesamtbelegschaft aus dem Ausland gekommen sein Auch in Dyhernfurth waren ab Fruhjahr 1941 ca 800 Italiener im Einsatz sowie Kriegsgefangene mit dem Vermerk R U Ruckkehr unerwunscht An der Abfull Anlage fur Tabun mussten 1500 bis 2500 KZ Haftlinge aus Gross Rosen arbeiten 4 Die Unterkunfte der Haftlinge nannte die SS zynisch Elfenheim weil die Bewohner gleich Elfen kamen und wieder verschwanden also Opfer der verbrecherischen Arbeitsbedingungen wurden 5 Zu Propaganda Zwecken wurde von Fabriken zur Waschmittel und Seifen Produktion gesprochen Trilon Die Anorgana GmbH war dabei lediglich Pachter die Liegenschaften wurden von der Verwertungsgesellschaft fur Montanindustrie verwaltet Die eigentlichen Bauarbeiten in Dyhernfurth begannen im Marz 1940 Der verantwortliche Oberingenieur und BASF Prokurist Max Faust wechselte im Juni 1941 nach Auschwitz um den Bau des dortigen I G Farben Werks zu beaufsichtigen 6 7 Zum kunftigen Betrieb des Werks Falkenhagen grundete die staatlich gesteuerte Montan GmbH zusammen mit der I G Farben die Monturon GmbH an denen beide je zur Halfte beteiligt waren Obwohl 90 Millionen Reichsmark investiert worden sein sollen ist die Produktion bis Kriegsende offensichtlich nicht angelaufen 8 Gleichwohl war Falkenhagen 1942 43 mit 61 Beschaftigen und 87 Wach und Feuerschutzleuten zeitweise die grosste Aussenstelle der Montan Produktion bis 1945 BearbeitenIn Gendorf wo der Ludwigshafener Farben Angestellte Max Wittwer Anfang 1941 Werkleiter wurde lief ab September 1941 die Herstellung von Glykol und Diglykol zur Verwendung als Frostschutzmittel an ausserdem wurden Grundstoffe fur die Sprengstoffproduktion Chlor Natronlauge und Acetaldehyd als Ausgangsprodukt fur Buna Kunstkautschuk hergestellt Wegen technischer Probleme verzogerte sich die Synthese von Senfgas Lost bis Februar 1943 9 Insgesamt sollen in Gendorf bis Kriegsende 2000 Tonnen Senfgas produziert worden sein 10 Dyhernfurth lieferte ab September 1942 Tabun wobei sich die tagliche Menge von einer bis auf 20 Tonnen steigerte Trotz einer Anweisung des Rustungsministeriums die Herstellung im Dezember 1944 zu beenden soll noch bis kurz vor dem Einrucken sowjetischer Truppen im Februar 1945 weitergearbeitet worden sein die Evakuierung erfolgte ab dem 23 Januar 1945 11 Insgesamt sollen in Dyhernfurth von den bestellten 58 000 Tonnen Tabun nur 11 980 Tonnen erzeugt worden sein mit einer Produktionsspitze in den Monaten August und September 1944 Weil sich Tabun in den Bomben zersetzte und sich bei Experimenten 1943 herausstellte dass das Gas bei kaltem Wetter nahezu unbrauchbar wurde sollte im Werk Falkenhagen das stabilere und wirkungsvollere Sarin SANN produziert werden wozu es kriegsbedingt nicht mehr kam Demontage und Wiederaufbau nach 1945 BearbeitenDie Anlage in Dyhernfurth blieb bis Kriegsende trotz heftiger Kampfe in der unmittelbaren Nahe nahezu unzerstort Russische Techniker demontierten die Produktionsanlagen fur Tabun und schafften sie in die Sowjetunion 12 1946 nahm das Werk die Produktion wieder auf zunachst nur mit der Synthese des Desinfektions und Bleichmittels Natriumhypochlorit Ab 1947 entwickelte sich das Areal unter der Bezeichnung Rokita Werk zu einem der grossten polnischen Chemiehersteller Zur aktuellen Produktions Palette gehoren Polyole Chlor Chlorverbindungen Laugen Tenside und Phosphorderivate Alleinaktionar ist die deutsche PCC SE mit Sitz in Duisburg Das Gendorfer Werk hatte eine ausserst wechselhafte Nachkriegsgeschichte Schon unmittelbar vor dem Anrucken amerikanischer Truppen im April 1945 hatte Anorgana Geschaftsfuhrer Otto Ambros versucht Gendorf auf unverfangliche Produkte umzustellen etwa Seife und Waschmittel Dennoch wurde er nach der Befragung von Zeugen festgenommen und im Nurnberger I G Farben Prozess als Kriegsverbrecher zu acht Jahren Haft verurteilt vor allem wegen seiner Verantwortung fur das Farben Werk in Auschwitz Fritz ter Meer erhielt sieben Jahre nbsp Werbeplakat fur das Anorgana Produkt Genantin aus der NachkriegszeitVon Dezember 1945 bis August 1946 ruhte der Betrieb in Gendorf abgesehen von Demontage Arbeiten Danach ging der Abbau der Anlagen mit etwa 1800 Beschaftigten weiter Am 26 Juli 1948 erklarten die US Besatzungsbehorden Gendorf zur Independent Unit also einem Betrieb ausserhalb des I G Farben Konzerns Das ermoglichte den Weiterbetrieb und Wiederaufbau der weitgehend demontierten Fabrik der sogar mit Mitteln aus dem Marshallplan European Recovery Program bezuschusst wurde Nach der Zerschlagung der I G Farben ordneten die Alliierten an dass der Sitz der Anorgana von Ludwigshafen nach Gendorf verlegt wurde Die Gesellschaft wurde am 1 August 1952 als Anorgana Gendorf GmbH in das Handelsregister des Amtsgerichts Traunstein eingetragen Nach einem Besuch der ehemaligen Farben Vorstande Carl Krauch Friedrich Jahne und Hans Wagenheimer in Gendorf begannen Verhandlungen uber die Eingliederung des Werks in die Hoechst AG Wegen der komplizierten und politisch belasteten Vorgeschichte des Werks erwarb zunachst der Freistaat Bayern am 31 Marz 1953 die Geschaftsanteile der Anorgana GmbH aus dem Vermogen der I G Farbenindustrie AG in Liquidation In der Gesellschafterversammlung von 22 April 1953 wurde der Staatssekretar des bayerischen Wirtschaftsministeriums Willi Guthsmuths zum Aufsichtsratschef gewahlt Da die Alliierten einen Wieder Erwerb von Gendorf durch eine I G Farben Nachfolgegesellschaft wie Hoechst unbedingt verhindern wollten und eine dreijahrige Sperrfrist verhangt hatten ging die Fabrik vorubergehend in das Eigentum der Munchener Verwaltungsgesellschaft fur Grundstucke mbH uber einer Tochtergesellschaft der Hoechst AG und der Bayerischen Vereinsbank Erst im September 1955 ubernahm Hoechst das Werk vollstandig und verlegte den Sitz der Anorgana GmbH an den Konzernstandort nach Frankfurt am Main Der vormalige Verbindungsmann der I G Farben in Frankfurt Hoechst zur ortlichen Gestapo und zur NS Gauleitung Hans Wagenheimer war ab 1953 bei der Anorgana tatig seit 1955 bis zur Eingliederung in den Hoechst Konzern sogar als Geschaftsfuhrer danach erhielt er Prokura 13 Der fachlich unqualifizierte Nazi Karrierist NSDAP Mitgliedsnr 215 305 und SS Mann wurde im Spruchkammerverfahren als SD Mann bezeichnet seine genaue Rolle im Konzern blieb umstritten 14 Umweltfolgen BearbeitenSowohl in Dyhernfurth als auch in Gendorf gab es wahrend des Zweiten Weltkriegs bei der Produktion erhebliche Umweltprobleme mit teilweise sehr langfristigen Folgen fur das Grundwasser Die Oder soll farbige stinkende Abwasser gefuhrt haben und nach Chlor gerochen haben 15 Eine fur Gendorf schon 1940 eigentlich geplante Abwasserleitung in den Inn wurde nie gebaut weshalb die Abwasser in die wenig Wasser fuhrende Alz sickerten 16 Rund um Gendorf bis in die etwa 12 Kilometer entfernten Orte Haiming und Stammham sind im Grundwasser bis heute umweltschadliche Spuren der Kriegs Produktion nachzuweisen etwa Chloride und Sulfate 17 18 Fur uberregionales Aufsehen sorgte im Marz 2012 ein massives Fischsterben in der Alz Wie sich herausstellte war ein Waschmittelrohstoff das Fettamin Genamin LA 302 D 19 irrtumlich in eine Abluftreinigungsanlage gepumpt worden Von dort soll es auf das Dach eines Produktionsbetriebes gelangt sein und sich entzundet haben Das Loschwasser gelangte in den Fluss 20 Heftige Diskussionen loste die grossflachige und langfristige Verseuchung des Grundwassers mit Perfluoroctansaure aus 21 Der Grundstoff wurde von 1968 bis 2003 in Gendorf hergestellt und gilt als krebserregend Nach Angaben des Chemiepark Betreibers werden vermutlich erst 2030 die Hochstkonzentrationen im Grundwasser erreicht Spezielle Filter sollen seit 2009 verhindern dass PFOA ins Trinkwasser gelangt Dennoch wurden im Blut von Anwohnern PFOA Konzentrationen festgestellt die 20 fach uber dem unbedenklichen Wert liegen Einen offiziellen Grenzwert gibt es nicht Ab 2020 soll PFOA in der Europaischen Union verboten sein Literatur BearbeitenV C Bidlack Anorgana G m b H Werk Gendorf Chemical Warfare Office of the Publication Board Department of Commerce Washington 1945 Dietrich Eichholtz Geschichte der deutschen Kriegswirtschaft 1939 1945 Munchen 2003 Stefan Horner Profit oder Moral Strukturen zwischen I G Farbenindustrie und Nationalsozialismus Bremen 2012 Barbara Hopmann Von der Montan zur Industrieverwaltungsgesellschaft IVG 1916 1951 Stuttgart 1996 Wilhelm Prandtl Fur 1953 eine gute Zeit wunscht die Anorgana Gendorf 1952 Florian Schmaltz Kampfstoff Forschung im Nationalsozialismus zur Kooperation von Kaiser Wilhelm Instituten Militar und Industrie Gottingen 2005 Einzelnachweise Bearbeiten Chemische Apparatur Band 28 1941 S 176 Barbara Hopmann Von der Montan zur Industrieverwaltungsgesellschaft IVG 1916 1951 Stuttgart 1996 S 82 f DIE PEST IST DENKBAR UNZUVERLASSIG in DER SPIEGEL 22 Dezember 1969 Isabell Sprenger Gross Rosen ein Konzentrationslager in Schlesien Koln Weimar 1996 S 239 ff Dyhernfurth fabryka smierci Stefan Horner Profit oder Moral Strukturen zwischen I G Farbenindustrie und Nationalsozialismus Bremen 2012 S 335 wollheim memorial de Max Faust 1891 1980 Barbara Hopmann Von der Montan zur Industrieverwaltungsgesellschaft IVG 1916 1951 Stuttgart 1996 S 58 Stefan Horner Profit oder Moral Strukturen zwischen I G Farbenindustrie und Nationalsozialismus Bremen 2012 S 331 Industriepark Werk GENDORF VERANTWORTUNG leben Vom Gendorfer Werk zum Industriepark 2014 Barbara Hopmann Von der Montan zur Industrieverwaltungsgesellschaft IVG 1916 1951 Stuttgart 1996 S 82 f Todeswolken uber Europa In Der Spiegel Nr 8 1982 online vgl Stephan H Lindner Schatten der Vergangenheit oder personeller Neubeginn Die Farbwerke Hoechst nach dem Zweiten Weltkrieg in Jorg Osterloh Harald Wixforth Hrsg Unternehmer und NS Verbrechen Wirtschaftseliten im Dritten Reich und in der Bundesrepublik Deutschland Frankfurt 2014 S 179 Stephan H Lindner Hoechst ein I G Farben Werk im Dritten Reich Munchen 2005 S 128 Arbeitsgruppe Zeitzeugen der Seniorenakademie Als Luftwaffenhelfer 1944 1945 Ein Bericht von Dr Hubert Marusch Leipzig August 2015 altoetting bund naturschutz de Alzkatastrophe Memento des Originals vom 22 Dezember 2017 im Internet Archive nbsp Info Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht gepruft Bitte prufe Original und Archivlink gemass Anleitung und entferne dann diesen Hinweis 1 2 Vorlage Webachiv IABot altoetting bund naturschutz de 31 Oktober 2012 infraserv gendorf de PFOA Trinkwasserqualitat aus dem Ottinger Forst langfristig sichern Pressinofrmation 22 September 2016 innsalzach24 de Update Erste Fakten zu Chemie Unfall an Alz 13 Marz 2012 bund naturschutz de Alzkatastrophe Memento des Originals vom 22 Dezember 2017 im Internet Archive nbsp Info Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht gepruft Bitte prufe Original und Archivlink gemass Anleitung und entferne dann diesen Hinweis 1 2 Vorlage Webachiv IABot altoetting bund naturschutz de 31 Oktober 2012 Abgerufen am 26 Januar 2020 1 2 Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Anorgana amp oldid 234473562