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Ameisler lokal auch Amastrager ist die Bezeichnung fur einen historischen Berufsstand der ab dem 17 Jahrhundert fur Teile Osterreichs Bayerns und Bohmens nachgewiesen ist Die dazugehorige Tatigkeit wird als Ameisln beschrieben Ameisler sammelten und trockneten bei ihrer Saisonarbeit die Puppen der Waldameisen und verkauften sie als Vogelfutter sowie als Zutat fur die Herstellung von Arzneimitteln Amastrager Darstellung von 1820 Inhaltsverzeichnis 1 Geschichte und Verbreitung 2 Berufsbild 2 1 Erscheinung 2 2 Arbeitsweise und Verkauf 2 3 Nebentatigkeiten und verwandte Berufe 3 Rezeption 4 Literatur 5 Weblinks 6 EinzelnachweiseGeschichte und Verbreitung Bearbeiten nbsp Erlaubnisschein aus Niederosterreich 1953 Uber die Ursprunge des Ameislns ist heute wenig bekannt Es wird vermutet dass die Tatigkeit mit der Kafighaltung von Singvogeln aufkam Die Kundschaft bestand hauptsachlich aus Vogelfutterhandlern die die eingesammelten trockenen Ameisenlarven an Vogelbesitzer verkauften 1 Viele Bauern mussten aus existenziellen Grunden einem Nebenerwerb nachgehen wobei die Sammelwirtschaft einen besonderen Stellenwert einnahm 2 Bereits 1679 konnte man in einem Krauterbuch des Frankfurter Stadtphysicus Adam Lonitzer uber die Beste Weiss Omeisen Eyer zu sammeln nachlesen Den ausfuhrlichsten Bericht uber das Ameisln lieferte Moritz Alois Becker 1859 in seinem Reisehandbuch fur Besucher des Otscher in dem er die Tatigkeit detailliert beschreibt Fur Niederosterreich sind neben dem Otschergebiet die Sammelorte Annaberg Dunkelsteinerwald Glasweiner Wald Gutenstein Hainfeld Karnabrunner Wald Michelstetten Ottenschlag und Pulkau belegt Uber die Landesgrenze hinaus ist das Ameisln fur Tirol die Oberpfalz das bayerisch bohmische Grenzgebiet und Iglau nachgewiesen 3 4 Rund um Hainfeld waren die sogenannten Amastrager bis 1848 zunftig organisiert Im Baderschen Gasthof hatten sie einen Stammtisch uber dem noch 50 Jahre spater eine Blechtafel mit Gewerbezeichen und Spruchbanner aus dem Jahr 1820 prangte Wir Amastrager sind weit und breit bekannt als arbeitsame brave Leut Wir werden von jedermann hoch geehrt denn unser Gewerb ist schatzenswert Und wollen wir einen guten Braten einen guten Wein So kehren wir bei unserer Frau Wirthin ein Ende des 19 Jahrhunderts gab es in Hainfeld noch sechs gewerbliche Ameisler 5 Zunehmende forstrechtliche und naturschutzliche Einschrankungen sowie die Aufhebung des Zunftzwanges nunmehr war es jedem erlaubt zu sammeln der die gesetzlichen Auflagen beachtete fuhrten zum langsamen Niedergang des Gewerbes Dennoch hielt sich die Tatigkeit vielerorts bis in die 1970er Jahre wie eigens ausgestellte Erlaubnisscheine der niederosterreichischen Landesregierung belegen Zwischen 1957 und 1975 wurden immerhin noch 270 dieser Lizenzen vergeben Dass das Sammeln von Ameisenpuppen durchaus lukrativ sein konnte zeigen folgende Zahlen 1859 erzielte man fur eine Saisonernte von 20 Metzen einen Gewinn von 150 bis 500 Gulden was einem Gegenwert von 100 Metzen Getreide entsprach In den 1960er Jahren reichte der in nur vier bis sechs Wochen erwirtschaftete Saisonerlos beispielsweise fur den Kauf eines Fernsehapparats 4 Berufsbild BearbeitenErscheinung Bearbeiten Der steirische Heimatdichter Peter Rosegger widmete dem Ameisler Ende des 19 Jahrhunderts einen Artikel in seiner Zeitschrift Heimgarten in dem er vor allem das Schicksal der Tierchen ausgesprochen bildlich schilderte aber auch das schabige Aussehen der Ameisler hervorhob 6 Da kannst Du im Walde einem sonderbaren Mann begegnen Seinem zerfahrenen Gewande nach konnte es ein Bettelmann sein er tragt auch einen grossen Sack auf dem Rucken aber uber diesem Bundel und all seinen Gliedern von der beflickten Beschuhung bis zum verwitterten Hut laufen in aller Hast zahllose Ameisen auf und nieder hin und her in Schreck und Angst und wissen sich keinen Rath in der fremden wandelnden Gegend in die sie gerathen Unter den niederosterreichischen Vertretern des Berufsstands hielt sich lange die traditionelle Bergbauerntracht Dazu gehorten das rupfene Hemd ein Hemd ohne Halskragen mit schwarzem Halstuch und rotem Brustfleck An den Beinen trugen die Manner Kniehosen mit grunen zweispangigen Hosentragern und weisse Wollstrumpfe auf dem Kopf einen spitz zulaufenden Hut mit schmaler aufwarts stehender Krempe Weibliche Ameisler setzten auf einen armellosen Spenzer mit kurzem einfarbigem Kittel und daruber eine Schurze aus blauer Hausleinwand Um den Kopf trugen sie ein lose geknotetes schulterlanges Tuch 5 Die Sammler in Niederosterreich waren jedoch nicht immer Einheimische sondern auch wandernde Tiroler oder Bohmer die sich dementsprechend anders kleideten 3 Arbeitsweise und Verkauf Bearbeiten nbsp Oft falschlicherweise als Eier bezeichnete Ameisenpuppen nbsp Der Amasdoktor von Johannes Mayerhofer 1898 Die Gewinnung der im Volksmund auch Ameiseneier genannten Puppen erfolgte je nach Gegend unterschiedlich Es lassen sich jedoch uberall Parallelen erkennen Peter Rosegger der nach eigenen Angaben mehrmals Zeuge der Tatigkeit wurde beschrieb fur das Gebiet um Mariazell eine dreiteilige Vorgangsweise Zunachst musste der aus Nadeln und feinsten Zweigen bestehende Ameisenhaufen geoffnet werden wozu etwa ein Heindl verwendet wurde Anschliessend wurden die oberen Schichten in einen Sack geschart oder gesiebt und in einer Butte abtransportiert 6 Gottlieb Tobias Wilhelm beschrieb 1811 dass das Sammeln von Ameisenpuppen nur bei Schonwetter moglich ist da die Ameisen ihre Puppen nur dann in den oberen warmeren Regionen des Ameisenhaufens lagern 4 Als Schutz vor der Ameisensaure rieben sich Ameisler die Hande mit Terpentin oder Holunderbluten ein 6 5 Gegen Ameisenbisse setzte der Ameisler lange Strumpfe ein Im nachsten Schritt wurde auf einem sonnigen Anger ein grosses Leintuch ausgebreitet der Rand mit Laub bedeckt umgeschlagen und die Ecken hochgespannt Das Sammelgut leerte der Ameisler in die Mitte des Tuchs und wartete bis die Ameisen ihre Puppen unter den Blattern in Sicherheit brachten Danach mussten die kleinen Haufchen nur noch eingesammelt und sicher verwahrt werden Rosegger bezeichnete diesen Schritt als Auslaufen 6 Abschliessend musste die Ware getrocknet bzw gedorrt werden Hierzu verwendete man Holzschuppen mit eigenen Trockenraumen Oalhutten 7 die beispielsweise auf der Otscherwiese mit Kugelofen beheizt wurden 4 Andere Methoden wie das Ausheben von Fanglochern oder kleiner Wassergraben sind etwa aus dem bohmisch mahrischen Grenzgebiet Karl Hans Strobl 1944 oder der Oberpfalz 1920er uberliefert 4 War die Ware getrocknet und verpackt wurde sie in der Stadt vorwiegend an Vogelhandler und Zuchter verkauft Ein beliebter Verkaufsplatz war der Wiener Naschmarkt auf dem um die Jahrhundertwende vor allem Ameisler aus Hainfeld ihre Ware feilboten 5 Die Familie Bandion aus Annaberg die das Sammeln von Ameisenpuppen bis ins 21 Jahrhundert fortsetzte belieferte zunachst per Motorrad den Meidlinger Markt Spater wurde die Ware vom Handler personlich abgeholt 4 Nebentatigkeiten und verwandte Berufe Bearbeiten Neben den Ameisenpuppen wurde eine Vielzahl weiterer Waldprodukte wie Wurzeln oder Krauter gesammelt die in Apotheken abgesetzt werden konnten Wacholderbeeren und andere Waldfruchte dienten der Herstellung von Branntwein Als wichtigstes Nebenprodukt wurden feinste Harzkorner das sogenannte Oalpech 7 aufgelesen das vor allem zu Raucherungsmitteln weiterverarbeitet wurde 6 Daruber hinaus fanden Ameisen Anwendung in der Volksmedizin Der aus Mariazell stammende Steirer Docter sammelte die lebendigen Tierchen und verarbeitete sie zu Ameisengeist und Amastinktur denen eine heilende Wirkung bei rheumatischen Leiden nachgesagt wurde Die Behorden nahmen dem auch als Amasdoktor bekannten Mann der ausserdem Enzianschnaps verkaufte seine Kurpfuscherei ubel 5 Rezeption BearbeitenDie kurios anmutende Tatigkeit der Ameisler lieferte bereits vor 200 Jahren Stoff fur den Volkswitz Davon zeugte etwa das Gewerbezeichen im Hainfelder Gasthof das einen Amastrager und seine Frau bei ihrer eigentumlichen Arbeit zeigt Die Ruckseite der Blechtafel offenbarte folgendes Zwiegesprach Er Geh sag mir Mirzl weg n was sich die Leut so spassen und uns allweil die Amastrager hoassen Sie Na weil wir uns halt Tag und Nacht plag n und unsere Sachen am Buckel umatrag n 5 dd Auf den fast vergessenen Berufsstand des Ameislers wird vor allem im Laufe von volkskundlichen Ausstellungen gern hingewiesen 2008 rief die Annaberger Kultur und Geschichtsgemeinschaft Tannberg die Tatigkeit in einer Ausstellung zum Thema Unsere Ameisen Unbekannte Vielfalt ins Gedachtnis Zwischen Marz 2009 und Marz 2010 widmete sich das Landesmuseum Niederosterreich naturkundlichen volkskundlichen und wirtschaftlichen Aspekten heimischer Ameisenarten Dabei stand auch die Tatigkeit des Ameislns im Brennpunkt So wurde etwa der Keuschler Moritz Stehr einer der wenigen namhaft bekannten und im Bild festgehaltenen Ameisler vorgestellt Im Anschluss war die Ausstellung bis Oktober 2010 im Biologiezentrum des Oberosterreichischen Landesmuseums zu sehen 4 8 In einer Sonderausstellung des Osterreichischen Freilichtmuseums im steirischen Stubing wurden im Jahr 2017 historische Handwerksberufe unter dem Motto Schuster Pecher Ameisler prasentiert 9 10 Literatur BearbeitenMoritz Alois Becker Reisehandbuch fur Besucher des Otscher Verlag Leopold Grund Wien 1859 S 465 ff J Ebner Ameisler In Worterbuch historischer Berufsbezeichnungen De Gruyter Berlin Boston 2015 ISBN 978 3 11 019537 8 S 45 Franz Groiss Ameise und Volkskultur In Ameisen in Biologie und Volkskultur Geschatzt verflucht allgegenwartig Ausstellung Ameisen unbekannte Faszination vor der Hausture Niederosterreichisches Landesmuseum St Polten Biologiezentrum Linz 2009 S 165 175 PDF Maria Kundegraber Das Sammeln von Ameiseneiern im Otschergebiet In Unsere Heimat 34 1963 S 64 72 Johannes Mayerhofer Die Amastrager In Illustrirtes Wiener Extrablatt Ausgabe vom 23 Oktober 1898 Nr 292 S 7 Peter Rosegger Der Ameisler Ein Bildchen aus dem Walde In Heimgarten Jg 8 1883 84 S 68 71 Michaela Vieser Von Kaffeeriechern Abtrittanbietern und Fischbeinreissern Berufe aus vergangenen Zeiten C Bertelsmann Verlag Munchen 2012 ISBN 978 3570551950 S 29 35 Weblinks Bearbeiten nbsp Commons Ameisler Sammlung von Bildern Das grosse Krabbeln Spiegel Online Der Ameiseneiersammler Berufe vergangener Zeiten Meraner Stadtanzeiger Einzelnachweise Bearbeiten Suddeutsche Zeitung Gute Nacht Sandmann Abgerufen am 24 April 2020 Michael Martischnig Vom Ameisler und Aschenbrenner zum Zirbenholzschnitzer In Wildnis Forst und Ackerland Verband der Wissenschaftlichen Gesellschaften Osterreichs Wien 1974 S 48 49 a b Leopold Schmidt Volkskunde von Niederosterreich Band 1 Verlag Ferdinand Berger Horn 1966 S 260 263 a b c d e f g Franz Groiss Ameise und Volkskultur In Ameisen in Biologie und Volkskultur Geschatzt verflucht allgegenwartig Ausstellung Ameisen unbekannte Faszination vor der Hausture Niederosterreichisches Landesmuseum St Polten Biologiezentrum Linz 2009 S 165 175 PDF a b c d e f Johannes Mayerhofer Die Amastrager Illustrirtes Wiener Extrablatt 23 Oktober 1898 Nr 292 S 7 Zitiert in Volksleben im Land um Wien Brauche und Trachten Schilderungen in Wort und Bild von Johannes Mayerhofer gesammelt erganzt und mit einem Lebensbild versehen von Karl M Klier Manutiuspresse Wien 1969 S 81 85 a b c d e Peter Rosegger Der Ameisler Ein Bildchen aus dem Walde In Heimgarten Jg 8 1883 84 S 68 71 a b Oal bairischer Dialekt fur kleines Ei Eierl Eilein Johann Werfring Lastig und nutzlich Wiener Zeitung 26 August 2009 abgerufen am 13 September 2017 Sonderausstellung 2017 Schuster Pecher Ameisler Osterreichisches Freilichtmuseum archiviert vom Original am 15 September 2017 abgerufen am 13 September 2017 Neues Land Ausgabe vom 27 April 2017 S 22 PDF Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Ameisler amp oldid 237807390