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Als Adonis von Zschernitz wird die am 19 August 2003 am Ortsrand von Zschernitz Lkr Nordsachsen Sachsen bei Ausgrabungsarbeiten in einer Siedlungsgrube gefundene Tonfigur aus der Jungsteinzeit bezeichnet Die zwischen 5200 und 5100 v Chr in der jungeren Linienbandkeramik hergestellte Kleinplastik ist die alteste mannliche Tonfigur Mitteleuropas Sie ist heute Bestandteil der Dauerausstellung im Staatlichen Museum fur Archaologie Chemnitz 1 Der Adonis von Zschernitz Inhaltsverzeichnis 1 Auffindungsgeschichte 2 Bedeutung des Fundes 3 Bewertung und Rezeption des Fundes 4 Literatur 5 Weblinks 6 EinzelnachweiseAuffindungsgeschichte BearbeitenDie Ausgrabungen des Landesamtes fur Archaologie Sachsen an der Fundstelle ZNT 08 bei Zschernitz waren Teil der Prospektionsarbeiten zum Bau einer Trasse fur eine Erdgasleitung der Mitteldeutschen Gasversorgung GmbH MITGAS Die inzwischen fertiggestellte etwa 70 km lange Erdgasleitung verlauft von Peissen Sachsen Anhalt nach Wiederitzsch Sachsen Die archaologischen Feldarbeiten begannen im April 2003 wobei mit Beginn des Oberbodenabtrags durch den Bagger bereits die enorme vorgeschichtliche Siedlungsdichte auf einer leichten Anhohe auffiel die etwa zwischen den heutigen Gemeinden Doberstau Klitschmar und Zschernitz liegt Nur knapp 2 km von der Fundstelle ZNT 08 entfernt befindet sich die Kreisgrabenanlage von Kyhna aus der Zeit der Stichbandkeramik 2 Nach mehreren Monaten ortlicher Grabung an der Fundstelle ZNT 08 mit Siedlungsresten und Grabern der Bandkeramik der Gaterslebener Kultur der Salzmunder Kultur der Baalberger Kultur der Schnurkeramik und jungerer Perioden der Vorgeschichte zeichnete sich im zentralen Teil der Siedlung eine mehrphasige Besiedlung ab mit stratigraphischen Uberlagerungen von alteren und jungeren neolithischen Befunden 3 Am 19 August 2003 gegen 8 30 Uhr fand der Grabungsarbeiter Manfred Berger beim Aushub einer bandkeramischen Siedlungsgrube den tonernen Torso einer menschlichen Figur 4 Ein Kamerateam des MDR das fur das Kulturmagazin artour von den laufenden Arbeiten berichten wollte war unmittelbar am Fundplatz zugegen Nach Rucksprache mit dem Landesamt fur Archaologie Sachsen gab Grabungsleiter Leif Steguweit vor Ort eine erste Stellungnahme zur aussergewohnlichen Bedeutung des Fundes ab Die bereits zwei Tage spater nach der Pressekonferenz im Landesamt fur Archaologie ausgestrahlte Sendung brachte dem Fund eine bemerkenswerte Medienprasenz ein 5 6 7 Anlasslich der Pressekonferenz am 21 August 2003 wurde auch der Name Adonis von Zschernitz vorgestellt Am 23 August 2003 wurde der Adonis im Sachsischen Staatsministerium fur Wissenschaft und Kunst erstmals offentlich ausgestellt Im Herbst 2003 war er im Rahmen einer Sonderausstellung des Landesmuseums fur Vorgeschichte im Japanischen Palais in Dresden zu sehen Bedeutung des Fundes BearbeitenDas Idol hebt sich nicht nur durch die bislang einmalige explizite Darstellung des mannlichen Geschlechts hervor sondern vor allem auch durch die zu jener Zeit vollstandig unubliche anatomische Prazision Das etwa 8 cm hohe dunkelbraune Fragment ist etwa vom Nabel abwarts bis unterhalb des Gesasses erhalten Die Figur war insgesamt ursprunglich etwa 25 30 cm hoch Das Gesass ist in bandkeramischer Manier mit in den noch weichen Ton eingeritzten Linien verziert in Form von zwei Reihen hangender Dreiecke Diese werden jeweils durch eine horizontale Linie getrennt Zum Oberkorper hin sind zwei besonders stark eingetiefte Abschlusslinien angebracht worden was evtl einen Gurtel darstellen soll Die Stilisierung entspricht dem zeitgleichen Verzierungsstil auf Gefassen der mittleren bis jungeren Bandkeramik in Mitteldeutschland Dass diese neben der ornamentalen Bedeutung einen Symbolgehalt hatten ist in Anbetracht wiederkehrender Motive sehr wahrscheinlich 8 Uber die gesicherte Einordnung des Adonis in den relativ eng begrenzbaren Zeitrahmen zwischen 5 200 5 100 v Chr besteht wegen des ungestorten Befundes in einer Siedlungsgrube mit einer Vielzahl von Keramikabfall aus identischem Ton sowie Ornamenten der mittleren bis jungeren Linienbandkeramik kein Zweifel Sogenannte Idole aus Ton treten im gesamten Verbreitungsgebiet der Bandkeramik auf Vollstandig erhaltene Figuren sind vergleichsweise selten im Unterschied zu gleichzeitigen Kulturen in Sudost Europa Aus Sachsen ist nur die 1964 gefundene sogenannte Venus von Zauschwitz Lkr Leipziger Land aus der Kultur der Stichbandkeramik vollstandig erhalten 9 Sehr haufig sind dagegen Bruchstucke von Figuren Gliedmassen Torsi Kopfe im Siedlungsabfall 10 Bisher bekannte oft recht kleine Figuren aus der Epoche zeigen einen weiblichen Korper mit punktformigen Brusten und eingeritztem Schamdreieck oder weisen keine Geschlechtsmerkmale auf Sie werden oft als Fruchtbarkeitssymbole gedeutet 11 12 Figuren mit mannlichen Geschlechtsmerkmalen sind dagegen extrem selten und bislang nie in der anatomischen Detailtreue gefunden worden wie beim Adonis von Zschernitz Eine weitere mannliche Figur aus der alteren Bandkeramik ist aus Brunn am Gebirge bekannt aus dem Kontext der Stichbandkeramik in Plotiste nad Labem Bohmen 13 Eine Phallusdarstellung der Linienbandkeramik ist als modifizierter Knochenpfriem in der Fundstelle Viesenhauser Hof Stuttgart Muhlhausen gefunden worden Eine bereits 1897 gefundene Figur aus Sabĕnice bei Most Bohmen ist hingegen nicht eindeutig der Bandkeramik zuzuweisen 14 Neben menschlichen Idolfiguren sind auch zahlreiche Tierfiguren bekannt z B Bad Nauheim oder Kmehlen bei Meissen 15 16 Hinzu kommen Figuren mit sowohl menschlichen als auch tierischen Merkmalen z B Nerkewitz oder Bina Tschechien 17 Bewertung und Rezeption des Fundes BearbeitenNeben der Detailtreue der anatomischen Darstellung ist am Adonis von Zschernitz auch die dynamische Korperhaltung ungewohnlich Wahrend andere neolithische Figurinen meist aufrecht dargestellt wurden ist der Adonis in der Hufte leicht nach vorn gebeugt Weitere Figurenbruchstucke die im Sommer und Herbst 2003 bei Nachgrabungen in der bandkeramischen Siedlungsgrube des Adonis gefunden wurden forderten einen weiteren Torso zutage der als nach vorn gebeugtes menschliches Becken mit Beinen interpretiert wird 18 Anatomische Details sind nicht ausgeformt wie auch die Figur trotz gleicher Grosse wie der Adonis weit grober gearbeitet ist Die Autoren lassen offen ob wir es hier mit den Resten einer Figurengruppe oder gar mit einer Kopulationsszene zu tun haben 19 Spekulationen einer Kopulationsszene aufgrund vermeintlich weiblicher Beckenbruchstucke entbehren sachlicher Belege 20 Im Kontext des gesamten Spektrums Hunderter von Figuren der Bandkeramik wie auch der verwandten Vinca Kultur in Sudosteuropa gilt eine explizit erotische Darstellung als unwahrscheinlich da sie mit der angenommenen Funktion als Hausgeister bzw Schutzpatronen des Hauses nicht im Einklang steht Das Gesass des Adonis zeigt Einritzungen die als Tatowierungen oder Korperbemalung interpretiert werden 16 Diese Einschatzung ist insofern verwunderlich als eindeutige Tierfiguren aus Ton z B Kmehlen bei Meissen Sachsen ebenfalls Ritzornamente aufweisen bei denen sicher nicht von Korperbemalung oder Tatowierung ausgegangen werden kann Andere Archaologen interpretieren die Ornamente als Rander von Bekleidungsstucken Hemdausschnitte Gurtel bzw als Textilmuster Der Verein Bandkeramisches Aktionsmuseum e V unter Leitung von Jens Luning fertigte im Jahre 2004 eine Leinenhose an die die eingeritzten Ornamente auf dem Gesass des Adonis als bunte Textilapplikationen zeigt 21 Sachsen wurde wie das ubrige Mitteleuropa um 5 500 v Chr mit den Bandkeramikern erstmals durch eine bauerliche Kultur besiedelt Die hoch entwickelte materielle Kultur zeigt sich auch in aufwandig gebauten holzernen Brunnen der Bandkeramik wie beim unweit gelegenen Brunnen von Altscherbitz Literatur BearbeitenAdonis aus Zschernitz Der erste Mann aus Ton In archaeo Archaologie in Sachsen Band 1 Dresden 2004 ISSN 1614 8142 Louis D Nebelsick Jens Schulze Forster Harald Stauble Adonis von Zschernitz Die Kunst der ersten Bauern Archaeonaut Band 4 Landesamt fur Archaologie Sachsen Dresden 2004 ISBN 3 910008 62 3 Harald Stauble Adonis von Zschernitz Mensch oder Gott In Von Peissen nach Wiederitzsch Archaologie an einer Erdgas Trasse Grobers MITGAS 2004 S 63 67 Leif Steguweit Harald Stauble Mann aus Ton Ein 7000 Jahre altes Fruchtbarkeitssymbol In Archaologie in Deutschland Band 6 2003 S 7 Weblinks BearbeitenFotografie des Fundes Adonis von Zschernitz 3D Modell des Adonis Website archaeo 3D mit Verlinkung zu einer weiteren Figurine aus demselben Befund Karol Schauer Fruhneolithischer Hirte Die Korperbemalung orientierte sich an einem Idol Adonis von Zschernitz aus Zschernitz Sachsen 1 Lebensbild aus einer bandkeramischen Siedlung Fur die Bandmuster auf den Hauspfosten liegen Vergleichsfunde vor die Hamatineinfarbungen waren weit verbreitet 2 In Thomas Otten Jurgen Kunow Michael M Rind Marcus Trier Hrsg Revolution jungSteinzeit Archaologische Landesausstellung Nordrhein Westfalen 2 Auflage Konrad Theis WBG Darmstadt 2016 ISBN 978 3 8062 3493 0 S 25 26Einzelnachweise Bearbeiten smac sachsen de Sachsisches Landesamt fur Archaologie Kreisgrabenanlagen des Neolithikums Archiviert vom Original am 24 Juli 2019 abgerufen am 20 November 2023 Leif Steguweit Kupferschmuck im Steinzeitgrab In Archaologie in Deutschland Band 6 2003 S 49 50 Leif Steguweit und Harald Stauble Mann aus Ton Ein 7000 Jahre altes Fruchtbarkeitssymbol In Archaologie in Deutschland Band 6 2003 S 7 Adonis von Zschernitz vor laufender Kamera entdeckt Berichterstattung im Kulturmagazin Artour des MDR 21 August 2003 Memento vom 18 Januar 2005 im Internet Archive Sensationsfund Adonis protzt mit machtigem Gemacht Der Spiegel 21 August 2003 Steinzeit Adonis in Sachsen ausgegraben Netzeitung 22 August 2003 Memento vom 20 November 2003 im Internet Archive H Stockl Hatten bandkeramische Gefassverzierungen eine symbolische Bedeutung im Bereich des Kultes In Beitrage zur Ur und Fruhgeschichte Mitteleuropas 32 Varia Neolithica II 2002 S 63 97 W Coblenz Eine Venus von Zauschwitz Kr Borna In Ausgrabungen und Funde Band 6 1961 D Kaufmann Wirtschaft und Kultur der Stichbandkeramiker im Saalegebiet In Veroffentlichungen des Museums fur Vorgeschichte Halle Band 30 Berlin 1976 Svend Hansen Fruchtbarkeit Zur Interpretation neolithischer und chalkolithischer Figuralplastik In Mitteilungen der Anthropologischen Gesellschaft in Wien Band 130 131 2000 2001 S 93 106 Neolithic Sculpture Some remarks to an old problem In F Bertemes P F Biehl H Meller Hrsg The Archaeology of Cult and Religion Budapest 2001 S 39 52 Vit Vokolek Neoliticka Plastika z Plotist nad Labem In Memoriam Jan Rulf In Pamatky archeologicke Supplementum 13 Praha 2000 Weinzierl In Zeitschrift fur Ethnologie Band 29 1897 Sabine Schade Linding Vorbericht zur bandkeramischen Siedlung bei Bad Nauheim Nieder Morlen Hempler Wetteraukreis Hessen In Starinar Band LII 2002 S 117 ff online a b Louis D Nebelsick Jens Schulze Forster und Harald Stauble Der Adonis von Zschernitz Die Kunst der ersten Bauern In Archaeonaut Band 4 Landesamt fur Archaologie mit Landesmuseum fur Vorgeschichte Dresden 2004 ISBN 3 910008 62 3 Dieter Kaufmann Linienbandkeramische Kultgegenstande aus dem Elbe Saale Gebiet In Jahresschrift fur mitteldeutsche Vorgeschichte Band 60 1976 S 61 96 Louis D Nebelsick Jens Schulze Forster und Harald Stauble Der Adonis von Zschernitz Die Kunst der ersten Bauern In Archaeonaut Band 4 Landesamt fur Archaologie mit Landesmuseum fur Vorgeschichte Dresden 2004 S 7 und 23 Louis D Nebelsick Jens Schulze Forster und Harald Stauble Der Adonis von Zschernitz Die Kunst der ersten Bauern In Archaeonaut Band 4 Landesamt fur Archaologie mit Landesmuseum fur Vorgeschichte Dresden 2004 S 6 Triebstau im Neandertal In Der Spiegel Nr 14 2005 S 148 151 online Jens Luning Die Bandkeramiker Erste Steinzeitbauern in Deutschland Bilder einer Ausstellung beim Hessentag in Heppenheim Bergstrasse im Juni 2004 2005 Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Adonis von Zschernitz amp oldid 239286053